Brigade 7.62 - High Calibre26.03.2009, Marcel Kleffmann
Brigade 7.62 - High Calibre

Im Test:

Jagged Alliance 2 hat zehn Jahre auf dem Buckel und ist im Taktikbereich nach wie vor unerreicht, was Spielwelt, Komplexität und Bedienung angeht. Während Silent Storm zumindest eine gute Alternative darstellte, zog Brigade E5 den Kürzeren. Trotzdem bekam die Brigade im Herbst 2007 einen Nachfolger, der erst jetzt seinen Weg nach Deutschland gefunden hat. An der Übersetzung kann es jedenfalls nicht liegen, dass die "Einbürgerung" über eineinhalb Jahre gedauert hat...

Vergeigter Anfang

Dem Auftakt von "Brigade 7,62 - High Calibre" gehört das Prädikat "Besonders einsteigeruntauglich": Beim Start wird zwar gewarnt, dass der gewählte Schwierigkeitsgrad dauerhaft beibehalten wird, aber von einem Tutorial oder Hilfetexten fehlt jeder Spur - altmodisches Handbuchstudium ist also angesagt. Ohne zu wissen, worum es überhaupt geht, müsst ihr euch für einen von acht Söldnern mit unterschiedlichen Charakterwerten entscheiden und könnt zusätzliche Punkte in Schusspräzision, Tarnung, Sprengsatz- oder Sanitätsfertigkeiten stecken.

Taktische Schusswechsel auf weiter Flur: Die (aktuell fünf) Kästchen rechts zeigen die sichtbaren Gegner an. Rot unterlegte Feinde sind in der Sichtlinie des gewählten Söldners.

Danach wird das Intro abgespult, wobei es sicherlich sinnvoller wäre, erst das Video mit der Rahmenhandlung zu zeigen und dann den Charakter auszuwählen. Egal: Kaum haben die Söldner den letzten Einsatz in Palinero (Brigade E5) abgeschlossen, müssen sie wieder für zwielichtige Auftraggeber auf Achse sein. Und zum Ende der grobkörnig aufgelösten Sequenz teilt euch ein geheimnisvoller Mann mit telepathischer Gründlichkeit mit, dass ihr den russischen "Geschäftsmann" Bashirow finden sollt, weil er ihm Geld schuldet. Warum Telepathie? Weil das Gesprochene und die Lippenbewegungen so gar nicht zusammenpassen...

Download: Patch 1.11 (2,39 MB)

Nach einer ordentlichen Ladepause findet sich euer Söldner in der fiktiven südamerikanischen Bananenrepublik Algueira wieder, erneut im Dialog mit dem Auftraggeber. Dieser ist jetzt allerdings stumm und beantwortet die letzten Fragen in Textform. Fortan seid ihr auf euch gestellt, geistert in Echtzeit in der frei begehbaren, aber scharf begrenzten Stadt herum und findet Waffenhändler, andere Söldner, Touristen, Einwohner und allerlei Personen, die sich mehr oder weniger gerne mit euch unterhalten. Im Vergleich zu Brigade E5 wirkt die Welt dank mehr NPCs belebter und es sind einige nette Details zu beobachten: So verfolgen euch z.B. Personen beim Vorbeilaufen mit ihren "Blicken". Trotzdem müsst ihr irgendwie über die haarsträubend hakeligen Animationen hinwegsehen und an der kargen Ausstattung der Innenräume hat sich nichts getan.

Viel Freiraum

Ohne Platz im Inventar sollten die Missionen nicht begonnen werden, schließlich kann man fast überall etwas mitgehen lassen.
 Der  Storyfaden besteht zunächst darin, die Zielperson ausfindig zu machen und da sich derjenige dummerweise tief im Land versteckt hält, benötigt ihr die Hilfe einiger Politiker und anderer Persönlichkeiten, die euch reichlich mit Nebenquests eindecken und zu häufig für Botengänge engagieren. Hierbei fallen die zerrütteten Machtverhältnisse in dem Land auf und dass es mehrere Fraktionen wie z.B. Rebellen gibt, die ihre Ziele verfolgen und mit denen Interaktion gefragt ist. Man kann also mit der Regierung arbeiten, mit Rebellen sympathisieren oder für sich selbst fuhrwerken.

Obwohl sich die Missionen und die Story um Abwechslung bemüht zeigen, gibt es für meinen Geschmack zu viele Bringdienstaufträge und manchmal lauern einige fiese, stellenweise sogar unfaire Überraschungen wie scharenweise auftauchende Gegner in den Einsätzen, bei denen man nur hoffen kann, vorher gespeichert zu haben. Steckt ihr irgendwann in einer Story-Sackgasse, helfen das Journal, ein Barkeeper oder eine intensive Suche weiter.    

Für das in den Missionen erhaltene Geld könnt ihr weitere Söldner (teuer) anheuern, euch bei Waffenhändlern mit Schießprügeln/Ausrüstung eindecken (mit variierenden Preisen und Angeboten) oder Vehikel zur schnelleren Fortbewegung auf der Weltkarte organisieren. Generell gibt es in der großen Spielwelt viel zu Entdecken, wenn ihr entsprechend Zeit und Selbstmotivation mitbringt. Ein Bruchteil der Gebäude kann sogar betreten werden und mit viel Glück braucht ihr nicht eine Tür zu öffnen, sondern geht einfach durch die verschlossene Pforte (Bug?). Dort könnt ihr Kisten durchsuchen und Dinge mitgehen lassen,

Abseits der kargen Städte können zumindest die Außenareale mit viel Vegetation grafisch überzeugen.
was den Bewohnern überraschenderweise egal ist - ein klares atmosphärisches Defizit.

Kampf mit Pause

Bei den textlastigen Dialogen, dem Herumgelaufe in den 3D-Arealen und den Reisen per Weltkarte geraten die taktischen Gefechte fast in den Hintergrund - das ist schade, denn diese sind trotz Echtzeit/Runden-Mischsystem richtig gut und spannend. Der "Smart Pause Modus" pausiert das Echtzeit-Kampfsystem bei Schlüsselereignissen und lässt euch in Ruhe Befehle erteilen, wie zum Beispiel, wenn einer eurer Söldner einen Fiesling erblickt hat und besser mit Waffengewalt antworten sollte.

Dieses Stakkato-System stört nicht so sehr wie bei der Ufo-Aftermath-Serie und wirkt gut implementiert, könnte aber mehr Einstellungsmöglichkeiten vertragen. Ihr habt also genügend Kontrolle über den Kampf und müsst für gewöhnlich das Gelände als Deckungsmöglichkeit nutzen, um den gegnerischen Feuerwaffen möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Alternativ könnt ihr taktische Haltungen wie "Kniend/Schleichend" nutzen oder dem Feind ein schwereres Ziel bieten, indem ihr den Söldner auf dem Boden kriechen lasst. Schussmodi wie "Gezielter Schuss" oder "Schnellschuss" etc. dürfen nicht fehlen, wobei sich das Arsenal mit über 150 realistisch nachgebildeten Waffen wirklich sehen lassen kann.

Das Stalker-Syndrom

Doch das schöne und anspruchsvolle Kampfsystem wird durch eine Vielzahl von Fehlern, Balance-Problemen und Unstimmigkeiten torpediert - das "normalen Bewegen" auf der Karte ist ebenso davon betroffen. Die Kamerasteuerung ist eine Katastrophe, da hätte man sich bei World in Conflict ruhig die eine oder andere Idee abschauen können, insbesondere der Kameraflug auf die Söldner beim Personenwechsel nervt und erfordert eine ständige Sichtkorrektur, da ich meine Kamera zur besseren Übersicht immer in einer isometrischen 2D-Sicht geparkt hatte.

Wenn man nicht auf der Stufe "schwer" spielt, wird die Computerintelligenz automatisch auf "dumm" gestellt. Aber so groß ist der Intelligenz-Unterschied auf "schwer" gar nicht...
Die frei dreh- und zoombare Kamera ist in meinen Augen sowieso unnötig. Umständlich ist auch, dass beim Betreten eines Hauses das Dach oft nicht ausgeblendet wird und man die Kamera per Hand justieren muss. Von der die Sinnlosigkeit der Ego-Perspektive will ich erst gar anfangen.

Miserabel ist außerdem die Wegfindung der eigenen Leute, die an den merkwürdigsten Kanten hängen bleiben, Umwege in Kauf nehmen, die man sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt hat (quer durch den Gegnerbereich) und gelegentlich Zickzack zu einem Punkt laufen, der in einer geraden Linie voraus liegt. Schlimmer ist nur die künstliche Intelligenz der Computergegner, die gerne an den Positionen verharrt, an dem sie die Level-Designer in die Areale gepflanzt haben, was dem Trial&Error-Prinzip in Kombination mit einigen unfairen Stellen Tür und Tor öffnet. Spätestens wenn eine kleine unauffällige Granate euer Team auseinander nimmt, wird neu geladen und erneut probiert.

Allgemein schwankt der Schwierigkeitsgrad ziemlich und ist zu Beginn eine Spur zur hart. Erst nach der haarigen Einstiegsphase sinkt das Frustpotenzial mit besserer Ausrüstung und größerem Team langsam, bis es zu den angesprochenen unfairen Momenten kommt. Ansonsten lassen sich die Gegner durch geschickte Nutzung des Geländes/Levels sowie taktische Kombination der Söldner gekonnt ausschalten, wobei manche Totalaussetzer oder unfreiwillige Steherqualitäten der Computergegner unfreiwillig beim Söldnerauftrag helfen.

Fazit

Brigade 7,62 ist keine brauchbare Alternative zu Jagged Alliance 2 - auch wenn es das gerne sein würde. Spiele wie Silent Storm oder die UFOs der neueren Generation erreicht diese Brigade ebenfalls nicht. Das liegt weder an der reichhaltigen Spielwelt oder den verschiedenen Fraktionen noch am Kampfsystem, das Echtzeit- und Runden-Taktik durchaus gekonnt verbindet und packende Schusswechsel entfacht. Aber vor allem die vielen technischen Mängel (KI, Kamera, Clipping, Bugs), die mittelprächtige Übersetzung sowie das unzureichende Balancing von Missionen und Preisen lässt das Spiel unfertig und unausgereift wirken - es tut schon fast weh zu sehen, wie viele gute Ideen nur halbfertig in den Sand gesetzt wurden. Dass es unterm Strich keine totale Katastrophe geworden ist, liegt an der großen Spielwelt und dem grundlegend guten Kampfsystem. Selbst bei der derzeitigen Mangelversorgung an Runden-Taktikspielen hätte man Brigade 7,62 in diesem Zustand nicht veröffentlichen dürfen.

Pro

gute Mischung aus Echtzeit- und Runden-Taktik
spannende und anspruchsvolle Schusswechsel
reichlichhaltiges Waffenarsenal
viele Quests und Charaktere
nicht-linearer Spielablauf
große Welt und viel zu Entdecken
mehrere Parteien
Fahrzeuge verkürzen Laufwege
eigene Basis
schöne Dschungel-Landschaften
Söldner haben ihre Eigenarten
Welt ist nicht mehr so leblos wie bei Brigade E5

Kontra

unfertiger Status
schlechte KI
Kamerasteuerung
3D-Sicht ist unnötig, 2D hätte gereicht
miserable Wegfindung
unfaire Überraschungs
und Frustmomente
unausgewogener Schwierigkeitsgrad
haariger und zu direkter Einstieg, kein Tutorial
umständliche Bedienung
kaum Sprachausgabe
atmosphärische Defizite: keine Strafe fürs Klauen
steife Animationen
Balance-Unstimmigkeiten (Quests-Belohnungen, Preise)
Clipping-Probleme
karge Innenräume
Bugs und Fehler (Waffen-Nachladeprobleme)
mittelprächtige Übersetzung
Laderuckler in der Mission
Gebiete könnten weitläufiger sein
Videoqualität

Wertung

PC

Brigade 7,62 ist ein Möchtegern Jagged Alliance mit technischen Macken und Designfehlern, welche die guten Ansätze ersticken.

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