Etrian Odyssey16.06.2008, Jörg Luibl
Etrian Odyssey

Im Test:

Erinnert sich noch jemand an Bard's Tale? Mit einer kleinen Gruppe Abenteurer zog man Mitte der 80er vom C-64 bis zum Amiga durch die Labyrinthe von Skara Brae. Lange bevor Diablos Erben das Dauergeklicke salonfähig machten, wurde in aller Ruhe rundenweise gekämpft. Trotzdem verflogen die Stunden voller Spannung, denn man war immer besorgt um Gesundheit und Schlagkraft seiner Party. So ähnlich geht es mir mit Etrian Odyssey (ab 39,00€ bei kaufen).

Fürsorgliches Fantasyflair

Ihr wählt einen Gildennamen und könnt bis zu 30 Charaktere aus neun Klassen erstellen: Landsknecht, Fährtenleser, Paladin, Dunkler Ritter, Medicus, Alcemist, Barde, Samurai und Drude stehen zur Verfügung.
Ich schaue bangend auf meine fast aufgeriebene Fünfertruppe, spekuliere über Spezialangriffe und hoffe auf ein Wunder an Schadenspunkten - vielleicht den durchschlagenden Pfeilschuss versuchen? Aber ob der gegen diesen mächtigen Gegner durchkommt? Oder mit dem Paladinspruch den Schaden der erste Reihe abdämpfen? Egal, welche Taktik ich anwende: Das wird knapp. Ich bin auf das erste richtig harte Bossmonster gestoßen - den Wuthirsch. Hört sich albern an, ist aber trotzdem gefährlich, denn sein Geweih verteilt mal lockere 56 Schadenspunkte. Ich habe ihn bereits auf der Karte als wanderndes Monster der Marke FOE kommen sehen; das sind die großen Bosse, denen man theoretisch durch kluge Wegwahl ausweichen kann.

Aber diesmal wollte ich es wissen, fühlte mich stark genug. Die Lebenspunkteleiste ist allerdings fast überall blutrot. Mein tapferer Landsknecht ist tot, mein Fährtenleser ist auf acht Lebenspunkte schwer verwundet, meine  Alchimistin ist nicht nur vergiftet, sondern pfeift aus den letzten Manalöchern - einen schweren Feuerzauber hat sie aber noch. Und mein standhafter Paladin hat dank seiner schweren Rüstung und des

Zu Beginn trefft ihr auf scheinbar leichte Gegner wie Ratten, Falter oder Maulwürfe. Aber schon die haben es in sich, wenn man seine Fünfergruppe taktisch nicht gut aufstellt.
Schildes immerhin fünfzehn mickrige Lebenspunkte! Lediglich der schwache Medicus in der hinteren Reihe hält sich mit seinen dreißig Punkten wacker. Also bereite ich einen Heilspruch für den Paladin vor...

Bangen um die Party

Aber wird das reichen? Ich habe mit meiner jungen Truppe viele Rückschläge in den labyrinthartigen Wäldern von Yggdrasil einstecken müssen - immer wieder musste ich schwer verletzt oder mit Toten in die kleine Stadt Etria zurück, um mich zu pflegen, wiederzubeleben, einzukaufen, Missionen an- oder Belohnungen entgegen zu nehmen. Man sammelt Erfahrung, steigt auf und kann die Fähigkeiten der Charaktere gezielt stärken. Wie in alten Zeiten, als man sich durch die Dungeons von Bard's Tale kämpfte, hegt und pflegt man seine junge Party, während man Karten zeichnet.

Karten? Ja, richtig gehört. Mit dem Stylus könnt ihr auf einem freien Koordinatenfeld des unteren Bildschirms kinderleicht Wände ziehen, Symbole für Treppen, Ereignisse  oder Monster einsetzen und im Zweifelsfall wieder radieren. Man legt sich also parallel zur Erkundung der Welt eine

Einfach und komfortabel kann man das erkundete Gebiet kartografieren. Wie in alten Zeiten malt man Wände und besondere Dinge einfach in die Karte.
klassische 2D-Karte an. Das Schöne ist, dass man sich an seltsamen Orten auch Notizen machen kann: Etwa, wenn eine Quelle vergiftet ist oder ein rätselhafter Kristall den Weg versperrt. Dieses aktive Aufzeichnen macht von Beginn an Spaß, denn es geht leicht von der Hand und erhöht den Abenteuerreiz im Labyrinth.

Unterwegs sollte man ein wachsames Auge auf die Warnanzeige halten, die eine Art Farbradar darstellt. Die kann friedlich grün, unsicher blau und gefährlich rot leuchten - dann ist ein Monster in der Nähe. Man sieht die Gegner also nicht von weiten kommen, sondern wird quasi per Zufall aus dem Nichts überrascht, was die Spannung gerade zu Beginn erhöht. Hat man allerdings eine Ebene abgegrast, tauchen leider immer dieselben paar Typen auf. Das wird erst in den tieferen Ebenen vielfältiger.

               

Schwache Geschichte

Nach jedem Aufstieg kann man einen Punkt verteilen: Aber was soll man bloß verbessern? Diese Medicus-Lady kann sich in verschiedene Richtungen entwickeln.
Warum man dort ist? Keine Ahnung. Und diese Lücke ist neben der Monotonie des Hin und Her zwischen Dungeon und Dorf eine der Schwächen des Spiels. Der Name des Labyrinths,  Yggdrasil, lässt zwar germanische Mythologie und die damit gemeinte Weltesche anklingen, aber es geht ansonsten nicht um Wotan, Walküren und Einherjer. Die Spielwelt ist eine klassische Fantasyvariante mit Rittern und Drachen, aber auch kindlich anmutenden Feinden wie Hasen und Maulwürfen - typisch japanisch. Es gibt keine echte Story, nur ein riesiges Labyrinth - einen mehrere Etagen tiefen Wald mit seltsamen Kristallpforten, den bisher niemand erforschen konnte. Also schreibt man sich in der kleinen Stadt mit ihrem sauteuren Gasthof, der Halle der Erfolge, dem Händler, dem Heiler und der Taverne für Missionen und Tratsch ein, um alle Geheimnisse zu lüften.

Aber auch ohne Erzählung und trotz des gewöhnungsbedürftigen, leicht kindlichen Zeichenstils kommt durchaus Stimmung auf, wenn man mit den Figuren in der Stadt spricht, wenn man neu gesammelte Monster oder Gegenstände in die

Hinter diesem gelben Ball verbirgt sich ein wanderndes Bossmonster. Ihr solltet ihnen zu Beginn durch geschickte Wegwahl ausweichen.
Ruhmeshalle einträgt oder plötzlich neue Gebiete in den Tiefen aufdeckt. Außerdem sorgen kleine Zwischenfälle immer wieder für diese wohlige Ahnung, dass da doch noch etwas mehr passieren könnte als reines Dungeongemetzel: Da taucht ein Soldat auf und will etwas verkaufen, da entdeckt man seltsame Kristallpforten und fragt sich, was wohl die Belohnung der Stadt ist, wenn man bei der Erforschung des Waldes hilft. Und dabei grübelt man immer wieder über die Zukunft seiner Party.

Was kommt noch alles?

Vielleicht liegt es ja an meiner Zusammensetzung, dass ich noch nicht so weit in die zweite Ebene des Waldes vordringen kann? Vielleicht sollte ich den Fährtenleser auch in die erste Reihe stellen und nur Alchemistin und Heiler hinten? In der Gilde der Abenteurer könnte ich theoretisch auch neue Helden erstellen: Ich habe weder den Ritter der Schatten noch den Barden ausprobiert. Letzterer könnte mit seinen Liedern vielleicht die Moral der Truppe stärken? Die spielt nämlich auch eine Rolle: Ist sie auf dem höchsten Niveau, schlägt man mit dem höchsten Schaden zu - das könnte ich gegen den Wuthirsch gebrauchen!

Ich könnte mir aber auch einen Samurai oder Druden in meiner Gruppe vorstellen - nur wollen die noch nicht in meine Party. Bin ich zu unerfahren? Habe ich zu wenige Missionen erfüllt?  Daran kann es liegen, denn ich bin bisher nur ein Greenhorn unter all jenen, die die Geheimnisse des Labyrinths lüften wollten. Ich habe erst zwei, drei Hol- und Bringaufträge erfüllt,

Vier Plätze sind für die Ausrüstung plus Waffe reserviert: Im Laufe des Abenteuers bekommt ihr immer effektivere Waffen und bessere Rüstungen.
habe erst neun Monsterarten und acht Itemtypen für die Stadt registrieren lassen und die Abenteurer nach gefühlten sechs bis acht Stunden gerade mal auf Level 9 gebracht. Mir fehlt Geld für neue Waffen und Rüstungen, die mich magisch verstärken! Aber es geht immer aufwärts, es wird immer weiter gegrübelt. Da ist man gerade aufgestiegen und hat ein Pünktchen zu vergeben - aber wohin? Man kann die Lebenskraft oder den Angriff erhöhen, die Agilität oder Zauberkraft, man kann in neue Eis-, Feuer- Gift- oder Blitz-Sprüche und Spezialattacken wie Rundumschläge oder Blocktechniken investieren oder gar in das Sammeln, Ernten und Abholzen von Rohstoffen. Das System neuer Gegenstände beruht auf einem Warenkreislauf: Erst, wenn man den Händler mit Hartholz, Gebein, Beifuß, Lilien & Co versorgt, werden neue Waffen oder Items verfügbar.

         

Fazit

Wieso spiele ich ein komplettes Wochenende nur Nintendo DS? Das ist mir sehr, sehr lange nicht passiert. Das Team von Atlus hat allerdings mit diesem Zeitfresser alter Schule den Nerv meiner tief verschütteten Bard's Tale-Nostalgie getroffen. Schon 2002 haben mir die Japaner mit Wizardry: Tale of the Forsaken Land eine durchaus solide Retroreise in die bockschweren Anfänge des Rollenspiels serviert. Und jetzt entführen sie mich auf dem Handheld in die Ära von Party-Management und Dungeon-Erkundung. Auch wenn ich die etwas kindlichen Anime-Figuren lieber gegen eine düstere Variante oder Charaktere westlicher Prägung tauschen würde und eine Story genau so vermisse wie Rätsel, kann ich nicht aufhören. Selbst die statische Kulisse oder das ewige Hin und Her zwischen Dungeon und Dorf hält mich nicht davon ab, noch mal in die Tiefe des Labyrinths zu steigen. Ich komme nicht los vom freien Partymanagement, von den taktischen Rundenkämpfen und dem aktivem Kartenzeichnen - gerade das weckt wohlige Erinnerungen an alte Pen & Paperzeiten. Während ich mich wie eine Mama um meine Truppe sorge, kartiere ich mit dem Stylus die neu erschlossenen Waldgebiete samt ihrer Fallen und Feinde - und die haben es in sich! Das ist ein richtig knackiges Abenteuer, in dem ihr sehr viele Tode sterbt. So habe ich früher schon ganze Nächte mit Black Crypt, Eye of the Beholder & Co verbracht. In letzter Zeit gab es eher Ernüchterung für DS-Helden: Was mit Orcs & Elves noch unterhaltsam begann, wurde von Mystery Dungeon: Shiren the Wanderer und Dungeon Explorer eher durchwachsen fortgeführt. Etrian Odyssey ist trotz der immer gleichen Routinen eindeutig die beste Wahl, wenn man sich wie in alten Zeiten durch Labyrinthe kämpfen will. Ich freue mich schon auf den Nachfolger!

Pro

Bard's Tale mit Anime-Flair
verzweigte Labyrinthe
Fallen & besondere Ereignisse
taktische Rundenkämpfe
aktives Kartographieren
freies Party-Management
gutes Rohstoff- & Warensystem inklusive Erntelimit
jederzeit in der Stadt speicherbar
Karte wird auch bei Tod gespeichert
fordernder Schwierigkeitsgrad

Kontra

Story, wo bist du?
Rätsel, wo seid ihr?
auf Dauer monotones Hin & Her zwischen Stadt & Dungeon
nur mittelprächtige Kulisse mit wenigen Animationen

Wertung

NDS

Party erstellen, Dungeons erkunden, 1000 Tode sterben, Karten zeichnen - wie in alten Zeiten!

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