Crysis Warhead19.09.2008, Paul Kautz
Crysis Warhead

Im Test:

Vor knapp einem Jahr sorgte Crytek, die die Shooter-Gemeinde bereits zuvor mit Far Cry nachhaltig aufgemischt haben, für ungläubige Blicke und spontane Hardwarekäufe: Crysis war nicht der beste Shooter der Welt, aber dennoch ein absolutes Glanzstück der Actionwelt, das uns glatt 87% wert war. Warhead geht nun einen halben Schritt weiter, erzählt es doch keine komplett neue Story, sondern dieselbe aus einer anderen Perspektive.

Ich weiß etwas, was du nicht weißt

Stell dir vor, du gehst ins Kino: Du kaufst dir Popcorn oder eine köstliche Portion Nachos, nimmst schön mittig Platz, um das Erlebnis in all seiner Pracht aufzusaugen. Keine nervenden Handy-Gören weit und breit, genug Platz zum Ausstrecken. Und dann beginnt der Film so: »...haben wir ihm gesagt, dass die Lieferung mehr kostet. Ja. Gut, wir sehen uns am Himalaya. Bring das

 

Psycho bleibt anonym: Die Story-Entwicklung ist banal, ohne Crysis-Vorkenntnisse bleiben enorm viele Fragezeichen.Beuteltier mit, die Knödel werden es brauchen!«

Verwirrt? Ach, hättet ihr mal den ersten Teil gesehen, dann würdet ihr jetzt nicht so kucken. Genau so wie ihr schauen werdet, wenn ihr Crysis Warhead (ab 11,99€ bei kaufen) spielen werdet, ohne den Vorgänger gespielt zu haben: Wer ist Psycho? Wieso trägt er einen Nanoanzug? Was ist ein Nanoanzug? Was haben wir gegen Koreaner? Wieso haben die Koreaner ein Alien-Artefakt? Wieso leuchten Aliens blau? Und wieso schweben sie? Wer ist Commander Lee? Und wieso ist die Insel schockgefrostet? Aber gut, die Story spielt bei Warhead eine ungefähr genauso große Rolle wie bei Crysis , außerdem ist Psycho, der seinem martialischen Namen zum Trotz etwa so durchgeknallt wie ein Steifftier ist, so farblos wie Eis. Quintessenz der ganzen Geschichte: Psycho muss verhindern, dass böse Koreaner ein außerirdisches Artefakt für sich nutzen können. Und dafür hat er fünf bis sechs Stunden Zeit, länger wird der durchschnittlich begabte Shooter-Spieler nämlich nicht für Warhead brauchen.

Schockgefrostete Postkartenmotive

Crysis war für drei Dinge berühmt: Die umwerfende Grafik, das einigermaßen freie Spielprinzip sowie den coolen Nanosuit, mit dem man das Game seiner bevorzugten Spielweise anpassen konnte. Zwei von dreien finden sich auch in Warhead, das übrigens selbständig lauffähig ist - eine Crysis-Installation wird also nicht benötigt.

Die Präsentation ist wie gewohnt über alle Zweifel und Hardwarekonfigurationen erhaben: Habt ihr genug Feuer unter der Haube, um eine Kleinstadt zu beleuchten, dann könnt ihr bei Warhead getrost die Detailstufe »Enthusiast« auswählen - und in der gibt es gegenwärtig

Die Grafik ist gewohnt brillant - erfordert aber wieder einen Mörder-Rechner für volle Faszination.
keinen Shooter, der in Sachen Detailverliebtheit, Effektgeprotze und schierer Unglaublichkeit mit dem Werk von Crytek mithalten könnte! Falls ihr eure Rente noch nicht in den aktuellen Rechner investiert haben solltet, bröckelt die Fassade ein wenig - nicht sehr, aber doch sichtbar: Selbst auf der zweiten von vier Detailstufen (»Mainstream«) ploppen Objekte und Detailtexturen in naher Distanz ins Bild, rollen sich Bodenelemente in wenigen Metern Abstand vor euch auf und sind Objektoberflächen aus nächster Nähe sehr matschig. Und selbst mit zwei Gigabyte sehr schnellem RAM bewegen sich die Ladezeiten nach wie vor mehr im Bereich der Minute als der Sekunden. Aber das Endresultat ist die Wartezeit auf jeden Fall wert, Crysis Warhead gibt wie kein anderer Shooter die technische Marschrichtung vor - sehr beeindruckend!

Das gilt auch wie gewohnt für den Nanoanzug: Dessen Funktionen werden nach wie vor dezent fummelig über ein Ring-Menü ausgewählt, das per gedrücktem Mausrad aktiviert wird. Damit könnt ihr jederzeit eure Kräfte oder die Panzerung verstärken, extra-schnell laufen oder kurzzeitig unsichtbar werden. Die geschickte Mischung dieser Funktionen erlaubt euch für euch für einen Ego-Shooter unerwartet viel Taktik, die allerdings erst auf den höheren beiden Schwierigkeitsstufen richtig zum Tragen kommt - anderweitig kommt ihr mit der Funktion »Maximale Panzerung« ohne größere Schwierigkeiten durch jedes Gefecht.      

Lustschreie im Dschungel

Präsentation und Klamotten also bewährt super - was ist mit der freien Welt? Die wurde für Warhead zugunsten einer stärkeren Fokussierung auf Action ziemlich zurückgekurbelt: Zwar gibt es hier keine Call of Duty -kompatiblen Levelschläuche, aber dennoch wird man von A nach  B und von da aus weiter bis Z bei der Hand genommen - hier führt nur ein Weg sinnvoll zum Ziel. Immerhin habt ihr wie gewohnt die Möglichkeit, neben den Hauptaufträgen auch die Augen nach Sekundärmissionen offen zu halten. Die liegen zwar auch grundsätzlich in Spuckweite, vermitteln aber ein

Schon nach kurzer Zeit wird die Umgebung schockgefrostet: Optisch beeindruckend, spierlerisch aber wenig relevant - in erster Linie werden dadurch die Gegner getauscht.
beruhigendes »Ich kann das machen, muss aber nicht«-Gefühl. Generell solltet ihr aber keine kreativen Meisterleistungen erwarten, das Missionsdesign ist solide: Strand aufräumen, abgestürzten Piloten retten, denselben mit Ballertruck zu sicherer Abholstelle geleiten, bösartigen Kommandanten ausfindig und mundtot machen.

In Sachen Neuerungen ist Crytek so konservativ wie beim Leveldesign: Es gibt zwei frische Waffen (Granatwerfer und doppelt tragbare Maschinenpistole), die sich zum bewährten Kontingent, bestehend aus Pistole, MG, Scharfschützengewehr, Raketenwerfer, Gausswerfer oder Minigun, gesellen. Außerdem könnt ihr neuerdings mit EMP-Granaten um euch werfen, welche die Nanoanzüge stärkerer Gegner, die sonst absurd viele Treffer vertragen, kurzzeitig außer Gefecht setzen. Aber Vorsicht: Die können das umgekehrt auch! Die Feinde sind ebenso vertraut wie die Vehikel (vom Jeep über den Panzer bis zum Hovercraft sind genug Fußschoner vertreten), wobei ein neuer, gut bewaffneter Truppentransporter seinen Weg auf das Eiland gefunden hat. Allerdings gibt es eine Neuerung, die mir sehr gut gefällt: Vom erledigten Gegnern fallen gelassene Munition muss jetzt nicht mehr fummelig gesucht und eingesackt werden - läuft Psycho drüber, wandert sie in seine Taschen, jedenfalls auf allen Schwierigkeitsgraden außer dem höchsten. Gelegentlich werdet ihr außerdem von KI-Kollegen begleitet, die tatkräftige Ballerhilfe beisteuern. Allerdings komplett selbständig, ihr könnt euren Kumpanen keine Anweisungen geben. Die deutsche Sprachausgabe ist übrigens sehr gut gelungen, allerdings gehen Psychos ständige Schmerzensschreie, die er schon beim kleinsten Kugelkontakt von sich gibt, ziemlich auf die Nerven. Davon abgesehen ist die Soundkulisse nach wie vor erstklassig.

Die DVD-Hülle des Spiels beinhaltet zwei Discs: Auf der einen befindet sich das Solo-Abenteuer, auf der anderen der separat zu installierende Mehrspielermodus »Crysis Wars«. Da zum Zeitpunkt unseres Tests aber noch keine Multiplayerserver verfügbar waren, reichen wir unseren Eindruck dieser Spielvariante in Kürze nach   

Fazit

Crysis Warhead ist all das, was Crysis war - nur kompakter: Die Grafik ist nach wie vor die beste, die man auf dem PC für Geld bekommen kann - für sehr viel Geld, wenn man die vollen Details genießen möchte. Die Action ist fetzig, herausfordernd und abwechslungsreich, die intelligenten Gegner sind nach wie vor die cleveren Streber der Shooterklasse. Wenn man also genau weiß, was einen erwartet (nämlich mehr Crysis), dann wird man keinesfalls enttäuscht. Das ist schon eher der Fall, wenn man eine interessante Story erwartet - oder gar Crysis noch gar nicht gespielt hat. Denn trotz aller nett inszenierten Zwischensequenzen hat Warhead etwa den Spannungsgehalt einer Bundestagsdebatte, Psycho bleibt als Held erschreckend belanglos. Darüber hinaus ist das Spiel nochmals linearer als es Crysis im Vergleich zu Far Cry war, was allerdings der Konzentration auf rabiate Balleraction zugute kommt. Und die liefert Warhead zuverlässig wie ein Schweizer MG-Werk.

Pro

brillante Präsentation
gute deutsche Sprachausgabe
fetzige Balleraction
einfache Vehikel-Steuerung
taktische Nutzung der Anzug-Spezialkräfte
clevere Gegner
druckvolle Soundkulisse

Kontra

horrende Hardwareanforderungen
Abwechslungsarmut in der zweiten Spielhälfte
belanglose Story
schwankfreudiger Schwierigkeitsgrad

Wertung

PC

Konsequente Fortsetzung von Crysis - technisch wie gewohnt auf höchstem Niveau, spielerisch konservativ.

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