Medieval: Total War19.09.2002, Jörg Luibl
Medieval: Total War

Im Test:

Shogun gilt noch immer als Geheimtipp für alle Hobby-Feldherren: Kampftaktik und Strategie in einem Mix begeisterte viele Genre-Fans. Mit Medieval: Total wollen die Entwickler von Creative Assembly an alten Tugenden anknüpfen und eine neue Welt zur Eroberung freigeben: das Mittelalter. Ob sich der Ausflug in die Zeit von Barbarossa & Co lohnt, erfahrt Ihr in unserem Test!

Willkommen im Mittelalter

Medieval: Total War (ab 7,98€ bei kaufen) entführt Euch in das europäische Mittelalter. Dabei haben die Entwickler ordentlich historisch recherchiert und neben der wissenschaftlichen Einteilung in das Früh-, Hoch- und Spätmittelalter auch zahlreiche authentische Personen, Einheiten und Feldzüge integriert.

Wer sich für den 100-jährigen Krieg interessiert kann z.B. die Schlachten von Crécy, Poitiers und Agincourt nachspielen; Kreuzzug-Begeisterte dürfen in die Fußstapfen von Richard Löwenherz oder Saladin treten und Braveheart-Fans führen die Schotten in Bannockburn an. Und im Gegensatz zum Vorgänger Shogun könnt Ihr diesmal auch Festungen schleifen und schweres Belagerungsgerät einsetzen.

Übung macht den Meister

Falls Ihr bisher wenig Erfahrungen als Feldherr oder König machen konntet, weisen Euch zwei vorbildliche Tutorials in die wesentlichen Spielelemente ein: In der Kampagneneinführung geht es um rundenbasierte Züge auf der Karte, die zur Ausweitung und Stabilisierung Eures Reiches dienen. Und in der ausführlichen Schlachteneinführung werden Euch die wichtigen Elemente der Truppenführung bzw. Belagerung vermittelt.

Vor allem Einsteiger sollten sich erst nach Abschluss beider Tutorials in die Kampagnen begeben. Insgesamt stehen hier vier Schwierigkeitsstufen zur Auswahl; außerdem könnt ihr die reine Eroberung oder ruhmreiche Leistungen als Siegbedingung festlegen.

__NEWCOL__König von Gottes Gnaden

Der Strategieteil von Medieval verströmt sofort nostalgisches Brettspiel-Flair. Auf einer edlen, zoombaren Europakarte könnt Ihr jedes Jahr bzw. jede Runde Generäle verschieben und königliche Befehle erteilen. Zwischendurch sorgen Ereignisse in Form von kleinen Pergament-Karten für Abwechslung - mal ist es Euer Nachwuchs, mal der Tod eines Herrschers oder festgelegte historische Geschehnisse wie die Kreuzzüge. Auf der Karte könnt Ihr neue Truppen ausheben, diverse Gebäude bauen, Allianzen schließen etc. Letztere sind für ein erfolgreiches Spiel sehr wichtig, denn ohne Verbündete ist man schnell isoliert. Ideal ist es daher, Abgesandte oder heiratswilligen Nachwuchs auf die Reise in Nachbarländer zu schicken. Wenn die legale Tour nicht fruchtet, könnt Ihr Armeen bestechen oder feindliche Regenten meucheln. Leider lassen sich die Spielfiguren nur per Mausklick anwählen, was in kleinen Provinzen mit vielen Besuchern schnell zur Geduldsprobe ausartet.

Christ oder Ketzer?

Auch die Religion spielt eine Rolle: Katholiken, Orthodoxe und Muslime paktieren am liebsten mit Glaubensgenossen und ächten Angriffe untereinander. Missachtet man die Glaubens-Etikette, kann das schnell einen dramatischen Domino-Effekt auslösen: Greift Ihr z.B. ein katholisches Königreich wie Aragon an, wird der Papst erst eine Drohung schicken und den Rückzug fordern. Bleibt Ihr im Land, fallen in der nächsten Runde bereits erste katholische Verbündete von Euch ab. Und schließlich wird Euch der Papst exkommunizieren und damit aller katholischen Verbündeten berauben. Das ist vorbildlich umgesetzt, aber leider gibt es ab und an auch Inkonsequenzen und höchst seltsame KI-Züge, die sich nicht um Religion scheren.

Gebäude & Spezialeinheiten

Der Strategietieteil ist komplexer als der von Shogun, aber trotz guter Ansätze wie Erbfolge, Religion und der Charaktereigenschaften der Anführer nicht sehr ausgefeilt; er beschränkt sich auf Aktion und Reaktion - Echtzeit-Verhandlungen à la Civilization III oder das komplexe Bündnisspiel aus Europa Universalis 2 werden nicht geboten. Trotzdem sorgen viele kleine Details für genug Entscheidungsfreiraum:

Es gibt z.B. strategische Einheiten wie Inquisitoren oder Spione, die Burgtore öffnen und wichtige Details preisgeben können. Hinzu kommt ein komplexer Technologiebaum in fünf Stufen. Der garantiert jedem Volk bestimmte Spezialgebäude wie Moscheen für Muslime oder fürstliche Anwesen für Katholiken - 90% der Gebäude sind jedoch allgemein zugänglich. Auf der ersten Stufe verfügen alle Völker z.B. nur über eine sporadische Holzbefestigung, die dann Schritt für Schritt von der Motte über die Festung zu einer imposanten Steinburg ausgebaut werden kann. Hinzu kommen Häfen, Bergwerke, Ackerbau-Verbesserungen und Handelsposten, die jede Provinz zu einer blühenden Region machen.

Für Abwechslung sorgen auch 18 Spezialeinheiten, die immer an bestimmte Völker gebunden sind: Nur die Schotten können z.B. Highland-Clansleute ins Feld schicken. Insgesamt kann Medieval: Total War mit einem Aufgebot von etwa 100 Einheiten glänzen, die in 13 Waffengattungen gegliedert sind. Diese Vielfalt reizt das Schere-Stein-Papier-Prinzip voll aus und eröffnet viele taktische Möglichkeiten. Kommt es irgendwo zum Kampf, könnt Ihr das Ergebnis automatisch berechnen lassen oder in den 3D-Schlachtenmodus umschalten.

__NEWCOL__Schlachten lenken

Vor jedem Kampf könnt Ihr zunächst das komplett dreidimensionale Feld begutachten, evtl. auf besseres Wetter warten und vorgefertigte Anfangsformationen wählen - ein Sahnehäubchen für Kenner, denn es gibt bekannte historische Schlachtreihen wie z.B. die trichterförmige Langbogenaufstellung der Engländer.

Schlachten zu lenken ist dank der intuitiven Steuerung kein Problem: Ihr habt die Wahl zwischen Maus- und/oder Tastatursteuerung. Jede Truppe lässt sich direkt anwählen und per Kontextmenü befehligen. Hinzu kommt die aus Shogun bekannte Benutzeroberfläche, die Einheiten und Formationsbefehle in zwei Buttonleisten darstellt.

Ideal für komplexe Truppenbewegungen und Hinterhalte ist der Wegpunktebefehl, der einer Einheit eine bestimmte Strecke zuweist. Findet sich dann noch irgendwo ein Wäldchen, kann sich eine ganze Kriegermeute sogar verstecken (symbolisiert durch einen Baum) und dem Feind in den Rücken fallen.

Ein wesentliches Merkmal für den Schlachtverlauf ist neben dem Überraschungsmoment auch die Richtung des Angriffs: Galoppiert Eure Kavallerie auf die Flanke eines Bogenschützen-Regiments, wird sich schnell Panik breit machen. Werden sie gar von hinten angegriffen, sind die Verluste enorm. Schon in Warrior Kings haben diese Realismus-Komponenten fasziniert.

Chaos verwalten

Aber trotz aller Formationen und ausgeklügelter Taktiken entwickelt jede Schlacht irgendwann eine ungezügelte Eigendynamik. Das ist historisch korrekt, aber verlangt spielerisch höchste Aufmerksamkeit: Wenn sich an einem Schlachtfeldende plötzlich ganze Verbände auflösen, oder die Bogenschützen die Flucht ergreifen, weil ihre Flanke attackiert wird, kann man schnell in Panik geraten. Hier hilft immerhin die Pausefunktion, die Euch in Ruhe einige rettende Befehle erteilen lässt - ohne dieses Feature wäre das Ganze zu chaotisch.

Trotz Pause trüben einige Inkonsequenzen das Feldherrn-Glück: Erstens sorgt die Gruppenbildung von zwei gleichen(!) Verbänden nicht dafür, dass Ihr einen großen Verband habt, sondern zwei kleine zusammen steuert. Das führt dazu, dass z.B. zwei Kavallerie-Regimenter nach der Gruppenbildung nicht einen Keil, sondern zwei bilden - damit beraubt man den Taktikteil um eine stoßkräftige Komponente und vergrößert die Unordnung auf dem Schlachtfeld.

Zweitens lösen sich breite Fronten nicht automatisch zu einer Einkesselung des auf schmaler Linie angreifenden Gegners auf, sondern verharren starr auf ganzer Linie. Hier hätte ein Umzingelungsbefehl Wunder gewirkt.

Und drittens lassen sich Artillerie-Einheiten nicht bewegen; sie verharren an einmal gewählten Punkten - schade.

__NEWCOL__Dürftige Mittelalter-Kulisse

Medieval: Total War wird wahrlich keinen Schönheitspreis gewinnen. Der hervorragende Ersteindruck des Intro-Videos ist nur von kurzer Dauer. Die Spielgrafik hat sich im Vergleich zum Vorgänger nur unwesentlich verbessert und bleibt in Sachen Details weit hinter der 3D-Konkurrenz zurück: Egal ob hässliche Bodentexturen, detailarme Einheiten oder abgehackte Animationen - Augen zu und durch. Auch filmische Zwischensequenzen sind Fehlanzeige, was angesichts der pompösen Einleitung äußerst schade ist.

Doch wo Schatten ist, ist auch Licht: Medieval ist trotz allem kein optischer Totalausfall. Ein kleines Highlight ist z.B. die edle 2D-Karte, die zwar keine Animationen aufweist, aber durch zahlreiche durchgestylte Infofenster im Pergament-Gewand geschmückt wird. Auch das Schlachtfeld entfaltet seinen Reiz aus einer gewissen Entfernung: Die Landschaft ist in der Panoramaperspektive aufgrund der hohen Sichtweite sehr stimmungsvoll. Außerdem ist das Einheitenaufgebot überwältigend: Wenn sich Tausende von Kriegern in Kolonnen in Marsch setzen, Staub aufwirbeln und zum Sturmangriff übergehen, kommt Braveheart-Feeling auf. Man sollte nur nicht in die Mann-gegen-Mann-Kämpfe zoomen…

Im akustischen Bereich glänzt die heroisch-epische Hintergrundmusik und auch die Sprachausgabe und die Sound-Effekte sind gelungen. Allerdings hätte es auf dem Schlachtfeld noch etwas kerniger und abwechslungsreicher zur Sache gehen können.

Fazit


Medieval: Total War wird keinen Schönheitspreis gewinnen. Aber das hässliche Entlein überzeugt mit inneren Werten, die jeden Genre-Fan lange Zeit fesseln werden: Wer sich nur im Entferntesten für mittelalterliche Königreiche und Schlachten interessiert, wird bestens bedient, denn Ihr seid Regent und Feldherr in einer Person. Gerade diese Verquickung von packender Kampftaktik und strategischer Machtentfaltung macht schnell süchtig. Dazu gibt`s eine geballte Ladung historischer Atmosphäre mit vielen stimmungsvollen Details zu Herrschern und Provinzen sowie informative Zufallsereignisse. Wenn da nicht die kleinen Motivationsbremsen im KI-Bereich wären, die Gruppenbildung leichter von der Hand gehen und das Auge nicht so gerne mitessen würde, hätte Medieval sogar in Award-Nähe rücken können. Unterm Strich ist es jedoch besser als Shogun und damit jedem Genre-Fan wärmstens zu empfehlen!

Pro

<li>zwölf Völker</li><li>Pausefunktion</li><li>Burgbelagerungen</li><li>einfache Bedienung</li><li>vorbildliche Tutorials</li><li>Massenschlachten in 3D</li><li>sehr gute Kamerafunktionen</li><li>tolle historische Kampagnen</li><li>unglaubliche Einheitenvielfalt</li><li>authentische Schlachtentwicklung</li><li>Strategie und Taktik im Doppelpack</li><li>stimmungsvolle Panoramaperspektive</li><li>gutes Handbuch inkl. farbiger Übersichtkarte</li>

Kontra

<li>unbewegliche Geschütze</li><li>abgehackte Animationen</li><li>Grafik im Detail schwach</li><li>teils zu starre Formationen</li><li>Probleme bei der Gruppenbildung</li><li>teilweise seltsame KI-Entscheidungen</li>

Wertung

PC

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