ANNO 140425.06.2009, Marcel Kleffmann
ANNO 1404

Im Test:

"Anno bleibt Anno!" Das hat Ubisoft bei der Übernahme der traditionsreichen Reihe von Sunflowers versprochen. Und obwohl die Siedler-Macher von Blue Byte ebenfalls ihre Hände im Spiel haben, spielt sich auch dieser mittelalterliche Aufbau  durch und durch klassisch. Inwiefern sich 1404 vom Vorgänger abhebt, ob der Orient eine echte Bereicherung darstellt und wie es mit der Komplexität im fortgeschrittenen Siedlungsbau aussieht - all das klärt der Test. Leinen los!

Erschaffung einer neuen Welt...

Video: Größer, schöner, besser und mit dem Orient! Delfine und Orcas begleiten mein Flaggschiff auf seinem Weg in Richtung Neuland. Mit steifer Brise in den Segeln zerschneidet es die malerisch glänzenden Ozeanwellen, auf denen die Sonnenstrahlen in wunderschönen Farben reflektiert werden. Am Horizont taucht endlich eine Insel auf: Die dicht stehenden Bäume rauschen im Wind, ein Fluss plätschert durch das mit reichlich Pflanzen dekorierte Flachland und allerlei Getier springt bzw. fliegt umher. Fast würde ich hier anhalten und ein Schild mit der Aufschrift "Garten Eden" aufstellen wollen, doch eine weitere Insel mit gemäßigtem Klima ist nicht mein Ziel.

Nein! Ich bin auf der Suche nach einem Eiland mit weitaus sonnigerem Flair und setze Kurs weiter in Richtung Süden. Irgendwann trifft mein Schiff auf die erste Insel mit sandigem Untergrund. Bingo! Hier muss ich hin, da meine Bürger aus der Heimat nach Gewürzen verlangen und diese gedeihen nur in heißerem Klima. Bevor ich das Kontor aufbaue, werfe ich einen Blick auf die anderen vorhandenen Rohstoffe: Seide und Quarz. Passt! Und schon gehört die Insel mir.

Der Orient

Allerdings kann ich die benötigten Gewürzplantagen noch nicht errichten. Es fehlt an Zugriffsrechten für das Gebäude und erst wenn ich 145 Nomaden in einem orientalischen Dorf ansiedele, darf ich für pikantere Nahrung sorgen. Nichts leichter als das, denn eine Nomadensiedlung verhält sich prinzipiell genauso wie eine Stadt aus dem Okzident: Der Basar dient als Marktplatz und danach muss ich mich um Datteln als Nahrungsmittel 

Das Stadtdesign des Orients ist genauso liebevoll wie das des Okzidents: Es gibt viele hübsche Details/Animationen in der Nahansicht zu entdecken und viel geschäftiges Wuseln zu betrachten. In der Kampagne erweist sich der Orient trotz Kulturunterschied als freundlicher und friedlicher Handelspartner.
kümmern, sonst ziehen die Nomaden wieder aus und es gibt weder Steuereinnahmen noch Zugriff auf weitere Gebäude. Doch Datteln und Gewürze gedeihen nicht im Wüstensand. Solche Plantagen müssen entweder in scharf begrenzten Dschungelarealen errichtet werden oder die Wasserpumpe "Noria" löst das Problem: Das technische Wunderwerk begrünt ein kreisrundes Areal und kurzum errichte ich zwei Dattel- sowie Gewürzplantagen. Nur irgendwie ist nicht genügend Baumaterial vorhanden, weswegen mein Schiff zurückfahren darf, um Nachschub zu holen...

Die Zeit vergeht und meine Bürger im Okzident werden fleißig mit Gewürzen durch eine automatische Handelsroute beliefert. Somit habe ich all ihre Wünsche erfüllt und als Belohnung ziehen erste Patrizier ein, die mehr Steuern zahlen, neue Gebäudeoptionen freischalten, aber zugleich einen ganzen Haufen neuer Bedürfnisse haben. So fordern sie beispielsweise eine große Kirche anstatt einer kleinen Kapelle. Für dieses Großprojekt ist eine nicht unerhebliche Ladung an Glas erforderlich und dafür brauche ich eine Glasschmelze, die wiederum mit Pottasche aus einer Waldglashütte und Quarz versorgt werden will. Wobei Quarz nur durch Bergbau im Orient gescheffelt wird und zum Glück befindet sich ein Vorkommen auf meiner Südinsel.     

Quarz für beide?

Errichten darf ich eine Quarzmine bislang nicht, weil mein Ruf als "Besucher des Orients" zu niedrig ist, um die Baupläne für dieses orientalische Bauwerk zu erhalten. Ich muss mir zusätzliche Reputation verschaffen, indem ich Ruhmpunkte, die ich für Errungenschaften oder abgeschlossene Mini-Aufgaben erhalten habe, in Schenkungsurkunden zur Rufsteigerung investiere. Mit diesen bei Lord Richard Northburgh ("Vaterfigur" in der Annowelt) erworbenen Urkunden im Gepäck, schicke ich mein Schiff zum Großwesir, der sie freudestrahlend entgegen nimmt, meinen Status auf "Verbündeter des Scheichs" anhebt und mir Zugriff auf die Quarzmine erteilt. Gesagt, gebaut und natürlich muss der Quarz regelmäßig zur Hauptinsel zur Weiterverarbeitung.

Nicht nur der Okzident braucht Quarz, auch die "Nomaden" benötigen diesen Rohstoff zur Produktion von Mosaik (mit Ton), um zu "Gesandten" der höchsten orientalischen Stufe aufsteigen zu können. Früher oder später ist also eine zweite Quarzmine erforderlich und wenn die ganzen anderen Patrizier-Bedürfnisse nach Bier, Brot und Co. erfüllt werden sollen, müssen mindestens zwei weitere Inseln mit genügend Bauplatz her...

Alles dreht sich um Bedürfnisse

Die Bedürfniskategorie "Nahrung" ist für Adelige so gestaffelt, dass sie mit Fisch, Gewürzen, Brot und Fleisch versorgt werden müssen. Im Augenblick schwächelt die Versorgung mit Brot.
 Spieler mit Anno-Erfahrung erkennen sicher das Bedürfnissystem als "das Herz von Anno" wieder - und wie gewohnt sind die steigenden Ansprüche der Okzident-Bevölkerung der Hauptgrund zur Expansion sowie für die Herstellung möglichst vieler Waren. Insgesamt gibt es vier Zivilisationsstufen (plus Bettler) in unseren Gefilden und zwei weitere für die orientalische Bevölkerung. Zunächst beginnt es mit Bauern, die nach Gemeinschaft (Nähe zum Dorfplatz), Apfelmost, Fischen und "Glauben" (Kapelle) verlangen. Sind diese Wünsche erfüllt, steigen sie zu Bürgern auf, die weitere Bedürfnisse haben, danach folgen Patrizier und Adelige.

Ein Wohnhaus kann dann einen Stufenaufstieg durchführen, wenn alle Bedürfnisse (stufenerhaltende und aufstiegsrelevante) die Mindestaufstiegsquote erfüllen, eine ausreichend hohe Zufriedenheit herrscht und ihm automatisch oder manuell Aufstiegsrechte verliehen wurden; schließlich kostet der Aufstieg wertvolle Rohstoffe. Während die zu erfüllenden Bedürfnisse bei Bürgern schon Mini-Produktionsketten für Leinenkutten (Hanfplantage plus Webstufe) erfordern, sind Patrizier deutlich aufwändiger zufrieden zu stellen. Neben den Leinenkutten, deren Produktion ihr weiter aufrecht erhalten solltet, müssen Lederwämser her (Gerberei am Flusslauf stellt mit Salz und Tierhäuten Lederwämser her; Sole aus einer Mine und Kohle ergeben Salz und Tierfelle stellt eine Schweinefarm her). Die Adeligen freuen sich über Pelze, Wein, Kerzenleuchter oder Brillen...

Download: Deutsche Demo (1,65 GB)
Anders als in Anno 1701 gibt es acht große Bedürfniskategorien, die bis zu den Adeligen immer komplexer werden: Vier Waren- (Nahrung, Getränke, Kleidung, Besitz) sowie vier Gebäudebedürfnisse (Gemeinschaft, Glauben, Vergnügen, Sicherheit). Insgesamt gibt es 64 Waren, davon 34 Zwischen- und 30 Endwaren. Letztere unterteilen sich in 21 Bedürfnis-, vier militärische und fünf Baumaterialen, was nahezu doppelt so viele Waren wie in Anno 1701 sind. Trotz der gestiegenen Komplexität sind die ersten beiden Stufen einfach zu handhaben und erst im Anschluss wird es vielschichtiger den Bedürfniskategorien nachzukommen. So wollen Adelige neben Fisch, Gewürze und Brot auch mit Fleisch versorgt werden. Man muss also immer komplizierter werdende Produktionsketten aufbauen, in profitabler Weise betreiben und in angemessener Menge vertreiben, ohne dabei die Auslastung der Betriebe zu vernachlässigen, was ohne ein gewisses Maß an strategischem/wirtschaftlichem Planungsgeschick nicht funktionieren wird.

Direktes Feedback inwieweit das Bedürfnis erfüllt ist, bekommt man durch ein sehr übersichtliches Kreisdiagramm nach einem Klick auf ein Wohnhaus. Es zeigt auf einen Blick an, wie es um den Erfüllungsgrad der Kategorien bestellt ist und woran es hapert. Darüber hinaus erfordert die Zufriedenstellung der Gebäudebedürfnisse ein cleveres Baukonzept der Siedlung, da man schlecht den halben Stadtkern einreißen kann, nur damit der Einflussbereich der neuen Kirche möglichst ideal verteilt ist. Alles in allem ist das neue Bedürfnissystem eine ganz tolle und rundum gelungene Erweiterung, die den Anfang leicht macht und zunehmend an Tiefe gewinnt.

Gerade im fortgeschrittenen Spielverlauf wartet die ein oder andere Überraschung, da die Adeligen bei wachsender Stadtgröße immer weitere Bedürfnisse nach luxuriösen Metropolenwaren (z.B. Duftwasser oder Brokatgewänder) bekommen, um die ihr euch kümmern solltet, sonst stagniert der Zuwachs des

Auf der Übersichtskarte werden Handelsrouten verwaltet. Das Schiff "Mercury" zum Beispiel holt Gewürze, Indigo und Quarz für die Hauptsiedlung "Goldfurt" ab und liefert nebenbei noch Teppiche für den Orient.
Stadtadels. Schließlich sind zufriedene Bewohner die besseren Steuerzahler und irgendwie müssen ja die teuren Unhaltskosten gedeckt werden, damit die Bilanz positiv bleibt.

Bettler und Aufstiegsrechte

Zudem fällt auf, dass im Gegensatz zu den Vorgängern nicht alle Einwohner einer Insel zu einem Stand gehören können. Nur aus Adeligen bestehende Siedlungen sind undenkbar, einige prozentuale Anteile verbleiben immer in den "niedrigern Schichten", was für ein harmonischeres Gesamtbild sorgt. Aber es gibt eine Möglichkeit, die Anzahl der Aufstiegsrechte zu erweitern - und zwar durch die Aufnahme von Bettlern, die auf den Straßen herumziehen oder im Armenhaus leben und als versteckte Zwischenzivilisationsstufe fungieren. Anders als bei den übrigen Stufen werden sie durch den Stadtausbau "automatisch angelockt". Je größer eine Stadt ist, desto mehr Bettler wollen in ihre schützenden Mauern. Weist man sie ab, kann es passieren, dass sie als Gesetzlose zurückkehren, um sich mit Gewalt zu nehmen, was ihnen einst verweigert wurde. Die räuberischen Banden besetzen Inseln und legen Betriebe lahm. Man hat dann verschiedene Möglichkeiten mit den Störenfrieden umzugehen: Abwarten, Lösegeld zahlen, sie doch in die Siedlung aufnehmen oder mit militärischen Mitteln zurückschlagen.

Große Neuerung: Der Orient?

Der Orient fungiert als Erweiterung der Südklimazonen aus Anno 1701 und ist eine Art "Spiel im Spiel": Eine orientalische Siedlung hat eigene Einwohner mit Bedürfnissen, u.a. Nahrung (Datteln), Getränke wie Ziegenmilch

Eine orientalische Siedlung mit begrünter Fläche.
und Besitzwaren (Teppiche). Da viele Gebäude erst ab einem gewissen Einwohnerwert mit Nomaden bzw. Gesandten freigeschaltet werden, entsteht zugleich eine autarke Orient-Struktur, über die man Waren für den Okzident produziert. Allerdings hätte  der Handel ruhig mehr in beide Richtungen gehen können, denn so ist der Okzident zwar vom Orient abhängig, aber bis auf die Baumaterialen nicht ungekehrt.

Urkunden und Items

Nicht alle Gebäude werden durch bloße Einwohnerzahlen freigegeben. Zusätzlich gibt es ein Rufsystem, da der Sultan es anfangs nicht erlaubt, dass ihr fortgeschrittene orientalische Technologien verwendet. Man muss sich als würdig erweisen! Dazu behelligt man Lord Richard Northburgh, der auf fast jeder Karte als Auftragsteller und Helfer in der Not (falls mal Werkzeug oder Gold fehlt) vorhanden ist und erwirbt eine Urkunde gegen Ruhmpunkte, die das Ansehen beim Orient verbessert. Die neuen und dafür notwendigen Ruhmpunkte erlangt man durch das Erfüllen von Aufgaben bzw. Quests (Eskorte für ein Schiff, Ware X und Y in einer bestimmtem Zeit beschaffen und ausliefern, Schiffe retten, etc.) oder wenn man Meilensteine beim Siedlungsbau erreicht (Aufstieg auf die nächste Zivilisationsstufe oder Erreichen einer hohen Einwohnerzahl). Manche Gebäude wie das "Ritterturnier" ermöglichen außerdem die Ruhm-Generierung mit Abklingzeit.

Die für Ruhmpunkte erworbene Urkunde bringt man per Schiff zum Großwesir des Kalifen, der sich genau wie Lord Richard Northburgh auf fast jeder Karte befindet. Neben den Reputationsurkunden lassen sich Gegenstände (Items) bei 

Da es zwischen Schiffen keine Kollisionen gibt, fährt mein kleines Kriegsschiff praktischerweise durch den angreifenden Korsaren ohne dabei Schaden zu bekommen.
den beiden Haupt-NPCs erstehen, die zum Beispiel ein Schiff schneller segeln lassen, jedenfalls sofern man das Item auf einem Schiff lässt. Auch Saatgut kann man kaufen, das eine neue Fruchtbarkeit auf einer Insel erschafft (zum Beispiel für Seide, Indigo oder Getreide) und mit anderen Items lassen sich Produktionsprozesse beschleunigen. Dazu müssen die Gegenstände im "Sockelplatz" des Kontors platziert werden.

Das Kampfsystem

Gelegentlich kommt es im sonst so friedlichen Annoland zu Konflikten. Dies passiert entweder mit den bitterbösen Korsaren (Piraten), die marodierend harmlose Handelsrouten angreifen, solange ihr keinen Pakt für viel Gold abschließen wollt. Andererseits schlummert das Konfrontationspotenzial in den individuellen Persönlichkeiten der KI-Mitspieler.

 Ein Kampf auf hoher See läuft sehr stringent und ohne Schnörkel ab: Die Schiffe beschießen sich in Echtzeit mit der Breitseite und die Schiffe/Flotte mit der stärksten Feuerkraft (verbessert durch Items) gehen siegreich aus der Schlacht hervor. Gegen große Flotten (begrenzt durch Einwohnerzahl) helfen auch keine Verteidigungstürme in Hafennähe. Schade ist nur, dass die Schiffe Probleme bei der Kollisionsabfrage haben und gelegentlich durch- oder übereinander fahren.

Stärker verändert wurde das Landkampfsystem, das wieder mehr passive als aktive Kämpfe ermöglicht: Der Kampf findet nur zwischen Gebäuden statt und die Anzahl sowie die clevere Platzierung ist ausschlaggebend für den Sieg. Feldlager sowie Trebuchet-Stellungen werden im Bergfried ausgehoben und können danach auf der Karte platziert werden. Diese Lager lassen sich im Nachhinein verlagern, inklusive Reise- und Aufbauzeit. Jedes Militärgebäude hat einen gewissen Einflussbereich, in dem es auf Angreifer und feindliche Gebäude reagiert - zusätzlich könnt ihr etwaige Angriffs- oder Verteidigungsbefehle geben, wenn zum Beispiel ein benachbartes Lager

Friede, Freude, Eierkuchen im Diplomatiefenster; außer mit dem Korsaren.
einem anderen im Einflussbereich beistehen soll.

Schickt man solch ein Feldlager in Richtung Wasser, verwandelt es sich in ein Transportschiff. So ist es möglich mit Truppen auf anderen Inseln zu landen und diese Schritt für Schritt zu erobern. Handelsgebäude werden übrigens automatisch übernommen, sofern sie sich nicht im Militärbereich des Angegriffenen befinden. Dieses Kampfsystem ist annotypisch seicht und lässt einige taktische Features wie z.B. Erfahrung oder aktive Steuerung vermissen. Doch in erster Linie ist Anno eine friedliche Aufbau-/Wirtschaftssimulation - und daran ändert das Kampfsystem nichts, obwohl man dicke Festungsmauern mit Toren, Burgfried und Co. hochziehen kann. Ähnlich rudimentär zeigt sich die Diplomatie: Neben Verträgen zum Frieden, Handel oder Bündnis kann man den Krieg erklären, sich gegen Ruhm bei den KI-Mitspielern einschmeicheln oder sie provozieren und Tribut fordern/entrichten. Das war's.

Kampagne und Szenarien

Weitere Fakten:

- 1.400 Aufträge

- 120 Insel-Vorlagen

- sechs Szenarien neben der Kampagne

- 200 Gebäude, von denen 130 selbst gebaut werden können (davon 64 Produktionsgebäude)

- Die Städte beherbergen 80% mehr Einwohner als die größten Städte in ANNO 1701.

- neun Schiffsarten

- 20 Medaillen, über 100 Erfolge und 25 Errungenschaften

- mehr als 300 Items Im Gegensatz zu Anno 1701 gibt es diesmal eine Story-Kampagne, die ich dank äußerst hilfreicher Zeitbeschleunigungsfunktion und aus der Beta größtenteils bekanntem Missionsablauf in knapp fünfzehn Stunden absolviert habe.  Die Hintergrundgeschichte dreht sich dabei um eine mysteriöse Krankheit des Kaisers und nachdem man von Lord Richard Northburgh ein Lehen "als Tutorial" erhalten hat, drängt sich ein gewisser Guy Forcas in den Vordergrund, der einen Kreuzzug im Auftrag von Kardinal Lucius gegen den Orient anführt. Dazu muss man in den ersten Missionen einen ganzen Haufen an Haupt- und Nebenaufgaben (meist Warenbeschaffungen) erledigen, bevor der Kreuzzug losschlägt, Lord Richard Northburgh entführt wird und ein Krieg mit dem Orient droht - obgleich es nicht so klingt: der Großteil der Kampagne ist friedlicher Natur. Doch der Verlauf der Geschichte, die in schönen, dezent animierten Artworks mit tollem Sprecher und mit Kameraflügen in Ingame-Zwischensequenzen erzählt wird, ist von Anfang an vorhersehbar, da die Gestaltung der Figuren so angelegt ist, dass man schnell weiß, wer der Bösewicht ist. Spielerische oder diplomatische Möglichkeiten, den Storyablauf irgendwie zu verändern, gibt es nicht.

Trotzdem ist die Geschichte für ein Aufbauspiel gelungen, interessant präsentiert und insbesondere die letzten Missionen können sich sehen lassen, vor allem weil der Schwierigkeitsgrad durch Zeitlimits (z.B. bei der Errichtung eines gewaltigen Doms) überraschend anzieht. Gleichermaßen sind reichhaltig Missionen/Quests vorhanden, die gut beschrieben sind und bei Bedarf wird auch das Ziel auf der Karte angezeigt: Oft muss man  bestimmte Waren in einer vorgegebenen Menge produzieren und irgendwo hinbringen, Spione in Siedlungen ausfindig machen (Personen sind farblich hervorgehoben und müssen angeklickt werden), Kontakt mit anderen NPCs aufnehmen, eine zerstörte Siedlung wiederaufbauen oder Schiffbrüchige retten. Allerdings haben sich die Entwickler in den ersten drei Einsätzen einen kleinen Design-Fauxpas geleistet: Und zwar spielen diese Missionen auf der gleichen (später um einige Inseln erweiterten) Karte, nur wird beim Abschluss die errichtete Siedlung nicht übernommen, sondern durch eine Standard-Siedlung ersetzt. Das hätte cleverer gelöst werden können! Diesen demotivierenden Zwangsneubau gibt es zum Glück nur in den ersten drei Missionen. 

Der Computergegner scheint einen Angriff zu erwarten und versteckt sich hinter hohen Mauern.

Endlosspiel

Abseits der Kampagne, die erst in den letzten drei Missionen anzieht und fordernd wird, gibt es sechs Szenarien - jeweils zwei pro Schwierigkeitsgrad. Große Bauprojekte, Vermögens- und Weltherrschafts-Ambitionen müssen dort mit entsprechenden Bedingungen realisiert werden.

Sein wahres Potenzial entfaltet Anno - wie immer - im Endlosmodus und damit man sein Spiel nach bestem Wissen und Gewissen einrichten kann, gibt es fünf Bildschirmdialoge voll mit Optionen: Startressourcen, Ruhm, Items, Inselfruchtbarkeit oder Rohstoffhäufigkeit kann man individuell festlegen, Gegenspieler auswählen, Korsaren an/ausschalten, Katastrophen (Feuer, Wirbelsturm, Pest) aktivieren und allerlei Siegbedingungen wählen. Als durchaus würdige Gegner beweisen sich die KI-Gegenspieler allemal, egal ob als Gegenspieler oder Bündnispartner.

Blöd nur, dass es bei der ganzen Optionsplatte im Endlosspiel keinen Mehrspieler-Modus gibt, der sich annotypisch über mehrere Stunden hinziehen würde. Dafür können Spielstände und Screenshots in "Web 2.0-Funktionialität" anderen Anno-Spielern zur Verfügung gestellt werden. Trotzdem schade: Ein echter Multiplayer-Modus wäre die Krönung gewesen.

Fazit

Nein, Anno 1404 ist kein Grafikblender! Hinter der wunderschönen Kulisse verbirgt sich eine deutlich anspruchsvollere Aufbau- und Wirtschaftssimulation als noch im Vorgänger. Die grundlegende Renovierung des zentralen Spielelements, des Bedürfnissystems, sorgt für zwei positive Effekte: Der Einstieg ist leicht erlernbar und überschaubar gehalten, aber ab der dritten Zivilisationsstufe wird gehörig an Komplexität nachgelegt. Sogar bei den Adeligen wird es anspruchsvoller, so dass der lahme fortgeschrittene Spielablauf aus Anno 1701 gar nicht erst aufkommt - allein, weil es nahezu doppelt so viele Waren gibt! Auch die Einführung des Orients in den südlichen Klimazonen ist gut gelungen, obwohl es prinzipiell nur ein "Spiel im Spiel" mit weiteren Bedürfnissen sowie anfänglich eingeschränkten Gebäuden ist. Motivierender wäre es gewesen, wenn der Handel mehr in beide Richtungen ablaufen könnte. So ist der Okzident zwar vom Orient abhängig, aber nicht ungekehrt. Ausbaufähig zeigen sich Kampf- und Diplomatiesystem, die beide sehr rudimentär daherkommen, aber Anno ist eben eine Aufbau- und Wirtschaftssimulation und diesem Ruf wird man vor allem in dem vor Optionen nur so überquellenden Endlosspiel mit charismatischen computergesteuerten Mitspielern gerecht. In der Kampagne stört es anfangs, dass trotz gleicher Karte die errichteten Siedlungen nicht mit in die nächste Mission übernommen werden. Dafür entschädigen die für ein Aufbauspiel gute, wenn auch vorhersehbare Story, reichlich Aufgaben sowie das anspruchsvolle Finale. Der einzige gravierende Kritikpunkt liegt darin, dass es keinen Mehrspieler-Modus und somit keine stundenlangen Partien mit oder gegen Freunde geben kann - schade. Aber wenn ich mir die Frage stelle, ob das nun das beste Anno aller Zeiten ist, dann lautet meine Antwort: Ja!

Der Test in Kurzform: Zum Video-Fazit!

Pro

durchdachtes Aufbau- und Wirtschaftssystem
einfacher Beginn, danach wird es komplizierter
clevere Bedürfniskategorien
komplexere höhere Zivilisationsstufen
mehr Waren und Produktionsketten
Kampagne, Szenarien und Endlosmodus
Bonus-Aufträge lockern auf
Interaktion mit einer anderen Fraktion (Orient)
Aufbau von orientalischen Siedlungen
Riesenbauwerke (z.B. Dom) als Herausforderung
realistischere Stadtaufteilung durch Aufstiegsrechte und Bettler
sehr einfache Bedienung (Handelsroutenplanung)
äußerst übersichtliches Interface bei den Bedürfnissen
Gegenstände für Schiffe und Siedlungen
haufenweise Einstellungen im Endlosspiel
gute Computerintelligenz
verhältnismäßig wenig Leerlauf
clevere Verhinderung von wirtschaftlichen Sackgassen
Gegner haben Persönlichkeit, tolle animierte Portraits
hoher Wuselfaktor, Siedlung wirkt belebt und lebendig
wunderschöne Spielwelt
"schönstes virtuelles Wasser"
großartige Musik-Untermalung 
herausragende Sprecher

Kontra

kein Mehrspieler-Modus
Orient nur "Spiel im Spiel"
einseitiger Handel mit dem Orient
keine Schiffskollisionen
kleinere Präsentationsschwächen in der Kampagne
nach einiger Zeit stellt sich Routine ein
aufgebaute Städte am Kampagnenanfang werden nicht übernommen, trotz gleicher Kartenvorgabe
maximale Zoom-Stufe zu niedrig
Ladezeiten

Wertung

PC

Komplex, wunderschön und zugänglich: Das beste Anno aller Zeiten! Leider ohne Mehrspieler-Modus.

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