Animal Crossing: Wild World04.05.2006, Benjamin Schmädig
Animal Crossing: Wild World

Im Test:

Willkommen in eurem eigenen Reich: Ihr nehmt einen Kredit auf, zieht in eure eigene Bude, lernt Freunde kennen und vertreibt euch die Zeit mit Rübenanbau oder Einkaufsbummeln. Was ist es, das Nintendos Alltagssimulation zu einem Verkaufsschlager macht und was hat es mit dem viel gepriesenen Mehrspieler-Modus auf sich?

Pokemon-Charme

Animal Crossing? Da war doch schon mal was… genau! Ganze zwei Jahre nach der GameCube-Fassung erscheint die witzige Lebenssimulation für Nintendos Klappkiste und es hat sich kaum etwas geändert: Nach wie vor müsst ihr in einer von Tieren bevölkerten Stadt den Alltag meistern. Zugegeben: "Stadt" ist dabei übertrieben, denn die Einwohner erinnern eher an einen Streichelzoo in "Pokemon Country". Auch was sie sagen wird dem äußeren Eindruck mehr als gerecht; wie sie es sagen erinnert an Teletubbisch im Schnellvorlauf. Klingt kitschig? Gott, ja, ist es auch! Aber das Leben in der animalischen Kleinstadt ist trotz der scheinbaren "Kids Only"-Keule so charmant, dass sich selbst gestandene Volljährige magisch angezogen fühlen. Nachdem ich mit kindlicher Begeisterung ein halbes Dutzend Schmetterlinge gefangen habe, drückte es

Käpt'n Schnäuzer: Mit viel Geld in der Tasche lassen sich witzige Outfits zusammenkaufen.
meine Freundin jedenfalls so aus: "Erwachsene Männer sind blöd." Jawohl, und sie haben auch noch Spaß dabei!

Dabei ist nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen in Hammie – oder wie auch immer ihr die urbane Idylle tauft. Da wäre z.B. das Tutorial, in dem sich selbst erfahrene Spieler mehr als eine Stunde lang mit Hol- und Bringdiensten und Ähnlichem plagen müssen, bevor sie das erste Mal speichern dürfen. Bis zu vier Charaktere können dabei in einer Stadt wohnen; entweder führt ihr ein Doppelleben oder ihr teilt das Modul mit Geschwistern und Freunden. Ihr zahlt dann die Kaution auf das Haus gemeinsam ab, was für angenehmes WG-Feeling sorgt. Seltsam ist nur, dass jeder Spieler seinen Krempel im Schrank verstauen kann, ihr die Sachen der anderen aber nicht von dort abholen könnt. Wollt ihr Gegenstände tauschen, werft ihr deshalb alles auf den Boden – nur so kann es jeder auflesen. Das hätte Nintendo eleganter lösen sollen.

Packen wir's an!

Mit anderen Einwohnern reden, Gegenstände anhäufen – das klingt in euren Ohren wie ein gewöhnliches Rollenspiel? Da liegt ihr goldrichtig, nur dass es hier weder Story oder Bösewicht noch einen großen Krieg gibt. Was genau tue ich also den ganzen Tag? Um es kurz zu machen: Ich finde neue Gegenstände im Shop sowie in Hammies "H&M", ich kann mit der Schaufel auf Fossiliensuche gehen, dem Museum Schmetterlinge stiften, eigene Sternbilder zeichnen, einen Kaffee trinken, Freunde mit DS zu mir einladen, den Einwohnern Briefe schreiben, meinen Kredit abzahlen, eine eigene Erkennungsmelodie kreieren, in der Recyclingtonne (!) nach praktischen Dingen wühlen, mit anderen Einwohnern über ihre Lieblingsbeschäftigung quatschen – langsam geht mir die Luft aus, die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Dazu kommt, dass fast jeden Tag etwas Besonderes los ist: Mal findet ein Konzert statt, am Samstag ist die Rübenhändlerin in der Gegend und gelegentlich besucht mich einer der Anwohner.        

Postbote und Sprücheklopfer

Dabei ist in eurer Stadt meistens eigentlich tote Hose, da ihr bei jedem Anschalten des DS erst mal nichts Wichtiges vor habt. Manchmal reicht es schon,

Oben seht ihr die Chatfenster, wie sie im Mehrspieler-Part eingeblendet werden.
die Rüben zu gießen, nur um später noch schnell shoppen zu gehen. Damit ist eins klar: Wen beim Lesen der aufgezählten Kleinigkeiten die Langeweile packt, der wird in seinem "Hammie" keinen Spaß haben. Alle anderen hegen ihr virtuelles Heim mit schöner Regelmäßigkeit und sahnen so z.B. Punkte für eine sinnvolle Innenarchitektur ab oder verabreden sich online im Cafe Taubenschlag. Da ihr euren Alltag komplett mit dem Stift dirigiert, steht euch zudem eine unbeschwerte Zeit bevor. Ich habe nur die Möglichkeit zum Drehen der Ansicht vermisst, denn mitunter sind Objekte oder andere Charaktere hinter Häusern oder Bäumen ungünstig zu erreichen.

Außerdem hätte ich mir gewünscht, dass Animal Crossing nicht nur mit Einwohnern aufwartet, die jederzeit für einen herrlich hirnrissigen Spruch gut sind. Wäre es nicht klasse, wenn mir Waldemar kurzerhand die Freundschaft kündigt, nachdem ich ihm dreißig mal den Insekten-Kescher über den Schädel gezogen habe? Stattdessen sind die Bewohner nach einer Schmollphase von wenigen Minuten wieder meine besten Kumpel. Bis auf Jolly z.B.: Der ist immer schlecht gelaunt – egal wie viel Zeit und Geld ich in unsere Beziehung stecke. Das bremst auf Dauer den Schwung, mit dem man zu Beginn jeden Tag aufs Neue die immer gleichen Gespräche führt – Abwechslung bieten die tierischen Freunde selten und wenn, dann wollen alle das Gleiche: Ihr stellt Briefe für sie zu, schafft diverse Gegenstände an, verpasst ihnen einen neuen Begrüßungsspruch oder ähnliches. Entwicklung findet leider nicht statt. Schön ist nur, dass die Einwohner von den Tätigkeiten der bis zu vier Charaktere pro Modul erzählen. Euer einziges Ziel ist es, die Kaution auf das Haus abzuzahlen. Da Geld durch das Sammeln von Pfirsichen oder Angeln von Fischen sehr leicht zu verdienen ist, stellt das aber keine Herausforderung dar.

Weltweit vernetzt...

Womit die DS-Umsetzung auftrumpfen will, ist einmal mehr der Mehrspieler-Part, an dem ihr über die direkte Verbindung zwischen euren Handhelds oder per Internet teilnehmen könnt. Sind weitere Handhelds in der Nähe, ladet ihr deren Besitzer dafür einfach ein und schon dürft ihr euch in der Stadt des Gastgebers tummeln. Dass es dann keine speziellen Minispiele gibt und ihr euch überlegen müsst, wie man am sinnvollsten die Zeit vertreibt, ist Crux und Ass im Ärmel zugleich, denn auf der einen Seite passt das selbstständige Beschäftigen perfekt ins Spiel, auf der anderen Seite

Im Museum findet ihr nicht nur antike Fossilien, sondern auch Pflanzen und Tiere aller Arten.
könnten Gelegenheits-Besucher überfordert sein. Das Spiel bleibt im Multiplayer-Modus übrigens das gleiche, seltsamerweise verschwinden die restlichen Anwohner allerdings in ihren Häusern.

Apropos Minispiele: Anders als im GameCube-Erstling dürft ihr hier keine NES-Oldies mehr zocken – ein Jammer! Spezielle Feiertage wie z.B. Weihnachten fehlen ebenso. Dafür schießt ihr mit dem Katapult Geschenke und gelegentliche UFOs vom Himmel im oberen Bildschirm. Aber zurück zum globalen Miteinander: Nintendo will hier groß auftrumpfen und bietet weltweite Verbindungen über Hotspots oder den WiFi-Adapter. Großartig! Die Sache hat nur einen Haken: Um miteinander zu spielen müsst ihr euren Freundescode weiterreichen. Animal Crossing: Wild World (ab 44,77€ bei kaufen) lässt euch leider nicht wie in anderen Titeln Mitspieler über eine Lobby finden – neue Freundschaften mit Japanern oder Amerikanern werdet ihr beim Wettangeln daher trotz kompatibler Module nicht knüpfen.       

Fazit

Ich bin hin und her gerissen: Auf der einen Seite ist Animal Crossing eine witzige Beschäftigung, die mich auf lange Sicht an mein zweites Zuhause fesselt. Die vielen Handlungsmöglichkeiten allein sind das Doppelleben schon wert. Richtig klasse sind aber erst die restlichen Anwohner: Ihre herrlich blöden Sprüche bringen mich immer wieder zum Lachen – ein wackelnder Bildschirm samt Wutblitzen tun ihr Übriges, wenn ich die Tiere mal wieder zur Weißglut treibe. Auf der anderen Seite fehlt mir aber die Lust, an dem relativ starren Leben in meinem Hammie teilzunehmen. Wieso hat mein Verhalten nicht starke Auswirkungen auf die Umwelt? Rüben zu bewässern und dem Museum Fossilien zu stiften ist mir auf Dauer einfach zu wenig, um Zeit in das virtuelle Leben zu investieren. Nur der Gedanke an den Test hat mich deshalb jeden Morgen in Hammie aufwachen lassen. Und so unkompliziert das Einladen Gleichgesinnter per Direktverbindung oder übers Internet auch ist, so sehr vermisse ich eine Lobby, in der sich Spieler aus aller Welt verabreden können. Wild World ist ein unglaublich sympathischer Titel, dem leider ein Funken mehr Motivationsgabe fehlt.

Pro

ständig neue Ereignisse
großartiger Humor
haufenweise Tätigkeiten zum Zeitvertreib
witzige Sprachausgabe
sehr lange Spielzeit
umfassender Mehrspieler-Modus
perfekt für ein paar Minuten unterwegs

Kontra

Spiel übers Internet nur mit Freundescode
kaum Entwicklung
wenig Neuerungen gegenüber GameCube-Fassung
keine NES-Spiele mehr
Ansicht nicht drehbar

Wertung

NDS

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