Im Test:
Ruinen, Gras und ein traumhafter Ausblick
Es ist wie ein Tor zu einer anderen Welt: Als sich die Türen zum überkuppelten New York öffnen, verspüre ich sofort den Drang, die Gegend zu erkunden. Überall wuchern Grashalme aus Ruinen, umgeknickte Schilder ragen aus zerbrochenen Betonbrocken. Es fühlt sich fast so an, als würde ich tatsächlich eine alte Industrieruine erforschen. Bei der Darstellung der Vegetation hat Crytek sein Versprechen gehalten: Das sich im Wind wiegende Gras wirkt noch lebendiger als im idyllischen Wald von The Witcher 2.
Schuld am Wildwuchs ist das Mega-Unternehmen C.E.L.L.: Nachdem die Aliens zurückgeschlagen wurden, hat der Konzern die Chance ergriffen, um das Machtvakuum auszufüllen. Über die zertrümmerten Häuser wurde eine riesige Kuppel gebaut, die wie ein Treibhaus wirkte: Die Natur hat sich die Stadt zurückerobert. C.E.L.L. besitzt die Macht über alle Ressourcen, beutet die Bewohner gnadenlos aus oder nutzt sie für Folter-Experimente für die Erforschung außerirdischer Technik.
Linear aber weitläufig
Spielerisch liegt Crysis zwischen den beiden Vorgängern: Es gibt keine offene Welt, aber oft recht weitläufige Areale, in denen man sich frei zu ein paar Missionspunkten kämpft und auf Wunsch einige Neben-Aufträge mitnimmt. Im Fokus stehen wieder die zwei kurzzeitig aktivierbaren Spezialfähigkeiten sowie der neue Bogen. Aktiviere ich die Tarnung, schleiche ich wie der Predator als beinahe unsichtbares Schemenbild an Gegnern vorbei. Nutze ich die Panzerung, kann ich mich besonders rabiat durchballern, weil gegnerische Projektile kaum Schaden anrichten. Das Arsenal umfasst ein paar coole Hightech-Waffen wie einen Alien-Flammenwerfer und den Typhoon, der mit Getöse hunderte von Projektilen pro Sekunde abfeuert. Nützlich ist auch der Bogen, der lautlose Pfeile und einige hochexplosive Geschosse zum Gegner zischen lässt. Oder man schleicht sich an das Opfer heran und erledigt es mit der Klinge.
Verwinkelte Levels, schwache KI
Leider läuft es oft nicht so rund, denn Crytek hat ein sehr wichtiges Element vernachlässigt: Die schwache KI verdirbt oft die Lust aufs Schleichen und Taktieren im Gelände. Ist die Tarnung aktiviert, entdecken mich die Wachen erst, wenn ich direkt vor ihrer Nase stehe. Ohne Tarnung sind sie dagegen überempfindlich. Ich brauche meine Nase nur ein winziges Bisschen in das Sichtfeld eines 40 Meter entfernten Feindes zu strecken und er schlägt sofort Alarm.
Abschätzen, anpassen, durchlaufen
Dadurch erklärt sich übrigens auch die Diskrepanz zwischen den Spielzeit-Angaben: Auf dem PC bin ich meist vorsichtig vorgegangen und habe mit ein paar Nebenmissionen gut acht Stunden gebraucht. In den Konsolenversionen habe ich manche Levels dann mehr als doppelt so schnell absolviert, indem ich mich im Schnelldurchgang zu den Checkpoints gerettet habe. Wenn man einfach nur auf dem normalen Schwierigkeitsgrad durchrauscht, sind fünf Stunden für die sieben Missionen realistisch.
Spannende Gefechte?
Gut haben mir dagegen einige Nebenmissionen gefallen: Wenn ich einen kleinen Umweg in Kauf nehme, kann ich in einer Grotte z.B. sämtliche nervenden Alien-Geschütze lahmlegen. Dazu muss ich wie beim Minen entschärfen ein kleines Hacking-Minispiel bestehen – nicht gerade spannend, aber es erschwert den Zugriff auf passende Weise. Oder ich helfe einer versprengten Einheit aus. Im Gegenzug bietet sie mir ein paar Luftschläge an, mit denen ich einige zehn Meter hohe Giganten aus dem Weg räume, welche mir sonst das Leben erschwert hätten. Es gibt auch ein paar Fahr- und Flugsequenzen, davon abgesehen spielen Vehikel aber kaum eine Rolle. Auch die Rüstungs-Upgrades wirken sich nur leicht aus: Man kann sich z.B. schneller tarnen oder hält mehr Projektile aus. Wer möchte, kann sich auch Kombinationen aus vier Verstärkungen für bestimmte Situationen abspeichern.
B-Movie-Flair
Zum Glück wirkt die Labertasche Psycho authentischer, wozu auch die exzellenten Gesichtsanimationen beitragen. Immer wieder lässt er trockene Sprüche mit starkem englischen Dialekt ab, z.B. „You just take your time, mate, no need to hurry“, wenn ich zu sehr trödle. Wer in der Original-Fassung seine Anweisungen verstehen will, sollte also lieber die Untertitel einschalten. In der deutschen Version ist der englische Ton übrigens nicht enthalten – stattdessen gibt es auf der Xbox 360 wieder nur Türkisch als Alternative. Auf PC und PS3 stehen dagegen Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Türkisch zur Auswahl. Die deutschen Sprecher wie Tilo Schmitz liefern eine solide Leistung ab. Die Betonungen passen deutlich besser als in Halo 4, erreichen aber nicht ganz das Niveau einer guten Fernsehproduktion.
Hardwarehunger und Konsolen-Probleme
Technisch gehört die PC-Version wieder zu den eindrucksvollsten Spielen überhaupt: Die weitläufigen Kulissen strotzen vor Details, aus der Nähe bleiben die Texturen und glänzenden Oberflächen sogar schärfer als bei Battlefield 3. Bei der Beleuchtung und vor allen den Laufanimationen wirkten dagegen die Schlachtfelder von DICE realistischer. Wer Crysis 3 in voller Pracht spielen möchte, muss viel in seinen Rechner investieren: Unsere GeForce GTX 680 kam auf höchsten Einstellungen stark ins Stottern. Als wir die Texturen auf sehr gut beließen und die Effekte um eine Stufe herunterregelten, lief das Spiel immerhin mit relativ konstanten 30 Bildern. Die übertrieben starke Bewegungsunschärfe haben wir komplett deaktiviert, da Spielablauf und Steuerung sonst ein wenig träge wirkten.
Das Problem tritt in schwächerer Form auch auf den Konsolen auf. Da sich der Motion Blur dort nicht deaktivieren lässt, musste ich mit der leichten Trägheit leben – nach ein paar Minuten fiel sie mir aber kaum noch auf. Insgesamt sehen die beiden Umsetzungen fast eine ganze Generation schlechter aus. Die hohen Gräser sorgen zwar immer noch für die ansehnlichste Vegetation auf Konsolen, der Rest fällt aber deutlich ab. Die Texturen sind vor allem auf der Xbox 360 niedriger aufgelöst, Psychos Gesicht bietet deutlich weniger Feinheiten und es bauen sich kleine Gegenstände wie Kanister aus dem Nichts auf. Dazu kommt auf der Xbox 360 leichtes und auf der PS3 stärkeres Ruckeln.
Spannende Mehrspieler-Jagd
Der von Crytek UK entwickelte Mehrspieler-Modus flutscht dagegen prima: Auf den Konsolen laufen die Matches trotz Peer-to-peer-Verfahren so flüssig, dass sogar meine Headshots auf bewegte Ziele oft saßen. Auf dem PC können dagegen dedizierte Server gemietet werden. Die Menüs verwirren zwar zunächst, danach kommen aber dynamische Partien zustande. Sehr interessant ist der Jäger-Modus: Dort gehen zwei Ceph mit dem Bogen auf die Jagd, der Rest der Spieler schlüpft in die Rolle schwacher C.E.L.L.-Söldner und verschanzt sich in Tunnels oder Häuserecken. Wenn der Annäherungssensor immer dramatischer fiepst, wird es spannend. Ich schnappe mir ein Schild, um zumindest teilweise vor Pfeilen geschützt zu sein und warte wie die Maus in der Falle darauf, endlich eine Scheme zu erblicken. Wenn es so weit ist, muss ich mir auch die Munition einteilen, denn je länger ich überlebe, desto mehr Punkte kassiere ich ein. Werde ich erwischt, spiele ich als Jäger weiter. Danach werden in ein paar kurzen Runden mehrmals die Seiten gewechselt.
Waffen, Perks & Co
Es lässt sich bei weitem nicht so viel freischalten wie bei Call of Duty; trotzdem sorgen Waffen, Aufsätze und Perks wie weniger Rückstoß oder eingeblendete Fußabdrücke für Motivation. Außerdem lassen sich vor dem Match eine ganze Reihe Extra-Herausforderungen auswählen, mit denen man zusätzliche Erfahrungspunkte verdient. Ganz problemlos verliefen unsere Spiele übrigens nicht: Manchmal konnten wir keiner Partie beitreten. Wer lieber mit seinen Freunden gegen die KI kämpfen will, kommt nicht auf seine Kosten: Es gibt weder einen Überlebensmodus noch eine Koop-Möglichkeit für die Kampagne.
Fazit
Schon wieder ein Shooter, der die hohen Erwartungen nicht erfüllen kann: Crysis 3 bietet zwar umwerfend schöne Panoramen, doch leider hat sich das Spieldesign nicht mitentwickelt. Für einen Titel, der zur Hälfte auf Schleichen sowie Taktik im Gelände baut, verhalten sich die Gegner ziemlich dämlich. Die KI-Schwächen haben mir den Kampf nicht komplett vermiest, aber an manchen Stellen lassen sich Aliens und C.E.L.L.-Soldaten viel zu einfach austricksen. Auch wenn man auf die brachiale Tour spielt, können die Gefechte zwar solide unterhalten, vor allem die einfach gestrickten Bosskämpfe reichen aber bei weitem nicht an die Intensität eines Killzone 3 oder Halo 4 heran. Schade, denn die weitläufigen Levels im zerstörten New York gefallen mir prima. Ich habe es richtig genossen, die Gegend zu erforschen, welche technisch in vielen Punkten sogar Battlefield 3 übertrumpft. Gelegentlich wird der Erkundungsdrang auch durch stärkere Waffen oder helfende Verbündete belohnt. Der Multiplayer kann zwar nicht mit Halo 4 konkurrieren, hat mich aber gut unterhalten – vor allem in der spannenden Jagd mit dem Bogen. Schade, dass es keinerlei Koop-Varianten gibt und das Spiel gelegentlich abstürzt. Auf den Konsolen kommen technische Probleme wie Ruckeln, Grafikaufbau und Soundbugs dazu. Auch hier bieten die überwucherten Ruinen eine beeindruckende Kulisse, aber bei weitem nicht das technische Feintuning von Highlights wie Uncharted 3 oder Halo 4.
Pro
Kontra
Wertung
360
Die Fassung für die Xbox 360 leidet unter starken Sound-Aussetzern.
PlayStation3
Die PS3-Kulissen hinken der PC-Version weit hinterher und ruckeln noch etwas mehr als auf der Xbox 360.
PC
Die wunderhübsch überwucherten Ruinen von Crysis 3 bieten viel Spielraum - die schwache KI dämpft den Spaß aber gewaltig.
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