Football Manager 201103.12.2010, Mathias Oertel
Football Manager 2011

Im Test:

Der beste Fußball Manager kommt woher? Richtig: Aus dem Kölner Bright Future-Studio. Stellt man diese Frage jedoch in England, wird man als Antwort die britische Hauptstadt London hören. Dort sitzt nämlich Sports Interactive, das Team hinter der Football Manager-Serie, deren neuester Teil wie in den letzten Jahren bedingt durch Lizenzgerangel nur als Import zu haben ist.

Die Immer-Wieder-Samstags-Trainer

Tatort: Die Imtech-Arena in Hamburg. Es ist Samstag, 15:30 Uhr. Anpfiff zur Partie Hamburger SV gegen VfB Stuttgart. Und bereits mit der ersten vergebenen Chance durch Jonathan Pitroipa werden sie schon wieder laut: Die Alleswisser. Die Supertrainer, mit denen ihr Verein endlich aus der Tristesse entkommen würde. Mitten rein in den europäischen Wettbewerb - mindestens. Und die Meisterschaft hätten sie auch schon in Serie gebucht. Und sie werden auch nicht leiser, wenn ihr Verein siegt. Denn schließlich gibt es immer Steigerungs-Potenzial.

Tabellenstrukturen sind Trumpf: Der Football Manager besticht nicht durch visuellen Glanz, sondern durch innere Werte.
Ich muss zugeben, dass ich auch irgendwie zu dieser Fraktion gehöre. Allerdings lebe ich diese Trainer-Fantasien vor dem Bildschirm aus und nicht im Stadion. Und wie jedes Jahr im Spätherbst bzw. Frühwinter gibt es zwei Titel, die um meine Gunst buhlen. Auf der einen Seite steht der Fussball Manager von Electronic Arts, dessen aktuelle Ausgabe mit einem 86%-Goldaward in die Saison gestartet ist. Und auf der anderen Seite befindet sich der wegen Lizenzgerangels (EA hält die Bundesliga-Lizenz exklusiv) abermals nur als Importversion erhältliche Football Manager (FM) von Sports Interactive/Sega, der traditionell einen anderen Fokus setzt und sich letztes Jahr nach einem harten Duell knapp vor den deutschen Konkurrenten setzen konnte.

Denn wo man bim deutschen Bright Future-Team auf ein kompaktes Rundum-Glücklich-Paket setzt, bei dem man beim Ausschöpfen aller Optionen die absolute Allmacht im Verein darstellt und sportliche sowie wirtschaftliche Aspekte bis ins Detail planen kann, setzt der britische Vertreter auf das pure Trainer-Dasein. Hier gibt es kein Festlegen der T-Shirt-Preise (nicht einmal optional) oder Hickhack um Eintrittskarten-Preise.

Fußball ist Kopfsache

Aber das machte der Sega-FM bereits letztes Jahr beinahe in Perfektion, wobei die offensichtlichste Schwäche die vorsintflutliche Präsentation war, die an die gute alte Excel-Ära erinnerte. Und dieses Jahr? Zumindest in dieser Hinsicht bleibt sich die Serie treu: Einsteigern wird nicht nur durch das äußerst spartanische Handbuch (die komplette Version gibt es nur online auf der offiziellen Seite), sondern auch durch die spröden Ansichten und Menüstrukturen sowie die nicht immer übersichtliche Darstellung das Leben schwer gemacht.

Es dauert eine Weile, bis man sich zurechtgefunden hat und mit nur wenigen Klicks dorthin kommt, wo Entscheidungen gefällt und Einstellungen festgelegt werden müssen. Doch sobald man die wesentlichen Punkte verinnerlicht hat -oder aber, wenn man zu den FM-Veteranen gehört- kann man sich auf ein mitunter erschreckend intensives Fußballerlebnis freuen - etwas Fantasie vorausgesetzt. Denn mehr noch als beim Konkurrenten aus Deutschland ist man darauf angewiesen, die Texte und Tabellen mit seiner Vorstellungskraft zum Leben zu erwecken. Spielt man z.B. die deutsche Liga, die auch ohne komplette Lizenzierung mit Spielern, Vereinen, Trainern und Funktionären enthalten ist, muss man auf viele Spielerbilder verzichten, wie man sie z.B. in der englischen Premiere League findet.

Alltags-Stress

Verdammt. So wird das nix. So werde ich virtuell niemals Sir Alex Ferguson nacheifern können, der mittlerweile in seinem sage und schreibe 25. Jahr bei Manchester United als Trainer (im Englischen: Manager) beschäftigt ist und in dieser Zeit die Mannschaft bei mehr als 1350 Spielen betreut hat - eine schier unglaubliche Zahl in dieser schnelllebigen Fußballzeit, bei der drei oder vier Niederlagen in Folge schon das Schicksal des Coaches besiegeln können.

Dabei fing es so gut an: Ich habe beim HSV angeheuert, der Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann hieß mich in einer Mail willkommen, die nach einem Titel dürstenden Fans waren zwar angesichts meiner bislang noch nicht vorzuweisenden Erfolge skeptisch, aber in einer ersten Pressekonferenz konnte ich sowohl die Medien als auch die Anhänger besänftigen und von meinem Konzept des attraktiven Angriffs-Fußballs begeistern.

Ich habe zusammen mit meinen Co-Trainern und Scouts Analysen durchgeführt, welche Spieler sich im  Training mit welchen Methoden verbessern können, Trainingspläne erstellt und nach einigen erfolgreichen Freundschaftsspielen ging es schließlich mit einem Sieg in die Saison. Ich hätte zwar noch gerne noch ein oder zwei Spieler verpflichtet, doch wie mir der

Gespräche wurden neu strukturiert, lassen aber Tiefe und Auswahlmöglichkeiten vermissen.
Aufsichtsrat in einem Gespräch mitteilte, müsse ich mich mit dem zufrieden geben, was ich an Spielermaterial habe, da neue Kicker nur dann gekauft werden können, wenn alte möglichst gewinnträchtig abgegeben werden. Schade, ein Ji-Sung Park, der mir von Manchester United angeboten wurde, hätte für mein Team eine willkommene Verstärkung dargestellt.

Doch auch ohne Spielertransfers liefen die ersten Saisonspiele gut: Nach fünf Spieltagen lag die Mannschaft noch ohne Niederlage im oberen Tabellendrittel - alles im Plan. Doch dann kam die erste Niederlage. Die Moral in der Mannschaft ging nach unten und konnte von dem darauf folgenden Unentschieden nur eingeschränkt aufgefangen werden.

Denn danach ging es rapide bergab. Es folgten zwei weitere Niederlagen, es kam Verletzungspech hinzu, das schließlich zu einer Systemumstellung führte, mit der die Mannschaft nicht sofort klar kam. Und schon kam es zu einem Teufelskreis: Teile der Mannschaft wurden unzufrieden, die Einzelgespräche brachten nur eingeschränkt Erfolg und in einem Fall hat das eigentlich harmlos begonnene Gespräch zu einem bitteren Zerwürfnis geführt, bei dem der Spieler mir ganz offen sein Misstrauen mitteilte - und dass er sich nicht vorstellen kann, für mich zu spielen. Starker Tobak!

       

Bis die Mannschaft insgesamt wieder einigermaßen funktionierte, gab es einige Multiple-Choice-Pressekonferenzen nach verlorenen Spielen inklusive klischeehafter Durchhalteparolen, noch einige weitere Einzelgespräche, viele Versuche, vor den Spielen oder in der Halbzeit die Mannschaft per "Team Talk" mit wechselndem Ergebnis zu motivieren und letztlich einen Platz im gesicherten Niemandsland. Dennoch wurden in der Presse immer wieder Gerüchte laut, dass man im Vorstand bereits über eine Beurlaubung bzw. Entlassung meinerseits nachdachte. Und obwohl in einem Gespräch mit Vorstand und Aufsichtsrat zwar Bedenken angesichts der momentanen Tabellensituation geäußert wurden und es danach aussah, als ob ich beim HSV eine zweite Saison erleben könnte, wurde etwa Mitte der Rückrunde die Reißleine gezogen...

Taktik-Geplänkel: Wer will, kann das Verhalten bei Standardsituation bis ins Detail planen.
Nach einem kleinen Gastspiel in der zweiten englischen Liga bei Swansea, das ich auf eigenen Wunsch beendete, nachdem ich entgegen aller Erwartungen den Klassenerhalt für die Briten gesichert hatte, bin ich wieder zurück in Deutschland. In der zweiten Liga. In Paderborn. Und ich freue mich auf den Aufstieg und das Wiedersehen mit "meinem" HSV. Rache ist süß!

Tabellen und Emotionen

Es ist kaum zu glauben, dass ein Titel, der trotz der Unterstützung auch hoher Auflösungen wie kaum ein anderer mit seinen mitunter staubtrockenen tabellarischen Strukturen wie ein Relikt aus längst vergessenen Spielezeiten wirkt, derart in seinen Bann zieht.

Aber ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich in freien Minuten nachdenke, wie die Mannschaft denn besser aufgestellt werden und welche Schritte ich ergreifen könnte, um ein schlagkräftiges Team auf dem Platz zu haben. Das Geheimnis des FM liegt wie gehabt einerseits in der Reduzierung auf das Wesentliche, während man andererseits sicher sein kann, dass alles, was man einstellt oder entscheidet, eine Auswirkung zeigt und gut miteinander verzahnt wurde. Das Ursache-Wirkung-Prinzip ist seit jeher eine der Stärken der Trainer-Simulation aus dem Hause Sports Interactive - und das ist hier nicht anders. Das beginnt beim Training, geht bei den Spieler- oder Team-Gesprächen weiter und hört erst bei der taktischen Einstellung der Mannschaft auf den nächsten Gegner auf, die man natürlich auch während des Matches weiterhin modifizieren kann und die auch hier sofort spür- und sichtbar ist.

Aber: Das kennt man bereits alles aus dem Vorjahresmodell. Daher muss geklärt werden, in welchen Bereichen man inhaltliche Fortschritte und Ergänzungen findet. Als da wären: Verbesserte Gesprächsinteraktion, überarbeitete Pressekonferenzen, neue Trainingsoptionen sowie neue Optionen im Bereich Transfermarkt/Spielervermittler. Plus natürlich zahlreiche kleinere Änderungen, deren Auswirkung sich aber meist nur Hardcore-Managern der alten Garde beim Suchen in der dritten oder vierten Tiefgangs-Ebene zeigt.

Das Ziel ist dabei selbstredend, das Spielerlebnis nochmals intensiver zu gestalten - vorausgesetzt wohlgemerkt, dass man auch gewillt ist, die starren Tabellen mit Hilfe der Fantasie zum Leben zu erwecken. Und in den Punkten Training und Pressekonferenzen ist das Vorhaben gelungen. Während Ersteres mit noch mehr Möglichkeiten sowohl zur individuellen 

So sah es früher in der D-Jugend aus, wenn mein Trainer etwas auf die Tafel malte... Hier stellen die Linien jedoch einen Teil der umfangreichen Analyse-Tools dar.
Verbesserung als auch zum Einstudieren bestimmter Taktiken weiteren Tiefgang bietet, wurden die Gegenüberstellung mit der Presse einerseits entschlackt, andererseits vertieft. Soll heißen: Die Frequenz der Konferenzen wurde optimiert, man ist nicht mehr so häufig wie noch letztes Jahr im Multiple Choice-Einsatz. Und es gibt vieleneue interessante Fragen.

Bei den Interaktionsmöglichkeiten, z.B. in Gesprächen mit Spielern oder dem Aufsichtsrat, kommt ein neues "Dialog"-System zum Einsatz, das die Reaktionen besser kennzeichnen soll. Der Ansatz ist gut, allerdings gibt es insgesamt zu wenige Optionen, so dass ein harmlos begonnener Small-Talk, bei dem man einen Spieler nur dazu bringen möchte, ein Nachwuchstalent als Mentor unter die Fittiche zu nehmen, letztlich sogar dazu führen kann, dass der Spieler mehr oder weniger seine Arbeit verweigert. Das führt nicht nur in der Anfangsphase, sondern auch im späteren Spielverlauf immer wieder zu Irritationen.

Über (fast) alle Zweifel erhaben

Sicher ist: Die Matchdarstellung ist auf den ersten Blick der von der FIFA-Engine angetriebenen Konkurrenz-Variante nach wie vor unterlegen. Zuschauer, deren Anzahl in keiner Form den verkauften Tickets entspricht und deren Animationsbibliothek sich auf eine Hand voll Phasen beschränkt, machen nicht viel her. Diesen Eindruck vermittelt auch das Geschehen auf dem Platz in den ersten Momenten: Obwohl die Anzahl der Bewegungsphasen im Vergleich zum Vorgänger deutlich aufgestockt wurde, wirken nicht nur Grätschen und Dribblings um ein Vielfaches weniger filigran als beim deutschen Manager-Kollegen.

Doch sobald die ersten Pässe schnell das Mittelfeld überbrückend aus der Abwehr in den Sturm gespielt werden, Schüsse knapp über das Gebälk streichen und die Schiedsrichter sogar Abseitstore geben, sind die Details der visuellen Darstellung fast egal. Denn ehe man sich versieht, übernehmen Emotionen die Zügel und geben einem die Sporen. Man schreit den Monitor an, schimpft auf den Schiedsrichter, spult zweifelhaft Szenen nochmals zurück und schaut sie sich wieder und wieder an: Das war kein Abseits! Das war ein reguläres Tor! Verdammt noch mal!

Und in diesem Moment sind mir die spröde Benutzerführung und das Excel-Design egal. Was Sports Interactive hier an dynamischer Spielintelligenz und konsequenter Umsetzung der Match-Taktiken in der Matchdarstellung präsentiert, ist bis auf vernachlässigbare Ausnahmen einfach nur grandios. Vor allem auch, weil man im Taktikbereich jedem einzelnen Spieler  haarklein Aufgaben zuschreiben kann. Soll die Sechser-Mittelfeldposition vor der Abwehr eher defensiv oder offensiv ausgelegt werden? Soll die rechte Mittelfeldoffensive wie Arjen Robben immer in die Mitte ziehen oder zusammen mit dem

Die Matchdarstellung wirkt spartanisch, bietet aber die beste Matchlogik und die höchste Dramatik, die man derzeit in einem Manager-Titel erleben kann.
Verteidiger die Seitenlinie beackern? Wie viel kreativen Freiraum gibt man der Mannschaft im Allgemeinen? Es gilt haufenweise Entscheidungen zu fällen. Und alle haben sie Auswirkungen. Sowohl unmittelbar als auch mittelbar für das Mannschaftsgefüge und die Spielweise der Mannschaft. Für unbeteiligte Zuschauer sieht es so aus, als ob sich 22 Strichmännchen eine Pixelkugel zuschieben. Für den Trainer vor dem Schirm ist das einzige Erlebnis, das noch emotionaler ist, ein Besuch im Stadion.

Zumal man auch -für 16:9-Bildschirme empfohlen- haufenweise Gagdets mit weiteren Infos zuschalten kann. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, taktische Änderungen durchzuführen, ohne sich erst umständlich von Menü zu Menü hangeln zu müssen.

Dass es keinen "Textmodus" im klassischen Sinne gibt und stattdessen nur eine schnelle Abfolge mehr oder weniger emotionsloser Textbausteine, von denen es auch nicht allzu viele gibt, lässt sich verschmerzen. Denn der Vorteil liegt hier in der einheitlichen Ergebnisfindung. Egal ob man das Spiel komplett betrachtet, sich nur Highlights anzeigen lässt oder pur auf Text setzt: Für alle Varianten gilt die gleiche Berechnung.

   

Fazit

FM oder FM? Das ist hier die Frage. Wer eine voll lizenzierte Spielumgebung, verschiedene Darstellungs- und Berechnungsweisen und vor allem die wirtschaftlichen Aspekte drumherum braucht, wird guten Gewissens zum "deutschen" Manager von Bright Future/EA greifen. Wer jedoch auf Schnickschnack verzichten kann und sich auch von einer spröden Präsentation sowie einer nicht zu unterschätzenden Eingewöhnungszeit oder der englischen Sprachbarriere abschrecken lässt, sollte einen Blick auf das aktuelle Motivationswunder von Sports Interactive werfen. Denn was diesem Trainer-Simulator an visuellem Glanz, Wirtschaftsaspekten oder Lizenztiefe fehlt, macht er durch die Emotionen wett, die von der überzeugenden Matchengine abseits des Zuschauer-Umfeldes auf den Bildschirm gezaubert werden. Durch die gut miteinander verzahnten und nach einem glaubwürdigen Ursache-Wirkung-Prinzip funktionierenden Mechanismen, bei denen selbst kleine Entscheidungen große Auswirkung haben können, entsteht authentisches Fußballflair. Das größte Problem ist auch nicht die excellige Präsentation, sondern der Vorgänger. Denn auch wenn dieser Football Manager derzeit den absoluten Höhepunkt der Serie markiert und mit vielen kleinen Änderungen punktet, ist der Fortschritt im Vergleich zum letzten Jahr eher verhalten. Als Gesamtkonstrukt stagniert man dieses Jahr ebenso wie der Kollege aus Köln, den man jedoch abermals knapp schlagen kann.

Pro

aufgeräumte Menüstruktur
optimierte 3D-Matchdarstellung
bewährte, überzeugende Matchberechnung
Transferbudgets vom Aufsichtsrat reglementiert
Spannung & Dramatik
Fehlentscheidungen der Schiedsrichter
diverse Assistenten
harte Transferverhandlungen
umfangreiche Statistiken
Live-Match-Analysetool
zahlreiche Möglichkeiten, während des Matches einzugreifen
logische Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung
eigene Taktiken erstellbar
gutes Trainingssystem

Kontra

spröde Präsentation
ganz schwache Soundkulisse
relativ hohe Verletzungsanfälligkeit der Spieler
Pressekonferenzen nutzen sich ab
Texte zu den Matchszenen schwach
seltene Schwächen in der Matchlogik
neue Gesprächsoptionen führen zu unerwünschten Ergebnissen

Wertung

PC

Taktische Tiefe, plausible Ursache-Wirkung-Prinzipien sowie eine überzeugende Match-Engine sorgen dafür, dass die spröde Präsentation keine Rolle spielt.

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