Watch Dogs10.05.2013, Michael Krosta
Watch Dogs

Vorschau:

Auf der letzten E3 sorgte Ubisoft mit Watch_Dogs für reichlich Wirbel: Der Titel kam aus dem Nichts, doch die unglaublich detaillierte Nachbildung von Chicago, filmreife Action-Sequenzen sowie scheinbar grenzenlose Hacking-Möglichkeiten ließen einige Kinnladen nach unten klappen. In Paris gewährten die Entwickler jetzt tiefere Einblicke in die Spielmechanik, Aufgaben und Möglichkeiten innerhalb der vernetzten Stadt. Ist der Hightech-Rachefeldzug so faszinierend wie erhofft?

Brutaler Alltag

„Dieses Schwein hat meine Frau vergewaltigt! Und ich weiß, wo er sich gerade aufhält. Den greife ich mir und mach ihn fertig!“. Gespräche wie diese schnappt man schon mal auf, wenn man sich willkürlich in die Mobiltelefone von Passanten hackt. Und Aiden Pearce kennt alle Tricks, um die moderne Technologie für seine Zwecke zu nutzen. Der Unbekannte marschiert los. Zielstrebig. Entschlossen. Und zu allem bereit. Hat er da etwa eine Waffe in seiner Jackentasche?  Aiden heftet sich an die Fersen des aufgebrachten Ehemanns, hält aber immer einen gewissen Sicherheitsabstand, um nicht aufzufallen. Ein Schriftzug mit dem Worten „Criminal Activity“ leuchtet auf dem Bildschirm auf. Aha, hat der Mann den Peiniger seiner Frau entdeckt? Ist es der Typ, der dort an der Ecke steht? Ja, bestimmt: Mit jedem Schritt, den der Ehemann auf die Person zugeht, steigt die Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens, die durch entsprechende Anzeigen unter dem potenziellen Täter und seinem Opfer sogar visualisiert wird. Was soll Aiden jetzt tun? Soll er eingreifen und das Verbrechen verhindern? Oder wäre es besser, wenn er ihn einfach gewähren und den möglichen Vergewaltiger durchsieben lassen würde? Das wäre doch eine gerechte Rache. Oder etwa nicht?!

Ein großer Abenteuerspielplatz

Das Handy ist in den Händen des Hackers eine mächtige Waffe.
Das Handy ist in den Händen des Hackers eine mächtige Waffe.
Der Durst nach Rache - damit kennt sich auch Aiden bestens aus, seitdem ihn seine kriminelle Vergangenheit eingeholt und die Familienidylle zerstört hat. Sie ist es, die ihn antreibt und zu einem Gesetzlosen macht, der mit allen Mitteln, Fähigkeiten und Technikwissen versucht, dieses Ziel zu erreichen. Details zur Geschichte werden derzeit noch nicht verraten – auch im Gespräch mit den Entwicklern waren keine näheren Informationen zu ergattern. Fest steht nur, dass Aidens Familie durch ein Ereignis in Gefahr gebracht wird und er daraufhin einen Rachefeldzug startet, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Entsprechend konzentrierte sich die Live-Präsentation einzig auf den großen Abenteuerspielplatz anstatt Einblicke in die Hauptmissionen zu gewähren. Zu entdecken und zu tun gibt es viel: Da man sich in die Telefone jedes Passanten, jede Verkehrsampel und jede Überwachungskamera hacken kann, ergeben sich zusammen mit den potenziellen Verbrechen („Criminal Activity“) zahlreiche potenzielle Situationen und Ereignisse, denen man abseits der Story nachgehen kann.

Virtuelles Leben

Selbst während Verfolgungsjagden kommen Gadgets zum Einsatz.
Selbst während Verfolgungsjagden kommen Gadgets zum Einsatz.
Jede Figur in Watch_Dogs soll ein eigenes Leben führen, dem Alltag nachgehen und realistisch auf die Umwelt reagieren. Das geht schon damit los, dass sich Passanten nachvollziehbar darüber ärgern, wenn sie bei Regenwetter von vorbeifahrenden Autos an Pfützen nass gespritzt werden. Zudem reagieren sie auf Handlungen des Spielers: Zieht man z.B. auf offener Straße die Waffe, geraten einige Leute gleich in Panik und rennen weg. Andere greifen dagegen instinktiv zu ihrem Handy, um per Notruf die Polizei zu informieren. In diesem Fall stört man z.B. die Verbindung via Hack oder macht es auf altmodische Weise, indem man ihm das Gerät einfach aus der Hand reißt und auf den Boden schmeißt.

Aber Achtung: Aktionen wie diese tragen dazu bei, wie Aiden in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Zwar gibt es kein klassisches Gut/Böse-Moralsystem, doch definiert sich der Ruf des Spielers oft durch seine Taten. Wer z.B. bei einer Verfolgungsjagd durch die Stadt oder einer Schießerei viele Unschuldige tötet, wird als Verbrecher wahrgenommen und nicht als Held. Entsprechend kann es in diesem Fall oft passieren, dass man in den Nachrichten als gesuchter Täter auftaucht, von einem Barkeeper erkannt wird und kurz darauf schon wieder vor den Gesetzeshütern fliehen muss. Jede Aktion hat sowohl positive als auch negative Auswirkungen, doch wird dem Spieler nicht der Spiegel vorgehalten, was er „richtig“ oder „falsch“ gemacht hat. Man soll selbst entscheiden, welchen Weg man einschlägt, aber muss dann auch mit den möglichen Konsequenzen leben.

Vorsicht Spanner

StaplerJeder wird im vernetzten Chicago zum gläsernen Bürger.
Nicht nur Teile der Infrastruktur von Chicago und Handys lassen sich hacken – selbst vernetzte Objekte innerhalb von Wohnungen sind vor Aidens Fähigkeiten nicht sicher. Hat er sich erst einmal Zugang zu einem privaten WLAN verschafft, kann er z.B. über die Webcam einen Blick ins Wohnzimmer werfen und beobachtet unter anderem merkwürdige Typen, die sich auf dem Sofa mit Gummipuppen unterhalten. Spanner und „Möchtegern-Anthropologen“ dürften auf jeden Fall ihren Spaß mit Watch_Dogs haben. Allerdings bleibt abzuwarten, wie beschränkt diese Hacks im finalen Spiel ausfallen und ob die Situationen interessant genug sind, um sich mehr als fünf Minuten mit ihnen zu beschäftigen. Interessant wäre sicher, die Reaktion der NPCs zu sehen, wenn sie glauben oder erahnen, dass sie gerade verfolgt oder ausspioniert werden. Ein solches Bewusstsein lässt sich bisher aber noch nicht feststellen. Aber wer sagt überhaupt, dass es sich hier um eine KI handelt? Ist man online, verschmelzen Kampagne und Mehrspielermodus ineinander und es kann durchaus passieren, dass man gerade einem anderen Spieler durch die Stadt folgt. Umgekehrt muss man selbst mit der ständigen Paranoia leben, gerade verfolgt oder gar gehackt zu werden. Mehr zum interessanten Mehrspieleransatz will Ubisoft in den kommenden Monaten bekannt geben. Dann dürften auch die Möglichkeiten der kostenlosen Companion-App näher beleuchtet werden, mit deren Hilfe man auch von seinem Telefon oder Tablet-PCs Einfluss auf die Spielwelt nehmen kann.  

Im Zentrum der Macht

Die Fahrphysik soll durchaus anspruchsvoll ausfallen.
Die Fahrphysik soll durchaus anspruchsvoll ausfallen.
Bevor man aber überhaupt seine HighTech-Zauberei aufführen kann, muss man sich erst einen Zugang zum ctOS-Netzwerk verschaffen, dem zentralen Betriebssystem der Stadt. Dies gelingt, indem man in die zahlreichen Kontrollräume einbricht und dort RootKits installiert, die dem Spieler den Zugriff auf sämtliche Systeme des jeweiligen Sektors erlauben. Klar, dass bei dieser Mechanik schnell Erinnerungen an die (Funk-)Türme eines Assassin's Creed oder Far Cry 3 wach werden...

Doch erst jetzt kann Aiden sein Hacker-Potenzial voll ausschöpfen: An allen Ecken blinken Objekte, die er jetzt mit seinem Mobiltelefon manipulieren kann – sei es die Ampelanlage, ein Zug oder eine Kamera, mit der er sich einen Überblick verschaffen oder sogar Personen verfolgen kann. Ein Knopfdruck genügt und schon löst man an der nächsten Kreuzung eine Massenkarambolage aus, klinkt sich in einen SMS-Chat ein oder knackt elektronische Türschlösser. Während eines Schusswechsels hat sich sogar die Fernsteuerung eines Gabelstaplers als nützlich erwiesen, der kurzerhand als mobile Deckung herhalten musste. Bisher wirkt es so, als würde das Hacken ähnlich einfach funktionieren wie bei Syndicate. Damit könnte es allerdings auch ähnlich schnell an Reiz verlieren... Wenn ich alles und jedem mit einem simplen Knopfdruck hacken kann, wird das Prinzip irgendwann nicht nur redundant, sondern in gewisser Weise auch belanglos. Ich kann nur hoffen, dass sich die Entwickler noch mehr Variationen einfallen lassen, damit man nicht vorschnell die Lust verliert.

Need for Speed für Arme?

Die Stadt soll so realistisch wie möglich dargestellt werden - einschließlich Wind- und Wassersimulation.
Die Stadt soll so realistisch wie möglich dargestellt werden - einschließlich Wind- und Wassersimulation.
Ein ähnliches Problem sehe ich auch bei den Verfolgungsjagden durch die Straßen und Gassen der Stadt, wenn seitens der Entwickler stolz verkündet wird, dass sich manche von ihnen bis zu 40 Minuten erstrecken können. Aber will ich das überhaupt? Nein – vor allem dann nicht, wenn ständig nur per Hack die Pöller hochgefahren werden, um die Verfolger zu stoppen. Dann doch lieber Katz-und-Maus-Rasereien im Stil von Need for Speed, wo man die Jäger mit einer abwechslungsreichen Auswahl an „Pursuit Breakern“ in Schach halten konnte.

Immerhin wird versprochen, dass die insgesamt 65 Boliden mit einer halbwegs anspruchsvollen Fahrphysik ausgestattet werden sollen. Zwar wird man keine Simulation im Stil von GTR erwarten dürfen, doch will man bewusst auf ein reines Arcade-Modell verzichten. Die Vorzeichen stehen jedenfalls gut: Da die Racing-erprobten Leute von Reflections an Watch_Dogs mitarbeiten, wird man sich vermutlich auf gelungene Rasereien im Stil von Driver einstellen können. Ob auch Upgrades und individuelle Gestaltung der Fahrzeuge eine Rolle spielen werden, wird die Zukunft zeigen.

Bumm bumm!

Gewalt ist nicht immer eine Lösung - manchmal aber schon.
Gewalt ist nicht immer eine Lösung - manchmal aber schon.
Mit Far Cry & Co hat das Studio in Montreal bereits einige Erfahrungen mit Shootern gesammelt – entsprechend wird auch Watch_Dogs davon profitieren, wenn Aiden mit dem gewohnten Arsenal von Pistolen über Gewehre bis hin zu Granatwerfern loslegt. Daneben werden aber auch diverse Gadgets eine Rolle spielen, die via Crafting selbst zusammengebaut werden müssen, darunter Störsender, Peilsender oder der Attractor, der durch Geräusche für Ablenkung sorgt.

Wie man seine Ziele erreicht, soll oft dem Spieler selbst überlassen werden: Agiert er unauffällig nach bester Stealth-Manier und schaltet seine Widersacher still im Nahkampf aus? Oder geht er den Rambo-Weg und lässt die Waffen sprechen? Greift er lieber zum Hightech-Schnickschnack, um Probleme möglichst stilvoll zu lösen? Gerade diese verschiedenen Ansatzmöglichkeiten könnten sehr interessant werden. Für Leute, die es gerne krachen lassen, wird sich auf jeden Fall die Fokus-Mechanik als nützlich erweisen – so nennen die Entwickler die klassische Zeitlupenfunktion. Mit ihr visiert man nicht nur die Köpfe der Gegner in aller Ruhe kann, sondern kann auch Hacks initiieren, was z.B. im Rahmen einer Verfolgungsjagd bei hohem Tempo nur schwer machbar wäre.  

Handy-Spielereien

WasEin Knopfdrück genügt und schon löst man an der nächsten Kreuzung eine Massenkarambolage aus.
Was kann man heute alles mit einem Handy anstellen: Da wird gesurft, Musik gehört, fotografiert und gedaddelt. Für Watch_Dogs haben sich die Entwickler ebenfalls einige unterhaltsame Spielereien einfallen lassen, für die man sein Smartphone abseits des Hackings einsetzen kann. Da wäre z.B. die App, die ähnlich funktioniert wie das populäre Shazam: Hört man einen Song, zückt man einfach sein Handy, startet die App und bekommt Sekunden später den Titel geliefert, den man sich anschließend im internen Store kaufen kann – wohlgemerkt mit der spielinternen Währung und nicht etwa Mikrotransaktionen, wie die Entwickler ausdrücklich betonen. Hat man sein Lieblingsstück gefunden, kann man sogar Lautsprecher hacken und die ganze Stadt mit seiner Playlist befeuern.

Hin und wieder kann man Passanten beobachten, die seltsam ihr Handy vor das Gesicht halten und sich merkwürdig durch die Menschenmenge bewegen. Was tun sie bloß da? Ganz einfach: Sie zocken! Und wenn sie das können, dann der Spieler selbstverständlich auch: Auf dem Handy wird es eine ganze Reihe von AR (Augmented Reality)-Spielen geben. Eines von ihnen funktioniert ähnlich wie Face Raiders auf dem 3DS. Hier müssen die Passanten allerdings von Alien-Glibber  befreit werden – ein lustiges Spiel im Spiel mit Highscore-Liste und allem, was dazu gehört.

Sim City

CheckZüge eignen sich als hervorragendes Fluchtmittel.
Für Watch_Dogs, das sich bereits seit vier Jahren in fünf Ubisoft-Studios unter dem Codenamen „Nexus“ in Entwicklung befindet, wurde mit der Disrupt Game Engine ein eigenes Technologie-Gerüst entwickelt, um den Ansprüchen der eigenen Visionen gerecht zu werden. Vor allem der Simulationsaspekt steht für die Macher im Vordergrund: Dieses Chicago soll wie eine reale, lebendige Stadt wirken, in der keine geskripteten Roboter-Personen durch die Straßen wandeln. Zufälle und eine hohe Dynamik sollen das Geschehen bestimmen, das Verhalten der NPCs mit ihrem eigenen Alltag nachvollziehbar sein.

Schon in den ersten Videos fielen die Bewegungen im Bild positiv auf: Aidens Mantel flattert im Wind, Blätter werden aufgewirbelt und Regen prasselt eindrucksvoll auf den Boden. Das alles ist laut Entwicklern nicht einfach nur geskriptet – nein, das alles wird genau simuliert, wie der Wind durch die Häuserschluchten bläst und Wellen im Wasser entstehen, wenn etwa ein Boot durch den Fluss rast oder ein Windstoß kommt. Und genau diese Simulation soll zusammen mit der lebensechten Bevölkerung dafür sorgen, dass die Immersion hier noch stärker ausfällt als in anderen Open-World-Spielen, in denen die Kulisse das reale Leben in einer Großstadt weniger glaubwürdig einfängt.

Ausblick

Es war vielleicht ein Fehler von Ubisoft, sich bei der Präsentation von Watch_Dogs einzig auf die Spielereien innerhalb der offenen Welt zu konzentrieren und die potenziell wesentlich interessanteren Story-Missionen komplett außen vor zu lassen. Nicht falsch verstehen: Trotz des massiven Tearings, unter dem die gezeigte Version noch litt, ist die lebendige Kulisse mit ihrer Wind- und Wassersimulation, den zahlreichen Passanten und Stadtverkehr mindestens so beeindruckend wie die zahlreichen Möglichkeiten, die sich durch das Hacking ergeben. Allerdings bin ich mir nicht sicher, wie lange ich Spaß daran haben werde, fremde Handys zu knacken, über Webcams Wohnungen auszuspionieren oder mir zähe Verfolgungsjagden mit den Cops zu liefern. Momentan wirkt Chicago auf mich wie ein großer Spielplatz, auf dem ich aber nicht unbedingt viel Zeit verbringen will. Das liegt zum einen daran, dass mir die Hacking-Mechanik etwas zu simpel erscheint und daher ähnlich wie in Syndicate schnell an Reiz verlieren könnte. Zum anderen bin ich skeptisch, ob die „Crime Activity“ genügend Variationen bietet, um mich bei der Stange zu halten oder lediglich Abwandlungen von Story-Missionen darstellen. Es wird entscheidend sein, ob Watch_Dogs abseits des technisch imposanten, aber inhaltlich leicht austauschbaren Abenteuerspielplatzes mit einer spannenden Geschichte, Dramaturgie und einem starken Missionsdesign überzeugen kann. Ich bin vorsichtig optimistisch, dass dies mit der kreativen Energie von fünf Entwicklungsstudios gelingt und am Ende mehr herauskommt als das, was man in Paris zu sehen bekam.

Eindruck: gut

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