Pro Evolution Soccer 201212.08.2011, Jörg Luibl
Pro Evolution Soccer 2012

Vorschau:

Das Duell der virtuellen Fußballwelten hat zwar in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass sich die Serien von EA und Konami hinsichtlich der Steuerung sowie der Möglichkeiten immer weiter anglichen. Trotzdem konnten sie sich so markant weiter entwickeln, dass sie jeweils ein anderes Spielgefühl vermitteln. Nachdem wir in FIFA 12 bereits einen Fortschritt in der Defensive erkennen konnten, geht es jetzt mit Pro Evolution Soccer 2012 (ab 9,99€ bei kaufen) auf den Platz. Was ändert sich?

Präziseres Passen

Ziel von Konami war es, den modernen Angriffsfußball mit seinem rasanten Umschalten von Abwehr auf Angriff besser einzufangen – und das gelingt den Japanern. Schon nach den ersten Spielen wirkt dieser Kick schneller, direkter, weniger zäh. Im direkten Vergleich mit FIFA 11 kann man über druckvolle flache Zuspiele wesentlich effizienter das Tempo verlagern. Das ging zwar auch im Vorgänger, aber es läuft jetzt flüssiger. Zu Beginn fühlt sich das Spiel allerdings fast schon etwas arcadig an, wenn der Ball wie an der Schnur gezogen durch die Reihen läuft und viel häufiger als letztes Jahr im Netz zappelt. Das kann auch daran liegen, dass die eigenen Reihen nach der Balleroberung besser verschieben und sich entsprechend anbieten. Außerdem haben die Torhüter noch Schwierigkeiten mit flachen Flanken.

Oder liegt das daran, dass wir defensiv noch nicht gut genug sind? Obwohl die Abwehrspieler auch mal Pässe erahnen und ebenfalls besser Räume decken, hat man es hinten nicht so leicht – es geht eher um cleveres Lauern als um schnelle Balleroberung über Pressing. Wir hoffen zudem, dass die fatalen Torwartprobleme, vor allem bei flachen Bällen sowie harmlosen Schüssen, der noch nicht finalen Vorschauversion zuzuschreiben sind. Die Pass-Genauigkeit kann man übrigens in fünf Stufen anpassen. Wir haben von der voreingestellten vierten schnell auf die zweite und später auf die komplett manuelle erste herunter geschraubt, sonst gibt es kaum Fehlpässe im Mittelfeld. Allerdings passt die Präzision flacher Pass-Stafetten auch zum neuen Spielgefühl – das übrigens nicht mehr so oft von überpeniblen Schiris unterbrochen wird.

Alle Macht der Offensive

In der Theorie kann ich einzelne Spieler anwählen und zum Freilaufen animieren.
Die Statik der ruhenden Bälle wurde aufgebrochen: Man kann einzelne Spieler anwählen und direkt steuern.
Die Offensivaktionen sind in PES öfter von Erfolg gekrönt als die Defensivmanöver. Sprich: Man kommt als Ball führender Spieler auch mal mit einfachen Bewegungen oder Körpertäuschungen über R2 plus Stickbewegung sehr effizient an Verteidigern vorbei; vor allem im Gewusel vor dem Strafraum. Im Angriff scheint es manchmal so, als würde der Ball am Stürmer kleben – man hat oftmals Erfolg, ohne über L2 spezielle Dribblings einleiten zu müssen. Während in FIFA 11 die Abwehr nahezu alle Zweikämpfe ohne viel Timing gewinnt und sehr einfach Druck über Pressing aufbauen kann, weil Spieler raketengleich auf den Ball jagen, verlangt die Defensive hier mehr Planung.

Erstens sorgt plumpes Anrennen schon mal für ein Foul oder Balanceprobleme des Verteidigers, also muss man die Geschwindigkeit behutsamer dosieren. Das wird auch bei den authentischer animierten Kollisionen des plump heran stürmenden Verteidigers mit dem Ball führenden Angreifer dargestellt. Zweitens muss man cleverer die Passwege abschirmen, sonst bekommt man den Ball nicht – dafür gibt es auch ein  Manöver über R2 plus X: Dann begleitet ein Verteidiger den Stürmer nach hinten, also Raum deckend. Allerdings wirkt das alles noch nicht so ausgefeilt und effizient wie in FIFA 12: Auch EA hat bekanntlich das Defensivsystem umgestellt, damit man einzelne Zweikämpfe über manuelles Timing meistern muss statt automatisiertes Dauerpressing zu pflegen.

Zurück zum Training

Die Animationen wurden verfeinert, vor allem im zweikampfverhalten.
Die Animationen wirken lebendiger, vor allem im Zweikampfverhalten.
Veteranen wird es auf den ersten Blick freuen: Direkt nach der Installation gibt es die Frage, ob man an Herausforderungen im Training teilnehmen will. Dort kann man in drei Stufen sowohl Freistöße, Dribblings, Angriff, Verteidigung als auch Elfer in praxisnahen Situationen mit Punktausschüttungen und drei Pokalen üben. Letztere werden übrigens wieder auf die alte Art geschossen – das vermurkste System des Vorgängers wurde ad acta gelegt. Auf den zweiten Blick ist das Training allerdings nicht so umfangreich wie noch zu besten Zeiten auf der PlayStation 2: Warum kann man dort z.B. nicht einzelne Bewegungen oder Dribblings einstudieren, indem man sie nachahmen muss?

Selbst die neuen Tricks am Ball kann man nicht trainieren. Wer sie finden will, muss tatsächlich Seite 6 der Steuerungsübersicht aufrufen.  Aber die Lektüre lohnt sich, obwohl relativ wenig am grundlegenden Passen und Schießen geändert wurde. Dort findet man unter „Attack“ allerdings auch den Hinweis auf die neuen Temposchübe: Wer stehend oder dribbelnd die R2-Taste gedrückt hält, kann den Spieler über den Analogstick in eine Richtung sprinten lassen – hört sich unspektakulär an, aber durch diesen kurzen Antritt kann man wunderbar auf engstem Raum am Gegner vorbeiziehen. Bisher ist dieses Manöver, das es auch für den Vollsprint gibt (R2 und R1 gedrückt halten), für mich die beste Detailänderung an PES, weil man sich elegant Freiraum schaffen kann.

Off-the-Ball-Ernüchterung

Diese Temposchübe sind jedenfalls wesentlich effizienter als die neue Off-the-ball-Steuerung, die mich bisher ernüchtert, weil sie in der Praxis zu umständlich und noch zu wenig effizient ist. In der Theorie soll man als Ball führender Spieler über den rechten Analogstick einen Mitspieler zum Spurt in den freien Raum bewegen – das ist lobenswert, wenn auch nicht neu. Das funktioniert in FIFA 11 z.B. über einen einfachen Druck auf L1, obwohl dort die direkte Auswahl fehlt.

Hier kann ich die direkte Auswahl zwar treffen, indem ich den Stick in die betreffende Richtung  eines Spielers halte, muss dann aber noch R3 drücken, damit er auch vorwärts stürmt. Und genau diese doppelte Aktivierung kostet mir aktuell zu viel Zeit, wirkt mit R3 im Gegensatz zum einfach Knopfdruck auch zu umständlich, zumal die Auswahl nicht präzise genug immer funktioniert – es kommt zu häufig vor, dass ein Spieler nicht angewählt wird, was durch einen blauen Balken über seinem Kopf angezeigt wird. Ist aber nicht allzu schlimm, da die verbesserte Offensiv-KI auch selbstständig Freiräume sucht.

Zwei Spieler gleichzeitig

Neben dieser unterstützen Kontrolle, die nur den Sprint nach vorne einleitet,  gibt es auch die manuelle für fortgeschrittene Zocker mit zwei intakten Gehirnhälften: Dann kann man den Ausgewählten mit dem rechten Stick komplett frei bewegen. Auch das ist in der Theorie interessanter als in der Praxis, denn man muss gleichzeitig zwei Spieler steuern. Wenn das mal klappt, ist das toll, aber in unseren Testspielen hat das kaum jemand sinnvoll einsetzen können, wenn man ihn einigermaßen unter Druck gesetzt hat.

Das Spiel wirkt deutlich schneller und dynamischer als der Vorgänger.
Das Spiel wirkt deutlich schneller und dynamischer als der Vorgänger.
Viel besser funktioniert die  neue Auswahl der Spieler mit dem rechten Stick: Einfach in der Defensive in eine Richtung klicken, um einen anderen Verteidiger zu aktivieren; das geht schneller als über die übliche Variante mit der Schultertaste. Außerdem lockert dieses System die Standards auf: Egal ob Einwurf, Ecke oder Freistoß -  ich kann endlich direkt eine Anspielstation auswählen.  Und bei der Ecke kann ich diese auch selbst im Strafraum bewegen, so dass die Statik der ruhenden Bälle aufgebrochen wird: Während Götze die Ecke schlägt, kann ich mich mit Barrios im Strafraum freilaufen – sehr schön. Ach so: Da ist noch der Wunsch Vater der Namen, denn den BVB konnte man in der Vorschauversion nicht spielen; lediglich in der Nationalmannschaft gehörte Götze bereits zum Kader. Es gibt natürlich keine Bundesliga-Lizenz, aber da Konami erneut die Champions League anbietet, sind die Dortmunder höchstwahrscheinlich dabei.

Präsentation ohne TV-Flair

Weniger schön ist der Stillstand beim Drumherum. Was ist wichtiger: Ein animierter Kameramann oder eine ebenso wuchtige wie dynamisch Fanakustik mit Gesängen oder situationsabhängigen Reinrufen? Ein gestikulierender Trainer oder eine ansehnliche Stadionkulisse mit farbenfrohen Fanblöcken? Obwohl man Konami nach all den Jahren der Statik für die kleinen Schritte am Rande loben muss, die endlich ein paar bewegte Polygone an den Spielfeldrand bringen, vermisst man in dieser Vorschauversion immer noch den wichtigen großen Schritt in der Präsentation. Diese Details fallen kaum auf, da das große Ganze gerade in den Ladephasen des Einstiegs, aber auch mitten im Spiel, immer noch zu spröde wirkt. Wer ein prächtig inszeniertes Fußballfest mit TV-Flair sucht, wird auch mit diesem PES nicht zufrieden sein.

Lizenzen: Primera Division, Champions League, Europa League, diverse Nationalmannschaften (u.a. Spanien, Deutschland, England, Holland, Italien). Die Rechte an der Bundesliga hat sich EA bis 2015 gesichert.

Das liegt nicht an den fehlenden Bundesliga-Lizenzen, sondern an der fehlenden Investition in eine qualitativ bessere Präsentation. Warum muss es bei einem Länderspiel zwischen Deutschland und Brasilien so einen monotonen Singsang geben? Natürlich hilft sich die fleißige PES-Szene selbst mit Schlachtrufen, die man hoch lädt, aber da muss von den Japanern mehr kommen. Erst kurz vor dem Anpfiff zeigt PES seine große Stärke im Kabinengang, wenn man authentische Profis erkennt, deren Gesichter ihren Vorbildern viel ähnlicher sehen als in FIFA 11 – aber das war auch schon eine Stärke des letzten PES. Viel wichtiger ist, dass Konami endlich in die Animationen auf dem Platz investiert hat, so dass das Zweikampfverhalten und Sprintduelle nicht mehr so mechanisch wirken, sondern flüssigeres Abdrängen und ansehnlicheren Körpereinsatz inszenieren. Hinzu kommen viele kleine Aktionen, die das Spiel mit und am Ball eleganter wirken lassen.

Ausblick

Es tut richtig gut, dieses PES zu spielen. Es fühlt sich schneller, offensiver und dynamischer an als der Vorgänger. Im direkten Vergleich mit FIFA 11 kann man hier über druckvolle flache Zuspiele sehr effizient das Tempo verlagern. Ziel von Konami war es, den modernen Angriffsfußball mit seinem rasanten Umschalten von Abwehr auf Angriff sowie Kurzpassterror besser einzufangen. Das gelingt, auch wenn die wenig komfortablen Off-the-ball-Neuerungen bisher keinen entscheidenden Anteil daran haben. Oder gewöhnt man sich noch dran? Besser haben mir die neuen Dribbel-Antritte gefallen, mit denen man aus dem Stand heraus den Verteidiger düpieren kann. Ansonsten gibt es viel Kosmetik: Das zickige Elfersystem ist weg, Standards wurden belebt, Schiris pfeifen toleranter, das Training wurde (etwas halbherzig) zurückgeholt und das Geschehen am Rande tatsächlich etwas animiert - die Japaner haben reichlich Fan-Feedback berücksichtigt. Aber leider fehlt der spürbare Fortschritt in der Präsentation, vieles wirkt immer noch zu steril. Und es bleiben noch viele Fragen offen: Ist diese mächtige Offensive auf Dauer zu stark? Wie gut ist die KI? Bleibt es bei diesen Torwartaussetzern und der  monotonen Soundkulisse? Welche Änderungen gibt es bei den Ligamodi? Das alles wird erst der Test zeigen. Wichtig ist: Mir macht dieses PES auch ohne TV-Flair aktuell mehr Spaß als FIFA 11. Ist es besser als FIFA 12?  Diesen wesentlich interessanteren Vergleich kann ich erst ziehen, wenn wir Letzteres für längere Zeit in der Redaktion kicken können. Die letzte Vorschau beruht noch auf zu wenig Spielpraxis - und das auch noch auswärts in Köln.

Ersteindruck: sehr gut

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