Face Noir08.08.2012, Benjamin Schmädig
Face Noir

Im Test:

Die Wirtschaftskrise als Spielidee: Die italienischen Entwickler Mad Orange bleiben zwar nicht im Heute, besinnen sich aber auf das Amerika der 30er Jahre. Als die Depression am Geldbeutel nagt, floriert die fiktive Welt des Alkohols, der harten Sprüche und blutiger Gewalt - die Welt des Film... Verzeihung: Face Noir (ab 15,95€ bei kaufen).

Sanftes Raubein

Es ist eine Welt, in der Regenströme auf holprigen Asphalt prasseln. Nebelschwaden kriechen aus schwarzen Gullideckeln und ziehen an den verschlagenen Fenstern geschlossener Eckläden vorbei. Jazz schwingt aus kratzigen Lautsprechern. Eine Stimme

Regen, Schmutz und lange Mäntel: Der Krimi beginnt vor einer klassischen Film Noir-Kulisse.
Regen, Schmutz und lange Mäntel: Der Krimi beginnt vor einer klassischen Film Noir-Kulisse.
erzählt zu körnigen Zeichnungen von ihrem Auftrag: Sie soll eine junge Dame bei einem Techtelmechtel erwischen - Familienangelegenheiten. Die Stimme, sie gehört  Privatschnüffler Jack Maria Del Nero... und hat leider mit dem abgehalfterten alkoholsüchtigen Ex-Cop, den sie verkörpert, so viel zu tun wie Smartphones mit Drehscheiben.

Viele Stimmen passen nicht zu den Figuren dieses rauen Krimis und dem Synchronstudio fehlte offenbar auch ein Regisseur, der mit dem Plot vertraut war. So plätschern etliche Zeilen mit träger Belanglosigkeit daher, während andere an völlig unpassender Stelle Aufregung signalisieren. Die Verpackung verspricht eine "hochwertigem deutsche Sprachausgabe" - das Gegenteil ist der Fall und eine anderssprachige Fassung gibt es nicht. "Tschüs", rotzt der Polizeibeamte lustlos, aber laut zum Abschied - das geht doch nicht!

Wo ist das Rätsel?

Der Fall des schlüpfrigen Fotos dient natürlich nur als Aufhänger: Schon bald stolpert Del Nero in ein Verwirrspiel, in dem er bald selbst die Hauptrolle spielt - als Angeklagter in einem Mordfall. Die Geschichte ist unterhaltsam, stützt sich mit souveräner Selbstverständlichkeit auf die Klischees des fast namengebenden Film Noir und zeigt

Und bevor es sich der raubeinige Protagonist versieht, steht er selber im Mittelpunkt des verzwickten Plots.
Und bevor es sich der raubeinige Schnüffler versieht, steht er selber im Mittelpunkt des verzwickten Plots.
interessante Rückblicke in die Vergangenheit eines Charakters. "Nicht linear", wie der Werbetext verspricht, ist sie allerdings nicht, denn die Ereignisse werden wie auf einer schnurgerade Kette aufgezogen. Weil ich dadurch stets an das eine nächste Rätsel gebunden bin, versank ich recht schnell in einem einförmigen Rhythmus: Sobald ich wusste, was zu tun war, tat ich es und zog weiter.

Das geht schon deshalb so leicht von der Hand, weil es keine nennenswerten Kopfnüsse gibt. Tatsächlich besteht die eigentliche Herausforderung oft darin, ein Rätsel überhaupt zu finden, weil der nächste Schritt nicht schlüssig dargelegt wird. Wenn ich keinen Hinweis erhalte, spreche ich doch z.B. keine Person an, von der ich erst vor einer halben Minute alles Wichtige erfahren habe. Hier musste ich genau das tun. Und dass man durch Probieren statt durch Knobeln auf die Lösung kommen muss, darf einem Adventure nicht passieren!

Das Spiel der Logik

Der Witz ist ja: Face Noir will viel Wert auf Logik legen. Will ich einen Gegenstand aufheben, sagt Del Nero immer wieder, er stecke nicht alles ein, was er findet. Das Verhindern unlogischer Aktionen? Ein nobles Ansinnen! Doch das Konzept geht weder vorn noch hinten auf. Zum einen widerspricht es nämlich der natürlichen Logik, dass ich

Die Rätsel sind meist leicht zu lösen - aber oft schwer als solche zu erkennen.
Die Rätsel sind meist leicht zu lösen - aber oft schwer als solche zu erkennen.
Objekte erst dann benutzen kann, wenn ein Spiel das vorsieht. Ich konnte mir in manchen Fällen schon vorher vorstellen, einen Gegenstand zu benutzen, fing mir für den Versuch aber eine patzige Antwort ein. Woher soll ich später dann wissen, in welcher Situation ich welche meiner Ideen umsetzen darf?

Zum anderen sind fast sämtliche Schauplätze mit so vielen unbedeutenden Objekten übersät, dass ich ständig am Suchen bin, welches Ziel genau jetzt wichtig sein könnte. Die Objekte sind nicht einmal beschriftet - eine Beschreibung liefert Jack erst beim Anklicken. Und dieser Klick ist dann eben immer wieder aufs Neue wichtig, da sich unter Dutzenden zuvor unbedeutenden Objekten irgendwann das eine wichtige befinden kann. Innerhalb des Drehbuchs ist das derzeit Mögliche immer plausibel. An den Spieler haben die Entwickler allerdings nicht gedacht.

Zu allem Überfluss folgen die Aktionsmöglichkeiten schließlich einer sehr eigenwilligen Spiellogik. Damit etwa die Bilder eines alten Fotoapparats nicht verloren gehen, muss der

Das Schlösserknacken ist einer der wenigen spielerischen Höhepunkte.
Das Schlösserknacken ist einer der wenigen spielerischen Höhepunkte.
Privatdetektiv die Filmrolle im Dunkeln herausnehmen. Ich will also in die "dunkle Gasse" gehen, doch Jack hat "keine Lust, heute Nacht durch die dunklen Gassen […] zu streifen." Prima, dann muss also eine andere Lösung her. Ich suche also erfolglos nach einem anderen Platz. Dabei ist der Kniff: Ich muss die Kamera mit der Gasse benutzen - dann läuft er plötzlich doch in die Gasse hinein und nimmt den Film heraus...

Berühr' mich!

Zum Glück lockern aktive Handlungen das sture Klickraten hin und wieder auf: Manche Tür knackt Jack durch gefühlvolles Drehen seines Dietrichs, einen Tresor öffnet er auf ähnliche Weise, außerdem bedient er Funkgeräte und andere Schaltungen. Gelegentlich kombiniert er sogar Hinweise, um einem Gesprächspartner wichtige Informationen zu entlocken. Spielerisch sind das die Höhepunkte eines unangenehm sperrigen Adventures.

Fazit

Lange Mäntel, dreckiger Regen, schmutzige Straßen: In solchen Kulissen fühle ich mich pudelwohl! Und tatsächlich fängt das Spiel die Film Noir-Ästhetik sehr ansprechend ein. Umso bedauerlicher, dass die ohnehin schlecht gewählten deutschen Stimmen viel zu oft den Ton nicht treffen. Ein alkoholsüchtiges Raubein wird da zum beliebigen Jedermann - der versuchte Edelthriller zum holprigen Amateurschauspiel. Schlimmer noch, dass die überschaubaren Momente, in denen ich Indizien kombinieren und Gegenstände bedienen darf, schon spielerische Lichtblicke sind. Mal ist es schwer, die Aufgabe überhaupt zu erkennen, mal schneidet das Spiel eigenständige Lösungsansätze rigoros ab - aus Frust habe ich mich irgendwann auf dröges Abklicken aller Möglichkeiten beschränkt. Die unterhaltsame Geschichte und der jazzige Schwung waren die Zeitreise durchaus wert. Allzu lange wollte ich in dieser B-Filmwelt allerdings nicht verbringen.

Pro

filmisch-authentische Kulissen
unterhaltsamer Krimi mit interessanten Entwicklungen
Bedienen verschiedener Schalter, Geräte u.a.
aktives Kombinieren von Hinweisen

Kontra

unpassende Sprecher, zahlreiche falsch betonte Zeilen
aktuelles Ziel oft nicht erkennbar
viele unplausible Lösungsketten
unübersichtliche Anordnung etlicher namenloser Objekte
eingleisiges Rätseln
keine Breitbild-Auflösung

Wertung

PC

Stimmungsvolles, aber eingleisiges Film Noir-Adventure mit spielerischen Logikschwächen.

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