Nuclear Dawn08.11.2011, Benjamin Schmädig
Nuclear Dawn

Im Test:

Wer ist hier der Boss? Unser Commander errichtet zwar Gebäude und Geschütztürme - Anweisungen erteilt allerdings ein anderer. So ganz geht das Prinzip um einen Befehlshaber, der seine Truppen kommandiert, also nicht auf. Doch das tut gar nichts zur Sache, denn in einem guten Team erlebt man auch so packende  Gefechte! Falls man überhaupt ein Team findet...

Sprich mit ihnen!

Ein zentraler Aspekt kann überhaupt nicht funktionieren, wenn man Ego-Shooter und Echtzeit-Strategie zusammentut: Ihre Soldaten können die „von oben“ erhaltenen Befehle gar nicht ausführen. Denn selbst wenn sie z.B. einen markierten Stützpunkt überhaupt einnehmen wollen, ändern sich die Bedingungen in einem schnellen Actionspiel so rasant, dass sie nach ihrem Ableben in einer ganz anderen Situation wiederbelebt werden. Ein Kommandant müsste deshalb jedem Spieler schneller Anweisungen erteilen als er klicken kann - Gebäudebau, Forschung und Reparaturmaßnahmen gar nicht mitgerechnet. Vielleicht wäre es einfacher, wenn die Soldaten nicht bei jeder Wiederbelebung noch zwischen vier Spezialisierungen und unterschiedlicher Bewaffnung wählen dürfen.

Der Herr der Karte

Denn das sind die Eckpunkte dieser Teamkämpfe: Der Commander trifft über den Gebäudebau globale taktische Entscheidungen, die Soldaten tun es mit ihrer „Berufswahl“ im Kleinen. Und natürlich ist es egal, wie Befehle zugewiesen werden - ob per Point&Klick vom Kommandoposten aus oder per Sprachchat aus dem Gefecht heraus. Wichtig ist nur, dass das Team zusammenarbeitet, denn ohne das kluge Errichten wichtiger Gebäude sind die Soldaten verloren. Ohne deren cleveres Vorgehen hat wiederum selbst der beste Echtzeit-Stratege keine Chance. Schließlich müssen die Kämpfer durch das Einnehmen von Versorgungsposten den "Geldfluss" sicherstellen, während der Befehlshaber mittlere und vor allem große Posten mit Geschütztürmen sichern und die Forschung vorantreiben sollte. Immerhin wählt jeder Soldat nicht nur seine Spezialisierung, sondern entscheidet sich auch zwischen unterschiedlicher Ausrüstung. Und starke Waffen müssen erst entwickelt werden.

Der Commander ist übrigens selbst Soldat, verfügt auch über eine der Spezialisierungen. Als Einziger darf er aber im Bunker die taktische Karte aufrufen und manipulieren. Das Ziel jeder Partie ist der feindliche Bunker, doch der Weg dorthin ist steinig. Zum einen kann ein geübtes Team seine Basis gut verteidigen und zum anderen fehlt den Angreifern natürlich der Rückhalt: Geschützstellungen, um den Gegner in dessen eigenes Revier zurückzudrängen, sowie nahe Spawnpunkte, von denen Wiederbelebte schnell in den Kampf zurückfinden. Und so beginnt der Wettlauf um Versorgungsposten, damit der Baumeister möglichst bald wichtige Einrichtungen ordern kann. Kleine und mittlere Posten sind dabei ungemein wichtig - einen gewaltigen Schub erhält die Wirtschaft allerdings durch die Einnahme des einzigen großen Postens.

Wandelnde Flammenwerfer

Bei der Wahl ihrer Spezialisierung müssen die Soldaten zwei Aspekte im Auge haben: Welche Klasse ist mit wie vielen Kämpfern bereits vertreten und welches Ziel will man verfolgen? Für die Einnahme kleiner Versorgungsposten eignen sich Spione z.B. hervorragend, weil sie wieselflink sprinten und sich lange Zeit unsichtbar machen. Ein guter Spion sichert auf diesem Weg wichtige Ressourcen. Aber Vorsicht: Gewöhnliche Soldaten entdecken auch getarnte Agenten und sind ihnen mit stärkeren Waffen und besserer Rüstung überlegen! Echte Kolosse sind die Exos in ihren bis zu sechsmal dickeren Panzeranzügen. Sie tragen je nach Ausrüstung schwere Maschinengewehre oder Gebäude zerstörende Waffen und verwandeln sich in stationäre Geschütze, um noch mehr Schaden anzurichten. Selbstverständlich sind die Stampfer aber so bewegungsfreudig wie ein Flugzeugträger und cleveren Spionen fast hilflos ausgeliefert. Knifflig ist der Umgang mit den Ingenieuren, die zwar Gebäude reparieren oder zerstören, aber relativ schwache Waffen tragen. Mal abgesehen von fiesen EMP-Granaten und einem Flammenwerfer, der in geübten Händen viel Unheil anrichten kann...

Luft und Leitung

Ein richtiges Chaos richten dagegen Flammen speiende Geschütztürme an, die ein Kommandant in der Basis eines Gegners aufstellt. Diese sowie Raketenwerfer, aber auch MG-Stellungen sind gleichzeitig beste Verteidigung und optimale Angriffsoption des Befehlshabers. Dabei findet man keine Überraschungen unter den Bauplänen: Radarstationen klären das Umfeld auf, Versorgungsstationen heilen Kameraden und stocken ihre Munition auf, eine Forschungsstation erlaubt die Entwicklung stärkerer Waffen, Umwandler speisen entfernte Einrichtungen mit Strom.

Der Commander dirigiert von oben - sein Können entscheidet oft über Sieg oder Niederlage!
Der Commander dirigiert von oben. Sein Können entscheidet oft über Sieg oder Niederlage!
Das Imperium baut dabei „gewöhnliche“ Masten, die über eine direkte Verbindung viel Energie weiterleiten. Die Stationen des Konsortiums leiten hingegen wenig Energie weiter, tun dies aber sogar durch Mauern hindurch.

Das ungenaue Gleichgewicht

Daraus ergibt sich leider ein Problem, denn obwohl sich Kosten, Übertragungsreichweite und -stärke der unterschiedlichen Bauarten weitestgehend ausgleichen, gibt es Einsatzgebiete, in denen eine Partei im Vorteil ist. Überhaupt sind die Gefechte nicht immer ausgewogen. So setzen EMP-Granaten mehr als zehn Sekunden lang ganze Basen außer Gefecht! Dahinter mag eine gute Idee stehen, in der Praxis richtet man allerdings übermäßig viel Schaden an: Schwere Exos zerstören im Handumdrehen Verteidigungsanlagen und mehr, während in stillgelegten Stützpunkten keine Wiederbelebungen stattfinden. Als Gegner wartet man deshalb im schlimmsten Fall eine gefühlte Ewigkeit auf den Respawn - ein unnötig frustrierendes Erlebnis. Ganz allgemein wird man als Verteidiger schnell überrannt. Zumindest sollten die Zeiten zwischen Ableben und Respawn kürzer sein, je weniger Versorgungsposten ein Team besitzt. So könnte der Angreifer immer noch stark offensiv agieren, während die Verteidiger zumindest eine Chance hätten. Es macht einfach wenig Spaß, minutenlang einen längst geschlagenen Feind niederzuschießen, bis endlich mal der Gong ertönt. Ärgerlich sind auch die Fähigkeiten des Anführers, Feinde vom Stützpunkt aus zu vergiften oder zu attackieren: Es ist denkbar unbefriedigend, wenn man trotz cleveren Vorrückens plötzlich aus dem Nichts das Zeitliche segnet.

Meuterei!

Doch trotz der im Detail unausgewogenen Balance erleben in etwa gleichstarke Gegner viele packende Gefechte. Meist führen verschiedene Wege ans Ziel, weshalb man wichtige Positionen clever schützen muss und der Kampf um den primären Versorgungsposten oft in einem heißen Scharmützel entschieden wird. Drei Kameraden müssen sich eine Zeit lang an der Stellung halten, dann erst kann sie eingenommen werden. Die Wege zum Ziel führen dabei durch enge Gänge oder Keller, so dass man stets taktisch gefordert ist. Das Spannende ist die unvorhersehbare Dynamik, weil der Gebäudebau das Spielfeld im Grunde jedes Mal anders gestaltet.

Tokio bietet einige der eindrucksvollsten Ansichten in den wenigen sechs Einsatzgebieten.
Tokio bietet einige der eindrucksvollsten Ansichten in den sechs Einsatzgebieten.
Das Knifflige ist natürlich, wie sehr Erfolg oder Misserfolg von den Fähigkeiten eines einzelnen Spielers abhängt - aus diesem Grund darf man einen unfähigen Commander per Abstimmung seines Amts entheben. Schade, dass es nur sechs Einsatzgebiete gibt, die sich zumindest äußerlich stark unterscheiden. Die Technik, die schon Half-Life 2 befeuerte, kann ihre Altersfalten zwar nicht verbergen, das halb zerstörte London ist aber eine ebenso überzeugende Kulisse wie Tokios Innenstadt oder ein altes Fabrikgelände.

Man merkt schon, dass Nuclear Dawn (ab 2,10€ bei kaufen) (übrigens ein heißer Anwärter auf den Titel „Ideenlose Namensgebung“) ursprünglich als Source-Modifikation gedacht war, bevor es zum kommerziellen Projekt wurde: Neben der überschaubaren Anzahl an Karten fehlen eine bessere Darstellung von erteilten und erlittenen Treffern, deutlicher erkennbare Granaten und Raketen sowie markant hervorgehobene Gebäudetypen. Solche Zugeständnisse würde den Kampf nicht einfacher, aber transparenter machen und man könnte das Augenmerk stärker aufs Gefecht richten. Ganz besonders fehlt dem Spiel aber eine Einführung, die Einsteiger an die Hand nimmt. Einige mag es nicht schmerzen, dass es weder eine Kampagne für Solisten noch programmgesteuerte Gegner gibt. Dass eine Handvoll Einführungs-Videos lediglich rudimentäre Grundlagen erklären, ist allerdings ein schwerer Patzer. In irgendeiner Form hätte man das ungewöhnliche Konzept an die Spieler herantragen müssen - am besten in ganz einfachen Übungsmissionen. Stattdessen verlässt sich Nuclear Dawn auf die Geduld jener, die sich Respawn für Respawn das Regelwerk selbst erarbeiten...

Fazit

Es ist überhaupt kein Wunder, dass man im Normalfall genau einen kompletten und einen halb gefüllten Server findet - es gibt sogar Zeiten, in denen es gar kein Spiel gibt. Denn Nuclear Dawn tut nicht einmal so, als wolle es Spieler abseits einer Hardcore-Mehrspielerszene ansprechen. Auf eine Einführung verzichtet es fast komplett und die Darstellung der Kämpfe gibt wichtige Informationen nur mit Mühe preis. Abgesehen davon erlebt man unfaire Momente, weil nicht alle Spielelemente perfekt aufeinander abgestimmt wurden. Das sind ärgerliche Kleinigkeiten - die man dem ungewöhnlichen Spiel allerdings nachsehen kann. Immerhin entbrennen hinter der recht nüchternen Fassade und dem überschaubaren Umfang spannende Geplänkel, die weit über das schnöde Deathmatch in all seinen Varianten hinausgehen. Weil der Commander etwa Gebäude errichtet und Forschung vorantreibt, entwickelt sich jeder Kampf auf andere Weise. Das Schlachtfeld ist immer in Bewegung - dazu tragen auch die durchdachten Einsatzgebiete bei, in denen man auf verzweigten Wegen und an hart umkämpften Positionen anspruchsvolle Feuergefechte erlebt. Sowohl Denker als auch taktisch geschulte Kämpfer kommen zum Zug, wenn die einen das Einsatzgebiet aktiv gestalten und die anderen mit unterschiedlichen Rollen in den Kampf ziehen. Es ist mutig, das klar unterlegende Nuclear Dawn neben Battlefield 3 und Modern Warfare 3 zu veröffentlichen. Es ist trotz seiner Schwächen allerdings eine wertvolle Alternative!

Pro

taktisch offener Gefechtsverlauf
sehr verschiedene Spezialisierungen und Ausrüstungssets
durchdacht konstruierte Einsatzgebiete

Kontra

unzureichende Video-Einführung
kein Solospiel, keine Bots, keine Übungsmöglichkeit
Trefferfeedback, Granaten, Gebäude u.a. Informationen schwer auszumachen
einige unausgewogen mächtige Fähigkeiten

Wertung

PC

Spannende Online-Gefechte, die durch strategischen Gebäudebau und taktische Spezialisierungen im Kampf entschieden werden. Leider werden Solisten und Einsteiger sträflich vernachlässigt

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