Bionic Commando09.04.2009, Jörg Luibl
Bionic Commando

Vorschau:

Am 22. Mai belebt Capcom ein Spiel, das im Jahr 1988 kreative Zeichen setzen konnte: Bionic Commando (ab 3,10€ bei GP_logo_black_rgb kaufen). Das Besondere daran war das Fehlen des reinen Springens, das durch das aktive Schwingen in 2D-Levels ersetzt wurde. Und das war im Zeitalter von reinen Hüpfern wie Mario & Co eine klitzekleine Revolution im seitwärts scrollenden Plattformbereich. Gelingt den Japanern auch im Jahr 2009 der große Schwung?

Die Crux mit der Freiheit

Ein Mann, ein Arm, viel Seil: Nathan Spencer schwingt sich durch eine bedrohte Welt - hier im Dschungel vor den Toren der Stadt.Je höher man fliegt, desto tiefer kann man fallen. Das hat nicht nur der mythische Ikarus irgendwann im Schweiße seines Angesichts bemerkt, das gilt auch für den futuristischen Nathan, der eigentlich schon dem Tod geweiht in einer Zelle saß. Der Rastamann mit der markanten Stimme Mike Pattons (Faith No More) benutzt zwar keine Flügel aus Wachs, aber er kann mit seinem bionischen Arm an Höhe gewinnen. Aus diesem militärischen Hightechgerät, das mit dem Nervensystem des Trägers verbunden ist, schießt auf Knopfdruck ein mächtiges Stahlseil. Und mit dem kann man bis auf 20 Meter nahezu alles frei und offen anvisieren: Autos, Kräne, Gegner, Laternen, Planken, Roboter, Balkone und Ballone. Wie kommt Nathan von der Todeszelle aus zu einer so mächtigen Waffe? Ganz einfach: Die Regierung braucht den Ex-Soldaten, nachdem Terroristen einen verheerenden Anschlag auf die Stadt "Ascension" ausgeübt haben. 

Also ran an die deeskalierende Arbeit: Hat man einmal etwas im Auge, kann man das Seil heraus schnellen lassen, sich mit Schmackes zum Ziel ziehen und dort weiter schwingen, frei pendeln, nach belieben baumeln oder auf Doppeldruck auf dessen Oberfläche landen - all das, was damals in der zweiten Dimension möglich war und aktuell im Remake Bionic Commando Rearmed über Xbox Live oder PSN auch ist, wurde jetzt von den schwedischen Entwicklern bei GRIN in die dritte Dimension übertragen. Mit einem Unterschied: Es gibt keine fixen Punkte mehr, theoretisch lässt sich alles greifen! Und in den riesigen Häuserschluchten mit

Offene Trümmerwelt: Man ist zehn Jahre nach den Geschehnissen des Originals im Auftrag der Regierung unterwegs, um eine terroristische Bedrohung einzudämmen.
all den Schrägen und Plattformen kommt sehr schnell ein akrobatisches Freiheitsgefühl à la Spider-Man auf - irgendwann pfeift einem der Wind um die Ohren und beim Sturzflug kribbelt es im Bauch.

Anspruchsvolles Schwingen

Diese Bungee-Akrobatik fühlt sich richtig cool an - vor allem, wenn es in luftiger Höhe noch gegen fliegende "Polycrafts" zur Sache geht, die nur auf ihrer Unterseite verwundbar sind. Aber das, was der muskelbepackte Held Nathan mit seinem 500-Millionen-Dollar-Arm meistern muss, um einer terroristischen Bedrohung in der Zukunft zu trotzen, ist wesentlich anspruchsvoller als das, was der Spinnenmann bisher in Spielen zelebrierte. Spidey konnte quasi per Klick&Blöd-System einfach so durch New York gleiten - man musste einfach nur den X-Knopf drücken, um gefahrlos durch die Wolkenkratzer zu schwingen. Das Schöne daran: Ach, diese Aussicht! Kann Fliegen einfacher sein? Das Blöde daran: Hey, wo bleibt die Herausforderung? Ich bin kein Rentner mit Gicht, ich will mit eigener Hand-Auge-Koordination spielen!

Wer sich bei Spielen letztere Frage stellt, wird mit Nathan Spencer jedenfalls viel Spaß haben. Vor allem, wenn man mal

Der Greifhaken macht an allen Oberflächen fest - man ist nicht an vorgegebene Ziele gebunden und kann frei schwingen. Im Laufe des Spiels gewinnt Nathan sein Gedächtnis und damit auch weitere Fähigkeiten.
über das bisher unspektakuläre Geballer hinwegsieht - das übliche Bumbängbum gegen irgendwelche Spezialeinheiten. Immerhin spielen die Wummen und damit die klassische Projektilaction innerhalb der Kämpfe eher eine untergeordnete Rolle, weil sie gegenüber den physikalischen Möglichkeiten des Arms viel zu schwach sind; auch das ist eine gute Designentscheidung, denn sie zwingt zum kreativen Einsatz der vernichtenden Biotechnik.

Die martialischen Funktionen des Arms sowie die Bosskämpfe gegen die "Biomechs" können auf Dauer jedenfalls mehr Begeisterung entfachen als die Schussaction, weil stupides Draufhalten nicht hilft: Hier ist die richtige Taktik, clevere Bewegung in den Rücken sowie das Ausnutzen der Umgebung gefragt. Man kann selbst Autos à la Hulk in die Luft heben, über das Stahlseil wie einen Drachen dort halten und dann gezielt auf seine Feinde zu werfen - das kracht ganz wunderbar und wird auch physikalisch gut inszeniert; ich empfehle auch das bionische Zerren an Straßenbahnen sowie die tödliche Stampfattacke: Wer sich aus hundert Metern mit Karacho auf seine Feinde stürzt, hinterlässt nur Einzelteile. Gerade diese spektakulären Aktionen machen Laune.

           

Auge, Timing & Präzision

Action in luftiger Höhe: Man kämpft nicht nur am Boden gegen schwer gepanzerte Spezialeinheiten oder Biomechs, sondern auch über den Dächern gegen fliegende Wachroboter, die Polycrafts.
Aber man muss seine Skills entwickeln, um mit dem Greifarm flüssig zu imponieren. Schon im Tutorial wird nach ein paar Stürzen klar, dass Auge, Timing und Präzision eine große Rolle in luftiger Höhe spielen. Man muss sein Seil in der Länge ausrichten, um Schwung zu holen; man muss die Richtung mit dem Analogstick anpassen; man muss beim Abspringen den richtigen Zeitpunkt erwischen, um wirklich weit zu kommen und man muss manchmal in der Luft das Ziel fixieren. Knifflig? Ja, das kann es sein. Das ist auch gut so, denn diese relative Ungewissheit sorgt automatisch für Spannung - hey, ich kann stürzen!

Trotzdem hinterlässt die Steuerung noch keinen ganz perfekten Eindruck. Sie hat sich gegenüber der letzten Vorschaufassung zwar verbessert, aber es gibt hier und da noch einige Nicklichkeiten, was die Präzision der Zielerfassung angeht - manchmal hat man das Gefühl, dass man nur deshalb abstürzt, weil nicht schnell genug das klar vor Augen sichtbare Objekt ins Visier genommen werden konnte. Aber hier bietet Capcom eine Reißleine ein: Hält man beim Absturz die Greiftaste gedrückt, sucht sich Nathan automatisch das nächste erreichbare Ziel. Wenn nicht, dass heißt es: Game Over. Selbst wenn Nathan in Dschungelgebieten außerhalb der Stadt ganz unten Wasser erwartet, bedeutet das kühle Nass seinen Tod; er kann nicht schwimmen.

Sicherheitsgurt für Käschuälgayma?

Es wird zum Release am 22. Mai auch einen Multiplayermodus für 360 und PS3 geben, den wir allerdings noch nicht spielen konnten. Die PC-Version erscheint übrigens später.
Aber selbst wenn man erst nach dem zweiten oder dritten Versuch in einer Kombination aus Anvisieren, Sprung, Anvisieren, Schwung, Anvisieren, Schwung und Sprung auf einer Plattform landet, fühlt man sich richtig gut dabei. Ähnlich gut übrigens wie Mirror's Edge, denn auch da musste man etwas Akrobatisches leisten. Dass die Entwickler hier keinen ewigen Rettungsschirm für Käschuälgayma einbauen oder gar auf Dreifingerfaultier-Akrobatik à la Prince of Persia setzen, ist jedenfalls eine gute Spieldesignentscheidung. Dieses Spiel ist nichts für Einsteiger, sondern für Profis - endlich mal wieder.

Ob Story, Missionen und Leveldesign mithalten können, bleibt abzuwarten - das muss der Test zeigen. Das Ganze spielt bekanntlich zehn Jahre nach den Ereignissen des Originals und dreht sich um einen Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern der bionischen Technologie - die Situation eskaliert, als Terroristen ein Erdbeben in Ascension City auslösen und die Kontrolle über deren Abwehrsysteme übernehmen.  Bisher musste man z.B. Stationen hacken, um explosive Ballone auszuschalten, die ein ganzes luftiges Gebiet vermint hatten. Schade ist, dass es beim Hacken nicht zu einem Geschicklichkeitstest kommt wie noch in Bionic Commando Rearmed - scheinbar nutzen die Entwickler die Stationen nur, um die Story in Textbruchstücken fortzuführen. Auf dem Weg zur Station erledigte man ein paar Feinde, staunte über die futuristische Trümmerlandschaft und die weite Sicht, erfreute sich an der schrägen Architektur, wunderte sich aber über so manche Clippingfehler und die matschigen Texturen in der Nahansicht. Nein, dieses Spiel wird technisch nicht mit Killzone 2 oder Resident Evil 5 mithalten können. Aber es macht trotzdem Spaß und ich bin sehr neugierig auf das komplette Abenteuer. Es wird zwar einen Multiplayer-Modus geben, in dem ihr alle Greif- & Schwungtechniken inkl. Autowurf nutzen könnt, aber dabei dürfte es lediglich gegeneinander zur Sache gehen - ein kooperativer Spielmodus ist zum Release nicht geplant.         

Ausblick

Bungee-Kribbeln in luftiger Höhe? Dazu akrobatische Action ohne Kompromisse? Und der Tanz mit Trial&Error? Das ist Spieldesign alter Schule vor moderner Kulisse, das den Geist des Vorbildes gekonnt nachahmt. Deshalb schmecken Nathans Flugausflüge auch angenehm nach Mirror's Edge. Und dieser Anspruch hinterlässt Appetit auf mehr. Noch kann ich nicht auf die finale Qualität schließen, weil sich diese Vorschau in erster Linie auf die Steuerung und Greiftechnik und nicht auf die Dramaturgie konzentriert hat. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, was Story, Leveldesign und Kämpfe noch zu bieten haben. Das bisher Gespielte wirkte bereits angenehm offen, wobei das spektakuläre Fliegen und fulminante Zerstören inklusive realistischer Physik, die eher unspektakuläre Balleraction genau so übertrumpfte wie die offene Spielwelt mit ihrer weiten Sicht die eher durchschnittlichen Details. Nach dem kurzen Ausflug mit dem Rastamann bleibt jedenfalls ein guter Eindruck haften. Wenn das Abenteuer genug Erkundungsreize bietet, wenn es einen Spielrhythmus mit fordernder Hektik und ruhigen Momenten findet, dann könnte auch mehr daraus werden.

Ersteindruck: gut

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