FIFA Football 200220.10.2001, Jörg Luibl
FIFA Football 2002

Im Test:

Am 2. November ist Anstoß: Mit FIFA 2002 will Electronic Arts der wartenden PC-Gemeinde ein optisch verbessertes und spielerisch komplett neu gestaltetes Fußballspiel präsentieren. Realistischere Spieler, neues Pass-System, frei konfigurierbare Steuerung und die WM-Qualifikation zählen zu den angekündigten Highlights. Ob sich die neuen Features auf dem grünen Rasen auszahlen und ein neues Fußball-Spektakel im Anmarsch ist, erfahrt Ihr in unserem Test!

Fußballfreude = Konsolenfreude?

PC-Gamer mit einem Faible für Soccer-Games müssen trotz FIFA immer noch neidvoll auf die PlayStation 2 schauen: Da gibt es demnächst neben FIFA mit Konamis ISS-Reihe und dem gerade erschienenen TIF aus dem Hause Sony gleich drei Vorzeigespiele. Hier kann sich der Spieler aussuchen, ob er lieber Arcade-Fußball à la TIF oder Simulations-Fußball à la ISS spielen möchte. Die Entwickler von FIFA 2002 haben sich für letzteren Weg entschieden und viele Veränderungen vorgenommen.

Weniger Arcade, mehr Simulation

Fans des Vorgängers werden sich komplett neu einstellen müssen, denn das Gameplay des Nachfolgers setzt andere Prioritäten: Aufgrund des neuen Pass-Systems und des langsameren Spielablaufs steht taktisches Vorgehen im Vordergrund. Über sicheres Kurzpass-Spiel und gut getimte Flanken muss man sich langsam nach vorne arbeiten um in Schussposition zu kommen. Und der "Fehlpass", der in so manchen Arcade-Soccergames gänzlich unbekannt ist, wird in FIFA 2002 vor allem zu Beginn zum Alltag gehören - realistisch, aber gewöhnungsbedürftig; bevor Spielfluss aufkommt ist langes Training notwendig.

Eine Inkonsequenz im Taktikbereich ist jedoch das fehlende Pressing- und Abseitsfeature, was gerade in der Verteidigung für mehr Realismus gesorgt hätte.

Pass-Lust oder Pass-Frust?

Die Zeiten, in denen Pässe in Lichtgeschwindigkeit und mit 100%iger Sicherheit durch die Reihen jagten sind vorbei: Jeder Spieler hat andere Pass-Fähigkeiten und selbst wenn Ihr einen Beckham oder Rosicky steuert, müsst Ihr immer noch per Knopfdruck über die Weite des Balls entscheiden, die per Statusbalken angezeigt wird. Jeden wird bei den ersten Partien das unheimliche Gefühl beschleichen, dass man dieses von Fehlpässen und Tribünenflanken gekennzeichnete Gekicke schon mal irgendwo in der WM-Qualifikation gesehen hat...aber es besteht Hoffnung - jedenfalls virtuelle:

Das Pass-System ist zwar gewöhnungsbedürftig, aber kommt allen Simulations-Fans entgegen, die ihre Tore schon in Abwehr und Mittelfeld mit schönen Spielzügen vorbereiten wollen. Hinzu kommt die recht langsame Spielgeschwindigkeit, die Euch ein geplantes Vorgehen ermöglicht - Kennern des Vorgängers wird allerdings das ein oder andere Gähnen entschlüpfen; immerhin gibt`s drei Schnelligkeits-Stufen. Und wer es noch realistischer mag, kann die Ermüdung und Verletzung von Spielern aktivieren. Leider muss man bei Flanken über außen erst den Spieler Richtung Tor drehen und kommt nicht in eine automatische Pass-Zone, wo ein Knopfdruck für die Flanke genügt. Außerdem hat die Kamera ab und zu Aussetzer und zieht insbesondere bei langen Bällen eine Sekunde hinterher, so dass der ballführende Spieler kurze Zeit nicht in Sicht ist - Überblick ade. Hat man sich jedoch erst mal an das sensible und recht langatmige System gewöhnt, kann man sich und die Zuschauer mit der ersten Kombination aus Kurzpass, Kurzpass, Dribbling, Flanke, Tor begeistern.

Standfußball oder was?

Das wäre aber viel schöner, wenn die Mitspieler öfter mal von alleine in den freien Raum laufen und bei Nahen eines ballführenden Spielers nicht wie Litfaßsäulen herumstehen würden. Sicher: Per Knopfdruck könnt ihr einem Spieler auch selbst den Befehl geben, direkt aufs Tor zu stürmen, aber der kommt meist aus der Abwehrreihe. Angenehmer wäre es, wenn die Mitspieler etwas mehr KI auf dem Platz zeigen würden, damit die farblichen Kennzeichnungen der Laufwege regelmäßiger auftauchen und mit Flanken und Pässen bedient werden können - was übrigens ein sehr schönes Feature ist, das das komplizierte Pass-System einen Tick attraktiver macht.

Die Steuerung: ein Studium für sich?

EA hatte endlich ein Einsehen und spendiert Euch eine frei konfigurierbare Steuerung per Tastatur oder Gamepad. Es gibt neun zur Verfügung stehende Optionen: Neben obligatorischem Schuss, kurzem und hohem Pass müssen der neue Doppelpass, Dribbling, Links- und Rechtsdrall und Lauf in die Spitze belegt werden. Haltet Ihr die Schusstaste länger gedrückt gibt`s Kopfbälle; drückt Ihr sie bei kommender Flanke zweimal kurz, setzen die Kicker zum spektakulären Seitfall- oder Fallrückzieher an - die gute Torwart-KI sorgt jedoch dafür, dass Tore aus solchen Situationen Seltenheitswert haben. Insgesamt wirkt die Steuerung etwas überladen und braucht -wie gesagt- eine lange Eingewöhnungszeit. Vor allem das wichtige Timing zwischen Schuss-Stärke, Richtung und Drall bei Schuss und Flanke wollen erstmal verinnerlicht werden. Und in der Verteidigung müsst Ihr auf die im Vorgänger aktivierbare Abseitsfalle und das schnelle Pressing verzichten - schade, denn gerade das gehört zu einer Fußball-Simulation; so bleibt Euch nur die Grätsche oder das Tackling.

Ligen, Mannschaften und WM-Qualifikation

FIFA 2002 kann dank der FIFPro-Lizenz mit originalen Namen und Trikots aufwarten. Ihr habt die Qual der Wahl zwischen mehr als 75 lizenzierten National-Teams und 16 Ligen. Als Sahnehäubchen präsentiert Euch EA erstmalig die WM-Qualifikation und einen mächtigen Spieler-Editor. Dank dieses Features könnt Ihr bestehende Spieler und Mannschaften verändern und eigene kreieren: Egal ob Name, Trikots, Körpergröße, Gewicht, Frisur, Gesichtsform oder Schuhfarbe - Ihr könnt Euer eigenes Traumteam aufstellen.

Virtuelle Fußballpracht

EA hat in Sachen Spieleranimation, Stadiengestaltung und Fan-Kulisse ganze Arbeit geleistet: Die Fußballer wirken plastischer als je zuvor, überzeugen bei Spurts und Dribblings mit butterweichen Animationen und zeigen je nach Situation die ein oder andere neue Bewegung - ducken, stolpern und der Fingerzeig auf einen frei stehenden Mitspieler . Dabei sind die Spieler im Gegensatz zu den stiernackigen Pendants aus TIF (PS2) lebensechter und so detailliert, dass die Muskelpartien auf den Oberschenkeln nahezu plastisch wirken.

Und ein Highlight sind die Jubelszenen, wenn nach einem Sieg Spieler über den Boden rutschen, sich in die Arme fallen und die Fäuste gen Himmel strecken. Aber der Realismus hat auch seinen Preis: Denn obwohl die Gesichter einen bisher ungekannten Detailreichtum aufweisen, sorgen die übertriebenen Lichteffekte dafür, dass die Kicker in der Frontalansicht aussehen wie Wachsfiguren. Auch die Bodenhaftung der Spieler lässt zu wünschen übrig, denn manchmal scheinen sie ein paar Zentimeter über dem Rasen zu schweben. Ein großes Lob gebührt der Fan-Kulisse, die zwar aus der Nähe den üblichen Pappaufsteller-Effekt offenbart, aber vom Spielfeld aus so lebendig wirkt wie noch nie. Hinzu kommen acht Kameraperspektiven, die von hautnah bis Panorama für jeden die richtige Ansicht bieten.

Fankulisse und Kommentar

Die englischen Kommentare (in der Kaufversion werdet Ihr deutsche vorfinden) sind gewohnt professionell gehalten, gehen aber leider eher in Richtung fachmännisch als enthusiastisch - Geschmackssache, aber Kritiker können sie ganz abschalten. Konzentriert man sich auf die Fan- und Soundkulisse wird man zwar mit Fangesängen und Ballgeräuschen verwöhnt, aber keinesfalls so begeistert wie bei der Konsolenkonkurrenz. Und auch wenn sich die Fangesänge recht gut anhören, ist es mehr als peinlich, "Deutschland!Deutschland!"-Sprechchöre in einem Spiel zwischen Manchester und Lazio Rom zu hören. Hier hätte ich mir z.B. eine dynamische Fankulisse gewünscht, die sich dem Spielgeschehen anpasst. Dafür gehören die Jubelszenen wiederum zu den optischen und akustischen Highlights.

Pro:

  • 16 Nationalligen
  • herrliche Stadien
  • neues Pass-System
  • sehr gute Animationen
  • mächtiger Spieler-Editor
  • konfigurierbare Steuerung
  • acht Kameraperspektiven
  • Bonus-Turniere freispielbar
  • inklusive WM-Qualifikation
  • optisch überzeugende Fan-Kulisse
  • sehr gute Torhüter-KI und Animation
  • farbliche Kennzeichnung der Laufwege
  • realistisch proportionierte Spielerfiguren
  • Kontra:

  • zu viel Realismus
  • zäher Spielaufbau
  • kein Training möglich
  • wachsartige Gesichter
  • anfänglicher Frustfaktor
  • zu trockene Kommentare
  • lange Eingewöhnungszeit
  • etwas überladene Steuerung
  • akustisch mäßige Fan-Kulisse
  • keine Abseitsfalle; kein Pressing
  • teilweise zu langsame Kameraführung
  • Fazit

    FIFA 2002 wird die PC-Fußballfans spalten: Ist es besser als der Vorgänger? Optisch auf jeden Fall. Hinzu kommen mehr Spielmodi, eine freie Steuerungsbelegung und das neue Pass-System. Und genau bei diesem innovativen Feature liegt der Knackpunkt: Realismus-Fans werden es zwar begrüßen, aber auch sie müssen sich erst langsam die nötige Technik aneignen, bevor Spielfluss aufkommt - um so unverständlicher der fehlende Trainingsmodus! Arcade-Fans, die einen schnellen und spektakulären Torerfolg suchen, werden über die Langatmigkeit des Spielaufbaus meckern, über die Fehlpässe fluchen und wehmütig an das eingängige Gameplay des Vorgängers denken. EA hat mit FIFA 2002 bemerkenswerte Ansätze gezeigt, aber insgesamt kein rundum begeisterndes Produkt à la NHL 2002 präsentiert. Doch zum ersten Mal hat der PC-Spieler die Qual der Wahl zwischen zwei guten und gleichzeitig total unterschiedlichen Soccer-Games: FIFA 2001 oder FIFA 2002.

    Wertung

    PC

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