Raven's Cry04.02.2015, Eike Cramer
Raven's Cry

Im Test: Ein freches Piratenstück

Das Rollenspiel Raven's Cry von Reality Pump ist nach mehrmaliger Verschiebung am 30. Januar erschienen. Kann das Abenteuer rund um Christopher Raven den schlechten ersten Eindruck auf lange Sicht wettmachen? Wir haben die Segel gehisst und den Säbel geschwungen. Ob wir mehr Spannung und Spaß als Bugs und Probleme gefunden haben, klärt der Test.

Jo-ho, Jo-ho, Piraten haben's gut...

Christopher Raven ist ein echter Pirat. Auf Beutezug für die französische Krone hat er den Auftrag, eine Schiffsladung Waren für den Gouverneur einer karibischen Hafenstadt abzuliefern. Doch wankelmütig wie Freibeuter nun mal so sind, hat Raven scheinbar keine Lust mehr, sich mit Vertretern einer staatlichen Autorität abzugeben. Anders kann ich mir nicht erklären, warum er sich so standhaft weigert, dem Franzosen die Waren auszuhändigen. Auch beim wiederholten Versuch die Quest zu beenden behauptet der Kapitän standhaft, er hätte noch nicht alles zusammen. Scheinbar ist dem eigensinnigen Dreispitz-Träger ein Kaperbrief weniger wert als ein guter Kampf, ein Rum oder ein Besuch im Bordell. Piraten halt.

Die Kamera in Dialogen wählt oftmals eigenwillige Perspektiven.
Spaß beiseite: Natürlich gibt es keine Möglichkeit das Raubgut einfach für sich selbst zu behalten. Das wäre ja mit einem gewissen Grad an Aufwand im Dialog- und Spieldesign verbunden gewesen. Und den weist das Piratenabenteuer Raven’s Cry wirklich nirgends auf. Nein, vielmehr handelt es sich hier um einen der zahllosen Bugs, die neben Piraten, Spaniern, Engländern und Franzosen die karibische See bevölkern. Die sind fast noch nerviger als der Geleitschutz von Warenkonvois: Mal können Aufgaben nicht beendet werden, mal verschwinden Gegenstände aus dem Inventar oder die Kamera zeigt in Gesprächen lieber die innenarchitektonischen Kenntnisse der Wirtshausbesitzer statt das Antlitz des Gesprächspartners. Klingt bereits grenzwertig? Ich fange gerade erst an!

Fluch der Karibik vom Grabbeltisch

Raven’s Cry erzählt die unheimlich belanglose Rachegeschichte des unfreiwillig komisch synchronisierten Freibeuters Christopher Raven, der mit seinem Schlafzimmerblick und gekünstelt cooler Aussprache selbst in der Fluch-der-Karibik-Reihe unangenehm aufgefallen wäre. Dem Jack-Sparrow-Verschnitt ist von einem fiesen

Die Seegefechte sind das optische und spielerische "Highlight" des Piraten-Abenteuers.
Finsterling die Familie weggemeuchelt worden und natürlich muss der obercoole Superkapitän auf Rachefeldzug gehen, um seine Ehre wiederherzustellen. Mit dabei: ein Klischee-Mentor, eine dümmliche Crew, eine heiße Nonne und viel zu viele dumme Gespräche in unendlich langen Dialogszenen.

Deren dilettantische Vertonung, unterirdische Textqualität und katastrophale Soundabmischung führen mitunter zu Unterhaltungen, neben denen Filme wie "Die Forke des Todes" wie Oscar-Kandidaten wirken. Kombiniert mit den staksigen Animationen und quasi nicht vorhandener Mimik werden aus ernsthaften Gesprächen schnell alberne Lachnummern. Immerhin wird das stupide Gebrabbel dank einer nicht vorhandenen Tonregie immer mal wieder von Umgebungsgeräuschen überdeckt. So höre ich beispielsweise in einem Bordell die Ziege draußen lauter blöken, als das leichte Mädchen vor mir reden. Hallo Reality Pump, wer hat das denn durch die Qualitätskontrolle gewunken? Derjenige dürfte dann wohl auch für die Soundaussetzer oder fehlenden Gesichtsanimationen verantwortlich sein, die ihren Weg ins fertige Spiel gefunden haben.

Assassin’s Risen: Pirates

Dabei ist der spielerische Ansatz von Raven’s Cry gar nicht verkehrt. Ähnlich wie in Fluch der Karibik von 2003 verbindet Reality Pump Mechaniken aus Rollenspiel, Action-Adventure sowie dem Klassiker Pirates. So besitzt Raven z.B. ein Schiff, mit dem er zwischen den Inseln der Karibik reist, Konvois überfällt und Waren transportiert. Dies kann in mehreren Stufen aufgerüstet und verbessert werden, bevor man es gegen ein größeres eintauscht und zum Schluss mit einem mächtigen Linienschiff (Man-o-War) die See unsicher macht. Die Seeschlachten sind zwar einfach gehalten und längst nicht so dynamisch wie z.B. bei Assassin’s Creed 4: Black Flag, sehen aber ordentlich aus und funktionieren weitestgehend schlüssig. So gibt es mehrere Munitionsarten wie Kettenkugeln oder Kartätschenladungen, mit denen Feindschiffe gut auf die Kaperung „vorbereitet“ werden können. Dank des soliden Handelssystems ergibt das Übernehmen von Ladung durchaus Sinn und man kann sich seinen Lebensunterhalt als Freibeuter verdienen, solange man sich nicht mit großen Marine-Kampfverbänden einlässt.

Leider ist der Seekampf aber der einzige Bereich, in dem mir Raven’s Cry einigermaßen Spaß macht. Das „Rollenspiel“ basiert auf dummen Dialogen, simplen Hol-und-Bring-Aufgaben sowie Nebenquests à la „Bring mal den um, der hat mich dumm angemacht.“ Das hat absolut gar nichts mehr mit der soliden Qualität eines Two Worlds 2 gemein. Keine Aufgabe ist wirklich durchdacht, kein einziger Dialog überzeugt und keiner der Charakter

Besonders in Innenräumen ist die Kulisse bestenfalls Mittelmaß. Nicht im Bild: die jahrmarktähnliche Soundkulisse.
ist mehr als ein klischeehaftes Abziehbildchen. Dazu kommt, dass sich die Entwickler bei dem Entwurf einer Piratenatmosphäre scheinbar an der Pirates-of-the-Carribean-Attraktion aus den Disneyland-Parks orientiert haben. Wirtshäuser, Marktplätze, Dörfer, Dschungel: alles wirkt gekünstelt, statisch und wie die Kulisse einer mittelprächtigen Geisterbahn -  nicht zuletzt weil die Bewohner, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, wie angewurzelt auf ihren Plätzen verharren und immer wieder die gleichen, völlig unzusammenhängenden Kommentare von sich geben.

Apropros Kommentare: Um eine „erwachsene“ Atmosphäre zu erzeugen hat man sich im Hause Reality Pump offenbar überlegt, möglichst viele Schimpfwörter wie Wichser, Schwuchtel oder Hurensohn in möglichst wenig Spielzeit zu stopfen. Dadurch wirkt bereits die erste Seeschlacht, als ob Haftbefehl und Farid Bang die Dialoge verfasst hätten. Liebe Entwickler: Authentizität schön und gut, aber das ist einfach albern.

Ein Kampfsystem aus der Hölle

Noch alberner ist aber das so genannte Kampfsystem, mit dem sich Raven gegen Eingeborene, Piraten und Soldaten wehrt. Ohne jegliches sichtbare Feedback oder eine physikalische Reaktion eines Treffers klickt man sich hektisch durch Gegnerhorden, deren Schläge man dank der unpräzisen Animationen nur mit sehr viel Glück

Stilblüten mit Freibeutern: Diese Dame kann mal so richtig verwendet werden!
parieren kann. Taktik? Parade und Riposte? Anspruch? Gibt es hier nicht! Hektisches Dauerklicken und simpler Frontalangriff lösen die meisten Konflikte im Handstreich. Dazu kommen völlig unbalancierte Spezialangriffe, mit denen man Gegner zurückschleudern oder mit einem Schlag töten kann – falls sich die KI denn überhaupt wehrt und nicht wie angewurzelt stehen bleibt oder sich ohne Gegenwehr abschlachten lässt.

Auch die Kulisse ist für ein PC-Spiel im Jahre 2015 veraltet: Die Schauplätze sind zwar ordentlich entworfen und vor allem die Seeschlachten machen dank der guten Wasserdarstellung sowie des Schadensmodells der Schiffe eine ordentlich Figur. Ansonsten sind die geringe Sichtweite, heftige Popups, Marionetten-Animationen, schwache Effekte und matschige Oberflächen einfach nicht mehr zeitgemäß. Dazu kommen häufige Clipping-Fehler und sichtbare Nachlader. Gerade in größeren Städten führt das schnell zu andauerndem Streaming-Zuckeln. Ja, die Welt ist üppig dimensioniert und bietet viele Schauplätze unterschiedlicher Größe, die durchaus ansprechend entworfen sind – insgesamt erreicht man aber bestenfalls mittleres PlayStation-3-Niveau.

Fazit

Nach mehrmaligen Verschiebungen in letzter Minute habe ich schon wenig von Raven’s Cry erwartet. Was ich dann letztendlich bekommen habe, ist eine Frechheit: kaputte Quests, bescheuerte und unendlich schlecht vertonte Dialoge, keine Soundregie und ein Kampfsystem aus der Hölle. Dazu kommt eine unterdurchschnittliche Kulisse und eine Handlung, die den Namen nicht verdient hat. Es gibt hier nichts, was ich nicht schon an anderer Stelle erheblich besser gesehen hätte. Ja, selbst das maue Risen 2 wirkt neben diesem Machwerk wie eine Hochglanzproduktion, denn da wurde nicht einfach Teile der Lokalisierung „vergessen“ oder Texte vom Schülerpraktikanten übersetzt.  Zugegeben: Die Schiffskämpfe und das Wirtschaftssystem sind ganz nett. Aber selbst als Freund von Segeln auf hoher See spiele ich lieber mein Leben lang das Remake von Sid Meier’s Pirates als noch mehr Zeit mit diesem Mist zu vergeuden.

Pro

solides Handelssystem
ordentliche Seeschlachten
aufrüstbares Schiff und Crew
teils sehr unfreiwillig komische Dialoge

Kontra

viel zu viele nervige Bugs
furchtbare Vertonung
gruselige Soundregie
Abziehbildchen-Charaktere
veraltete Kulisse
grauenhaftes Kampfsystem
08/15 Piratengeschichte ohne Tiefgang
uncharismatischer Hauptcharakter
albernes und überzogenes Fluchen
statische Umgebungen
fehlerhafte Übersetzung und "vergessene" Lokalisierung

Wertung

PC

Piraten-Kitsch voller Bugs mit dämlichen Dialogen, furchtbarer Vertonung und Jahrmarkts-Atmosphäre. Finger weg von diesen Möchtegern-Freibeutern!

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