Capitalism 215.03.2002, Bodo Naser
Capitalism 2

Im Test:

In den hektischen Zeiten der Einführung der XBox wünscht sich ein passionierter PC-Spieler nichts sehnlicher, als etwas ganz klassisch Strategisches zu spielen. Möglichst ein Spiel, das es so auf den Next-Generation-Konsolen nie geben dürfte. Dazu gehört wohl auch Capitalism 2 (ab 19,94€ bei kaufen) von Ubi Soft, das nun endlich auch komplett auf Deutsch bei Publisher dtp erhältlich ist. Wie im ersten Teil geht es rein um wirtschaftliche Zusammenhänge: Könnt Ihr beispielsweise ein weltweit agierendes Unternehmen sicher durch die Höhen und Tiefen der konjunkturellen Entwicklung steuern? Vielleicht gelingt es Euch ja sogar, Eure eigene Konsole zu entwickeln und wie Microsoft auf den Markt zu werfen? Wer an derartigen ökonomischen Spielereien Spaß hat, sollte sich unseren Test nicht entgehen lassen.

Kapitalismus-Sim

Schon der Vorgänger Capitalsm von Trevor Chan und Enlight Software aus dem Jahre 1995 war eine globale Wirtschafts-Simulation, bei der es hauptsächlich um die Steigerung der Gewinne ging. Im Kern war das Spiel jedoch äußerst komplex und keineswegs leicht zugänglich. Eigentlich konnten nur ökonomisch Interessierte wirklich etwas damit anfangen. Capitalism 2 ist dem ersten Teil treu geblieben: Ziel der Wirtschafts-Simulation ist es noch immer, Produkte zu kaufen oder selbst zu herzustellen und anschließend Gewinn bringend weiter zu verkaufen. Profite sollten dabei stets reinvestiert werden, um Produkte immer preisgünstiger und zugleich qualitativ besser herstellen zu können. Schritt für Schritt expandiert Euer Konzern. Ihr stoßt in neue Städte und Regionen der Erde vor und entwickelt ganz neue Waren und Herstellungsmethoden. So entsteht ein wahres Geflecht unterschiedlichster Firmen. Das Spiel macht also seinem Titel alle Ehre, da es sich tatsächlich um eine Simulation der kapitalistischen Wirtschaftswelt handelt.

Die Missionen

Capitalism 2 besteht im wesentlichen aus zwei Kampagnen, von denen die eigentliche Kapitalisten-Kampagne in 21 spannende Wirtschafts-Missionen eingeteilt ist. Für Einsteiger gedacht ist die Tutorial-Kampagne mit acht Einführungs-Szenarien, die Euch anschaulich die Grundzüge des Spiels vermitteln: Es ist recht einfach zu erlernen, dafür um so schwieriger zu beherrschen. Weiter gibt es die Möglichkeit, ein freies Spiel durchzuführen, beim dem Ihr die Startwerte (auch per Zufallsgenerator) festlegen dürft. Mit dem Wissen aus der Einführung bewaffnet könnt Ihr dann ein Unternehmen selbst aufbauen und leiten, um so Euer Geschick im Umgang mit Waren und Gütern unter Beweis zu stellen. Die Ziele der einzelnen Echtzeit-Missionen sind fest vorgegeben: Meist geht es darum, einen bestimmten Jahres-Umsatz und Gewinn zu erreichen oder Euren Aktienkurs auf ein bestimmtes Niveau zu treiben.

Das Warenangebot

Vom simplen Ei bis zum modernen Laptop gibt es über 60 verschiedene Produkte im Spiel. Ihr müsst jedoch kein ellenlanges Sortiment führen: Pro Geschäft seid Ihr auf vier Produkte beschränkt; Läden dürft Ihr aber beliebig viele erreichten. Produktion und Weiterentwicklung einer einzelnen Ware sind komplex genug: Technologie und Qualität der Rohware bestimmen die Eigenschaften Eures Endprodukts. Hohe Qualität sorgt in der Regel auch für hohe Umsätze. Durch betriebseigene Forschung und Entwicklung lässt sich Euer Technologie-Level beträchtlich steigern. Das entsprechende Verhältnis ist bei jeder Ware anders, wie Ihr dem Hersteller-Leitfaden entnehmen könnt: Bei Jeans etwa kommt es nicht so sehr auf die Rohstoffe an. Anders bei Cornflakes, hier ist die Art der Herstellung eher unwichtig - es kommt auf einwandfreie Rohware an. Wieder anders beim Wein, bei dem auch die Herstellung eine große Rolle spielt. Wer sein Personal öfters schult, kann dessen Erfahrung im Umgang mit den Waren erhöhen. Ihr solltet aber stets ein Auge auf Angebot und Nachfrage haben. Ausgefuchste erzeugen sich ihre Nachfrage natürlich selbst, indem sie fleißig die Werbetrommel rühren. Mit ein wenig Rundfunk- oder TV-Werbung steigt schnell die Bekanntheit Eurer Marken.

Das eigene Geschäft

Zu Beginn wählt Ihr ein Firmen-Emblem aus, besorgt Euch Geld von der Bank oder durch Emissionen von Aktien und bestimmt dann den Bauplatz für Euren ersten eigenen Supermarkt. Gebäude werden wie einst bei Sim City auf einer Übersichts-Karte der jeweiligen Stadt errichtet. Vom Kaufmannsladen über den PC-Shop bis zum mehrstöckigen Geschäftshaus finden sich zahlreiche Läden und Fabriken. Ständig dürft Ihr wichtige, richtungweisende Entscheidungen treffen: Welche Ware wollt Ihr überhaupt verkaufen? Woher soll die Rohware stammen? Und was soll das Endprodukt kosten? Den größten Profit erzielt Ihr natürlich, wenn Ihr die Waren selbst herstellt. So könnt Ihr auch am besten die Qualität der Ware beeinflussen. Ihr könnt im Interface ganze Produktions-Ketten einrichten - vom Einkauf der Rohstoffe beim Lieferanten über die Verarbeitung in Eurer Fabrik bis hin zum Verkauf der fertigen Produkte. Auf diese Weise könnt Ihr auch eigene Landwirtschaft und eigene Minen betreiben, die Euch mit Rohstoffen wie Kohle, Erz oder Gold versorgen.

Das Hauptquartier

Wem das alles viel zu mühselig ist, der kann Teile seines Unternehmens auch an Fachleute delegieren - sogar einen Geschäftsführer für Euch selbst könnt Ihr verpflichten. Die Damen und Herren verlangen leider auch fürstliche Gehälter, was kleine Firmen schnell in den Bankrott treiben kann. Nicht vergessen: Auch Eure Wenigkeit bekommt natürlich ein Gehalt! Um derartiges Personal-Management betreiben zu können, müsst Ihr allerdings erst eine teure Firmenzentrale errichten. Hier könnt Ihr dann auch verschiedene Spezialabteilungen einrichten, die nützliche Sonderfunktionen haben: So etwa auch eine Investoren-Abteilung, die sich um die guten Beziehungen zu Euren Anteilseignern kümmert. Müsst Ihr dann aber - mit Hilfe der zahlreich vorhandenen Statistiken - feststellen, dass Euer angeblicher Top-Manager in Wirklichkeit ein Versager ist, könnt Ihr ihn wieder rauswerfen. Ganz nach dem zynischen Wirtschafts-Prinzip von der "Freisetzung" des überflüssigen Personals... alles ist schließlich nur ein Spiel und niemand muss hier wirklich "stempeln" gehen.

Der Kampf um Märkte

Die Computer-Gegner bei Capitalism 2 agieren recht aggressiv: Die KI entwickelt immer bessere Strategien, um Euch vom Markt zu fegen. Insbesondere der erbitterte Kampf um neue Städte und Regionen sorgt für reichlich Abwechslung. Was wäre unsere Marktwirtschaft nur ohne Konkurrenten!? Dank der ausgefeilten, neuen Börsen-Funktionen sind im Spiel sogar die berüchtigten "feindliche Übernahmen" möglich, wenn Ihr mehr als 50% Anteile eines Konkurrenten besitzt. Ab 75% der Aktien dürft Ihr dann auch mit ihm fusionieren. Doch Vorsicht: Denn wer Aktien eines angeschlagenen Konkurrenten erwirbt, der setzt dabei auch den eigenen Aktienkurs aufs Spiel! Ihr müsst daher stets auf der Hut sein, damit Ihr nicht gegenüber der Konkurrenz ins wirtschaftliche Hintertreffen geratet. Nützliche Tipps und Tricks zum Ganzen findet Ihr übrigens auf der offiziellen deutschen Webseite.

Grafik/Sound

Vor allem die altertümlich wirkende Grafik ist ein großer Schwachpunkt bei Capitalism 2. Wo vergleichbare Spiele meist mit einer prächtigen Grafik aufwarten, findet Ihr hier nur die fast unveränderte, angegraute Optik des Vorgängers. Die Darstellung erfüllt zwar ihren Zweck, ist aber kein großer Augenschmaus: Insbesondere die zoombare Stadtansicht ist nicht gelungen, da sie nur wenig Details bietet und sich im Lauf der Zeit kaum verändert. Zudem sieht jede Stadt auf der Welt gleich aus. Auch der Sound des Spiels ist ziemlich misslungen: Viel zu wenig Geräusche gibt es und von Musik während des Spiels kann keine Rede sein - sie wurde schlicht vergessen.

Multiplayer-Modus

Ein völlig neuer Mehrspieler-Modus, den es beim Vorgänger noch nicht gab, wurde in das Spiels integriert. Bis zu acht Spieler können gleichzeitig per LAN oder übers Internet (bei Ubi.com) gegeneinander wirtschaften. Zu Beginn werden bestimmte Ziele (z.B. Höhe des Nettogewinns, Höhe des privaten Kapitals, Anzahl der Angestellten) festgesetzt, die Ihr dann in einer bestimmten Zeit erreichen müsst. Schafft Ihr die Ziele schon vor Ablauf der Zeit, so habt Ihr vorzeitig gewonnen. Einen Chat während des Spiels, um sich abzusprechen oder auch einfach Informationen auszutauschen, gibt es natürlich auch.

Pro:

  • komplexe Wirtschafts-Sim
  • zwei Kampagnen
  • 21 Missionen
  • freier Modus
  • realistische Wirtschafts-Kreisläufe
  • über 60 Produkte
  • zahlreiche Gebäude
  • Firmenzentrale
  • Fachpersonal anwerben
  • Vorstoß in neue Städte
  • umfangreiche Börsen-Funktionen
  • eigenes Privatvermögen des Spielers
  • aggressive KI
  • neuer Multiplayer-Modus
  • Kontra:

  • für Einsteiger ungeeignet
  • anfangs unübersichtlich
  • Steinzeit-Grafik
  • Städte sehen eintönig aus
  • kaum Geräusche
  • keine Musik
  • Vergleichbar mit:

    Capitalism, Industriegigant 2

    Fazit

    Natürlich wirkt Capitalism 2 auf den ersten Blick verwirrend. Das Spiel ist schließlich auch eine höchst komplexe Wirtschafts-Simulation, die sich vor allem an Fans der Reihe, Genre-Profis und wirtschaftlich Interessierte wendet. Wem das allzu simple Wirtschaften in Spielen wie Patrizier 2 oder Siedler 4 zu realitätsfern ist, für den ist Capitalism 2 genau das Richtige! Und das ist dann auch der Spieler-Typ, der sich durchaus länger in so ein Spiel einarbeitet, um dann langfristig daran Spaß zu haben. Capitalism 2 ist auch keineswegs eintönig, da schon die unterschiedlichen Missionsziele stets für Abwechslung sorgen. Allerdings sollte die Entwickler-Firma Enlight Software überdenken, ob sich ein "Spiel mit Tiefgang" wirklich äußerlich derart unvorteilhaft präsentieren muss: Gemeint sind natürlich die Steinzeit-Grafik und der nicht existierende Sound. Daher verbietet sich leider eine 4P-Wertung von insgesamt über 80%. Ferner muss sich der deutsche Publisher dtp fragen lassen, warum das Spiel mit 45,99 Euro fast doppelt so teuer ist wie auf dem US-Markt. Sind das wirklich nur die Kosten für die gelungene Lokalisierung, die hier zu Buche schlagen...?

    Wertung

    PC

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