Anna20.07.2012, Jörg Luibl
Anna

Im Test:

Irgendwo in einem einsamen Tal der italienischen Alpen: Die Sonne strahlt, ein Bach plätschert, Vögel zwitschern. Eine fast schon grelle Idylle begrüßt einen scheinbar verwirrten Mann. Aber er lässt sich nur kurz blenden. Zu viele Fragen melden sich nach den ersten Schritten: Wie ist er dorthin gekommen? Träumt er vielleicht nur? Moment mal, kennt er diesen Ort nicht sogar? War er nicht zusammen mit Anna (ab 9,99€ bei kaufen) hier, seiner alten Liebe?

Alpine Erkundungen

Auch wenn Anna nicht an die grafische Klasse von Dear Esther heran kommt und kleine Schwächen en detail zeigt, ist nicht nur die anfängliche alpine Kulisse überaus ansehnlich, sondern auch das spätere Interieur. Gerade für ein Adventure ist das ein sehr gutes Niveau.
Auch wenn Anna nicht an die grafische Klasse von Dear Esther heran kommt und kleine Schwächen en detail zeigt, ist vor allem die anfängliche alpine Kulisse überaus ansehnlich - leider nur in einem sehr begrenzten Bereich.
An einem Sägewerk beginnt die zunächst beschauliche Suche nach Antworten. Die offensichtlichen Zugänge zu dem verwitterten Gebäude sind verbarrikadiert oder verschlossen. Wie kommt man da rein? Ähnlich wie in Dear Esther begleitet man einen anonymen Mann, der seine Gedanken zwischendurch allerdings nur in Texten verrät. Und es gibt einen großen Unterschied zur poetischen Reise im hohen Norden: Dieses Abenteuer ist kein Storytelling-Experiment, sondern setzt auf klassische Point&Click-Tugenden mit Rätseln, Kombinationen & Co.

Also bereichert man beim Stromern über die kleine Bergwiese sein Inventar mit Steinen, Tannenzapfen oder Ästen. Immerhin hat man bereits ein Messer, ein Feuerzeug, eine Wasserflasche und ein Notizbuch dabei. In Letzterem steht zwar nicht viel, aber so kann man am glasklaren Bach z.B. die Flasche füllen oder später Zapfen entzünden. Angesichts der prächtigen alpinen Kulisse ist es jedoch schade, dass die Gegenstände nur als schnöde 2D-Objekte angezeigt werden – man kann sie zwar näher inklusive Textfeedback untersuchen, aber weder aktiv drehen noch zoomen.

Der okkulte Vorhang fällt

Später wird die Umgebung surreal verzerrt oder von unwirklichem Glühen beleuchtet.
Auch im Inneren kann sich das Abenteuer sehen lassen: Später wird die Umgebung surreal verzerrt, von unwirklichem Glühen beleuchtet und seltsamen Zeichen verziert.
Schön ist, dass schon die ersten Rätsel zum Mitdenken animieren. Man muss sich genau umschauen und Gegenstände logisch einsetzen, um Hindernisse zu beseitigen und Verborgenes zu entdecken – was angesichts des sehr kleinen Areals um das Sägewerk herum nicht schwer ist. Etwas verwunderlich ist daher, dass man vieles nicht näher untersuchen kann. Schon die ersten Aufgaben deuten an, dass dieses Abenteuer alles andere als rational verlaufen wird und dass es hier nicht etwa um eine romantische Liebesaffäre in einer Berghütte geht. Warum ist da z.B. ein Auge über der Tür des Sägewerks eingraviert? Welche Bedeutung hat es?

Sobald man das Sägewerk betritt, fällt ein dunkler Vorhang über das knapp dreistündige Spiel und überaus seltsame Ereignisse nehmen ihren Lauf. Zwischen brennenden Kerzen, tanzenden Schatten und unheimlichen Geräuschen entsteht eine angenehme Gruselatmosphäre. Man tastet sich zwischen alten Möbeln und defekten Werkzeugen voran, untersucht Schränke, Öfen und Türen, sammelt Sägespäne, Krims und Krams ein, liest kryptische Notizen von Blutritualen und hört  flüsternde Stimmen: „They still exist. They are within me!“ Spätestens hier beginnt die Reise okkulte Züge anzunehmen. Es wird zwar nicht viel getextet oder gesprochen, aber um alle Feinheiten der Story zu verstehen, sollte man des Englischen mächtig sein - es gibt keine deutschen Untertitel.

Spukgeschichte mit religiöser Symbolik

Es gibt viele klassische Rätsel, die leider nicht immer ganz logisch wirken. Trotzdem stimmen Vielfalt und Anspruch.
Wie kriegt man die Schublade auf? Es gibt viele klassische Rätsel, die leider nicht immer ganz logisch wirken. Trotzdem stimmen Vielfalt und Anspruch.
Das italienische Team von Dreampainters lockt den Spieler Schritt für Schritt in ein düsteres Labyrinth aus grausigen Andeutungen, religiöser Symbolik und beklemmender Vorahnung: Urzeitliche Spiralenmuster, Muttergottheiten und Todesmasken machen genauso neugierig auf die Auflösung wie die erzählerischen Mosaiksteine über die Beziehung zu Anna, die vornehmlich über Stimmen und Gedanken ausgelegt werden. Was hat der Mann mit dieser Frau erlebt?

Erst langsam öffnen sich weitere Bereiche der Sägemühle. Dabei geht es weniger um aktiven Survival-Horror à la Amnesia, sondern um ein Spuk-Adventure. Zwischendurch sorgen immer wieder plötzliche Erscheinungen, unsichtbare Rempler oder fliegende Gegenstände für Schrecksekunden, während man gerade an einem Rätsel grübelt. Die Geheimnisse von Anna sind alles andere als einfach oder offensichtlich zu lösen.

Vielfältige, aber nicht immer logische Aufgaben

Anna ist weniger ein aktives Horror-Abenteuer à la Amnesia, sondern eine Spukgeschichte in klassischer Point&Click-Manier.
Wer sind diese Schatten? Warum verschwimmt das Bild? Anna ist weniger ein aktives Horror-Abenteuer à la Amnesia, sondern eine Spukgeschichte in klassischer Point&Click-Manier.
Es gibt genug Aufgaben, die einen immer wieder fragend durch die Räume wandern lassen: Wie bekomme ich den Knochengriff aus dem Tisch? Wie repariere ich den Ofen? Was sollen diese fünf farbigen Blätter? Wozu dient das Loch da hinten? Manchmal braucht man die passenden Kombinationen aus Gegenständen, manchmal Schlüssel. Aber manchmal reicht es auch, dass man die Zeit verstreichen lässt, damit etwas in der Umgebung passiert. Und wer ein anderes der drei Enden sehen will, muss seine Vorgehensweise bei der Lösung ändern – eine gute Idee.

Das Problem ist, dass man nicht immer ausreichend Feedback bekommt, wenn man Gegenstände untersucht. Außerdem wirken manche Lösungen mindestens genauso obskur wie die Story: Man braucht des Öfteren viel Geduld und genaue Klicks auf bestimmte Bereiche, um die nicht immer logischen Aufgaben zu lösen – so wandert man wie in einer Sackgasse umher. Eine Hotspotanzeige oder direkt zuschaltbare Lösungen gibt es nicht. Wer die optionale Hilfe aktiviert, bekommt immerhin im Zeitabstand von drei Minuten kleine Hinweise. Die Steuerung über WASD ist sehr simpel, nur das Hinknien wirkt etwas aufgesetzt – manchmal kann man Gegenstände nur aufnehmen, wenn man sich bückt. Auch das aktive Ziehen an Türen und Schubladen oder das Wegräumen von Brettern über die rechte Maustaste wirkt etwas steif; da hätten einfache Klicks statt Physik gereicht.

Fazit

Was wie ein idyllischer Spaziergang eines Träumers in den Alpen beginnt, entwickelt sich zu einem okkulten Spukabenteuer mit Krimiflair. Was ist zwischen dem Protagonisten und seiner alten Liebe passiert? Obwohl Anna ein klassisches Adventure ist, verfügt es über eine angenehm dynamische Dramaturgie, denn in den drei Stunden passiert ständig etwas in der beklemmenden Enge der Sägemühle – Dosen fliegen durch die Gegend, Geister tauchen auf und urzeitliche Zeichen leuchten an Wänden. Die Geschichte wird nicht nur von Gedanken und Stimmen, sondern auch von der mit Symbolen verzierten Kulisse erzählt. Schade nur, dass es keine 3D-Objekte im Inventar gibt und dass manche Rätsel ebenso obskur anmuten wie die Story – da irrt man schonmal ohne Einfall umher. Trotzdem wird man von religiösen Andeutungen, seltsamen Riten und surrealen Erscheinungen immer wieder so neugierig gemacht, dass man unbedingt die Auflösung erfahren will. Sehr schön: Je nachdem wie man mit den späteren Rätseln umgeht, wird man eines von drei möglichen Enden sehen. Glückwunsch an das kleine italienische Team - ein richtig gutes Adventure!

Pro

mysteriöse Story & okkulte Symbolik machen neugierig
interessante innere und äußere Erzählweise
ansehnliche 3D-Schauplätze
stimmungsvolle Geräuschkulisse
viele klassische Rätsel und Itemkombinationen
plötzliche Ereignisse sorgen für Spannung
drei mögliche Enden
dynamisches, anpassbares Hilfesystem

Kontra

teilweise unlogische Rätsel
nur ein sehr kleiner Schauplatz im Freien
Inventar nur mit statischen 2D-Objekten
manchmal zu wenig Feedback bei der Suche
keine deutschen Untertitel

Wertung

PC

Okkultes Rätselabenteuer in schauriger Kulisse - viel Spaß beim Gruseln und Kombinieren!

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