Im Test:
Willkommen in Stalingrad, Genosse!
Von den wenigen Booten, die das Ufer der Wolga erreicht haben, springen die Rekruten. Hunderte von ihnen, junge Männer aus der ganzen Sowjetunion. Nur jeder zweite von ihnen trägt ein Gewehr, es gibt kaum Munition und fast genauso wenig Hoffnung. Über ihren Köpfen tanzen IL2-Sturmovik und FW-190 ihr tödliches Ballett und die Luft ist erfüllt von Schreien, dem durchdringenden Geräusch von MG-42-Feuerstößen, überlagert von Einschlägen der Artillerie und Mörser. Wir schreiben das Jahr 1943 und die letzten Tage der sechsten deutschen Armee in Stalingrad sind angebrochen.
Diese Szenen sind bezeichnend für den Kampf an der Ostfront. Sowohl in Call of Duty als auch im Film Enemy at the Gates tauchen sie in ähnlicher Form auf und bilden nun auch in Company of Heroes 2 den Einstieg in den brutalen Vernichtungskrieg. Unzählige der jungen Rekruten finden in der Schlacht um Stalingrad den Tod, als sie gegen die befestigten Stellungen der Wehrmacht anrennen. Und während T-34 über das Schlachtfeld in die Stadt rollen, verdiene ich mir erste Sporen als Kommandant einer kleinen Einheit, die MG-Nester räumt, Panzerabwehrstellungen säubert und dabei doch nur Teil der riesigen Sowjetstreitmacht ist, die sich in die Straßen der zerstörten Stadt ergießt.
Tagebücher von der Front
Zu oft hat er während seiner Einsätze als Offizier die Grausamkeiten der Politkommissare mit ansehen müssen, die durch Erschießungen eigener Truppen die Moral der Truppe festigen. Zu oft hat er als Kriegsberichterstatter gute Männer sterben sehen und den Verrat an Verbündeten ertragen müssen. Isakovich ist ein gebrochener Mann, traumatisiert von Krieg und desillusioniert von seiner Regierung. Er hat gegen Befehle verstoßen, seine Vorgesetzten in Frage gestellt und auf eigene Faust agiert. Nun droht ihm die Todesstrafe.
Leider wirkt dieser zunächst spannende Blickwinkel schnell äußerst amerikanisiert: Erzählung, Charaktere und Geschehnisse erscheinen wie der äußere Blick einer „zivilisierten Nation“ auf zwei „wilde Stämme“ die sich untereinander bekriegen. Isakovich scheint eine Variante des amerikanischen Helden zu sein, der irgendwie in das brutale Regime der Sowjetarmee geraten ist. Zwar ist die Inszenierung in sich stimmig, aber das Gefühl, hier einen US-geprägten Blick mit fehlendem Verständnis für die Situation zu erhalten, hält sich bis zum Schluss.
Die Fratze des Krieges
Die Kernaussage: Krieg ist brutal, schicksalhaft und ohne Helden. Dennoch wird die Oberfläche der Gräuel der Ostfront nur angekratzt: Eine angemessene Darstellung des Ausmaßes des Vernichtungsfeldzuges der Wehrmacht und Waffen-SS in einem Videospiel müsste an die Grenze des Erträglichen gehen. Diesen Weg schlägt Relic aber leider nicht ein. Die Befreiungen von Majdanek, Sobibor, Auschwitz und Treblinka bleiben nur eine Randnotiz. Zu einem echten Antikriegsspiel fehlt also ein ganzes Stück, auch wenn Bemühungen erkennbar sind.
Der große Vaterländische Krieg
Praktisch ist dabei, dass nicht nur zurückgelassene Maschinengewehre und PAKs, sondern erstmals auch verlassene Panzer von den eigenen Männern erobert und gegen den Feind verwendet werden können. Ich kann meine Truppen jedoch nicht in die nächste Mission mitnehmen. Darunter leidet die Bindung zu meinen Männern und Frauen, ist aber im Kontext der menschenverachtenden Form der Kriegsführung auf Seiten der Roten Armee in Ordnung.
General Winter
Befindet man sich im ersten Drittel des Feldzuges noch in der Defensive und versucht, nicht von der überlegenen Wehrmacht überrollt zu werden, beginnt mit dem Wintereinbruch 1942 der Gegenangriff der Roten Armee. Tiefschnee behindert in den Wintereinsätzen die Bewegung der eigenen Truppen, Fahrzeuge hinterlassen verräterische Spuren und im Falle eines Schneesturmes drohen die Infanteristen zu erfrieren.
Dann helfen nur Lagerfeuer, Transportfahrzeuge oder Häuser, um meine Truppen vor dem Kältetod zu retten. Leider wird das Wetter in der Kampagne zu selten in den Missionen verwendet, denn Kälte und Deckung funktionieren schlüssig, erfordern genaue Planung und eröffnen neue Taktiken, da auch feindliche Infanterie von den Witterungsbedingungen betroffen ist.
War never changes
Auch die Taktiken im Kampf sind klassischer Natur. Vor allem gegen Ende der Kampagne funktioniert mein bevorzugtes Vorgehen mit massiven Artillerieschlägen, gefolgt von einem Sturmangriff aus T-34, SU-85 und Infanterie beinahe schon zu gut. Flankieren, Ausnutzen von Deckung und geschicktes Legen von Sperrfeuer bleiben zwar wichtig, aber gerade die durchaus verbissen kämpfenden Restverteidiger in Berlin könnten aggressiver und variabler auf das Trommelfeuer meiner Geschütze reagieren. Insgesamt ist die KI in der Kampagne auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad zu defensiv, um eine echte Bedrohung darzustellen.
Kanonenfutter und Verstärkungen
Nötig wird diese Feldauffrischung, weil mit dem Anfordern von neuen Rekruten in Einsätzen der berüchtigte Befehl 227 ausgerufen wird. Rückzug wird durch diesen Befehl zum Verrat. Ist er aktiv erscheint neben meinem Hauptquartier ein Politkommissar, der Trupps die sich durch meinen Tastendruck von der Front zurückgezogen haben ohne mit der Wimper zu zucken hinrichtet. Dies erfordert einen bedachteren Umgang mit der eigenen Infanterie und das Haushalten mit den Rekruten, die allerdings unbegrenzt oft (bis zum Erreichen des Versorgungslimits) angefordert werden können.
Der Panzerfahrer-Krampf
Auch die Infanterie hat im Vergleich zur Westfront vor sieben Jahren wenig dazugelernt. Noch immer ist das Deckungsverhalten fragwürdig: Einheiten stellen sich zu oft von der falschen Seite in die befohlene Deckung, verlagern manchmal ungefragt ihre Position in ungedeckte Gebiete und bleiben im Angesicht von Gewehr- oder Handgranaten nach wie vor stur auf der Stelle stehen. All das zieht oft unnötige Verluste und nerviges Nachjustieren mit sich und stört den Spielfluss.
Explosive Kriegserfahrungen
Die Soundkulisse passt zum Gesamtbild: Explosionen und Geschütze klingen wuchtig, Männer schreien Befehle, Schüsse knallen, Maschinengewehre rattern – dieser Krieg ist wirklich laut. Untermalt werden die Schlachten von orchestraler Musik, die manchmal ein wenig an den Star-Wars-Soundtrack erinnert. Das wirkt erstaunlicherweise nicht deplaziert, manchmal allerdings etwas pathetisch.
Kriegsschauplatz UDSSR
Die Missionen haben Arcade-Flair und sind nicht erzählerisch miteinander verbunden. Sie werden über eine Karte, die den Frontverlauf 1941 darstellt ausgewählt, die aber nicht dynamisch durch Sieg oder Niederlage beeinflusst wird. Der Schwierigkeitsgrad ist hier höher als in der Kampagne und gerade die Koop-Einsätze machen Spaß. Auch die KI-Gefechte sind knackig und bereiten gut auf den Mehrspielermodus vor, allerdings könnte man auch dort Gefechte gegen die KI bestreiten. Alles in allem ist der Kriegsschauplatz eine ordentliche Erweiterung des Spielumfanges, eine echte zweite Kampagne ersetzt er aber nicht. Zum Testzeitpunkt war zudem nur das Jahr 1941 verfügbar, eine Erweiterung per DLC scheint mehr als wahrscheinlich.
Der weltweite Krieg
Wie schon im Vorgänger und auch in Dawn of War 2 entstehen so spannende Gefechte um einzelne Flaggen und Ressourcenpunkte, mit sich schnell verändernden Frontlinien. Einheiten müssen zum Erobern eines Gebietes außerdem nicht mehr an der Flagge warten, sondern sich nur in einem markierten Umkreis aufhalten, was mehr taktische Variation beim Verteidigen von einnehmenden Truppen ermöglicht.
Ressourcenmanagement
Größere Armeen haben also eine geringere Ressourcenproduktion zur Folge, was im Falle von Verlusten längere Produktionszeiten mit sich bringt. Dies führt zu einem ausgeglichenerem Spielablauf, da Spieler mit vielen Einheiten nicht ohne weiteres immer wieder neue Panzer in die entstandenen Lücken schicken können. Zudem können nun Benzin- und Treibstofflager an eingenommenen Flaggen gebaut werden, so dass Spieler eine größere Kontrolle über die Verteilung ihres Ressourceneinkommens haben.
Kommandanten und Spezialisierungen
Stattdessen können Spieler vor der Partie aus einem Pool drei Kommandanten wählen, die je 5 Fähigkeiten mitbringen. Je höher der Spieler im globalen Level aufsteigt, desto mehr Kommandanten hat er zur Verfügung, aus denen er wählen kann. Auf dem Schlachtfeld kann dann der Fähigkeitenbaum eines Kommandanten genutzt werden. Allerdings werden die Fähigkeiten nun der Reihe nach aktiviert, was ihren Einsatz weniger variabel macht.
Zudem wurden Spezialisierungen hinzugefügt, die etwa den Schaden einer bestimmten Einheit um fünf Prozent erhöhen, oder Produktionszeiten reduzieren. Einerseits ermöglichen diese Perks eine geschicktere Spezialisierung auf bestimmte Einheitentypen, andererseits bedrohen sie die Balance zwischen den Fraktionen. Eine fragwürdige Pay-to-Shortcut-Politik, in der Kommandeure zudem für Echtgeld erstanden werden können wirft einen Schatten auf den Mehrspielermodus, der zudem ohne echte Lobby daherkommt und so benutzerdefiniertes Matchmaking unnötig erschwert.
Masse vs. Klasse
Der Winter hat in den Mehrspielerpartien zudem einen angenehm verlangsamenden Effekt. Da sich während der immer wieder auftretenden Schneestürme Infanterie nur in Fahrzeugen bewegen kann führen die Stürme immer wieder zu Feuerpausen, in denen nur Artillerie oder Panzer die Stille durchbrechen. Die reduzierten Sichtlinien laden zudem zum schnellen Verlagern von Truppen ein und ermöglichen Überraschungsangriffe an ungeahnter Position, sobald sich das Wetter lichtet. Die neuen Sichtlinien fügen sich klasse in das Spielgefühl ein und fordern wie schon in der Kampagne eine durchdachtere Platzierung von Aufklärungseinheiten und Verteidigungsstellungen.
Fazit
Für mich ist Company of Heroes 2 eine ordentliche Fortführung des wegweisenden ersten Teils, ohne jedoch dessen einzigartige Qualität zu erreichen. Nach sieben Jahren plagt sich der Titel nach wie vor mit fehlerhafter Wegfindung, merkwürdiger Einheiten-KI und einer zu dicht über dem Schlachtfeld schwebenden Kamera. Im Gegensatz dazu können die neuen Elemente wie Wintereinsätze oder die TrueSight-Sichtlinien überzeugen und bereichern die Gefechte mit neuen taktischen Elementen. Die Kampagne ist zwar passabel inszeniert und bietet viele interessante Einsätze, die Erzählung kann aber aufgrund des pathetischen Hollywood-Flairs und der amerikanischen Sichtweise auf den Konflikt im Osten nicht immer überzeugen. Zudem fehlt es der teilweise eindringlichen Kriegsdarstellung an realen Bezügen zu Vernichtungskrieg und Holocaust, die Company of Heroes 2 zu einem echten Anti-Kriegsspiel gemacht hätten. Stattdessen zieht man sich hier zu oft auf Andeutungen wie „die Taten der Deutschen“ zurück, ohne die Gräuel beim Namen zu nennen. Bei einem Spiel, das sich so intensiv mit dem Krieg an der Ostfront auseinandersetzt wäre mehr nötig gewesen. Während der Kriegsschauplatz-Modus eher ein netter Bonus ist, in dem man nach der Kampagne auf den Mehrspieler-Part vorbereitet wird, kann jener erneut mit seiner Qualität glänzen. Die Online-Gefechte sind spannend, taktisch, schnell und abwechslungsreich, die Balance ist kurz nach Release bereits äußerst stimmig und die Karten überzeugen durch gut gesetzte Siegpunkte. Einzig die Umstellung der Kommandanten-Fähigkeiten und die überflüssigen Perks trüben hier etwas das Bild. Alles in allem ist Company of Heroes 2 ein guter Echtzeitstrategie-Titel, der aber den Glanz seines Vorgängers nicht erreicht und in einigen Punkten zu sehr auf der Stelle tritt.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Gute Echtzeitstrategie, die aber trotz gelungener Mehrspieler-Gefechte den Glanz des Vorgängers nicht erreicht und in einigen Punkten zu sehr auf der Stelle tritt.
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