Red Dead Redemption 212.10.2018, Jörg Luibl

Vorschau: I Am Arthur

Am 26. Oktober erscheint Red Dead Redemption 2 (ab 19,39€ bei kaufen) für PlayStation 4 und Xbox One. Das Western-Abenteuer von Rockstar Games hat bereits im Vorfeld für sehr viel Neugier gesorgt und könnte das Highlight des Jahres werden. Wir haben erstmals selbst eine Stunde auf der PlayStation 4 Pro loslegen können - und wurden dabei an ein sechs Jahre altes Spiel erinnert. In dieser Vorschau geht es vor allem um die spannende Phase der Begegnung, die in digitalen Welten oftmals vernachlässigt wird.

Unberechenbare Begegnungen

Erinnert sich jemand an I Am Alive? Das Spiel erschien 2012 für PC, PS3, 360 bei Ubisoft Shanghai und hat in einer Hinsicht einen bleibenden Eindruck hinterlassen: der Inszenierung von brenzligen Situationen. In keinem anderen Spiel habe ich die Momente vor einem Kampf derart intensiv erlebt. Was heißt das? In den meisten Spielen trifft man auf direkt erkennbare Freunde oder Feinde ohne Zwischenstufen. Sprich: Wenn man sich einer Figur nähert, ist sie entweder sofort feindselig oder wird es z.B. nach dem Ziehen einer Waffe oder der Auslösung eines Alarms. Es gibt in der Phase der Begegnung kaum interaktive Möglichkeiten, auf den Konflikt einzuwirken, also zu drohen oder zu deaskalieren. Damit gehen der psychologische Nervenkitzel sowie das Unberechenbare verloren.

Auch mit dem Bogen könnt ihr jagen - dann ist die Beute wertvoller.
In I Am Alive war das erfrischend anders. Wenn ich dort die Pistole zückte und auf einen Typen richtete, blieben er und seine Kumpels sofort stehen und hoben beschwichtigend die Hände - man konnte ihre Nervosität spüren. Danach ging das Psychospiel erst richtig los: Die beiden anderen begannen vielleicht zu quatschen, wollten ein paar Sekunden meine Aufmerksamkeit stören. Ließ ich die Waffe nur einen Moment sinken, kamen sie schnell auf mich zu! Zunächst konnte ich alle per Befehl auf Distanz halten, indem ich die Waffe abwechselnd auf sie richtete und „Zurück!“ rief – das beruhigte, aber die Spannung blieb greifbar. Ihr Anführer fing dann an, mich aggressiver anzumachen, bezweifelte nicht nur meine Entschlossenheit, sondern auch die geladene Waffe. Wenn er mit gezückter Klinge auf mich zu stürmte, wurde klar, dass ich falsch gepokert hatte.

I Am Arthur

Das Pferd baut mit der Zeit Vertrauen auf, kann dann seitwärts tänzeln oder U-Turns nach dem Galopp hinlegen.
In Red Dead Redemption 2 fühle ich mich daran erinnert, denn auch hier können Situationen plötzlich eskalieren. Wenn ich als Arthur Morgan im Jahr 1899 irgendwo in der Steppe auf einen Planwagen zugehe, vor dem ein Kerl seine Suppe schlürft, sind Freund oder Feind nicht per Icon oder roter Leiste klar definiert. Kaum komme ich auf Sprechweite heran, steht der Typ auf und fordert mich auf stehen zu bleiben. Als ich noch einen Schritt weiter gehe, wird er sichtlich aggressiver, hat die Hand an der Waffe. Ab jetzt kann ich über L2 die Kommunikation starten und ihn z.B. weiter provozieren oder beschwichtigen. Ich versuche Letzteres, aber der Hillbilly lässt sich davon nicht beeindrucken und ich schau in die Mündung seines Colts. Nur der sofortige Rückzug sorgt für eine Deeskalation. Er ruft mir zwar noch ein paar deftige Schimpfworte hinterher, aber kümmert sich wieder um seine Suppe. Jetzt hab ich fast wieder Lust, mich mit ihm anzulegen...

Weder die wunderbare Prärie des Wilden Westens noch die fantastisch animierten Pferde oder die vielen Möglichkeiten von der Jagd über den Banküberfall bis zum Crafting oder Glücksspiel sind für mich so wichtig wie diese herrlichen alltäglichen Situationen, die man abseits der Story rund um seine Gang erlebt.

Stalker und Warnschüsse

Wir erkunden in Spielen meist Kulissen, Ausrüstung und Statistiken, aber viel zu selten das weite Feld der Psyche. Ich will das noch nicht zu hoch einstufen. Denn natürlich habe ich nur eine Stunde gespielt und es bleibt abzuwarten, wie sich diese Begegnungen auf lange Sicht anfühlen - ob es automatische Routinen gibt, die auch in I Am ALive auf Dauer zu erkennen waren. Aber es gab noch zwei weitere interessante Szenen, die angenehm unberechenbar ausgepielt wurden, zumal Rockstar lobenswerter Weise auf jegliche visuelle Spoiler zu Freund und Feind verzichtet: Ein Sheriff war irgendwann genervt davon, dass ich ihm hinterher laufe. Obwohl ich ihn immer freundlich grüßte, wurde er mit mir als "Stalker" im Nacken ungehalten. Als ich dann etwas pampig erwiderte, blieb er stehen, ebenfalls die Hand am Revolver.

Schussgefechte gehen nahtlos in Nahkämpfe über.
Sehr schön ist auch die Funktion des Warnschusses, der mit erhobener Waffe sichtbar anders ausgeführt wird als gewöhnliche Ballerei: Man kann seine Winchester also nicht nur auf Bewohner richten, die dann natürlich aggressiv werden oder fliehen. Man kann auch einen Schuss in die Luft abfeuern, der als explizite Warnung dient und so manchen besoffenen Rüpel vielleicht in die Flucht schlägt. Als ich das beim Vorbeireiten zweier fluchender Cowboys mal ausprobierte, waren die allerdings weniger eingeschüchtert, drehten um und ballerten mich fast umgehend aus dem Sattel. Gerade diese situative Spannung durch unberechenbare Reaktionen gefiel mir nach dem Anspielen von Red Dead Redemption 2 bisher am besten.

Kritik im Heuhaufen

Auf die vielen anderen lobenswerten Aspekte, wobei neben der filmreifen Inszenierung des Gang-Alltags mit über 20 Charakteren vor allem die bemerkenswerte Hingabe für Kleinigkeiten zu nennen ist: vom kontinuierlichen Bartwuchs über das Waffenreinigen bis hin zur Auswirkung der Kleidung je nach Witterung oder der Veränderung der eigenen Statur je nach Essen. Hinzu kommen die

Je nachdem wo und wie ihr agiert, können sich Quests ergeben oder Situationen eskalieren.
angenehm dynamischen Gefechte, in denen Projektilfeuer aus der Distanz ähnlich flüssig in Prügeleien überleitet wie in Uncharted 4, wobei das Verhalten der KI noch abzuwarten bleibt. Cool ist jedenfalls, dass ich vor einem Gefecht das Kommando übernehmen und damit den Stil für meine Begleiter vorgeben kann - also eher lautlos oder auf die harte Tour zu infiltrieren. Ich kann die Führung auch an einen Kumpel übergeben, der je nach Charakter eine andere Taktik anwendet. Auf all das gehe ich konkreter im Test ein.

Ist denn gar nichts negativ aufgefallen? Doch. Es wirkt etwas plump, wenn man in der Wildnis verfolgt wird, mit dem bereits feuernden Banditen im Nacken zu seinem Lager galoppiert und die Situation nicht ausgespielt, sondern überblendet wird - es folgt eine Ladephase und man betritt das Lager ohne einen Verfolger, der plötzlich verschwunden ist, während Wachen aus dem Dickicht grüßen. Das hätte man eleganter lösen können, auch wenn man das Versteck laut Story nicht preisgeben darf. Außerdem kann man zwar von Klapperschlangen vergiftet werden, aber in der Stadt beim Apotheker jedes Heilmittel, nur kein Gegengift kaufen, obwohl das logisch wäre und es in der Vitrine sogar beworben wird; schade ist auch, dass man den Experten für Tinkturen hinter der Theke nicht über L2 auf seine Vergiftung ansprechen kann. Aber das ist angesichts der Größe dieses Abenteuers Kritik im Heuhaufen.

Ausblick

Von Red Dead Redemption 2 erwarte ich nicht weniger als ein ausgezeichnetes Erlebnis, das kreative Zeichen in offenen Welten setzt. Ob Rockstar die Konkurrenz überflügeln und künftige Titel inspirieren kann, lässt sich nach einer Stunde natürlich noch nicht sagen. Eines steht fest: Am Ende wird weder die wunderbare Kulisse noch die enorme Fülle an Möglichkeiten entscheidend sein, denn das bieten viele Spiele, sondern die Regie im weitesten Sinne. Inwiefern kann man das Freiheitsgefühl, das Dasein als Revolverheld sowie Gang-Mitglied und damit den Charakter des Wilden Westens abbilden? Wie wirken sich Ehre und Entscheidungen aus, die diesmal größere Konsequenzen haben sollen? Was schon frühzeitig fasziniert, ist die neue situative Spannung. In der Unberechenbarkeit und Dynamik einzelner Begegnungen, die bisher in wenigen Spielen wie I Am Alive abgebildet wurden, liegt für mich die große Stärke dieses Abenteuers. In zig Spielen kann man große Welten erkunden, sammeln, craften oder sonstwie an der Oberfläche interagieren, aber das weite Feld der Psyche wird zu selten beschritten. Ich bin gespannt, ob sich diese Faszination auch nach zehn oder zwanzig Stunden hält. Wenn man den ersten Teil kennt, wird man auch die spielmechanischen Fortschritte zu schätzen wissen, vom Warnschuss oder der Jagd bis zur Interaktion in vielen alltäglichen Bereichen. Und es ist sehr gut, dass Rockstar in der Visualisierung nicht nur auf überflüssiges Klimbim und Hilfen verzichtet, sondern diese komplett abschaltbar macht. Wenn ich Arthur Morgan spiele, will ich so frei wie möglich sein - Red Dead Redemption 2 könnte dem "Code of the West" sehr nahe kommen. Ich freu mich auf die finale Version und hör bis dahin weiter Colter Wall zur Einstimmung.
Von Red Dead Redemption 2 erwarte ich nicht weniger als ein ausgezeichnetes Erlebnis, das kreative Zeichen in offenen Welten setzt. Ob Rockstar die Konkurrenz überflügeln und künftige Titel inspirieren kann, lässt sich nach einer Stunde natürlich noch nicht sagen. Eines steht fest: Am Ende wird weder die wunderbare Kulisse noch die enorme Fülle an Möglichkeiten entscheidend sein, denn das bieten viele Spiele, sondern die Regie im weitesten Sinne. Inwiefern kann man das Freiheitsgefühl, das Dasein als Revolverheld sowie Gang-Mitglied und damit den Charakter des Wilden Westens abbilden? Wie wirken sich Ehre und Entscheidungen aus, die diesmal größere Konsequenzen haben sollen? Was schon frühzeitig fasziniert, ist die neue situative Spannung. In der Unberechenbarkeit und Dynamik einzelner Begegnungen, die bisher in wenigen Spielen wie I Am Alive abgebildet wurden, liegt für mich die große Stärke dieses Abenteuers. In zig Spielen kann man große Welten erkunden, sammeln, craften oder sonstwie an der Oberfläche interagieren, aber das weite Feld der Psyche wird zu selten beschritten. Ich bin gespannt, ob sich diese Faszination auch nach zehn oder zwanzig Stunden hält. Wenn man den ersten Teil kennt, wird man auch die spielmechanischen Fortschritte zu schätzen wissen, vom Warnschuss oder der Jagd bis zur Interaktion in vielen alltäglichen Bereichen. Und es ist sehr gut, dass Rockstar in der Visualisierung nicht nur auf überflüssiges Klimbim und Hilfen verzichtet, sondern diese komplett abschaltbar macht. Wenn ich Arthur Morgan spiele, will ich so frei wie möglich sein - Red Dead Redemption 2 könnte dem "Code of the West" sehr nahe kommen. Ich freu mich auf die finale Version und hör bis dahin weiter Colter Wall zur Einstimmung.

Einschätzung: sehr gut/ Fit4Hit

(Zur Einstimmung auf das Spiel werden wir euch nächste Woche eine historische "Einführung in den Wilden Westen" anbieten, die die amerikanische Geschichte des 19. Jahrhunderts sowie die Entstehung des "Code of the West" und der "Gunslinger" beleuchtet. Anm.d.Red.)

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