Tomb Raider (2013)10.01.2013, Jörg Luibl
Tomb Raider (2013)

Vorschau:

Wie ist Lara Croft zu der akrobatischen Abenteurerin geworden, die man seit 1996 auf der Jagd nach Schätzen und Geheimnissen begleitet? Diese Frage will das Team von Crystal Dynamics im März mit einer Reise in ihre Vergangenheit beantworten. Man schlüpft in die Rolle einer blutjungen Archäologin, die frisch von der Uni kommt und voller Tatendrang…

…im Teufelsmeer versinkt

Lara droht zu ertrinken. Ihr Herz pocht auf Hochtouren, während sie gegen das Wasser kämpft. Sie ruft verzweifelt nach Hilfe: Jonah! Ich bin hier! Dann verliert sie das Bewusstsein. Als sie aufwacht, baumelt sie kopfüber in einer Art…Kokon. Wie ist sie hier gelandet? Wo ist sie überhaupt? Und wo sind die anderen Teilnehmer der Exkursion? Überall liegen Knochen, Kerzen flackern wie bei einer Séance und Fratzen von geopferten Menschen starren sie an. Okay, das wird scheinbar etwas okkulter ablaufen als eine klassische wissenschaftliche Ausgrabung. Gibt es eigentlich Kannibalen im japanischen Meer?

Während sich Feuer und Wasser virtuos auf den Felswänden der Höhle spiegeln, beginnt man die Erkundung mit der sichtlich irritierten Lara. Sie wirkt nicht heroisch abgebrüht, sondern unsicher und mitgenommenen. Kein Wunder, denn sie erlebt von Anfang an extreme Situationen, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut gehen. Als ein

Teufelsmeer?

Das Bermuda-Dreieck kennt man. Aber das Drachen-Dreieck, auch Teufelsmeer genannt? Wo sich Inseln wie Toshima, Miyake oder Izu tummeln? Es gilt ebenfalls als mysteriöser Ort, um den sich zahlreiche Legenden ranken. Das Gebiet liegt südlich von Tokio im japanischen Meer, wo nicht nur Taifune und Vulkane für Nervenkitzel sorgen. Hinzu kommen UFO- und Geister-Sichtungen sowie verschollene Flugzeuge und Schiffe. Splitter aus ihrer Hüfte ragt, zieht sie ihn mit einem Schrei heraus - das Bild wackelt bedrohlich, als ihr schwarz vor Augen wird. Sie schluchzt, sie stöhnt und sie fürchtet sich in dieser Höhle.

Start in pazifischer Höhle

Crystal Dynamics gelingt ein stimmungsvoller Einstieg. Nicht nur, weil die Kulisse überaus ansehnlich ist, sondern vor allem weil die dynamische Kamera und die aufmerksame Regie für Mittendringefühl sorgen. Man ist immer ganz nah dran an der Gefahr, wenn man sich mit Lara durch enge Nischen zwängt, durch abschüssige Kanäle schlittert oder in die Tiefe stürzt. Schön ist, dass man nicht einfach los spurten, alles Blinkende zerdeppern und sich Bewegende wegballern soll – zumal man noch keine Waffen hat.  Es lohnt sich, die

Lara erkundet zunächst eine unheimliche Höhle voller Knochen und Kerzen. Wo ist sie nur gelandet?
Lara erkundet zunächst eine unheimliche Höhle voller Knochen und Kerzen. Wo ist sie nur gelandet?
Umgebung genauer zu studieren und auf Geräusche zu achten. Huschte da nicht jemand im Dunkeln umher? Wer hat die Tür zugeschlagen?

Lara ist nicht allein und wenn sie unnötig Lärm macht, indem sie z.B. plump durch einen Vorhang mit Muscheln oder Knochen läuft, wird sie schneller entdeckt – tolle Idee, denn so ist man auch später aufmerksam. Etwa später muss man ein kleines, aber feines physikalisches Umgebungsrätsel inklusive Hebebühne, Feuereinsatz und Wasserströmung lösen, um endlich zu entkommen. Über die linke Schultertaste kann man sich mögliche Interaktionspunkte anzeigen lassen, falls man nicht weiter kommt. Kurzum: Im Einstieg erlebt man einen schmerzhaften Survivaltrip, angenehm auf das Wesentliche sowie Erkundungsreize und Rätsel reduziert. Allerdings öffnet und ändert sich das Spieldesign, sobald man die Höhle verlässt.

Uncharted lässt grüßen

Eine Axt zum Klettern und Seilbahnen zum Gleiten: Lara erkundet die Gegend gewohnt akrobatisch.
Eine Axt zum Klettern und Seilbahnen zum Gleiten: Lara erkundet die Gegend gewohnt akrobatisch.
Zunächst denkt man sich: Wow. Als Lara die Höhle verlässt, gibt es einen weiten Panoramablick auf die ebenso schroffe wie idyllische Küste der Insel. Man fühlt sich auch später an Uncharted erinnert, wenn sie an Steilwänden vor rauschenden Wasserfällen entlang kraxelt. Nicht einfach am Fels, sondern an einem verwitterten Kampfbomber aus dem Zweiten Weltkrieg, der wie ein versteinerter Riesenvogel an einer Schlucht hängt und bei jedem Schritt knarzt. Für ein wenig Spannung zwischen Simsen und Abhängen sorgen plötzliche Reaktionstests, die Lara meistern muss, um nicht abzustürzen. Die Akrobatik wirkt eher intuitiv als etwa so fordernd wie in I Am Alive, wo eine begrenzte Ausdauer dafür sorgte, dass man seine Kraft dosieren musste – trotzdem macht das Mauerlaufen, Springen und Balancieren Laune.

Die bis dahin eher vage Story wird endlich etwas konkreter, als Lara den Rucksack des Expeditionsmitglieds Sam findet. Darin befindet sich nicht nur ein Funkgerät, sondern auch eine Kamera, die einen erzählerischen Rückblick auf die Exkursion und ihre Teilnehmer gewährt, bevor sie das Meer verschluckte. Lara scheint demnach nah dran an einer Entdeckung gewesen zu sein, die mit dem Teufelsmeer und einer versunkenen altjapanischen Kultur zu tun hat. Mit an Bord waren neben ihrer Freundin Sam u.a. ein Kapitän sowie der Chef-Archäologe Dr. Whitman, mit dem nicht nur Lara aneinander gerät.

Von Camp zu Camp

Wo ist der Rest der Expidition hin? Im Laufe des Abenteuers begegnet Lara ihren alten Kollegen und mysteriösen Fremden.
Wo ist der Rest der Expidition hin? Im Laufe des Abenteuers begegnet Lara ihren alten Kollegen und mysteriösen Fremden. Die Dialoge können bereits überzeugen, die Story rund um eine altjapanische Kultur muss sich noch beweisen.
Um mehr zu erfahren, muss sie die Inselwelt erkunden. Als Ausgangspunkt dient ihr ein erstes Camp. Und hier wird das bis dato angenehm reduzierte und bisweilen rätselhafte Spieldesign von einem Statistikmantel sowie einem Spieldesign eingehüllt, das man gut kennt: Lara bekommt plötzlich 150XP und eine erste Aufgabe, kann Punkte in zig Fähigkeiten investieren. Wusste man bis dato nicht, was einen erwartet, kann man jetzt in vielen Listen nachlesen, welche Waffen, Skills und Schätze noch kommen. Warum spoilert man hier das Arsenal an Möglichkeiten, anstatt es Stück für Stück bereit zu stellen? Die Sammelobjekte in der Wildnis erinnern umgehend an das Belohnungsprinzip von Assassin's Creed & Co. Man kann in jedem Gebiet eine bestimmte Anzahl an Camps, Dokumenten, Relikten und Schatzkarten finden, Totems abschießen oder GPS-Sender orten, was in der umfangreichen Trophäenstatistik umgehend als 1/5 oder 1/10 vermerkt wird.

Es gibt also verdammt viel zu finden. Und noch mehr an Lara zu verändern. Aber der Zauber des Einstiegs, wo das nackte Überleben und Instinkte im Vordergrund standen, verfliegt ein wenig mit diesem statistischen Überbau, den man von so vielen Spielen kennt, zumal es vor allem um martialische Talente geht. Man kann Laras Fähigkeiten am Lager entwickeln, indem man Skillpoints in zehn Bereiche investiert. Wer die animalischen Instinkte ausbaut, findet z.B. eher Tiere und Nahrung. Man kann auch die Ausschüttung von Pfeilen beim Ausweiden erhöhen. Hinzu kommen Schmerztoleranz, Klettertalente, Orientierung oder Kartographie mit kleinen Boni. Wer in Letzteres investiert, bekommt z.B. versteckte Höhlen angezeigt. Wie wirken sich diese Talente auf lange Sicht in der Praxis aus? Erlebt man das Spiel anders, wenn man sich spezialisiert? Bekommt man versteckte Bereiche nur zu Gesicht, wenn man bestimmte Skills entwickelt?

Martialische Potenziale

Was zu Beginn nach Survival mit Bogen aussieht, öffnet sich zu einem Actionspiel mit zig Waffen: Von der Pistole bis zur Schrotflinte und Napalm-Pfeilen.
Was zu Beginn nach Survival mit Bogen aussieht, öffnet sich zu einem Actionspiel mit zig Waffen: Von der Pistole bis zur Schrotflinte und Napalm-Pfeilen. Kann man trotzdem subtil vorgehen?
Man bekommt Haupt- und Nebenaufgaben. Man muss als erste Waffe z.B. einen Bogen erreichen, der irgendwo im Dschungel baumelt, was etwas Kraxelei zwischen Wald und Fels erfordert. Nur so kann man auf die Jagd gehen, um sich Nahrung zu beschaffen. Beim ersten Ausweiden entschuldigt sich Lara sichtlich angewidert beim Reh – eine tolle Szene. Aber danach wird das Wild ohne Reue abgeschossen. Auch wenn sich Tomb Raider manchmal wie ein knallhartes Survival-Abenteuer präsentiert, gibt es spielerisch viele Kompromisse, damit die Action flutscht: Schon die ständig bereit stehenden Pfeile deuten das an. Munitionsknappheit? Scheint kein Thema zu sein. Hinzu kommen dumm angreifende Wölfe sowie die hohe Bogenfeuerrate. Die Jagd ist - wie immer - ein Arcade-Spielchen.

Spätestens, wenn man sich die acht potenziellen Jäger- sowie zehn Bogen- und sechs Brawler-Aufrüstungen anschaut, werden auch die martialischen Möglichkeiten der zu Beginn so wehrlos wirkenden Studentin deutlich. Lara kann ihre Zielgenauigkeit und Stabilität beim Schuss verbessern, die Munitionskapazität erhöhen, sich zu einer Bogen-, Pistolen-, MG- oder Schrotflinten-Expertin entwickeln oder sich den Tötungsmanövern aus der Nähe widmen. Hinzu kommen Seil-, Napalm (!)-, Explosiv-Pfeile sowie Axt-Tricks, Axt-Konter und Axt-Finisher. Gelingt den Entwicklern angesichts dieses Waffenarsenals und dieser Kampftalente auf lange Sicht noch die dramaturgische Balance?

Plötzlich mitten im Kriegsgebiet

Wie in Uncharted & Co geht es aus der Deckung heraus zur Sache. Dabei kann man offen und explosiv oder subtil vorgehen - was meist besser ist.
Wie in Uncharted & Co geht es aus der Deckung heraus zur Sache. Dabei kann man offen und explosiv oder subtil vorgehen - was meist besser ist.
Immerhin ist da eine blutjunge, schluchzende und alles andere als erfahrene Kämpferin auf einer einsamen Insel unterwegs. Wozu braucht die das eigentlich alles? Napalm-Pfeile? Ist denn schon wieder Krieg? Ach so: Irgendwann wird auch Russisch gesprochen. Irgendwann sieht man die ersten Tarnanzüge, ein Dorf brennt, Menschen schreien und Lara wird in einen Konflikt hinein gezogen, indem es explosiv zur Sache geht. Auch hier ist die Regie noch so gut, dass man ihr die Verunsicherung und Angst abnimmt. Und als sie tatsächlich den ersten Menschen töten muss, bricht sie zusammen –noch  eine tolle Szene. Noch stärker wäre die Wirkung, wenn sie danach die Waffe wegschmeißen würde oder sie nur angewidert in Notwehr einsetzen würde.

Aber wenn sie aufsteht, ballert man mit ihr den Rest der Söldner ohne Reue über den Haufen. Schade. Unheimlich schade. Was dann folgt, wird aber sauber umgesetzt: Lara kann man wie in jedem Deckungsshooter oder Uncharted eher stürmisch oder subtil vorgehen, kann draufhalten oder leise zuschlagen, um weniger Feinde anzulocken. Auch wenn die Studentin irgendwann brutale Finisher einsetzt und Schurken wie ein abgebrühter Söldner umnietet, gibt es zwischendurch interessante Kletter- und Rätselmomente, in denen Laras eigentlicher Charakter wesentlich besser zur Geltung kommt. Aber in welchem Verhältnis stehen Geballer und Erkundung, Explosionen und Rätsel am Ende?

Shooter oder Action-Adventure?

Wie sieht das Verhältnis von Survival und Erkundung zur Action aus? Geht der Mix auf? Noch haben wir lediglioch die ersten Stunden gespielt.
Wie sieht das Verhältnis von Survival und Erkundung zur Action aus? Geht der Mix auf? Noch haben wir lediglich die ersten Stunden gespielt.
Optimistisch stimmen kleine Ideen: Zum einen ist da die Kletteraxt, die Lara ganz andere Wege durch verwinkelte Schluchten oder an Felswänden hinauf ermöglicht. Wer sie aufrüstet, kann auch stählerne Kisten aufbrechen, die zuvor verschlossen waren. Kann man hier die Faszination unentdeckter Gebiete entfachen, die man wie in klassischen Action-Adventures à la The Legend of Zelda oder Darksiders II erst mit den entsprechenden Fähigkeiten erreicht? Das würde das Spielerlebnis bereichern und wesentlich besser zu Lara passen als Napalm-Pfeile.

Zum anderen lockt das Inventar mit ansehnlichen 3D-Objekten, die nicht nur Zierde sind, sondern als dreh- und zoombare Gegenstände für kleine Sucheinlagen genutzt werden. Sehr schön! Nur wer die seltsame altjapanische Maske genau inspiziert, wird den Hinweis finden – auch wenn das mittlerweile in Spielen wie „The Room“ noch anspruchsvoller auf dem iPad inszeniert wird, ist das ein großer Fortschritt gegenüber der plumpen Zerstörung und sterilen Artefakthortung in Tomb Raider: Underworld.

Außerdem steckt noch viel erzählerisches Potenzial in der japanischen Mythologie, die immer wieder angesprochen wird. Himiko soll der Legende nach die erste japanische Königin gewesen sein, deren Heimatreich Lara sucht. Was wird sie finden?

Hinzu kommt ein Hauch der Gruppenkonflikte und der Mystery von Lost, wenn sich die Mitglieder finden, streiten und spalten, oder wenn plötzlich skurrile Gestalten wie aus dem Nichts auftauchen: Wer ist z.B. dieser Mathias, der da vor ihr steht und nicht Teil der Expedition war? Sehr gute, natürlich wirkende Dialoge sorgen in diesen Szenen für professionelles Filmflair.

Erste Multiplayer-Fakten

Im Multiplayermodus wird es u.a. in "Team-Deathmatch" (drei Runden in zwei Teams) und "Rescue" inklusive zerstörbarer Objekte wie Brücken sowie aktivierbarer Fallen und Verblutungnstod zur Sache gehen. Überlebende des Schiffsbruchs kämpfen gegen so genannte "Scavengers", die schon längere Zeit auf der Insel leben. In "Rescue" müssen die einen Erste-Hilfe-Kisten zu unterschiedlichen Punkten auf der Karte bringen, während die anderen versuchen, möglichst viele zu töten.

Außerdem kündigte Entwickler Karl Stewart mit "Cry for Help" einen weiteren Modus an, der weniger auf Kampf, sondern mehr auf das Entdecken und Sammeln ausgelegt sein soll. Wie in nahezu allen Multiplayermodi wird man unter diversen Charakteren sowie Waffen-Sets wählen und Erfahrungspunkte sammeln können, um Fähigkeiten aufzuwerten.

Ausblick

Das erste Tomb Raider habe ich 1996 verschlungen, das letzte hat mich 2008 enttäuscht: Underworld war primitiv, redundant, dumm. Umso erleichterter war ich nach den ersten Stunden mit dieser blutjungen Lara Croft. Ihr Abenteuer spielt dramaturgisch in einer ganz anderen Liga, nimmt sie als Charakter ernster, ist abwechslungsreicher und kreativer. Crystal Dynamics überzeugt trotz einiger fauler Actionkompromisse mit guter Regie, toller Kamera-Arbeit, natürlichen Dialoge und prächtigen Kulissen. Hinzu kommt ein wenig Lost-Flair über mysteriöse Gestalten und Inselgeheimnisse. Was kann da schief gehen? Die Balance zwischen Action und Erkundung. Und die Glaubwürdigkeit einer jungen Archäologin, die im Einstieg so überzeugend die leidende Survival-Anfängerin mimt, aber die irgendwann ein Waffenarsenal und Tötungsmanöver vor der Brust hat, die selbst Special Forces neidisch machen würden - dazu mehr Sammelobjekte pro Areal als Ezio in seinen besten Zeiten. Crystal Dynamics hat hier viel in Freischaltbares, Karriere und Waffenfähigkeiten investiert. Dabei demonstriert der auf das Wesentliche reduzierte Einstieg, dass man diesen Überbau gar nicht braucht! Trotz dieser Skepsis hat mich dieses Tomb Raider bisher gut unterhalten. Noch bin ich allerdings nicht sicher, was man hier auf lange Sicht erlebt. In welchem Verhältnis stehen Survival-Spannung, Kraxelei und Rätsel zu explosiver Ballerei? Es wäre unheimlich schade, wenn aus der so verzweifelt wirkenden Studentin zu schnell eine abgebrühte Söldnerin wird.

Einschätzung: gut

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