The Legend of Kyrandia11.03.2011, Paul Kautz
The Legend of Kyrandia

Special:

Vor ein paar Monaten haben wir ja schon festgestellt, dass die Neunziger das Jahrzehnt von LucasArts waren - alle wichtigen Adventure-Serien, von Monkey Island bis Indiana Jones, nahmen hier entweder ihren Anfang oder blühten erst richtig auf. Aber die Mannen von der Skywalker Ranch waren nicht allein: Neben Sierra und Revolution Software glänzten plötzlich die Westwood Studios.

Im Auge des Kommandanten

Helden werden nicht geboren, sondern erwählt: Brandon will eigentlich nur in Ruhe gelassen werden - aber nix da, er muss das Zauberreich Kyrandia retten!
Helden werden nicht geboren, sondern erwählt: Brandon will eigentlich nur in Ruhe gelassen werden - aber nix da, er muss das Zauberreich Kyrandia retten!
Mitte bis Ende der 80er war der in Las Vegas beheimatete Entwickler Westwood vor allem eines: Ein Konvertierungslakai, der nebenbei auch ein paar kleinere eigene Spiele fabrizierte. Erst Anfang der 90er Jahre wuchs das kleine Unternehmen plötzlich zu ungeahnter Größe heran - sowohl spielerisch als auch personell, denn mit den ersten beiden »Eye of the Beholder«-Rollenspielen sowie dem phänomenalen »Dune 2«, das als Urvater der heutigen Echtzeitstrategie gilt und den Weg zu Command & Conquer ebnete. Aber das ist eine Geschichte für ein anderes Lagerfeuer, denn bei Westwood ruhte man sich nicht einfach auf den Lorbeeren des Erfolges aus. Man wollte mehr, vor allem mehr Abwechslung - und aus diesem Wunsch heraus ward auf einmal eine Adventure-Reihe geboren.

The Legend of Kyrandia

Kyrandia - das Land, in dem die Edelsteine herumliegen. Das Land, in dem Menschen, Tiere und Natur der Kraft des mächtigen Zaubersteines »Kyragem« sei Dank in Harmonie miteinander leben. Das Land, das die Katastrophe hätte kommen sehen müssen. Denn der etwas zu breit grinsende Hofnarr Malcolm hat eines Tages die geschminkte Schnauze voll von all dem Frieden, bringt König und Königin mal eben um die Ecke, entführt den Kyragem und verwandelt Kallak, den mächtigsten Magier des Landes, zu Stein. Jetzt liegt es an Brandon, Kallaks Enkel, den durchgeknallten Kasper aufzuhalten und das Land wieder in seinen Ursprungszustand zu versetzen.

Das Spiel ist voller skurriler Charaktere - von denen Zauberer Darm und Drache Brandywine die kauzigsten sind.
Das Spiel ist voller skurriler Charaktere - von denen Zauberer Darm und Drache Brandywine die kauzigsten sind.
Das macht er mit dem gemütlichen Schlurfschritt eines gerade aufgewachten Faultieres (man konnte ihm im Optionsmenü Beine machen) sowie in der CD-Fassung mit der Stimme von Joseph Kucan - den man in späteren Westwood-Jahren als Chef-NOD Kane zu schätzen lernte. Die Bedienung entfernte sich von den Verben- und Icondurchschalt-Standards der Konkurrenz und präsentierte ein System, das einfacher nicht sein könnte, denn es basierte ausschließlich auf der linken Maustaste. Um etwas aufzunehmen, klickte man es einfach an und zog es ins Inventar. Um etwas zu benutzen, klickte man es einfach an und zog es aus dem Inventar. Diese Art der Vereinfachung sorgte dafür, dass wirklich jeder ohne Probleme loslegen konnte - aber es beschränkte die Designer natürlich auch in der Kreativität des Puzzledesigns. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass gerade das erste Kyrandia-Spiel (es gab insgesamt drei) als ein eher leichtes Abenteuer gilt. Vielleicht mit einer großen Ausnahme, die allerdings nur die Spieler der eingedeutschten Fassung betraf: In der englischen Version musste man, um an einer bestimmten Stelle weiter zu kommen, aus einem Regal vier Bücher in der richtigen Reihenfolge herausziehen - die Anfangsbuchstaben der Buchtitel ergaben das Wort »OPEN«, und schon öffnete sich ein Geheimtunnel. In der hiesigen Version war diese Lösung naheliegenderweise nicht möglich, ein vergleichbares Wort mit vier Buchstaben existiert nicht. Also haben sich die Übersetzer von Virgin Interactive wohl tagelang das Hirn zermartert, bis sie auf eine Lösung kamen. Ob allerdings auch ein Spieler ihre Gedankengänge nachvollziehen konnte, ist  nicht überliefert, denn hierzulande wurde aus »OPEN« mal eben »DREH« gemacht. Nun... ja. Aber gut, das betraf nur die deutschen Knobelhengste. In anderer Hinsicht waren die Entwickler nicht so nachgiebig - und darunter mussten alle leiden.

Save often, save early

Nur einer von vielen unerwarteten Toden: Wie in den Sierra-Adventures konnte man auch in Kyrandia sehr oft und überraschend draufgehen. Hier endet Brandon als Froschfutter.
Nur einer von vielen unerwarteten Toden: Wie in den Sierra-Adventures konnte man auch in Kyrandia sehr oft und überraschend draufgehen. Hier endet Brandon als Froschfutter.
Da war z.B. das stark begrenzte Inventar, in dem gerade mal zehn Gegenstände Platz hatten. Im Grunde kein Problem, andere Spiele bieten auch nicht mehr. In Kyrandia piesackten die Entwickler aber die Neugier des Spielers, indem sie viele Red Herrings einbauten. Ihr wisst nicht, was ein Red Herring ist? Ein irrsinnig interessant aussehender Gegenstand, der aber exakt gar keinen Zweck hat - man denke in diesem Zusammenhang an die Kettensäge in Maniac Mansion. Von dieser Sorte gibt es vieles in Kyrandia, sei es ein gut versteckter Regenbogenstein oder zwei Smaragde, die man am Ende eines langen, harten Labyrinthes fand - alles nur Klimperkram, um das Inventar des Spielers zuzumüllen, und ihn dazu zu bringen, in regelmäßigen Abständen kleine Häufchen mit Sachen anzulegen, die man vielleicht irgendwann, aber nicht gerade jetzt brauchen würde. Fies, aber irgendwie auch unterhaltsam. Gemein war auch die Angewohnheit der Designer, Levelelemente ein paar Mal zu wiederholen - so bestehen einige Wälder z.B. aus nahezu identisch aufgebauten Bäumen und Büschen, was sogar Brandon auffällt, woraufhin er einen lockeren Spruch zu dieser Verguttenbergung ablässt. Das ist allerdings nicht nur der Faulheit der Entwickler zu verdanken: Das Spielsystem, auf dem das Abenteuer basiert (nämlich ein Online-Textadventure aus den späten 80ern, dessen Rechte die Westwood-Gründer gekauft hatten) war für seine gleich aufgebauten Dungeons berüchtigt.

Seine Garstigkeit Malcolm höchstpersönlich: Hofnarr, Königsmörder, Endgegner und Meisterjongleur.
Seine Garstigkeit Malcolm höchstpersönlich: Hofnarr, Königsmörder, Endgegner und Meisterjongleur.
Aber das war ja alles nur Spaß - richtig garstig waren drei Dinge. Erstens die Tatsache, dass man oft und schnell sterben konnte: Ein Griff zum Rubin, der am Baum hängt, ein unerwarteter Schlangenbiss - und schon läuft Brandon grün an. Hat er den Heilzauber noch nicht, ist er einen Bildschirm später tot. Wagt man sich in der Lavahöhle einen Pixel zu weit nach vorn, geht der Königssohn in Flammen auf (auch wenn er direkt davor noch damit prahlt, dass ihm Hitze nichts ausmacht). Möchte man einen Frosch im Sumpf vor Zanthias Haus streicheln, wird man eine Sekunde darauf Opfer seiner langen und ausgesprochen klebrigen Zunge. Und dann ist da natürlich noch das Feuer-Labyrinth, das die gute alte »Karte auf Karopapier malen«-Tradition wiederbelebte: Die aller paar Räume verteilten Feuerbeeren mussten strategisch richtig platziert werden, dann nach drei Bildschirmen verloschen sie - und die Dunkelheit brachte Brandon den schnellen und schmerzhaften Tod. Sehr Sierra-kompatibel.

Das Gemeinste war allerdings, dass man tatsächlich an einen Punkt gelangen konnte, an dem es einfach nicht weiterging: Kurz vor dem Spielende bekommt Brandon die Möglichkeit, sich in ein fliegendes Pferd zu verwandeln, um zum Finalkampf mit Malcolm auf dessen Insel überzusetzen. Alle dafür notwendigen Items befinden sich zu diesem Zeitpunkt auf jeden Fall in seiner Tasche - bis auf eines: Eine Blume, die direkt neben dem Verwandel-Podest wächst. Mit der hat man vorher schon einmal zu tun, es gibt also eigentlich keinen Grund, noch eine davon zu pflücken. Vergisst man das und landet auf dem neuen Eiland, ist das Spiel vorbei - denn

Die Westwood Studios haben hier den Fantasy-Grafikstil, den sie mit den Eye of the Beholder-Spielen prägten, konsequent weiterentwickelt - und teilweise hinreißend schöne Aussichten auf die Bildschirme gezaubert.
Die Westwood Studios haben hier den Fantasy-Grafikstil, den sie mit den Eye of the Beholder-Spielen prägten, konsequent weiterentwickelt - und teilweise hinreißend schöne Aussichten auf die Bildschirme gezaubert.
die Blume wird kurz darauf benötigt, um den finalen Zauber zu erhalten. Und eine Möglichkeit, einfach zurück zu fliegen und das blöde Ding aus der Erde zu reißen, gibt es nicht. Nur die Hoffnung, mehr als einen Spielstand angelegt zu haben.

Es ist... magisch!

Okay, halten wir fest: Teilweise fieses Design, übersimple Bedienung, Showstopper, schnelle Tode - was zum Henker macht dieses grässlich klingende Machwerk hier als Oldie des Monats? Ganz einfach: The Legend of Kyrandia ist ein Spiel zum Verlieben! Das geht mit der Grafik los, die zum Teil einfach zauberhaft ist: Der Spaziergang durch herrlich lauschige Wälder, deren saftiges Grün bis heute irgendwie unerreicht ist. Die Aussicht auf wundervolle Landschaften und Sternenhimmel. Der beeindruckende Anblick eines riesigen Baumes, aus dessen knorrigen Wurzeln sich auf einmal ein Gesicht formt. Die Freude über die Rettung einer Weide. Die prächtige Verwandlung in das Flugross - hach! All das begleitet von einem meisterlichen Soundtrack aus der Feder des damals gerade mal 18-jährigen Frank Klepacki, mit dessen wundervollen Melodien ich seit vielen, vielen Monaten mehrmals pro Woche meine Kollegen beglücke, ohne dass sie wie üblich mit Tackern nach mir werfen.

Das Ende ist nahe: Nicht nur lauert nach der Verwandlung in das Flugpferd das große Finale, sondern auch u.U. der Frust. Denn wenn man vergaß, eine der kleinen roten Blumen links unten zu pflücken, ging es kurz darauf einfach nicht mehr weiter!
Das Ende ist nahe: Nicht nur lauert nach der Verwandlung in das Flugpferd das große Finale, sondern auch u.U. der Frust. Denn wenn man vergaß, eine der kleinen roten Blumen links unten zu pflücken, ging es kurz darauf einfach nicht mehr weiter!
Und dann sind da natürlich noch die wunderbar kauzigen Figuren: Brandon, der am Anfang noch kaum glauben kann, dass er gerade Magie gewirkt hat, aber schon nach kurzer Zeit mit seinen Fähigkeiten kokettiert. Magier Darm und seine kratzbürstige Hausdrächin Brandywine, die für einige der besten Dialoge des Spiels zuständig sind (»Do I smell cats?« »Is it my fault that I don't eat knights? All sweat and muscle, and so hard to peel!«). Die wunderbar nassforsche Jungzauberin Zynthia (die im zweiten Teil die Heldin mimt). Und natürlich Malcolm höchstselbst, der trotz aller Weltvernichtungspläne noch die Zeit findet, lässig (und toll animiert) mit Messern zu jonglieren - ganz abgesehen davon, dass er ein Hort der bissigen Kommentare ist und keine Gelegenheit auslässt, das Grünschnabelhafte an Brandon zu betonen. Der Klingelkopp wurde am Spielende übrigens aufgrund seiner eigenen Magie versteinert, was allerdings nicht seinen letzten Auftritt bedeutete: Zwei Jahre später wurde er durch einen Blitz wieder unter die Lebenden gebracht, und in »The Legend of Kyrandia 3: Malcolm's Revenge« zum Helden des Spiels gemacht. Das einen sehr gewöhnungsbedürftigen Render-Grafikstil sowie Lachkonserven im Hintergrund pflegte.Aber kommen wir zurück zum ersten Teil: Er hatte seine Schwächen, ohne Frage. Mit den ganz großen Jungs konnten die Entwickler von Westwood zumindest im Adventure-Bereich nicht mitspielen - gerade LucasArts war einfach zu übermächtig, zu gut. Nichtsdestotrotz gebührt The Legend of Kyrandia ein Ehrenplatz in der Point-n-Klick-Hall of Fame, für ein zauberhaftes Abenteuer, das der ach so ernsthaften King's Quest-Reihe von Sierra problemlos den Schneid abkaufte. Eine Frage bleibt allerdings bis heute ungeklärt: Was ist das eigentlich für eine Fee auf dem Spielecover ? Im Spiel jedenfalls kommt keine vor.

Paul Kautz

Ihr wollt mehr Bilder aus dem Spiel sehen? Aber immer, aber gern.

 
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