Psychotoxic06.09.2004, Marcel Kleffmann
Psychotoxic

Im Test: Eine tanzende Kuh mit Vierfach-Maschinengewehr als Euter, große Zombies mit Flammenwerfern und knallbunte Comic-Endgegner: Wie gut ist der abgefahrene Shooter?

Eine tanzende Kuh mit Vierfach-Maschinengewehr als Euter, große Zombies mit Flammenwerfern und knallbunte Comic-Endgegner sind dem äußerst kreativen Geist der deutschen Entwickler von Nuclearvision entsprungen. Ob der Ego-Shooter Psychotoxic (ab 22,45€ bei kaufen) ähnlich cool zu spielen ist oder eher zur Dutzendware gehört?

Apokalypse made in Germany

Das Jahr 2022: Die Welt steht, mal wieder, vor der totalen Vernichtung. Der fanatische Satanist Reverent Aaron Crowley versucht mit dem vierten Reiter der Apokalypse, einer mysteriösen Maschine aus der Antike, die Selbstzerstörung der Menschheit einzuleiten. Dazu produziert diese unablässig Naniten, die sich global verteilen und das Gewaltpotential der Menschen immens verstärken.

In den realen Szenarien trefft ihr hauptsächlich auf menschliche Kontrahenten.
So beginnen langsam alle Erdlinge durchzudrehen und greifen sich gegenseitig an. In diesem Chaos wacht die schnittige Heldin Angie Prophet auf und rückt unfreiwillig ins Zentrum der Geschehnisse, denn sie hat einmalige Engel-Fähigkeiten, die der Schüssel zur Rettung sein könnten...

Düsterer Psychotrip

Ihr führt Angie Prophet in typischer Ego-Shooter-Manier durch insgesamt 29 lineare Levels, davon sind 19 Missionen in der realen Welt angesiedelt, während zehn Einsätze in den Gedankenwelten anderer Menschen stattfinden - schließlich hat Angie ja die besondere Fähigkeit, sich in die Psyche anderer Mitmenschen zu versetzen und dort nach Hinweisen zu suchen. Die zehn Gedankenwelten sind das absolute Highlight in Psychotoxic und sprühen nur so vor kreativen abgedrehten Ideen und konkurrenzloser Originalität: So kämpft ihr euch durch Tron-Gebäude-Komplexe mit umgekehrter Gravitation, höllische Kathedralen, knallbunte Comics (inkl. 16 Tonnen Gewicht), bizarre Unterwelten oder ein Stummfilm-Mittelalter-Level, in dem ihr unter Zeitdruck Standuhren zerstören müsst, damit die reale Person nicht das Zeitliche segnet.

Traum und Realität

So abwechslungsreich und abgedreht die Traumwelten auch sind, so gewöhnlich sind die normalen Levels: Auf der Erde kämpft ihr in New York, der Air Force One, der Pussy-Bar, im Central Park, der U-Bahn, auf einem Flughafen gegen zahllose Gegnermassen. Dabei verkommt das Spiel schnell zu einer hektischen Ballerorgie auf Speed (à la Devastation) gegen eine monströse Anzahl immer der gleichen Widersacher ohne Gehirn.

Auf diesen Warnhinweis solltet ihr unbedingt achten!
Ihr spurtet also durch die Levels, ballert Fieslinge um, sucht gelegentlich nach Keycards, zerlegt die weitgehend zerstörbare Umgebung, amüsiert euch an der Selbstironie oder gelegentlichen versteckten Witzen und schießt weiter. Generell wirken viele dieser realistischen Szenarios zu gewöhnlich und ziemlich altbacken (nicht nur von der Engine her), ja sind schon fast langweilig. Auch das zu hektische Gameplay ist längst nicht mehr zeitgemäß. Diese Kritikpunkte zehren gehörig an der düsteren Atmosphäre und lassen Psychotoxic manchmal zur hirnlosen Ballerorgie ausarten. Da helfen selbst die Engel-Fähigkeiten nicht, die Angie im Laufe der Levels kurzzeitig aufsammeln kann. Mit diesen Fertigkeiten kann sie eine Art "Bullet-Time" auslösen, einen Schutzschild erzeugen, sich unsichtbar machen oder heilen. Allerdings kann die Heldin immer nur eine Kraft auf einmal beherrschen und alle anderen werden danach automatisch vergessen. Daher müsst euch genau überlegen, welche Kraft ihr wann und wo einsetzt. An manchen Spielstellen ist es gar unumgänglich, eine spezielle Fähigkeit einzusetzen, aber falls dies der Fall sein sollte, findet ihr immer rechtzeitig eine entsprechende Dosis an Fertigkeiten.

 

Licht und Schatten

Sprunghaft präsentiert sich auch das Level-Design: Manche Abschnitte sind absolut famos in Szene gesetzt, sprühen vor coolen Ideen und machen richtig Spaß - z.B. die Traum-Welten, der Tauchgang und die Nautilus; während andere Levels an chronischer Langeweile, belanglosen Missions-Zielen und akuter vorhersehbarer Gegner-Platzierung kranken. Zwischendurch schwankt der Schwierigkeitsgrad enorm:

Der Tauchgang zur Nautilus ist ein aquatisches Highlight.
So ist der Central Park (im ersten Drittel des Spiels) ein wahrer Spielspaß-Killer. Dies liegt aber wohl am vergeigten Design des Auftrages, da ihr zunächst von A nach B laufen müsst, danach zu Punkt C und abschließend wieder nach A. Währenddessen machen euch endlose Gegnerscharen im weit verzweigten Park das Leben schwer. Auch eine Pseudo-Schleich-Mission im Flughafen muss mit der Unsichtbarkeit-Fähigkeit absolviert werden - hier tun sich ganze Gameplay-Abgründe im Vergleich zu aktuellen Stealth-Titeln auf.

Masse statt Klasse

In den Missionen trefft ihr auf allerhand Gegner. In den echten Welten treten euch SWAT-Teams, Polizisten, Wachmänner, Pöbel und sonstige zwielichtige Gestalten vor die Mündung, während das Gegner-Repertoire in den Traumwelten weitaus breiter gefächert ist. So dürft ihr hier gegen Geister, Werwölfe, Gasmasken-Metzger, Spinnen, Zombies und die äußerst originelle Kuh mit MG-Euter antreten. Dabei haben alle Gegner eines gemein: eine äußerst durchwachsene künstliche Intelligenz. Vor dem Hintergrund, dass alle Leute dank der Naniten durchdrehen und ungemein blöd handeln, sind einige Aktionen der KI noch zu verschmerzen, aber da manche Feinde überhaupt nicht auf den Spieler reagieren oder gar eigenen KI-Kollegen in den Rücken ballern, müssen doch starke Abstriche gemacht werden: Masse statt Klasse. Zu Leibe rückt ihr den zahlreichen Feinden mit einem weitreichenden Waffenarsenal aus MGs, Pistolen, Schrotflinten und Co. Auch ein Flammenwerfer ist mit von der Partie und besonders im Nahkampf durchaus zu gebrauchen, während die mechanische Bulldogge von ganz alleine herumläuft und bei Kontakt mit dem Gegner detoniert.

In der Air Force One schwankt der gesamte Level hin und her.
Technik anno Alt

Psychotoxic basiert auf der Trinity Grafik-Engine und besonders hier wird die lange Entwicklungszeit deutlich: Das Spiel hängt sich nämlich selbst an der gewollten Abwechlungs-Lawine der Levels auf. So bieten fast alle Levels ein komplett eigenes Design-Set, meist aber mit verschwommenen, niedrig aufgelösten Texturen und einem generellen supereckigen Design, das irgendwie schwer an Half-Life erinnert. Wenige andere Levels erstrahlen hingegen mit hübschen Textur-Tapeten, aber das ist eher die Ausnahme. Ebenfalls schwach auf der Brust sind die Modelle der Gegner, die auf der Hartz IV Polygon-Sparreform basieren sowie das hin und her ruckelnde Pixel-Wasser. Lediglich die hübschen Partikeleffekte und gelegentlich eingesetzte Shader werten die Grafik-Kulisse auf. Positiv aufgefallen ist außerdem, dass zahlreiche Gegenstände in den Levels zerstörbar sind (z.B. Bilder, Flaschen, Fässer, etc). Die gleiche Durchschnittsklasse verströmt der Sound, der mit teils guten Effekten, aber nervigem Krach (genannt "Musik") aufwartet. Die Sprachausgabe ist ebenfalls pures Mittelmaß, da viele Texte der Heldin arg langweilig und teilnahmslos vorgetragen werden; besonders zu Beginn wirkt Angie wie eine einschlafende Nachrichtensprecherin, die sich für nichts interessiert.

  

Fazit

Der Ego-Shooter Psychotoxic kommt einige Jahre zu spät, denn das Gameplay sowie die Technik sind längst nicht mehr zeitgemäß. Obwohl die Geschichte wirklich interessant ist, die Traumwelten vor abgedrehten Ideen nur so sprühen, die Level-Settings sehr abwechslungsreich sind und die Spielzeit recht lang ist, bleibt Psychotoxic hinter der übermächtigen Konkurrenz zurück. Dies liegt wohl an dem vorhersehbaren Level-Design, der schwachen künstlichen Intelligenz und an den größtenteils langweiligen und anspruchlosen Ballerorgien auf Speed. Von der Technik her bietet sich kein wesentlich besseres Bild, denn die Kulisse präsentiert pure Durchschnittskost mit wenigen lichten Momenten; Sound und Musik sind bestenfalls Mittelmaß. Unterm Strich bleibt ein abgedrehter Ego-Shooter für Actionfans, die nicht zu sehr auf die technische Brillanz schauen. Ohne die originellen Einfälle, die grandiose Abwechslung und die coole Story hätte Psychotoxic niemals diese Wertung erreicht.

Pro

lange Spielzeit
originelle Ideen
abwechslungsreiche Levels
grandiose Traumwelten
interessante Story mit vielen Videos
prima Steuerung
viele Waffen, mit ausgefallenen Einfällen
selbstironischer Ton
zerstörbare Umgebung
netter Shader-Einsatz
schöne Partikel-Effekte
recht gute Sound-Effekte

Kontra

sehr hektische Gefechte
äußerst lineare Ballerorgie
vorhersehbare Level-Gestaltung und Gegner-Platzierung
starke Schwankungen in der Level-Qualität sowie beim Schwierigkeitsgrad
schwache künstliche Intelligenz
durchschnittliche Kulisse mit unscharfen Texturen
mittelmäßige Sprachausgabe
nervende Musik

Wertung

PC

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