Clash of Realities25.03.2006, Jörg Luibl
Clash of Realities

Special:

Vom 22. bis zum 24. März drehte sich an der Fachhochschule Köln alles um das Spiel: Mit Unterstützung von Electronic Arts wurde die erste "International Computer Game Conference" veranstaltet. Unter dem Motto "Clash of Realities" ging es um das Verhältnis von Spielen und sozialer Wirklichkeit. Wir waren vor Ort und wurden Zeuge eines souveränen akademischen Kantersiegs gegen das Killerspiel.

Clash of Realities - Kantersieg gegen Killerspiele

Als Klinsmanns Elf am Mittwoch das 4:1 in Dortmund feierte, gab es auch in Köln einen nationalen Sieger: das Spiel. Oft genug kann man an Deutschland verzweifeln - egal ob als Freund der Sprache oder der Wissenschaften, egal ob als Fan des runden Leders oder virtueller Welten. Beides wird hierzulande gerne schlecht gemacht, beides wird gerne in eine Depression geschrieben. Vor allem gegenüber dem Neuen ist man traditionell misstrauisch, wittert eher Gefahren als Chancen. Wir verlieren in der WM, wir verlieren unsere Kinder, wir verlieren unsere Werte...willkommen in der Bundesrepublik Jammerland.

Aber am 22. März gab es für beide einen klaren Kantersieg. Für den Fußball und für das Spiel. Nichts Glorreiches, aber im Ergebnis ein deutlicher Befreiungsschlag: Das Spiel konnte sich auf der internationalen Konferenz "Clash of Realities " abseits greller Gewalthysterie als wichtiger Teil unserer Kultur, Sozialisation und Wissenschaft präsentieren. An der Fachhochschule Köln stellten Spiele-Forscher aus Deutschland, der Schweiz, Dänemark und den USA ihre Projekte und Thesen interessiertem Publikum vor.

Im Mittelpunkt des Tagungsprogramms standen Spielspaß, Online-Games, Geschlechterrollen, Mediengeschichte. Die grelle Welt der Unterhaltung traf auf die nüchterne Analyse der Akademiker - was mitunter bizarr wirken konnte: Als kurz vor der Eröffnung das grüne Licht von EA das Podium flutete und das komplett fehlplatzierte "Macarena" aus den Lautsprechern trällerte, blinzelte sich Prof. Dr. Winfred Kaminski (Medienforschung & Medienpädagogik; Köln) sichtlich unwohl Richtung Sprecherpult, bevor er spätestens mit dem Goethe-Zitat wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte und das Spiel als "Probierstein für das Gehirn" adelte.

Applaus. Der junge Spieler wurde in der Rede von Dr. Wolfgang Bergmann (Kinderpsychologie & Lerntherapie; Hannover)

Was sind eigentlich Spiele-Wissenschaften? 

Danny Kringiel promoviert derzeit bei Prof. Kaminski, war auch in Köln anwesend und im Januar 2005 Gast bei uns in der Spielkultur:

Kolumne: Duke Nukem im Hörsaal!

Gastbeitrag: Game Studies - eine Einführung

Bilderserie: Junge Spiele-Wissenschaft

Interview: Danny Kringiel gar mit Ikarus gleichgesetzt, dem man nur zur sicheren Landung verhelfen müsse, damit die Grandiosität eines World of WarCraft nicht dazu führt, dass man die eigene, unattraktive Realität ablehnt und sich am "primären Narzissmus" verbrennt. Das war der Blick der Großvätergeneration auf die Jugendkultur der Söhne und Enkel - wohlwollend, optimistisch, immer um einen Bezug zur klassischen Bildung bemüht. Vielleicht manchmal zu bemüht, aber in der Substanz endlich kreativer und in der Perspektive fruchtbarer als die dumpfe Frontal 21-Keule. Die Gespenster der Medienverwahrlosung, Verdoomung und Verrohung wurden von der reifen akademischen Sicht gebannt. Plötzlich stand das Spiel auf einem strahlenden Sockel. Fast wie Klinsmann beim Confederations Cup. Und das tat richtig gut.

Obwohl auch das Verhältnis von Gewaltspielen und Aggression ein Thema war, herrschte eine ausgelassene Atmosphäre. Es wurde diskutiert, aber nicht polemisiert. Schon bei den Keynotes gab es eine regelrechte Aufbruchstimmung, eine positive Sicht auf die kreativen Potenziale virtueller Welten. Sogar die Politik reihte sich ein: Der nordrhein-westfälische Generationen- und Integrationsminister Armin Laschett (CDU) feuerte eine aufgeklärte Breitseite auf die Polemiker der -eigenen- Killerspielfraktion: Man dürfe Computerspiele "nicht verdammen" oder "unter Generalverdacht stellen", der Koalitionsvertrag sei "reißerisch", setze "falsche Signale", bediene "alte Klischees" und man müsse die "Medienkompetenz der Eltern fördern". Auch der CDU-Beauftragte für Neue Medien, Thomas Jarzombek, reihte sich in die Phalanx der neuen Spielfreiheitskämpfer ein und nannte den Killerspiel-Passus des -eigenen- Koalitionsvertrags "Populismus", den einige Innenminister zu verantworten haben, die das Thema eigentlich nicht tangieren dürfe.

Sprachlich taten sich in den folgenden Vorträgen allerdings manchmal Gräben auf, in die man schmunzelnd purzelte: z.B. in der "empiristischen Enjoyment-Forschung". Dr. Klimmt (Kommunikationsforschung, Hannover) legte die ebenso harte wie für den Laien unverständliche Schablone aus Latein, Englisch und akademischer Wortneubildung an, um den Spielspaß zu finden und den Zuhörer zu verlieren. Was ist das eigentlich, Spielspaß, fragte er sich: Wie wäre es mit "Peak Enjoyment bei synergistischer Verquickung"? Oder mit einer "Effectance im Rahmen eigener kausaler Wirksamkeit", bei der ein "Erregungstransfer" stattfindet, der wiederum einen "Boost für das Selbstwertgefühl" auslöst? Die Gebrüder Grimm hätten das genau so wenig verstanden wie die meisten Zuhörer im Saal. Erst eine ältere Formel von Dolf Zillman schaffte da Abhilfe: Ungewissheit x Hoffnung = Spannung. Das sorgte wieder für Verständnis.

Damit hatte der gebürtige Norweger Prof. Dr. Aarseth (Professor Computer Games Research; Kopenhagen), der Pionier der Spiele-Forschung schlechthin, keine Probleme: Ihm ging es in seiner Rede um "Understanding Games in Virtual Environment". Und obwohl er auf Englisch dozierte, hatte er die Zuhörer mit Witz und skandinavischer Lockerheit schnell auf seiner Seite. Er zeigte auf, wie unsicher, wie vielfältig die neue Forschungsrichtung der Spiele-Wissenschaft noch in ihrer Ausrichtung ist und wie abstrus ein Spiel wie World of WarCraft für den Uneingeweihten aufgebaut ist. Er zeigte aber auch, wie tief das Online-Rollenspiel schon in der Kultur verwurzelt ist, denn es dient bereits als Plattform für zeitgenössische Parodien: Amish Paradise hieß das Musikvideo, das komplett in Blizzards Welt abgedreht wurde und in der Aula für Erheiterung sorgte.

Natürlich darf man nicht vergessen: Finanziert und über ein Jahr lang mitorganisiert wurde das Ganze von Electronic Arts (vgl. Interview mit Mitorganisator Martin Lorber). Der Publisher hat natürlich ein Interesse daran, dass das Spiel positiv wahrgenommen wird. Hinter "Clash of Realities" steht im Endeffekt aber auch ein kulturelles Engagement, das allen Teilnehmern der Branche hilft. EA verdient daher ein dickes Lob für diese Veranstaltung, zumal sie ein differenziertes Spektrum an Perspektiven zeigte und sich nicht im naiven Jubel verlor. Hier kamen alle Seiten zu Wort, auch die, die weniger optimistische Töne anschlugen:

Dr. Eva Maria Kabisch (Präsidentin der Stiftung Jugend und Bildung) monierte, dass es Bilder gäbe, die "einfach Müll sind" und befürchtete, dass so mancher Jugendliche zwischen zwölf und sechzehn Jahren nicht mehr "zwischen Realität und Fiktion" unterscheiden könne. Gekontert wurde das von Dr. Bergmann mit dem Hinweis, dass er das spätestens dann könne, wenn er aufs Klo müsse. Prof. Dr. Klaus Mathiak (Psychiatrie & Psychotherapie, Aachen) ging mit neurobilogischen Diagrammen, die er leider nicht verständlich genug erläuterte, der Frage nach, ob Computerspiele aggressiv machen. Er postulierte aufgrund von Gehirnuntersuchungen, dass während des Spielens eines Shooters die "kognitive Erregung steigt", während "die affektive Hemmung abgebaut" wird - sprich: Aggressivität hoch, Mitgefühl runter. Ähnlich Dr. Tilo Hartmann (Medienbeziehungen und -interaktionen, Los Angeles), der sich fragte, ob Gewaltspiele eine Gefahr sind: Wächst die Aggression? Angeblich gibt es drei Studien, die eine kurzfristige Wirkung belegen. Man könne einen Anstieg der Aggression von etwa 0,2 Punkten messen. Aber was verbirgt sich dahinter? Und welchen Wert hat ein Autofahrer im Stress? Das wäre ein interessanter Vergleich gewesen, der leider nicht gezogen wurde. Fest steht: Es gibt derzeit keine Studie, die eine längerfristig anhaltende aggressive Wirkung belegt.

Natürlich gab es auf der Konferenz auch Reibepunkte. Vor allem die jungen deutschen Spiele-Forscher waren nicht ganz glücklich mit der Auswahl der Referenten: Die "schlecht besetzte" Diskussionsrunde erinnerte einige an "Sabine Christiansen in schlecht". Außerdem hätte man den angeblich gesicherten Erkenntnissen der Wirkungsforschung, die Hartmann vortrug, auch ganz andere entgegen stellen können, die z.B. weitaus weniger sicher von einer belegten Aggressionssteigerung sprechen. Zum anderen hat man die Stars der jungen Forschungsrichtung vermisst: Internationale Ikonen wie den Ludologen Gonzalo Frasca oder Henry Jenkins vom MIT, deutsche Wissenschaftler wie Britta Neitzel oder den für einige Studenten "originellsten Forscher" Mathias Bopp . Der wissenschaftliche Gehalt der Konferenz war für einen angehenden M.A. oder Doktor daher eher dürftig.

Trotzdem wurde die Konferenz auch in akademischen und journalistischen Kreisen als Erfolg gewertet. Alle waren sich am Ende einig, dass "Clash of Realities" optimale Öffentlichkeitsarbeit für das Spiel geleistet und vielleicht einen weiteren Stein ins Rollen gebracht hat, der nicht nur der jungen Forschung hilft, sondern auch die Wahrnehmung des Spiels in den Medien reifen lässt. Politiker, Akademiker, Publisher und Spieler bildeten am Ende eine starke Viererkette, die offensiv nach vorne spielte. Kein Gejammer, kein Moralisieren, sondern inspirierende Diskussionen beherrschten Presse-Lounge und Pausenhof. Die WM und das von einigen Rednern prophezeite "neue Spielzeitalter" können kommen. Das Kulturgut Spiel ist hervorragend aufgestellt. Vielleicht sogar besser als Klinsmanns Elf.

       

 
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