Resident Evil 619.07.2012, Michael Krosta
Resident Evil 6

Vorschau:

Die Fans der ersten Stunde wünschen sich den atmosphärischen Survival-Horror in Resident Evil zurück. Doch Actionspiele verkaufen sich nun mal besser - entsprechend hat sich Capcom seit dem vierten Teil dem Markt angepasst und serviert lieber volle Magazine statt Nerven zerfetzende Spannung. Jetzt versuchen die Japaner, Tradition und Moderne zu vereinen. Kann das gut gehen?

Der mächtigste Zombie der Welt

„Bleiben Sie, wo Sie sind“, schreit Leon S. Kennedy mit gezückter Waffe. Doch der Protagonist aus Resident Evil 2 und 4 sollte es eigentlich besser wissen: Denn das, was da blutverschmiert auf die Secret Service-Agentin Helena Harper zuschlurft, hat schon längst menschliche Züge wie Vernunft oder Gehorsam abgelegt. Stattdessen regiert ein Trieb nach Blut, Fleisch und Tod. „Zwingen Sie mich nicht dazu…“, warnt der Ex-Cop ein letztes Mal, doch der Untote torkelt weiter unbeirrt auf sein Opfer zu. Ein lauter Knall - und das, was früher einmal der Präsident der Vereinigten Staaten war, sackt nach einem gezielten Kopfschuss zusammen. Huh, was für ein Einstieg...

Dabei wollte der mächtigste Mann der Welt nur einem Festakt an der Universität von Oak Talls beiwohnen. Doch nach einem biologischen Angriff drohen sich in der kleinen Stadt die Ereignisse von Raccoon City zu wiederholen. Das Positive daran: Nachdem sie sich in den letzten Episoden eine kleine Auszeit gegönnt haben, feiern die klassischen Zombies endlich wieder ihre Auferstehung! Auch Kulisse und Atmosphäre erinnern an die Wurzeln der Reihe, wenn bei der Erkundung des schummerigen Universitätsgebäudes der Boden knarzt, plötzlich helle Blitze durch die Fenster zucken und gezielte, wenn auch manchmal vorhersehbare Schockeffekte den Puls nach oben treiben.

Fast wie früher

Zwischendurch sollen sich die Handlungsstränge der drei Kampagnen überschneiden.
Zwischendurch sollen sich die Handlungsstränge der drei Kampagnen überschneiden.
Die Munition ist knapp, das Spieltempo angenehm niedrig und der Schauplatz weckt Erinnerungen an die Erkundung des alten Herrenhauses. Wurde man zuletzt oft mit einer Überzahl an Gegnern konfrontiert, treten die Zombies weniger zahlreich auf. Gut so, denn wilde Horden wie in Left 4 Dead würden sich hier kontraproduktiv auf die Atmosphäre auswirken, die tatsächlich mehr im Zeichen der älteren Teile steht. Trotzdem ist die neue Steuerung mehr auf Action ausgerichtet: Wie schon bei Resident Evil: Revelations auf dem 3DS wird es erstmals auch bei einem großen Ableger der Serie möglich sein, sich gleichzeitig zu bewegen und zu schießen.

Der Nahkampf wurde ebenfalls gestärkt, denn konnte man früher nur angeschlagenen Gegnern mit einem Tritt den Rest geben, kann man sie hier jederzeit im Stil von Chuck „Roundhouse-Kick“ Norris attackieren und sie sogar einen Kopf kürzer machen. In dieser Form erscheinen mir die unbewaffneten Angriffe zu mächtig. Zwar wirken sich zu viele Nahkämpfe auf die Kondition und damit das Tempo aus, doch regeneriert sich die Kraft recht zügig. Dadurch verliert der Munitionsmangel an Wirkung, wenn man sich alternativ so wuchtig durchschlagen kann. Hinzu kommt die Unterstützung durch die KI, deren Rolle auch von einem Koop-Partner übernommen werden darf. Zwar trennen sich zwischendurch die Wege des Duos, doch ist man wie schon bei Resident Evil 5 die meiste Zeit gemeinsam unterwegs, so dass sich Terror und Horror nicht optimal entfalten können. Trotzdem macht Capcom im Ansatz vieles richtig, wenn man mit Leon und Helena unterwegs ist. Ich hoffe, die Japaner schaffen es, die fesselnde Stimmung aufrecht zu erhalten und nicht doch wieder in die schnelle Action abgleiten.

Pack die Wumme aus

Endlich schlurfen wieder Zombies über den Bildschirm.
Endlich schlurfen wieder Zombies über den Bildschirm.
Denn genau das passiert schon, wenn man sich für die Kampagne mit Chris Redfield entscheidet. Das Serien-Urgestein ist mittlerweile nur noch ein Schatten seiner selbst, trinkt gerne einen über den Durst, pöbelt herum und leidet offensichtlich unter einem Gedächtnisschwund, der wohl durch ein Trauma und Schuldgefühle ausgelöst wurde. Über sechs Monate wurde er von Piers Nivans gesucht, bis er ihn in einer Bar aufspürt und Chris als Captain in die BSAA zurückholt, um Bio-Terroristen zu jagen. Die treiben sich mittlerweile auch in China herum und schrecken selbst vor Angriffen auf große Metropolen und Geiselnahmen nicht mehr zurück.

Im Vergleich zur Leon-Kampagne liegt der Fokus hier ganz klar auf der Action. Statt lahmen Zombies stellen sich dem Duo hier flinke, teils maskierte Psycho-Mutanten entgegen, die sich nicht nur in ekelhafte Kreaturen verwandeln können, sondern auch mit Waffen wie MGs umgehen können. Entsprechend groß ist der Kugelhagel, wenn man sich mit der BSAA-Truppe durch die Straßen und Dächer der Stadt ballert. Da es hier deutlich mehr zur Sache geht, hat Capcom nicht nur das Interface, sondern auch die Steuerung angepasst. Im Gegensatz zu Leon können Chris und Piers auf ein Deckungssystem zurückgreifen, das allerdings noch gewöhnungsbedürftig ist. So muss man an Kisten oder Mauern erst die linke Schultertaste gedrückt halten und dann noch einen Knopf betätigen, damit die Figur in Deckung geht. Das Hervorschnellen mit Hilfe des linken Analogsticks funktioniert klasse, doch schnelle Positionswechsel zwischen verschiedenen Deckungen sind nicht möglich. Dafür kann man sich mit einem schwungvollen Hechtsprung aus dem Lauf heraus auf den Boden werfen und sich anschließend auf dem Rücken liegend der Angreifer annehmen oder durch Seitwärtsrollen ausweichen. Insgesamt wirkt Chris nicht nur agiler als Kollege Leon, sondern hat auch mehr Aktionen in petto. Aber braucht er das überhaupt? Das alles sieht zwar ganz cool aus, dürfte in der hektischen Praxis aber nur selten zur Anwendung kommen.

Schneller Zugriff

Der Bio-Terrorismus ist allgegenwärtig - und bringt immer wieder neue Mutationen hervor.
Der Bio-Terrorismus ist allgegenwärtig - und bringt immer wieder neue Mutationen hervor.
Die Nahkampfangriffe, die hier genauso mächtig ausfallen wie bei Kollege Leon, sind da weitaus effektiver. Zudem sollte man immer die Augen nach explosiven Fässern oder Tanks offen halten, mit denen man ein beeindruckendes Feuerwerk in Hollywood-Manier veranstalten und gleich mehrere Feinde gleichzeitig ausschalten kann. Das gilt auch für die Splittergranaten, die neben MGs, Pistolen, Kampfmesser und Blendgranaten ebenfalls den Weg ins Inventar gefunden haben, dessen. Der Waffenwechsel funktioniert flott und unkompliziert über das Digitalkreuz, da die Struktur an die CrossMedia-Bar der PlayStation 3 angelehnt ist. Pillen, Heilsprays oder Kräuter wirft man sich bei Verletzungen über eine obere Schultertaste ein, so dass man nicht länger den Umweg über das Inventar gehen muss.

Hilfe, Doktor!

In diesem Zusammenhang fällt auf, dass das Heilsystem umgebaut wurde. Konnte man den Gesundheitszustand bisher nur mit den eben genannten Hilfsmitteln aufpeppen, feiert in Resident Evil 6 (ab 4,79€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) ein regenerativer Ansatz seine Premiere, der an Resistance: Fall of Man erinnert. So ist die Gesundheit der Protagonisten auch hier in Blöcke unterteilt, die sich nach Treffern regenerieren können, sofern man weitere Attacken vermeidet oder Zombies z.B. noch durch ein heftiges Rütteln am Analogstick rechtzeitig abschütteln kann. Ist einer der Gesundheitsblocks komplett aufgebraucht, lässt er sich nicht mehr durch automatische Heilung, sondern nur durch Medizin wieder auffüllen. Für mich ein guter Kompromiss aus Tradition und der aktuell so beliebten Methode, der aber den Schwierigkeitsgrad wieder etwas senkt.

Leon S. Kennedy hat den Zombie-Präsidenten von Amerika im Visier.
Leon S. Kennedy hat den Zombie-Präsidenten von Amerika im Visier.
Munition ist aber auch bei der BSAA Mangelware, so dass man auch hier immer wieder auf die Muskelkraft zurückgreifen muss. Alternativ sollte man Ausschau nach Kisten halten, die nach dem Zertrümmern oft Nachschub in Form frischer Magazine, Heilkräuter oder die ominösen Erfahrungspunkte enthalten, deren Zweck sich noch nicht ganz ergründen aber immerhin erahnen lässt. Man kann davon ausgehen, dass sie das Geld aus früheren Teilen ersetzen, mit dessen Hilfe man z.B. die Waffen aufrüsten konnte. Im Rahmen der Demo wird die Mechanik allerdings etwas überstrapaziert - teilweise hatte ich das Gefühl, mehr Kisten als Gegner zu bekämpfen. Was nicht heißen soll, dass sich zu wenige von ihnen in der Stadt herumtreiben. Im Gegenteil: Wie in den beiden Vorgängern wird man teilweise von einem Mob aus allen Richtungen ins Visier genommen, was durchaus für einen Anflug an Panik sorgen kann. Im direkten Vergleich zu den positiven Eindrücken der Leon-Episode ist der Auftritt von Chris und seinen BSAA-Mitstreitern  allerdings enttäuschend: Zu gewöhnlich und austauschbar wirkt die Action, die auch aus einem x-beliebigen Military-Shooter stammen könnte. Hier werden die Aussagen traurige Realität, dass man sich mehr an Call of Duty orientieren möchte…         

Auf der Flucht

Manchmal hilft nur die Flucht!
Manchmal hilft nur die Flucht!
Welchen Weg man mit der dritten Kampagne einschlagen möchte, lässt sich bisher noch nicht genau abschätzen. Fest steht nur, dass man hier mit Jake Muller, Sohn von Albert Wesker, und Sherry Birkin, Tochter des G-Virus-Erfinders, unterwegs sein wird. In der E3-Demo, die sich Besitzer von Dragon’s Dogma mit einem ausländischen Xbox Live-Konto mittlerweile ebenfalls saugen dürfen, stehen die Flucht und der anschließende Kampf gegen ein Monster namens Ustanak auf dem Programm. Der Bursche erinnert entfernt an den Tyrant, wurde aber zusätzlich mit mechanischen Teilen aufgemotzt, mit dessen Hilfe er seine Opfer z.B. aufspießen kann. Die Taktik, den anhänglichen Mistkerl endgültig zu Fall zu bringen, ist jedoch alles andere als kreativ: Zuerst muss man ihn in die Nähe von explosiven Fässern locken und diese dann mit einem sauberen Schuss hochjagen. Wie es der Zufall so will, stehen in dem Lagerhaus an allen Ecken und Enden entsprechende Gelegenheiten herum. Das macht man ca. fünf Mal und der XL-Mutant ist Geschichte.

Die große Unbekannte

Welche Rolle spielt Jake Muller, Sohn von Albert Wesker?
Welche Rolle spielt Jake Muller, Sohn von Albert Wesker?
Auffällig: Auch das dritte Duo bekommt wieder ein eigenes Interface spendiert, doch was man bisher gesehen hat, tendiert man auch hier eher in Richtung Action - schade eigentlich. Immerhin besitzt das Gespann das Potenzial, die Geschichte zu bereichern. Zwar kennt man Sherry bereits ein wenig aus der Vergangenheit, doch das kleine Mädchen von damals ist mittlerweile erwachsen geworden. Und Jake Muller hat alleine durch die Verbindung zu Wesker die theoretische Chance, das Resident Evil-Universum um einen interessanten und unberechenbaren Charakter zu bereichern. Wir werden sehen…

Ganz nah dran

Etwas problematisch ist die Position der Kamera, die sich ungewöhnlich nah an den Figuren befindet. Zusätzlich beeinträchtigt eine automatische Zoomfunktion zwischendurch die Übersicht. An dem übertriebenen Unschärfefilter, der besonders beim Zielen den Vorder- oder Hintergrund massiv mit der groben Darstellung verunstaltet, wird bis zur Veröffentlichung im Oktober hoffentlich genauso behoben wie das furchtbare Tearing, unter dem die 360-Fassung derzeit noch leidet. Davon abgesehen zeigt die MT Framework-Engine erneut, was in ihr steckt: Vor allem die Figuren sehen klasse aus, obwohl die Darstellung im Spiel nicht mit der Qualität der gekonnt inszenierten Zwischensequenzen mithalten kann. Dass die getöteten Gegner neuerdings im Stil von Blade 2 mit Funken abtreten und danach im Nichts verschwinden ist eine Sache, an die ich mich erst noch gewöhnen muss. Zwiespältig stehe ich auch der neuen Wegfindung gegenüber, die sich wie bei Dead Space auf Knopfdruck aktivieren lässt. Reicht es denn

Bekommt Ada Wong eine eigene Kampagne oder hat sie nur einen Gastauftritt?
Bekommt Ada Wong eine eigene Kampagne oder hat sie nur einen Gastauftritt?
nicht, dass schon der nächste Zielpunkt inklusive Abstand angezeigt wird? Ich finde, mit solchen Elementen werden die Erkundungsreize der Vergangenheit endgültig eliminiert, obwohl man selbstverständlich die Möglichkeit hat, sich abseits umzusehen. Viel wird man dabei allerdings nicht entdecken, da die Schauplätze sehr linear aufgebaut werden und man bei der Suche nach alternativen Routen schnell an künstliche Grenzen wie Tische oder Trümmer stößt.

Was ich ebenfalls noch vermisse sind Rätsel. Vor allem von der Leon-Kampagne erhoffe ich mir noch mehr Erkundungsreize und kleine Denkaufgaben, doch ist davon bisher noch nichts zu sehen. Die Soundkulisse hinterlässt dagegen schon einen hervorragenden Eindruck. Vor allem in der Leon-Episode tragen neben der Musik die gelungenen Soundeffekte wie das Grunzen und Stöhnen der Mutanten zur spannungsgeladenen Atmosphäre bei. Auch die Sprecher machen einen guten Job - auch wenn manche von ihnen zur Übertreibung (Stichtwort: Over-acting) neigen.

Ausblick

Resident Evil 6 erinnert mich an die Fahrt in einer Berg- und Talbahn: Da ist diese großartige Erkundung der Universität mit Leon, die eigentlich alles hat, was die Serie damals ausgezeichnet hat. Die Kulisse ist schaurig, die Atmosphäre beklemmend und endlich schlurfen wieder klassische Zombies mit ihrem markanten Stöhnen durch die engen Gänge. Auch wenn mir die neue Nahkampf-Mechanik zu mächtig erscheint, ist es das, was ich mir für Resident Evil 6 gewünscht habe! Eine Rückkehr zu den alten Wurzeln, gemischt mit modernen Elementen. Doch dann kehrt Chris aus der Versenkung zurück - und mit ihm die Action, die leider völlig austauschbar wirkt und sich hier mit dem fummeligen Deckungssystem sowie schießenden Mutanten in eine Richtung entwickelt, die offensichtlich voll auf die Call of Duty-Generation zugeschnitten ist. Damit kann ich im Zusammenhang mit Capcoms ursprünglichem Survival-Horror nur wenig anfangen. Was das BSAA-Team im Kampf gegen die dämlichen Gegner auffährt, ist bestenfalls durchschnittlicher Actionbrei. Auf welche Seite sich die dritte Kampagne schlägt, lässt sich derzeit noch schwer abschätzen, doch zeichnet sich bisher eher eine Tendenz zum Ballern ab. Dass man sich endlich gleichzeitig bewegen und schießen kann, empfinde ich auch unabhängig des Actionteils als Vorteil - genauso wie den unkomplizierten Zugriff auf Waffen und Kräuter. Sogar mit dem Kompromiss aus regenerativem und manuellem Heilsystem kann ich mich anfreunden. Technisch trumpft die MT Framework-Engine trotz einiger schwacher Texturen wieder ganz groß auf - vor allem die Gestik und Mimik der Figuren sehen klasse aus. Zudem käme es der Übersicht entgegen, wenn sich die Kamera weniger nah an den Figuren befinden und Capcom die automatische Zoom-Funktion neben dem hässlichen Unschärfefilter einen Gang zurückschalten würde. Obwohl meine anfängliche Begeisterung nach der Begegnung mit „Action-Chris“ etwas gelitten hat, freue ich mich trotzdem noch auf Resident Evil 6 - in der Hoffnung, dass Capcom den Weg mit Leon so weitergeht, wie er sich in der Demo andeutet.


Eindruck: gut

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