Carrier Command: Gaea Mission12.10.2012, Benjamin Schmädig
Carrier Command: Gaea Mission

Im Test:

Es ist ein erhabenes Gefühl, wenn ich vom Kommandoposten zu meinen Truppen zoome. In Carrier Command bin ich ja mittendrin, wenn ein kleiner Trupp meinen Befehlen nachkommt – viel mehr als das StarCraft'sche Von-oben-herab erweckt die physische Nähe den Eindruck, reale Einheiten zu kommandieren. Wenn ich nur nicht Austin Powers beim Rangieren zusehen müsste...

"Danke, ich verzichte!"

Ich hatte Glück. Ich musste Carrier Command (CC) ja spielen – für den Test. Nur deshalb hat das Spiel die erste Stunde überlebt. Hätte ich für die unsägliche Frechheit eines Einstiegs Geld bezahlt, hätte ich die DVD vermutlich wutentbrannt in einen Umschlag gepackt und ohne Absender an Bohemia zurückgesandt: "Mit bestem Dank zurück – ich verzichte!" Ein Auszug meiner Notizen:

- bleibt in Umgebung hängen

- zeigt Wegpunkt nicht an

- Movement scheiße

- Mauslag

- nettes Sonnenlicht

- hanebüchene Inszenierung, langsam und albern

- öde Levels

- Steine und Figuren schweben

Es ist mir ein Rätsel, wie die Entwickler auf die Idee kamen, ihr reinrassiges Strategiespiel

In einigen Momenten wirkt Carrier Command richtig stark: Das große Trägerschiff und die stimmungsvolle Kulisse erzeugen eindrucksvolle Bilder.
In einigen Momenten wirkt Carrier Command richtig stark: Das große Trägerschiff und die stimmungsvolle Kulisse erzeugen eindrucksvolle Bilder.
in den ersten Minuten als unterirdischen Ego-Shooter zu verkaufen. Immerhin: Weil die unsägliche erste Stunde irgendwann der Strategie Platz macht, werde ich es bei den Stichpunkten belassen.

Erzählquark

Aus der viel zu zähen und schlecht erzählten Kampagne bin ich irgendwann ausgestiegen – viel mehr als einen in die Länge gezogenen Aperitif zu albernem Erzählquark erlebt man dort nicht. Tatsächlich habe ich mich gefühlt mehr über Fehler wie schwammig formulierte Missionsziele und ausweglose Sackgassen geärgert als über das Spiel zu lernen. Das Herz ist jedenfalls der freie Strategiemodus, in den ich mich also auf die harte Tour eingefuchst habe. "Sie haben das Tutorial der Kampagne noch nicht abgeschlossen. Es wird empfohlen, das Tutorial zu beenden, bevor ein Strategiespiel begonnen wird."

Ne, danke!

Mehr als Pixelschieben

Auf einem riesigen Ozean mit Dutzenden vom Zufall verteilten Inseln kämpfe ich für die UEC gegen eine Armee der APA. UEC, APA? Egal, einfach spielen. Das Kampfgebiet erinnert am ehesten an Sins of a Solar Empire, wobei Position und Besonderheiten aller Inseln von Beginn an bekannt sind. Es gibt Inseln, auf denen Rohstoffe gefördert werden,

Gab's das nicht schon mal?

Carrier Command: Gaea Mission (ab 7,00€ bei kaufen) ist die Neuauflage des Klassikers Carrier Command, der 1988 auf 8 Bit und 16 Bit-Plattformen veröffentlicht wurde.

Auch das Original verknüpfte das strategische Element mit dem aktiven Kampf: Schon damals starteten vier Boden- und vier Lufteinheiten ins Gefecht um zahlreiche Inseln. auf denen Ausrüstung produziert wird und auf denen sich starke Verteidigungsanlagen befinden. Je nach Voreinstellung besetzt meine UEC zunächst nur drei Inseln oder fast die gesamte Karte – das Ziel ist die Einnahme aller Inseln, das Zerstören des feindlichen Trägerschiffs oder beides.

Mein eigenes Trägerschiff ist das Zentrum aller meiner Operationen, denn ich befehlige nur die darin stationierten acht Einheiten: vier Panzerfahrzeuge und vier Flieger, die ich beliebig mit Waffen, Rüstung und zusätzlicher Ausrüstung ausstatten darf. Nur mit einem Hack-Computer kann ich etwa feindliche Gebäude einnehmen, um das Kommandozentrum einer feindlichen Insel zu übernehmen. Ist dieser Computer installiert, passt allerdings keine schwere Panzerung auf das Vehikel, also sollte ich Begleiteinheiten zu seiner Verteidigung abstellen.

Mit diese Art der überschaubaren Taktik hebt sich CC vom herkömmlichen Pixelverschieben ab. Ich muss außerdem die Reparaturen am Trägerschiff koordinieren und Nachschub produzieren. Der wird auf einer fernen Insel hergestellt und muss per Barkasse erst an die Front geschifft werden. Beides kostet viel Zeit, so dass ich immer

Unüberwindbare Hindernisse: Schon kleine Steine werfen die Fahrzeuge buchstäblich aus der Bahn.
Unüberwindbare Hindernisse: Schon kleine Steine werfen die Fahrzeuge buchstäblich aus der Bahn.
strategisch vorausplane. Kurzfristige Notlösungen sind immer nur genau das, verlassen kann ich mich darauf nicht. Das Konzept ist klasse und Erfolge umso befriedigender, wenn ich meinem Team zusehe, wie es eine Insel einnimmt...

Filmreif!

...wäre da nicht die katastrophale Wegfindung meiner Fahrzeuge.

Kennt ihr Austin Powers? Den ersten? Austin rangiert mit einem Transportwägelchen in einem engen Gang so vor und zurück, dass er in jede Richtung nur jeweils zehn Zentimeter schafft. Famose Szene! Die allerdings spontan jeden Reiz verliert, wenn man dabei zusieht, wie das computergesteuerte Fahrzeug genau so vor- und zurücksetzt. Auf offener Fläche! Obwohl es nur geradeaus fahren müsste!!

Winzige Hindernisse werfen die Vehikel völlig aus der Bahn. In Kolonne können sie ebenfalls nicht fahren, weil sie sich dann gegenseitig behindern. Gerne bleiben sie auch unter Beschuss am Fleck stehen oder stellen sich fast hochkant an einen Berghang. Wieso
Die fliegenden "Mantas" sind beweglich und fliegen fehlerfrei. Dafür reagieren sie nur behäbig auf Steuereingaben.
Die fliegenden "Mantas" sind beweglich und fliegen fehlerfrei. Dafür reagieren sie nur behäbig auf Steuereingaben.
auch nicht? Ich habe erlebt, wie ein Vehikel auf dem offenem Meer minutenlang gegen das Trägerschiff gefahren ist – so etwas ist die Regel! Abgesehen davon rasen schnellere Fahrzeuge selbst dann voraus, wenn man sie als Teil einer Gruppe auf den Weg schickt. Das führt taktische Überlegungen ratzfatz ad absurdum.

So nah und doch so fern

Nun könnte ich jederzeit die Steuerung einer der acht Einheiten übernehmen. Allerdings reagieren vor allem die Flieger so träge auf meine Eingaben, dass ich ungern darauf zurückgreife. Spätestens, wenn ich ein Fahrzeug an den Greifhaken koppeln will, wird die Steuerung zum Geduldsspiel. Die Schusswechsel geben sich zudem ausgesprochen bieder und die ständige Überwachung aller Einheiten ist so wichtig, dass ich mich lieber aufs Taktieren konzentrieren würde – ein Genuss, den mir meine Austin Powers-Klone natürlich gründlich vermiesen.

Und selbst dann habe ich alle vier Hände voll zu tun. Die Bedienung der taktischen Oberfläche ist nämlich unnötig überladenen und versteckt stellenweise selbst wichtige Aktionen. Anstatt etwa mit einem oder zwei Knopfdrücken nahe Einheiten um

Die größte Stärke des Spiels: Das strategische Gefecht vermittelt ein Gefühl geografischer Weite.
Die größte Stärke des Spiels: Das strategische Gefecht vermittelt ein Gefühl geografischer Weite.
Unterstützung zu bitten, wechsle ich zunächst auf die Weltkarte, suche die Ziffern der nächsten Truppen, wähle die gewünschten aus und ziehe den Cursor dann auf die zu schützende Einheit. So richtig gelingt es dem Spiel nie, das Fernlenken der klassischen Echtzeitstrategie mit der intuitiven Action zu verbinden.

Auf Dauer fehlt mir zudem ein wenig Vielfalt. Mit gerade mal zwei Einheitentypen gegen dieselben Einheiten auf der anderen Seite zu kämpfen, verliert irgendwann seinen Reiz. Und obwohl ich der Letzte bin, der nach dem Onlinespiel lechzt, hätten gerade CC Mehrspieler-Scharmützel richtig gut gestanden! Das Fehlen ist symptomatisch: Die Umsetzung wird den Ambitionen der umfassenden Inseleroberung einfach nicht gerecht.

Fazit

Das Gemeine ist: Selbst jetzt will ich CC wirklich mögen! Die Inseleroberung mit der langfristigen Planung von Produktionsabläufen verleiht dem Spiel eine glaubwürdige Größe, im Nahkampf manipuliere ich Gefechte aus nächster Nähe – die Kombination ist über weite Strecken auch spielerisch reizvoll. Mir fehlen allerdings taktische Feinheiten wie Gruppenbildung und wenn ich ein Vehikel per Hand führe, kann mich die spröde Action mit ihrer schwammigen Steuerung einfach nicht begeistern. Nicht zuletzt ist das unüberschaubare Tutorial der drögen, schlecht erzählten Kampagne die denkbar schlechteste Einführung in die umständliche Gebietseroberung. Was dem Spiel jedoch den Boden unter den Füßen wegreißt, ist die katastrophale Wegfindung meiner Bodentruppen. Ein paar Minuten lang ist es ja unheimlich witzig, dem Austin Powers-Simulator mit einer Tüte Popcorn zuzugrölen. Spielen will ich mit diesen unfähigen Computerfahrern allerdings nie wieder!

Pro

Verbindung globaler Strategie und actionreicher Taktik
langer, offener Feldzug auf großer Zufallskarte
stimmungsvolle Lichtverhältnisse und verschiedene Wetterbedingungen

Kontra

hervorragende Wegnichtfindung
müde Action, ungenaue Steuerung
unhandliche Bedienung der taktischen und strategischen Elemente
wenige taktische Möglichkeiten
dröge, schlecht erzählte Kampagne
keine Mehrspielermöglichkeiten
katastrophaler Einstieg in die Kampagne

Wertung

360

Globale Strategie und actionreiche Taktik? Gute Idee! Eine katastrophale KI macht allerdings viel kaputt.

PC

Globale Strategie und actionreiche Taktik? Gute Idee! Eine katastrophale KI macht allerdings viel kaputt.

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