Kingdom Hearts - Chain of Memories11.06.2005, Paul Kautz
Kingdom Hearts - Chain of Memories

Im Test:

Kingdom Hearts ist auch heute noch, mehr als zweieinhalb Jahre nach seinem Release, eines der charmantesten PS2-Games: Zwar hat es spielerisch die eine oder andere Macke, aber die Mischung aus Final Fantasy und Disney ist sehr liebevoll und verführerisch. Bevor sich der Nachfolger gegen Ende des Jahres auf Sonys Konsole breit macht, schlägt der GBA-Ableger die Brücke zwischen beiden Teilen.

Eine Frage der Karten

So sichert man sich eine treue Kundschaft: Kingdom Hearts: Chain of Memories ist kein eigenständiges Spiel, sondern fängt da an, wo das PS2-Original  aufhörte. Ihr spielt Sora, einen kleinen Jungen mit sehr großen Schuhen, der auf der Suche nach seinem Freund Rika ist. Begleitet wird er von den Disney-Figuren Donald und Goofy, die ihrerseits nach dem verschwundenen König Mickey Ausschau halten. Ein kurzes, aber technisch umso 

Willkommen in Disneyland: Ihr begegnet vielen bekannten Figuren.
beeindruckenderes Renderintro führt euch kurz in die Geschichte ein, aber etwas Vorkenntnis kann trotzdem nicht schaden, um all die Zusammenhänge und Insiderwitze zu verstehen, mit denen ihr im Laufe des Spiels unweigerlich Bekanntschaft macht. Denn im »Schloss des Vergessens« bewegt ihr euch innerhalb Soras Erinnerungen; d.h. ihr spielt hauptsächlich an Locations, die schon aus dem ersten Teil bekannt sind und trefft viele vertraute Personen – oder auch nicht so vertraute, denn aus irgendeinem Grund ist an diesem Ort das Vergessen stark ausgeprägt. Kaum einer kann sich genau an den anderen erinnern, viele angeblich vertraute Personen existieren nur noch als vage Schemen – was ist hier nur los?

Alles ist vergessen

Im Schloss des Vergessens dreht sich alles um Karten – vergleichbar mit bewährten Systemen wie Magic – The Gathering oder Yu-Gi-Oh. Karten dienen dem Öffnen von Türen und dem Erreichen neuer Welten, aber hauptsächlich zum Kampf: Begegnet ihr einem Gegner, wechselt die Kamera von der üblichen Iso-Perspektive in eine schrägere Ansicht, und es wird drauflosgehauen. Allerdings nicht Buttonmasher-kompatibel wie im PS2-Original, sondern eher strategisch. Ihr habt ein Kartendeck, eure Gegner auch. Zwar prügelt ihr in Echtzeit auf eure Widersacher ein, aber im Prinzip bekämpft ihr nicht die Feinde direkt, sondern ihre Karten. Jede Spielkarte hat einen Wert, der geschlagen werden kann, hohe Karte gegen niedrigere. Ihr habt Angriffs- und Verteidigungsblätter sowie Spezialkarten, mit denen ihr eure Freunde (Donald, Goofy und später noch mehr) mit stärkeren Attacken auf die Feinde loslassen könnt. Außerdem dürft ihr Magie wirken, euch

Gekämpft wird in Echtzeit, allerdings nach Kartenregeln.
im Kampf heilen und verbrauchte Karten aufstocken, was jedoch Zeit kostet, während der ihr schutzlos dasteht. Am wichtigsten ist, dass ihr eigene Kartensets anlegen könnt, um somit mächtige Kombos loszulassen, die ihr allerdings erst erlernen und natürlich die passenden Karten besitzen müsst.

Der Nachteil der Kombos ist, dass sie mitten im Kampf etwas umständlich zusammengefummelt werden müssen: Ihr blättert durch die Karten, bestätigt mit L+R die Kombination, sucht weiter und feuert schlussendlich mit einem finalen L+R die Kombo ab – währenddessen werdet ihr aber die ganze Zeit attackiert, denn alles geschieht ja in Echtzeit! Das ist auch der Grund, warum das Kombo-System im Laufe der Zeit immer mehr in den Hintergrund tritt, und man einfach, ohne groß auf die Karten zu achten, auf die Gegner einkloppt – womit die PS2-Version wieder in vergleichbare Nähe rückt. Ihr könnt euch während der Schlacht frei im Raum bewegen, springen und auch ausweichen. Allerdings kriegen das eure Feinde auch hin, so dass ihr besser aufpassen solltet, dass wertvolle Kombos nicht im leeren Raum verpuffen.          

Aladdin! Du hier??

Die größte Faszination bezog Kingdom Hearts aus der Tatsache, dass die Final Fantasy-Serie mit dem Disney-Universum gekreuzt wurde. Chain of Memories verfolgt genau dieselbe Strategie: Ihr trefft auf Aerith, Squall Leonhart und Cloud aus FF – aber auch auf Aladdin, Dschinni, Hercules, Phil, Hades, Peter Pan, Winnie Puh und viele andere Disney-Figuren, die natürlich an ihren Original-Orten (die man schon aus dem Vorgänger kennt) wie Agrabah, die Arena des Olymp oder Halloween Town (aus Tim Burtons »Nightmare before Christmas«) zu 

Das Design der Figuren ist knuffig und detailverliebt wie in kaum einem anderen Spiel.
finden sind. Besonders optisch ist das Spiel umwerfend geraten: alle Figuren sind groß, klar erkennbar, fantastisch animiert und liebevoll integriert – man fühlt sich vom ersten Augenblick an in ein Best-of-Disney versetzt. Unter dieser tollen Oberfläche versteckt sich ein kampflastiges und erstaunlich lineares Rollenspiel: Die zu durchquerenden Räume müssen erst von allen Gegnern befreit werden, bevor ihr die alles entscheidende Karte bekommt, damit ihr fortfahren könnt. Lediglich die Wahl des allgemeinen Einsatzgebietes ist euch überlassen – ob ihr allerdings zuerst nach Agrabah oder in Alice’s Wunderland geht, hat spielerisch keine Auswirkungen.

Mit jedem Kampf gewinnt ihr naturgemäß an Erfahrung, die in regelmäßigem Levelaufstieg mündet. Erreicht ihr eine neue Stufe könnt ihr euch entscheiden, ob ihr mehr Lebenspunkte, mehr Kartenpunkte oder neue Kombos haben wollt. Im Pausenmenü habt ihr eure Charaktere sowie das Spiel fest im Griff: Ihr könnt euch Kombo-Tipps durchlesen, bekommt jede bisher erhaltene Karte und Figur beschrieben, könnt die von Jiminy Grille zusammengefasste Geschichte nachlesen oder schnellspeichern – Letzteres wirft euch allerdings ins Hauptmenü zurück, außerdem wird nicht eure genaue Position, sondern nur der allgemeine Abschnitt, in dem ihr euch befindet, gesichert. »Echtes« Speichern funktioniert nur an speziellen Stationen, auf die ihr zwischen den Welten Zugriff habt. Wie es sich für ein gutes Square Enix-Rollenspiel gehört, ist auch Chain of Memories sehr storylastig: Neben den tollen Renderfilmen wird die Geschichte in schönen Ingame-Dialogen fortgeführt und hält den Spieler gut bei der Stange – anfangs bekommt ihr nur ein paar Info-Brocken hingeworfen, die erst im Laufe der Zeit Sinn ergeben. Die Story wird immer mysteriöser und transportiert sogar eine bemerkenswerte Moral. Ihr könnt unter fünf Sprachen wählen, wobei die deutschen Texte sehr gut gelungen sind.

Stummspiel

Der Mühe Lohn: Mit speziellen Karten lassen sich wichtige Türen öffnen.
Das größte Problem von Chain of Memories sind die Wiederholungserscheinungen, denn im Grunde macht ihr die ganze Zeit dasselbe: Raum betreten, auf Gegner einhauen, um Kampf zu starten, ein knappes Dutzend Widersacher verprügeln, Karte kassieren, die benötigt wird, um eine bestimmte Tür zu öffnen – und das so lange, bis der Raum von allen Feinden befreit ist. Danach stapft ihr in den nächsten, wo das Spiel von vorn beginnt. Am Ende wartet dann der herausfordernde Endgegner-Kampf, bevor ihr vom zentralen Schloss des Vergessens aus in eine neue Welt wechselt – wo alles von vorn beginnt! Für ein Action-Adventure kommt außerdem das Adventure etwas zu kurz, denn Puzzles sind extrem rar gesät. Dafür seid ihr lange mit dem Spiel beschäftigt, das erste Durchspielen dürfte locker 15 Stunden dauern - und danach ist das Ganze noch lange nicht vorbei! Akustisch erwartet euch eine Mischung aus neuen Klängen, Final Fantasy-Stücken und bekannten Disney-Melodien, die zwar etwas synthetisch, aber nichtsdestotrotz angenehm klingen. Dazu gibt es abwechslungsreiche Soundeffekte und ein klitzekleines bisschen Sprachausgabe während der Renderfilme – im Spiel bleiben alle Akteure leider stumm.      

Fazit

Der erste Eindruck von Kingdom Hearts ist überwältigend: Fantastische Grafik, opulenter Sound, cleveres Kampfsystem, faszinierende Story. Nach einigen Stunden Spielzeit kühlen die überhitzten Emotionen jedoch etwas ab, denn die immergleichen, sich teilweise wie Kaugummi ziehenden Standard-Kämpfe gehen einem auf Dauer doch auf die Nerven – zumal das Kombo-System zwar super gedacht, aber mäßig umgesetzt ist. Bis ich mir im Kampf die benötigten Karten zusammengefummelt habe, vergeht viel zuviel Zeit, die ich auch einfach mit Draufloskloppen verbringen kann. Wie auch immer: Man kann trotzdem nicht die Finger vom Spiel lassen. Dafür ist es einfach zu liebevoll, zu ansprechend, zu verführerisch – wenn man mit dem Setting und hektischen Echtzeit-Kämpfen etwas anfangen kann. Wer es lieber ruhiger mag, ist bei Mario & Luigi Superstar Saga oder Harry Potter 3 besser aufgehoben.

Pro

fantastische Grafik
schön erzählte Story
gelungene Musik
einfache Steuerung
tiefgehende Kampfmöglichkeiten
liebevolle Charaktere
abwechslungsreiche Spielgebiete
vielerlei Nachschlagewerke
hektische Endgegner-Kämpfe
angenehm umfangreich
sehr gute Lokalisation

Kontra

sich wiederholendes Spielprinzip
ewig dauernde Standard-Kämpfe
fummeliges Kombo-System
etwas zu leicht
praktisch keine Puzzles

Wertung

GBA

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