Ausdrucksstarke Kleider
Es ist ungewöhnlich, dass die
Komponisten des Soundtracks das Spiel vorstellen. Es spielt unterm Strich aber natürlich auch keine Rolle. Wichtig ist, dass Gris ein zum Leben erwecktes Kunstwerk ist, welches die Zeichnungen von Conrad Roset eindrucksvoll in Bewegung versetzt.
Roset zeichnet bevorzugt Frauen und „kleidet“ sie in ebenso dezente wie farbenfrohe Wasserfarben. Und dass er das beherrscht, sieht man schon im Intro, wenn ein junges Mädchen auf einer riesigen steinernen Hand erwacht. Die Bewegungen ihres Kleids, ihre ausdrucksstarke Mimik: Schon die Einführung ist bezaubernder Zeichentrick!
Mit Gris erwecken Adrian Cuevas und Roger Mendoza die Zeichnungen des Künstlers Conrad Roset eindrucksvoll zum Leben.
Die Welt zerbricht
Aber die Magie zerbricht schnell und buchstäblich. Denn nachdem Gris anfängt zu singen, versagt ihre Stimme plötzlich. Die Statue, auf der sie sich befindet, fällt auseinander und das Mädchen in die Tiefe. Was genau passiert, in welcher Welt sie sich befindet und wie es weitergeht, erfährt man weder im Vorfeld noch durch Texte; das wollen Cuevas und Mendoza erst im Verlauf des Abenteuers über Ereignisse, Gesten und Hinweise in der Umgebung preisgeben.
Manche Geheimnisse soll man sogar erst nach dem ersten Durchspielen erfahren. Immerhin lernt Gris im Verlauf ihrer Reise verschiedene Fähigkeiten: in der gamescom-Demo nicht nur einen Doppelsprung, sondern auch mit Wucht auf den Boden zu stampfen, um etwa eine Vase zu zertrümmern. Manches Podest und einige Ecken erreicht sie ohne diese Fähigkeiten nicht, obwohl man die Verstecke zunächst schon sehen kann. Deshalb kann man später, aber erst nach dem Ende des ersten Abenteuers dorthin zurückkehren, um Details aufzulesen, die die Welt von Gris näher beschreiben.
Faszinierend statt frustrierend
Ein anspruchsvoller Plattformer soll das Spiel dabei nicht sein. Nomada, so haben die Entwickler ihr Studio getauft, ist an einem Erlebnis interessiert, das im einfachsten Fall ungefähr vier Stunden lang ist und an Spiele wie
Journey erinnert. Es gibt zwar leichte Rätsel und kleine Herausforderungen an die Fingerfertigkeit, doch die sind keine großen Hindernisse.
Gris ist kein anspruchsvolles Spiel, aber eins mit interessanten Überraschungen.
Es ist vielmehr faszinierend einfach dabei zuzusehen, wie das Mädchen unter Wasser taucht oder kopfüber an Decken läuft – wobei ihr Kleid stets ihren Gemütszustand sowie die aktuelle Umgebung widerspiegelt. Auch ihre Fähigkeiten „verstecken“ sich darin: Ich konnte mich gar nicht daran sattsehen, wie der lange wehende Stoff zu einem massiven Würfel wird, wenn Gris auf den Boden stampft. Oder wie sie ihr Kleid in Form eines Fisches unter Wasser voranbringt. Die einfallsreiche Visualisierung ist unvergleichlich.
Indirekt ein Boss
Natürlich gibt es außerdem besonders mächtige Wesen, die mal eine Gefahr darstellen, mal eine Hilfe sind. Ein großer Vogel kommt in der gamescom-Demo etwa an, pustet die junge Heldin umher – aber auch über Abgründe hinweg. Einen direkten Kampf tragen die beiden dabei nie aus. Man muss nur verstehen, wie sie sich im Beisein solcher Boss-Wesen verhalten soll.
Und um die anfängliche Frage zu beantworten: Tatsächlich waren es wohl Mendoza und Cuevas, die zuvor in großen Studios an Triple-A-Titeln gearbeitet haben und mit ihrem ersten eigenen Spiel Rosets Zeichnungen Leben einhauchen wollten. Ein besserer Start hätte ihnen dem ersten Eindruck nach auch kaum gelingen können!