Im Auge des Kommandanten
Helden werden nicht geboren, sondern erwählt: Brandon will eigentlich nur in Ruhe gelassen werden - aber nix da, er muss das Zauberreich Kyrandia retten!
Mitte bis Ende der 80er war der in Las Vegas beheimatete Entwickler Westwood vor allem eines: Ein Konvertierungslakai, der nebenbei auch ein paar kleinere eigene Spiele fabrizierte. Erst Anfang der 90er Jahre wuchs das kleine Unternehmen plötzlich zu ungeahnter Größe heran - sowohl spielerisch als auch personell, denn mit den ersten beiden »Eye of the Beholder«-Rollenspielen sowie dem phänomenalen »Dune 2«, das als Urvater der heutigen Echtzeitstrategie gilt und den Weg zu Command & Conquer ebnete. Aber das ist eine Geschichte für ein anderes Lagerfeuer, denn bei Westwood ruhte man sich nicht einfach auf den Lorbeeren des Erfolges aus. Man wollte mehr, vor allem mehr Abwechslung - und aus diesem Wunsch heraus ward auf einmal eine Adventure-Reihe geboren.
The Legend of Kyrandia
Kyrandia - das Land, in dem die Edelsteine herumliegen. Das Land, in dem Menschen, Tiere und Natur der Kraft des mächtigen Zaubersteines »Kyragem« sei Dank in Harmonie miteinander leben. Das Land, das die Katastrophe hätte kommen sehen müssen. Denn der etwas zu breit grinsende Hofnarr Malcolm hat eines Tages die geschminkte Schnauze voll von all dem Frieden, bringt König und Königin mal eben um die Ecke, entführt den Kyragem und verwandelt Kallak, den mächtigsten Magier des Landes, zu Stein. Jetzt liegt es an Brandon, Kallaks Enkel, den durchgeknallten Kasper aufzuhalten und das Land wieder in seinen Ursprungszustand zu versetzen.
Das Spiel ist voller skurriler Charaktere - von denen Zauberer Darm und Drache Brandywine die kauzigsten sind.
Das macht er mit dem gemütlichen Schlurfschritt eines gerade aufgewachten Faultieres (man konnte ihm im Optionsmenü Beine machen) sowie in der CD-Fassung mit der Stimme von Joseph Kucan - den man in späteren Westwood-Jahren als Chef-NOD Kane zu schätzen lernte. Die Bedienung entfernte sich von den Verben- und Icondurchschalt-Standards der Konkurrenz und präsentierte ein System, das einfacher nicht sein könnte, denn es basierte ausschließlich auf der linken Maustaste. Um etwas aufzunehmen, klickte man es einfach an und zog es ins Inventar. Um etwas zu benutzen, klickte man es einfach an und zog es aus dem Inventar. Diese Art der Vereinfachung sorgte dafür, dass wirklich jeder ohne Probleme loslegen konnte - aber es beschränkte die Designer natürlich auch in der Kreativität des Puzzledesigns. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass gerade das erste Kyrandia-Spiel (es gab insgesamt drei) als ein eher leichtes Abenteuer gilt. Vielleicht mit einer großen Ausnahme, die allerdings nur die Spieler der eingedeutschten Fassung betraf: In der englischen Version musste man, um an einer bestimmten Stelle weiter zu kommen, aus einem Regal vier Bücher in der richtigen Reihenfolge herausziehen - die Anfangsbuchstaben der Buchtitel ergaben das Wort »OPEN«, und schon öffnete sich ein Geheimtunnel. In der hiesigen Version war diese Lösung naheliegenderweise nicht möglich, ein vergleichbares Wort mit vier Buchstaben existiert nicht. Also haben sich die Übersetzer von Virgin Interactive wohl tagelang das Hirn zermartert, bis sie auf eine Lösung kamen. Ob allerdings auch ein Spieler ihre Gedankengänge nachvollziehen konnte, ist nicht überliefert, denn hierzulande wurde aus »OPEN« mal eben »DREH« gemacht. Nun... ja. Aber gut, das betraf nur die deutschen Knobelhengste. In anderer Hinsicht waren die Entwickler nicht so nachgiebig - und darunter mussten alle leiden.
Save often, save early
Nur einer von vielen unerwarteten Toden: Wie in den Sierra-Adventures konnte man auch in Kyrandia sehr oft und überraschend draufgehen. Hier endet Brandon als Froschfutter.
Da war z.B. das stark begrenzte Inventar, in dem gerade mal zehn Gegenstände Platz hatten. Im Grunde kein Problem, andere Spiele bieten auch nicht mehr. In Kyrandia piesackten die Entwickler aber die Neugier des Spielers, indem sie viele Red Herrings einbauten. Ihr wisst nicht, was ein Red Herring ist? Ein irrsinnig interessant aussehender Gegenstand, der aber exakt gar keinen Zweck hat - man denke in diesem Zusammenhang an die Kettensäge in Maniac Mansion. Von dieser Sorte gibt es vieles in Kyrandia, sei es ein gut versteckter Regenbogenstein oder zwei Smaragde, die man am Ende eines langen, harten Labyrinthes fand - alles nur Klimperkram, um das Inventar des Spielers zuzumüllen, und ihn dazu zu bringen, in regelmäßigen Abständen kleine Häufchen mit Sachen anzulegen, die man vielleicht irgendwann, aber nicht gerade jetzt brauchen würde. Fies, aber irgendwie auch unterhaltsam. Gemein war auch die Angewohnheit der Designer, Levelelemente ein paar Mal zu wiederholen - so bestehen einige Wälder z.B. aus nahezu identisch aufgebauten Bäumen und Büschen, was sogar Brandon auffällt, woraufhin er einen lockeren Spruch zu dieser Verguttenbergung ablässt. Das ist allerdings nicht nur der Faulheit der Entwickler zu verdanken: Das Spielsystem, auf dem das Abenteuer basiert (nämlich ein Online-Textadventure aus den späten 80ern, dessen Rechte die Westwood-Gründer gekauft hatten) war für seine gleich aufgebauten Dungeons berüchtigt.