Napoleon: Total War24.02.2010, Jörg Luibl
Napoleon: Total War

Im Test:

Wie ein Dämon taucht er aus dem Nebel auf, mit Seitenscheitel und Feuer in den Augen: Napoleon begrüßt Strategen im neuen Spiel von Creative Assembly gleich höchstpersönlich. Und er will keine kleinen Österreicher backen, sondern gleich die ganze Welt erobern - von Italien über Ägypten bis Russland. Ob den Sprüchen des selbstbewussten Feldherren auch unterhaltsame Taten folgen? Können die Entwickler mit frischem Esprit begeistern und Schwächen des Vorgängers ausmerzen?

Das Zinnfiguren-Kabinett

Selbstbewusst, aggressiv und eroberungsfreudig: Napoleon hält im Intro eine Ansprache.
Für die Recherche darf sich Creative Assembly mal wieder auf die Schulter klopfen. Die korrekte Biografie des Franzosen kann man erwarten, militärische Höhepunkte in Text und Filmchen ebenfalls, aber es wird in authentischen Kolonnen marschiert, jeder General hat wirklich gelebt, die frühe Revolutionsarmee ist eine ganz andere als die zur späteren Kaiserzeit, es gibt alle Hutvarianten vom Zweispitz bis zum Tschako und Uniformfetischisten freuen sich über die Veränderungen von Schnitt, Farbe und Form. Kurzum: Wer in die bewegte Zeit abtauchen will, darf in ein überaus gut beheiztes historisches Becken springen.

Es macht sogar Spaß, ganz ohne Kanonendonner und Pulverdampf mit der Kamera durch die eigenen Reihen zu fahren: mehr Gesichter, mehr Bärte, mehr Typen. Egal ob verschneite Tundra, gleißende Wüste oder vernebelter Wald: Die Landschaften wirken einfach schöner. Sehr gut gefällt mir der Gemäldestil sowie die wesentlich bessere Beleuchtung, denn so wirkt die Karte mit ihren Wolkenschatten und je nach Saison wechselnden Lichteinflüssen malerischer und das Schlachtfeld aufgrund der Wettereinflüsse oder des Hitzeflimmerns ansehnlicher. Aufgrund der verbesserten Grafik will man sich all die Jäger, Husaren, Füsiliere, Beduinen, Schützen, Gardisten, Highlander, Dragoner, Kamelreiter und Kürassiere am liebsten vom Schlachtfeld auf den Schreibtisch gießen - als schöne Zinnfiguren in Reih und Glied. Trotz der prächtigeren Kulisse mit maximal 10.000 Einheiten braucht man übrigens nicht mehr Power unter der Haube als in Empire: Total War , das übrigens nicht für dieses Spieln benötigt wird; Napoleon steht auf eigenen Füßen.

Kleiner Napoleon, großer Dämon?

Nachladen, zielen, schießen: Die französische Linieninfanterie ist unheimlich effizient.
Weg von der prächtigen, bis auf 1920 x 1200 Pixel auflösbaren Kulisse, zurück zur Geschichte: Selbst das nahezu Hitler'sche Auftreten des kleinen Korsen im Intro entspricht der Wahrnehmung des Franzosen in der damaligen Zeit. Gerade für die Briten war Napoleon nichts anders als der Teufel in Person. Und auch der Rest der europäischen Familie begegnete dem Mann zunächst mit überheblichem Spott, dann mit militärischer Angst und schließlich mit politischem Hass. Erst als Austerlitz längst Geschichte war, zollte man ihm Respekt - da wurde aus dem gnadenlosen "Schlächter" dann bei Christian Morgenstern ein poetisches "Natureignis".

Wer wissen will, warum sich die Sympathie für den gelernten Artillerie-Offizier zu seinen stürmischen Lebzeiten in Grenzen hielt, sollte dieses Spielchen wagen. Es geht nämlich um nichts anderes als die Eroberung der Welt in drei großen Kampagnen von Italien über Ägypten bis Russland - und man hat quasi keine Freunde auf dem politischen Parkett. Dafür darf man seinen virtuellen Napoleon auch in Waterloo siegen lassen, die Geschichte umschreiben und erstmals mit einem Freund auch eine der drei Kampagnen inklusive Strategiekarte online starten.

Neue Online-Schlachten

In unseren Probespielen lief das sehr flott, und wenn das Spiel mal abstürzte, wurde automatisch gespeichert. Sehr komfortabel ist, dass beide Seiten über den Ablauf der Gefechte entscheiden können - wer will, darf überall manuell kämpfen, sogar für die KI, aber man kann kleine Scharmützel nach kurzer Abstimmung auch automatisch austragen lassen. Der Host hat die Möglichkeit, die Gefechtsdauer von unbegrenzt bis hin zu 20, 40 oder 60 Minuten sowie die Rundenzeit von unbegrenzt bis hin zu einer oder zehn Minuten einzustellen. Spielt man mit schwächer bestückten Freunden, kann man die Performance auch über die Einheitengröße etwas retten.

Auch die Pyramiden dürfen auf der malerischen Kampagnenkarte nicht fehlen.
Neu ist zudem die Öffnung der eigenen Kampagne für kampfwütige Onliner aus aller Welt (man kann das auch auf Freunde eingrenzen): Wer also in Italien unterwegs ist und in eine Schlacht gerät, muss bei aktivierter Drop-in-Option damit rechnen, dass nicht die KI, sondern ein Mensch der Feldherr ist. Natürlich weiß man das vorher im Lademenü und man kann das auch regulieren, indem man gezielt vor einem Gefecht nach einem Gegner in der Lobby sucht. Abseits dieser sehr interessanten und technisch gut umgesetzten Ergänzung, darf man online oder im LAN auch in einzelnen Schlachten auf über zwanzig Karten von Dresden über Sibirien bis zu den Pyramiden mit bis zu acht Mann aus dem Vollen schöpfen: Land, Meer, Belagerung und historische Szenarien von Waterloo bis Trafalgar stehen zur Verfügung. Und hier gibt es dann elf Nationen, darunter auch Osmanen, Dänen, Portugiesen, Niederländer, Spanier und Schweden.  

Egal ob online oder offline - gute Vorbereitung ist alles: Einsteiger dürfen vor dem ersten Kanonendonner zunächst in drei kleine, aber informative Tutorials reinschnuppern, die in die kaum veränderte Steuerung der Land- und Seegefechte sowie die überarbeitete Kampagnenstrategie einführen. Veteranen freuen sich über die informativere Struktur der Benutzeroberfläche mit hilfreichen Symbolen von der Moralanzeige bis hin zum Icon für den Truppentyp - so kann man schneller erkennen, wo die Plänkler und wo die Schützen stehen, wenn man vierzehn Infanterie-Einheiten managen muss. Was hat sich spielerisch getan?          

Zerstörerische Geschosse

Eine der separaten historischen Schlachten findet 1815 in Ligny statt. Wie sieht der Mehrspielermodus aus? Schaut euch das Video an!
Sehr schön ist, dass die Gefechte deutlich dynamischer und knackiger ablaufen. Das liegt zum einen daran, dass sowohl die Artillerie als auch die Infanterie durchschlagskräftiger sind: Die mächtigen Kanonen können nicht erst als 12-Pfünder ganze Einheiten mit einem Volltreffer in die Luft jagen und die Schützen, vor allem die erfahrenen und gut ausgebildeten Franzosen oder Briten, lassen heran stürmende Miliz, wilde Kamelreiterkolonnen oder die schlecht ausgebildeten Österreicher viel schneller in einem Kugelhagel untergehen. Man hat zwar die Anzahl der spielbaren Kampagnen-Nationen auf eine Hand voll reduziert, darunter neben Frankreich auch Russland, England, Preußen und Österreich, aber dafür die Charakteristika der Truppen verstärkt: Nicht nur die Uniformen, auch die Werte wurden überarbeitet, so dass vor allem die Linieninfanterie klarer zu unterscheiden ist. Sprich: Die ballistischen Auswirkungen sind verheerender, so dass man seine Aufstellung und Reichweiten besser durchdenken muss. Und man kann selbst in einer klaren Unterzahl einen scheinbar übermächtigen Feind in die Knie zwingen - hier trifft Creative Assembly das Phänomen Napoleon über die Anpassung der Spielmechanik ganz hervorragend.

Zum anderen kommt aufgrund der agileren KI mehr Dynamik auf als noch in Empire: Das fängt auf der Kampagnenkarte an, wo der Feind jetzt öfter dort angreift, wo es auch weh tut. Wer eine Stadt im Hinterland nur mit geringer Garnison schützt, muss mit bösen Überfällen rechnen. Als ich mit Napoleon eine Hauptarmee sammelte, um Richtung Palästina zu ziehen, versammelten sich die Beduinen und Mamelucken bereits, um die schwachen Stellungen bei Kairo und Suez zurück zu erobern. Sehr zum Vorteil des Spielgefühls wirkt sich auch die neue Alternative zwischen langfristiger Besatzung oder lukrativer Plünderung einer Stadt aus: Ich kann auf einem Vormarsch endlich wieder der Strategie der verbrannten Erde folgen, die mir zwar einige Rebellen im Rücken einbringt, aber auch kurzfristig das Konto mit Gold füllen kann - man hat also immer die Wahl.

Zu wenig Zeit, zu viel Land

Der neue Gemäldestil zeigt sich nicht nur in filmischen Überleitung oder Portraits, sondern auch auf der malerischen Karte, die je nach Saison anders beleuchtet wird.
Die Herausforderung in den drei Kampagnen besteht auch in der Zeit: Napoleon hat immer ein Limit, in dem er erfolgreich sein muss - also muss man seine Aktionen clever planen und darf sich nicht in langwierigen Stellungskriegen verzetteln. Der Korse kann übrigens nicht sterben, er wird allerdings schwer verletzt nach Paris gebracht und fällt als General erstmal bis zu seiner Genesung aus. Das ist durchaus ein Nachteil, denn Napoleon kann hoch zu Ross mit seiner Präsenz Reihen in einem bestimmten Befehlsradius zusammen halten und brenzlige Situationen durch einen Klick auf das Moralhorn zu seinen Gunsten entscheiden. Zwar ist eine Runde jetzt nur noch zwei Wochen lang, aber dafür gibt es auf den weitläufigen Karten auch viel zu tun. Während der einjährige Italienfeldzug (1796 - 1797) mit Kärnten als Ziel noch ein Zuckerschlecken ist, das man mit ein wenig Gold, Diplomatie und Kenntnis der Serie locker erledigt, wird es in den zwei Jahren Ägypten (1798-1800) schon interessanter.

Zwar kann man die Mamelucken mit seinen schlagkräftigen Franzosen fast immer besiegen, aber da lauern die Beduinen in der Wüste, dann sitzen die Engländer als drohende Invasoren auf Zypern, die auch noch den Naschschub blockieren, und schließlich warten die Osmanen mit ihrer starken Artillerie im Osten. Und das Knifflige: Hier kann man sich mit Diplomatie (ist ausgeschaltet) nicht heraus kaufen (handeln will niemand), hier ist man der Aggressor und muss sich stellen. Das Motivierende: Man hat sehr viele Möglichkeiten, die einem durch Nebenaufträge und Belohnungen auch noch schmackhaft gemacht werden - man könnte auf Hilfstruppen der Einheimischen setzen und sich die Schätze der Wüste sichern, man könnte aber auch eine Flotte bauen und die Engländer überraschen, um qualifizierte Truppen aus Frankreich zu bekommen. Kurzum: Diese Kampagne macht richtig Spaß, zumal hier der neue Verschleiß tödliche Wirkung zeigt. Wer seine Franzosen in die weite Wüste oder später die frostige Tundra schickt, wird mit empfindlichen Verlusten und Deserteuren zu kämpfen

Hitzige Gefechte in der Wüstensonne: Hitzeflimmern und Staub machen die Kulisse lebendig.
haben - man muss sich also genau überlegen, welche Route man wählt und sich Stützpunkte schaffen, denn nur dort heilen die verletzten Soldaten. Das Studium der Karte ist aber auch deshalb wichtiger, weil Pässe als Schleichwege eine Rolle spielen. Das Gelände ist in allen Kampagnen vielfältiger und verschlungener als noch in Empire.

Der lange Marsch

Richtig anspruchsvoll wird es aber erst, wenn man nach Europa zurückkehrt und sich zwischen 1805 und 1812 sieben lange Jahre auf einer riesigen Karte mit dem großen Ziel Russland bewähren muss. Erst hier öffnet das Spiel sein ganzes Arsenal an militärischen und diplomatischen Möglichkeiten. Erst hier lohnt es sich, den Spion und den Gentleman clever einzusetzen, um den Feind zu sabotieren, seine Truppenstärke zu erspähen oder sein Volk mit Flugblättern aufzuwiegeln. Erst hier begegnet man auf der Karte clever taktierenden Gegnern, die sich der Rolle Napoleons durchaus bewusst sind und im Gegensatz zu den Wüstenvölkern auch taktisch geschulter in der Schlacht reagieren.

Für diese epische Kampagne verdient Creative Assembly ein großes Lob, denn die strategischen Möglichkeiten sind einfach enorm: Kümmert man sich erst um die Briten? Oder macht man den Österreichern klar, wer den Kontinent beherrscht? Vielleicht das schwache Spanien knebeln und neue Seewege erschließen? Das Schöne ist ja, dass man trotz der Tatsache, dass Napoleon zunächst überall verhasst ist, dennoch über die geschickte Diplomatie etwas erreichen kann - hier hat man genug Zeit für Allianzen.     

Schwierige Feldzüge

Es qualmt bedrohlich: Die Artillerie kann auch Gebäude zerstören.
Kenner der Serie sollten die Kampagnen- und Schlachtschwierigkeit allerdings eine Stufe erhöhen, zumal die KI einige Kniffe scheinbar nicht nutzt. Aber endlich gibt es auch öfter Invasionen von der See: Die Engländer landen also mit ihrer starken Flotte an der Küste und laden ihre gefährlichen Rotröcke ab, um einen Überraschungsangriff durchzuführen. Schön ist auch, dass eigene schwache Flotten, die man mal eben für eine Invasion in einem Hafen zusammen gezimmert hat, gnadenlos versenkt werden - dann steht man mitten in Feindesland und darf sich ohne Rückfahrtschein erstmal halten. Trotz dieses Fortschritts ist nicht alles Gold, was da an Kartenbewegungen glänzt. Man vermisst immer noch etwas mehr Gnadenlosigkeit und Effizienz beim Gegner, allerdings hat sich sein Verhalten auf der Karte klar verbessert.

Und im Gelände? Hier kann man ebenfalls einen Fortschritt erkennen, wenn auch nicht so deutlich. Lobenswert ist, dass ein Feind mit Artillerie diese jetzt auch tödlich einsetzt: Wenn man nicht aufpasst, wird einem der General schon eine Minuten nach der Aufstellung aus dem Sattel geschossen - man muss ihn und seine Truppen schneller bewegen. Seltsam dämlich ist, wenn die KI ihre Kanonen relativ ungeschützt neben einer Stadt aufbaut, die gerade von mir belagert wird; ein viel zu leichtes Fressen für Dragoner. Außerdem ist es ärgerlich, dass die eigenen Kanoniere noch so gerne in die eigenen Leute oder einen Hügel feuern.

Verbesserte Spielmechanik

Gemetzel in den Gassen: Preußen und Franzosen kämpfen um jedes Gebäude - leider kann man sie nicht alle besetzen.
Lobenswert ist wiederum, dass es mehr Flankenangriffe gibt und Hinterhalte genutzt werden; vor allem gegnerische Reiterei wagt sich öfter in den Rücken der eigenen Armee, so dass man um seinen General bangen muss. Allerdings kann man laut Statistik klar überlegene KI trotzdem leicht besiegen, wenn man das Gelände nutzt und sie in tödliche Schusskorridore lockt. Was sie nämlich nicht so gut einsetzt wie sie müsste: Leichte Infanterie und leichte Kavallerie. Diese äußerst mobilen Truppentypen mit der hohen Schussweite profitieren am meisten von der höheren ballistischen Wirkung, denn sie sorgen für ganz empfindliche Nadelstiche an den Flanken des Gegners, wenn man sie in den automatischen Plänkelmodus versetzt - eine Salve feuern, etwas zurückziehen; zweite Salve feuern, etwas zurückziehen.

Aber Vorsicht: Mit dieser Taktik kann man die KI zwar zermürben und den General zu Sturmangriffen verleiten, aber in späteren Gefechten, gerade wenn es in ausgeglichen Schlachten mit schweren Truppentypen, Dragonern und Husaren zur Sache geht, werden diese leichten Plänkler auch schnell aufgerieben. Schön ist jedoch, dass die bewegliche Kriegführung in diesem Spiel als taktisches Element ganz entscheidend sein kann, denn damit wird man dem Szenario auch militärhistorisch gerecht. Und wie gewohnt kann man im großen Maßstab auf die automatische Aufstellung zurückgreifen, wenn man seine Armee schon im Vorfeld für eine Zangenbewegung oder den frontalen Beschuss ausrichten möchte.

Kleine Baustellen

Etwas nervig ist immer noch die Positionierung der Truppen im kleineren Maßstab: Zum einen kann man klare Deckungen wie kniehohe Mauern oder Zäune nicht immer intuitiv genug von beiden Seiten nutzen - das Kontextsymbol bleibt zickig bei einer Richtung. Zum anderen ist die Wegfindung innerhalb der eigenen Reihen ein Graus: Wer eine Einheit mal eben im Laufschritt von seiner linken auf die rechte Flanke schickt, muss beobachten, wie sie plump durch die Formationen marschiert. Natürlich kann man dem vorbeugen, wenn man die Truppen vor der Schlacht schon optimal platziert oder zwei Wegpunkte setzt, aber spätestens wenn das Gefecht läuft, wäre eine klügere automatische Bewegung komfortabler und authentischer.

Die Grundaufstellung kann man noch in aller Ruhe vornehmen - danach geht es explosiv zur Sache.
Den Häuserkampf sowie die Rolle der Siedlungen in der Schlacht hat Creative Assembly nur halbherzig angefasst: Man freut sich zwar darüber, dass in Gebäuden stationierte Truppen jetzt effektiver sind, was das Halten und Nutzen der Stellung angeht. Aber die Darstellung des Stürmens und Besetzens erinnert immer noch an Lemminge im Krieg, zumal es einige Clippingfehler von der Fahne im Dach bis zum Mann in der Mauer gibt. In den Straßen kommt es zwar zu einem dramatischen Zittern in der Perspektive, wenn die Kanonenkugeln einschlagen und ihre Krater hinterlassen, aber vor Gebäuden sieht man manchmal nur zittrige Kolonnen vor der Tür und dann einen schnöden Balken, der die Stärke des aktuellen Kampfes symbolisiert - schade. Auch das Erstürmen von Siedlungen geht erstens noch viel zu leicht von der Hand und sieht zweitens weniger spektakulär aus als das große Panorama von Pulverdampf und Säbeltanz im offenen Gelände.

Und warum kann man mal ein mehrstöckiges Haus besetzen, aber dann wieder keine Kirche? Warum kann man überhaupt so wenige Gebäude in die Schlacht mit einbeziehen? Dass Napoleon die taktische Rolle der Siedlungen im Vergleich zum Gelände eher vernachlässigt hat, ist zwar durchaus korrekt. Aber er wusste um ihren Wert an Flanken und als Stellungsverstärkung - im Gegensatz zur KI im Spiel, die sie zu oft ungenutzt lässt. Schade ist auch, dass sich bei den Animationen im Siedlungsgefecht nichts getan hat: Man zieht seine Reihen per Maus in eine Position, aber die Soldaten nutzen nicht immer kontextsensitiv die Deckung von Mauern, Wänden oder Bäumen - hier würde man sich auch innerhalb einer Truppe ein flüssigeres Hinknien, an die Wand pressen und hinter den Baum hocken wünschen. Ein echter Nachfolger müsste authentischere und intelligentere Bewegungen anbieten. Die gibt es dafür innerhalb der offenen Schlacht: Es macht einfach Spaß, bei souverän wechselnder Schussreihe, panischem Moralverlust oder Reiterei im Keilangriff mitten rein zu zoomen und sich die Bewegungen anzuschauen - Kenner werden einige neue Animationen wie abgeworfene Reiter im tragischen Schlepptau ihrer Pferde entdecken, die das Schlachtfeldgefühl eindeutig bereichern.

Aggressive Verhandlungen

Frischer Wind weht nicht nur in der Infrastruktur (neben einem neuen Technologiebaum gibt es drei Städtetypen Industrie, Wirtschaft, Intellekt), sondern auch bei den Verhandlungen. Im Bereich der Diplomatie hat man zusätzliche Möglichkeiten, um Druck auszuüben: Man kann z.B. die Auflösung eines Bündnisses oder die Errichtung eines Handelsembargos verlangen; gerade Letzteres kann wirtschaftlich sehr hilfreich sein. Außerdem darf man jetzt während eines Feldzugs gegen einen

Bei Verschleiß ziert ein Totenkopf die Fahne - die Truppe verliert Männer und es drohen Desertationen.
unliebsamen Feind ganz frech bei den Nachbarn anklopfen, ob sie nicht auch eintreten wollen - so kann man einen Krieg vom Zaun brechen und in seinem Verlauf noch an Kraft gewinnen. Gerade in der großen Europa-Kampagne fruchten diese diplomatischen Ergänzungen.

So nützlich diese neuen Möglichkeiten gerade für aggressive Naturen sind, so wenig hat sich doch an der Diplomatie im Allgemeinen getan. Immer noch wirken die Verhandlungen mit den anderen Mächten zu statisch: Erstens hat man es lediglich mit gemalten, nicht animierten Portraits zu tun, zweitens reagieren die Herrscher manchmal alles andere als lebendig oder gar logisch. Warum wird man z.B. von einem neutralen König angemault, wenn man bescheiden nach einem Bündnis fragt? Auch die Tatsache, dass man als Napoleon unterwegs ist, spielt in der hohen Politik kaum eine Rolle.

Creative Assembly überzeugt zwar schon im Tutorial mit vielen Details, was den Lebenslauf des kleinen Korsen angeht. Auch die militärischen Höhepunkte seiner Karriere werden in Gemälden samt Sprachausgabe sowie Zwischensequenzen thematisiert. Aber als Persönlichkeit bleibt der Korse doch etwas blass. Selbst als Polygonfigur auf dem Schlachtfeld wirkt er rein äußerlich nur wie ein General von vielen. Und warum nutzt man ein fast schon jugendliches Portrait des Korsen mit längerem Haar über das gesamte Spiel, während man ihn bei seinen ersten Einsätzen schon als kleinen untersetzten Mann mit Kurzhaar und Seitenscheitel auf der Karte darstellt? Es ist nur eine Kleinigkeit, aber es ist schade, dass sich die Darstellung des großen Feldherren nicht auch dynamisch an die Zeit anpasst.     

Fazit

Was sagte Napoleon? "Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden und einem doch das Kostbarste stehlen: die Zeit." Diese Erkenntnis begleitet Feldherren seit Anbeginn des Genres, wenn Strategie richtig gut inszeniert wird - und das wird sie hier. Dabei meine ich nicht die noch prächtigere Kulisse, die vom Hitzeflimmern in der Wüste über die malerische Karte mit Wolkenschatten bis hin zur historisch korrekten Uniform reicht. Ich war nach den Tutorials und der viel zu leichten Kampagne in Italien eher skeptisch, was die Spielmechanik angeht, denn das Positionieren der eigenen Truppen kann immer noch nervig sein und sowohl im Gebäudekampf, der Siedlungseinbindung in die Deckungsanimationen als auch der Belagerung hat Creative Assembly zu wenig getan. Aber schon der Ägyptenfeldzug war angenehm offen und spätestens in der epischen Eroberung Europas, wurden auch die vielen Verbesserungen gegenüber dem Vorgänger deutlich: Die Gefechte im Gelände sind wesentlich dynamischer, weil sowohl die Linieninfanterie als auch die Artillerie durchschlagskräftiger und die Charakteristika der Truppen markanter sind. Auf der Karte begegnet man einer anspruchsvolleren KI und freut sich sowohl über den authentischen Verschleiß samt Derserteuren, das effiziente Plündern sowie die neue Spionage und sinnvoll erweiterte Diplomatie. Letztere ist zwar immer noch nicht so lebendig wie man es sich wünschen würde, aber dafür begeistert Sega mit einem umfangreichen Online-Modus, der erstmals volle Kampagnen mit Freunden sowie das plötzliche Eingreifen in Schlachten ermöglicht.

Pro

dynamischere & knackigere Gefechte
frisches Szenario rund um Napoleon
drei Kampagnen: Italien, Ägypten, Europa
viele historische Militär- & Karrieredetails
effizientere Artillerie & Linieninfanterie
anspruchsvollere Gefechts- & Karten-KI
Verschleiß sorgt für anspruchsvollere Routenplanung
sinnvollere Spionage auf der Karte
erweiterte Diplomatiefunktionen
fünf Nationen militärisch deutlich differenzierter
neun historische Schlachten (Ligny, Waterloo etc.)
mehr grafische Details (Uniformen, Rauch, Regen etc.)
malerische Karte mit Wolkenschatten & Hitzeflimmern
Online-Kampfeinstieg möglich
Online-Kampagne für zwei Spieler mit Speicherfunktion
Online-Gefechte für bis zu acht Spieler
LAN-Unterstützung

Kontra

Napoleon bleibt als Charakter zu blass
nur noch fünf Kampagnen-Nationen
immer noch schwache Belagerungen
nur wenige Gebäude besetzbar
künstliches bzw. fehlendes Kampfverhalten in Siedlungen
nervige Wegfindung in eigenen Reihen
Kanonen schießen auf eigene Leute
Diplomatie nicht lebendig genug, manchmal unlogisch

Wertung

PC

Prächtigere Kulisse, dynamischere Schlachten und endlich mit vollem Online-Modus!

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