Hard Reset15.09.2011, Paul Kautz
Hard Reset

Im Test:

Ja, es gibt sie noch - Überraschungen. Titel, von denen man vorher nichts bis kaum etwas gehört hat, die dann einfach fertig sind und sich auch noch als erstaunlich hochwertig entpuppen. Hard Reset (ab 1,39€ bei kaufen) ist so ein Kandidat: Dürfte auf kaum jemandes Radar gewesen sein, sollte aber schleunigst seinen Weg auf die Festplatten von Fans klassischer Ballereien finden.

Wenn's kracht, dann kracht's!

Die Einleitung war ebenso Lob wie Einschränkung. Denn Hard Reset (HR) ist so uralte Schule wie »hat Chancen auf den Genrethron« zu schreiben: Das Leveldesign ist verwinkelt, aber linear. Es gibt keine sich selbständig regenerierende Lebensenergie, stattdessen müssen grün funkelnde Heilpäckchen aufgesammelt werden. Deckungssystem? Pah! Man kann sich ja noch nicht mal ducken, außerdem herrscht das Gesetzt des Dauerfeuers - wer braucht da Deckung? Ein Nachlade-Button existiert ebenso wenig wie eine echte Geschichte: Zwar gibt es zwischen den Levels eine in stylisch geschnittenen Standbildern präsentierte und mit englischer Sprachausgabe unterlegte Handlung, die aber mit »Roboter wollen die Menschheit vernichten. Halte sie auf!« ziemlich präzise zusammengefasst ist.

Okay, HR bietet also so ziemlich nichts von dem, was einen modernen Shooter auszeichnet. Aber was hat es denn dann? Explosionen. Gigantische Explosionen. Ballert man ohne Sinn, Verstand und Loslassen der linken Maustaste auf die hartnäckig nachrückenden Gegner ein, fängt das fette MG über kurz oder lang grellrot wie eine wildgewordene Sonne zu glühen an, Feinde werden in einem gigantischen Höllenkessel aus Feuer, Blitz und tonnenweise Altmetall zerfetzt. Eigentlich ist das Spiel wie Serious Sam nur eine Ansammlung von Arenakämpfen, aber die hinterlassen derart viel kaputtes Blech, dass selbst Wall-E einige Jahrzehnte des heftigen Schaufelns vor sich hätte. Die wunderbar überdrehte Physikengine sorgt dafür, dass alles kracht und wackelt und scheppert und rollt und rummst und Explosionen in gigantischen Kettenreaktionen ganze Teile eines Levels nach und  nach in die Luft jagen. Ein Großteil der Umgebung ist zerstörbar; explodierende Kisten und Fässer, Energie versprühende Kästen und Maschinen, alles kann und sollte in die Kämpfe einbezogen werden - denn früher oder später wird man nur so mit den Gegnermassen fertig. Kurz gesagt: Hier kracht's, aber richtig!

Fünf Stunden lang Achterbahn

Das Problem an der ganzen Sache, ein Problem, das sich HR mit Kollegen wie Serious Sam oder Painkiller teilt, ist, dass der wunderbare Wahnsinn nur anfangs wirklich aus den Socken haut. Die von Flying Wild Hog eigens entwickelte 3D-Engine zeigt eine düstere Welt voller Regen, bedrohlicher  Bauten, grell flackernder Neon-Werbung und extra-viel Blade Runner-Einfluss. Massig Details, filigrane Levelarbeit, und dabei selbst auf Mittelklasse-Rechner sehr beeindruckende Geschwindigkeit. In der ersten Stunde genießt man das Gezeigte, erfreut sich wild gackernd an der krachenden Action, die Steuerung flutscht wunderbar präzise dahin. Danach habe ich mich angefangen zu fragen, wieso ich eigentlich scheinbar der einzige Bewohner dieser gigantischen Welt bin. Und wieso es gerade mal eine Hand voll unterschiedlicher Robo-Gegner gibt. Aber hey - was für fette Explosionen! Stunde drei: Ich habe mich an dem Regengrau satt gesehen, habe mehr Blechkisten zerlegt, als jemals Kerben auf meine Knarre passen würden, habe das 300te Elektrotor auf die immergleiche Weise geöffnet, die 800te Gegnerwelle hinter mich gebracht. Stunde vier: Ich vermisse die Sonne - Dystopie schön und gut, aber muss es da die ganze Zeit regnen? Uuuuh, endlich mal ein fetter Bosskampf. Stunde fünf: Hoppla, das Spiel ist vorbei? Das kam jetzt unerwartet. Ganz besonders, wenn man bedenkt, dass es keinen Mehrspielermodus gibt.

Arenakämpfe sind ja eine prima Sache, aber wenn man es damit übertreibt, dann gehen sie mit der Zeit ganz schön auf den Nerv. Ganz besonders, wenn sie in Verbindung mit einem automatischen Speichersystem daher kommen, das seine Checkpunkte immer wieder an sehr dämlichen Stellen platziert, woraufhin man ganze Wellen wieder und wieder erledigen darf, wenn man draufgeht. Und das dürfte immer wieder mal passieren, denn »normal« ist in HR das, was »schwer« in jedem anderen Shooter ist - eine echte Herausforderung!

Pew, sage ich! Pew-pew!

Die Umgebung kann und sollte in die Kämpfe einbezogen werden - explodierende Kisten und Fässer oder Elektroschocks verteilende Maschinen helfen, die Gegnerreihen schnell zu dezimieren.
Die Umgebung kann und sollte in die Kämpfe einbezogen werden - explodierende Kisten und Fässer oder Elektroschocks verteilende Maschinen helfen, die Gegnerreihen schnell zu dezimieren.
Um diesem Schicksal so lange wie möglich aus dem Weg zu gehen, sollte man immer die Augen nach Upgrade-Möglichkeiten offen halten. Ähnlich wie in Wolfenstein stehen auch hier immer wieder mal auffällige Maschinen herum, an denen man seine Waffen und Fähigkeiten verbessern darf. Das Upgrade-Menü ist in Hologramm-Form sehr stylisch präsentiert, man hat die Qual der Wahl: Möchte ich ein Schrotgewehr, eine Railgun oder einen Raketenwerfer? Wie wäre es mit erhöhter Lebensenergie, größerer Munitionskapazität oder einem dickeren Fell? Die dafür benötigten Upgrade-Punkte sind sehr spärlich verteilt, im Laufe eines Durchspielens dürfte es kaum möglich sein, alle Auflevel-Möglichkeiten auszuprobieren - man sollte sich also möglich schon früh auf einen Weg festlegen.

Das betrifft vor allem die Wahl der Waffe - denn man hat nur zwei davon, eine Projektil- und eine Energiewumme. Erstere setzt auf physische Gewalt, verteilt heißes Blei in rasender Geschwindigkeit bzw. schmeißt später mit Raketen, Granaten oder Minen um sich. Die Energiekanone hingegen setzt auf Roboter zerlegende Bratzeleien, mit ihr darf man dann Energiefallen legen oder munter drauflos lasern. Die Upgrades für beide Kanonen sind quasi die Extrawaffen anderer Spiele, zwischen denen man dann durchschalten darf. Alle Ballermänner einer Sorte speisen sich aus demselben Munitionspool, verbrauchen aber unterschiedlich viel davon - wer Raketenspamming betreibt, muss sich nicht wundern, wenn der Vorrat ratzfatz leer ist.

So beeindruckend die Grafik ist, so wenig interessant gestaltet sich dagegen die akustische Seite: Die Soundeffekte der Waffen sind extrem schwachbrüstig; das lahme »pfrrrrrrrrr« des MGs könnte eher von Räuber und Gendarm spielenden Kindern sein als von einem gigantischen Robokiller-Krawall-O-Mat. Auch die Musik spielt bestenfalls die siebte Geige, die meiste Zeit über dürfte man kaum mitbekommen, dass überhaupt welche läuft.

Fazit

Wenn man wahnsinnig genug ist, das Spieldesign von Serious Sam mit Elementen aus Painkiller sowie dem grimmigen Design von Blade Runner zu kombinieren, dann dürfte Hard Reset unweigerlich das Ergebnis dieser einzigartigen Verbindung sein. Düstere, verregnete, dreckige, von penetrant fröhlicher Neon-Werbung durchzogene Levels bereiten den Platz für atemlose, hektische Dauerfeuer-Gefechte, die im Normalfall erst vorbei sind, wenn die Knarre sonnenrot glüht und der Munitionszähler hilflos piepst - mächtiger, määäächtiger Oldschool-Rabatz! Das bedeutet allerdings auch die damit einher gehenden Nachteile: Abwechslungsarme Gegner, konsequent belanglose Handlung (die weniger Fleisch hat als die »Höllenmonster vom Mars«-Geschichte aus Doom), eine für heutige Verhältnisse gerade noch akzeptable Kürze von vier bis fünf Stunden - sowie einen für den verwöhnten Shooter von heute fiesen Schwierigkeitsgrad. Man muss darauf vorbereitet sein, dass Hard Resest nach den ersten beiden völlig wahnwitzigen Stunden spürbar an Faszination verliert - wenn man erstmal mehr Blechschaden angerichtet hat als die Blues Brothers, setzt Monotonie ein. Wenn man damit leben kann und einfach mal wieder eine schön hirnlose (und sehr gut aussehende) Ballerei auf der Platte haben will, dann ist Hard Reset die Action-Überraschung des Jahres. Für alle anderen nur ein weiterer Shooter.

Pro

beeindruckende Präsentation
wunderbar rasante Dauerfeuer-Action
treibendes Leveldesign
mächtig viel Krachbumm
herausfordernder Schwierigkeitsgrad

Kontra

simples Spielprinzip
teilweise schlecht platzierte Checkpunkte
abwechslungsarme Gegner
sehr kurz
kein Mehrspielermodus

Wertung

PC

Technisch beeindruckender, spielerisch durchschnittlicher Oldschool-Shooter, der seine Kürze mit mächtig viel Rabatz ausgleicht.

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