Eternal Darkness: Sanity's Requiem04.11.2002, Jörg Luibl
Eternal Darkness: Sanity's Requiem

Im Test:

Seit "Alone in the Dark" das Genre 1992 begründete, erfreut sich Survival-Horror größter Beliebtheit. Erst kürzlich sorgten Silent Hill 2, Project Zero und Resident Evil für Gänsehaut. Das Team von Silicon Knights will alle GameCube-Besitzer mit Eternal Darkness in eine weitere Alptraumwelt entführen. Kann man dem gewohnten Mix aus Action, Rätseln und Angst überhaupt noch Neues abgewinnen?

Survival-Wahnsinn

Es ist dunkel. Ich hinke und die Fratze einer Albtraumkreatur schwirrt noch durch meinen Kopf. Auf einmal dringt unwirkliches Wehklagen an mein Ohr. Erschöpft schleiche ich die Treppe hinauf, den schussbereiten Revolver in den verschwitzten Händen. Im weiten Flur begrüßt mich ein düsteres Gemälde. Plötzlich klopft es wie wild an der Tür. Ich mache sie auf - nichts. Ich gehe wieder raus, verschnaufe, sehe rote Tropfen an der Wand - es blutet aus dem Gemälde! Ich drehe mich entsetzt um. Dann hämmert es wieder an der Tür. Ich reiße sie auf - nichts! Plötzlich verliert die Welt ihre Farben, mein Herz klopft und ich sehe alles in Schwarz-Weiß. Gleich verliere ich den Verstand! Ich stürze die Treppe hinunter. Ein unwirkliches Schnaufen lässt mich herumwirbeln, zwei riesige Klauen kommen näher...

Den Verstand verlieren

Traum oder Wirklichkeit? Wahnsinn oder Realität? Das Team von Silicon Knights hat sich etwas Neues einfallen lassen, um das Gefühl der Angst und Hilflosigkeit virtuell zu vermitteln. Neben einer Anzeige für Lebens- und Magiepunkte gibt es nämlich auch eine grüne Leiste, die Eure geistige Gesundheit darstellt. Immer, wenn Ihr Dämonen begegnet, kommt es zu einem kleinen Schockmoment und die Anzeige sinkt. Könnt Ihr Euren Verstand nicht wieder vollkommen in den Griff kriegen, indem Ihr die Gegner per Finalschlag vernichtet, kommt es zu subtilen Verzerrungen, Halluzinationen und gelebten Alpträumen.

Das geht so weit, dass nicht nur Eure Figur mit lebendigen Büsten, blutenden Bildern, viel zu kleinen Türen oder auf dem Kopf stehenden Räumen kämpfen muss, sondern auch Eure Wahrnehmung als Spieler bewusst gestört wird: Plötzlich ist der Ton weg, das Bild wird schwarz oder alle Spielstände werden gelöscht. Manchmal hat man das Gefühl, dass das Spiel mit einem spielt.

Wer alle innovativen Wahnsinns-Ideen erleben will, muss das Spiel mehrmals durchspielen. Das werden zwar nicht viele machen, aber aufgrund der frustrierenden Tatsache, dass man das eigentliche Ende erst dann sieht, wenn man alle drei Spielwege gemeistert hat, wird erneutes Spielen sinnvoll. Genre-Kenner sollten Eternal Darkness in zehn bis zwölf Stunden durchgespielt haben - allerdings nur einen von drei Wegen.

Düstere, verzwickte Story

Enttäuscht von der Inkompetenz der Polizei, will die junge Studentin Alexandra Roivas den scheußlichen Mord an ihrem Großvater in Rhode Island selbst aufklären. Lange muss die junge Mathematikerin nicht suchen, denn das schmucke Herrenhaus ihres gelehrten Opas birgt nicht nur alte Gemälde und okkulte Wälzer, sondern auch ein dunkles Geheimnis. Als die neugierige Enkelin ein uraltes, in Menschenhaut gebundenes Buch findet, beginnt sich eine Spirale des Wahnsinns zu drehen, die Euch entsetzt und verblüfft durch die Geschichte taumeln lässt.

Ohne hier zu viel zu verraten, dürften vor allem Freunde von H.P. Lovecraft auf ihre Kosten kommen. Denn alles dreht sich um eine alte dämonische Rasse, die schon lange vor der Menschheit auf der Erde regierte und hinter den Kulissen der Weltöffentlichkeit die historischen Strippen zieht.

Leider kommt die verzwickte Story rund um das mysteriöse Buch und die Roivas-Familie nur sehr schleppend in Gang, so dass zunächst einige Fragezeichen im Raum stehen. Erst gegen Ende des Spiels lösen sich viele Ungereimtheiten auf und es zeigt sich, dass die Ahnungslosigkeit dramaturgisch doch gerechtfertigt war.

 

2000 Jahre Geschichte

Was Empire Earth kann, können wir schon lange. Das haben sich die Entwickler von Silicon Knights wahrscheinlich gedacht, als sie die pseudohistorische Story ertüftelten, die Euch in zwölf Kapiteln durch die Geschichte scheucht. Ihr steuert ein Dutzend Charaktere von der Antike über das Mittelalter, durch die Neuzeit bis hin zum Golfkrieg. Abwechslung ist aufgrund der wechselnden Schauplätze garantiert. Welches Spiel bietet einem sonst die Möglichkeit, Karl den Großen zu treffen, in Persien versteckte Tempel zu erforschen und die Kathedrale von Amiens in drei Zeitepochen zu erforschen? Ein kleiner Wermutstropfen bleibt, denn insgesamt bleibt es bei einer Hand voll Orten, die man teilweise drei Mal besucht.

Kampf mit Köpfchen

Die zwölf Protagonisten haben alle entsprechend ihrer historischen Epoche ein individuelles Waffenarsenal: In der Antike gibt`s z.B. Kurzschwert und Schleuder, im Mittelalter Streitkolben und Armbrust und in der Neuzeit diverse Revolver und Gewehre. Aufgrund der aggressiven Zombies, Dämonen und Wächter ist dieses Arsenal lebenswichtig.

Kommt es zum Kampf, lassen sich gezielt bestimmte Körperteile wie Kopf, Körper, rechter oder linker Arm anvisieren. Liegt ein dämonischer Gegner am Boden, kann man ihn durch einen "Finalschlag" endgültig ins Jenseits befördern und so den eigenen Verstand wieder beruhigen.

__NEWCOL__Ausgefeiltes Magiesystem

Im Laufe des Spiels werdet Ihr Schritt für Schritt mit dem komplexen Magiesystem vertraut gemacht. Es basiert auf der Zusammensetzung von drei, fünf oder gar sieben Runen, die alle eine Bedeutung haben und miteinander kombiniert werden können. Die Kombination der Runen "Schutz" und "Selbst" ergibt zusammen mit einer Konvokation z.B. einen grünen Schutzzauber.

Der kluge Einsatz der zahlreichen Sprüche ist sowohl für manches Rätsel als auch viele Gegner wichtig: Mit "Entdecken" wird Verborgenes sichtbar, mit "Verzaubern" kann ich eine Waffe magisch laden, mit "Aufheben" kann ich den Schutz einer Kreatur sprengen. Auch die verschiedenen Magiefärbungen spielen dabei eine große Rolle: Blau ist z.B. effektiv gegen Rot, Rot wiederum gegen Grün und Grün gegen Blau. Diese Feinheiten machen das optisch höchst ansehnliche Magiesystem auch spielerisch zu einem der Highlights.

Fallen & Rätsel

Zwar könnt Ihr nicht springen oder an Vorsprüngen entlang hangeln, aber dennoch sorgen zahlreiche Fallen für Indiana Jones-Feeling - manchmal ist Schleichen, manchmal Rennen lebenswichtig. In besonders fiesen Fluren müsst Ihr Eure Figur geschickt an Druckplatten vorbei manövrieren, sonst werdet Ihr zermalmt, erstochen oder aufgespießt. Die äußerst präzise Steuerung ist hier allerdings sehr hilfreich.

Auch die so genannten "Trapper" sorgen für Abwechslung vom Kampfalltag: Diese kleinen, Skorpion-ähnlichen Kreaturen können Euch bei Entdeckung in eine Parallelwelt verbannen. Hier gilt es dann, schnell bestimmte Plattformen per Teleporter zu erreichen, ohne den wartenden Dämonen in die Klauen zu fallen. Um diese Prozedur zu vermeiden, sollte man sich an den Trappern vorbeischleichen oder sie töten.

Rätselfreunde werden zwar nicht mit harten Kopfnüssen konfrontiert, aber bekommen eine gute Mischung aus Such-, Logik- und Kombinationsaufgaben serviert: Gegenstände müssen, verzaubert, versteckte Zugänge gefunden und Schalter aktiviert werden. Viele Hinweise und ein stetes Anwachsen der Komplexität sorgen dabei für eine gute und faire Balance.

In Eurem Inventar lassen sich Waffen laden, Zauber kreieren, Schnellspruch-Tasten belegen und Hinweise sichten. Außerdem könnt Ihr Euch alle Zwischensequenzen noch mal ansehen, falls Ihr den Storyfaden mal verloren habt. Die automatische Karte, die sich wunderbar zoomen lässt, trägt ebenfalls zum Spielkomfort bei.

Prachtvolle Kulisse

Wenn man bedenkt, dass Eternal Darkness nicht mit vorgemalten und fast fotorealistischen Hintergründen à la Resident Evil, sondern einer waschechten 3D-Engine antritt, kann man den Entwicklern nur ein großes Lob aussprechen: Trotz kleiner Clipping-Fehler und einigen etwas mageren Wand- und Bodentexturen, überzeugt die Kulisse mit feiner Architektur, hervorragenden Licht- und Nebeleffekten sowie lebensechten Figuren.

__NEWCOL__Letztere schleichen, rennen und hinken sehr realistisch durch eine Vielzahl an gewundenen Korridoren und mysteriösen Räumen. Die automatische Kamera macht dabei eine sehr gute Figur und bietet nur selten unglückliche Perspektiven. Trotzdem wäre eine optionale Justierung hinter den Protagonisten wünschenswert gewesen, denn manchmal muss man "blind" in den Kampf gehen und hört nur ein Schnaufen.

Ein Hinkucker sind zudem die herrlichen Magie-Effekte, die jedes Mal ein kleines Feuerwerk veranstalten und mehrere Lichtsäulen erstrahlen lassen, wobei sogar die Namen der auf dem Boden gleißenden Runen genannt werden. Insgesamt hinterlässt Eternal Darkness einen prachtvollen Eindruck.

Bücher und Filme

Vorgetragen wird die verwickelte Geschichte auf höchstem Niveau: Jedes Kapitel beginnt mit einer stimmungsvollen Einleitung in Sprachausgabe und zeigt einen schönen Übergang vom mysteriösen Buch über eine erste Zeichnung hin zur bestechenden Spielgrafik. Zum Abschluss eines Kapitels gibt`s dann erneut Zwischensequenzen, die den Storyfaden wieder aufnehmen und in Dialogen fortsetzen.

Schade ist nur, dass lediglich die Untertitel in deutscher Sprache erscheinen - die Stimme des Erzählers und die Gespräche bleiben Englisch. Diese sind allerdings sehr stimmungsvoll und schauspielerisch überzeugend umgesetzt.

Fazit

Survival-Horror à la Resident Evil kennt jeder. Aber Survival-Wahnsinn? Eternal Darkness bereichert das mittlerweile überlaufene Genre um ein frisches, innovatives und glänzend inszeniertes Spielerlebnis. Wenn Ihr wissen wollt, wie man seinen Verstand verliert und wie der Wahnsinn auf schrecklich leisen Pfoten selbst die Wahrnehmung des Spielers beeinflusst, solltet Ihr Euch von Eternal Darkness durch die Geschichte jagen lassen. Der sanft ansteigende Schwierigkeitsgrad, der gelungene Mix aus Kampf und Rätseln sowie eines der besten Magiesysteme, das mir abseits von Rollenspielen je begegnet ist, halten den Spielspaß konstant auf einem hohen Niveau. Umrahmt von einer düsteren Story, die zwar zu Beginn viele Fragen offen lässt, aber den Spieler unaufhaltsam und packend zur Auflösung treibt, ist dieses Schmuckstück mein Favorit für das Spiel des Jahres.

Pro

<LI>düstere Story<LI>sehr gute Grafik<LI>saubere Steuerung<LI>intuitives Kampfsystem<LI>zwölf Charaktere spielbar<LI>ausgefeiltes Magiesystem<LI>stimmungsvolle Lichteffekte<LI>abwechslungsreiches Gameplay<LI>guter Mix aus Rätsel- und Actionkost<LI>sanft ansteigender Schwierigkeitsgrad<LI>innovative Verzerrungs- und Angstmomente<LI>hervorragende Musik- und Sounduntermalung</LI>

Kontra

<LI>kleine Clipping-Fehler<LI>teils schwache Texturen<LI>einige Orte wiederholen sich<LI>Story anfangs undurchsichtig</LI>

Wertung

GameCube

Das innovativste Survival-Horror-Abenteuer auf GameCube - ein Pflichttitel!

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