Sacred26.02.2004, Marcel Kleffmann
Sacred

Im Test:

Rüstung polieren, Schwerter wetzen und Bogen spannen! Eine kleine Firma aus Gütersloh zieht gegen das Urgestein Diablo 2 in den Kampf. Mit einer gigantischen Welt, Tausenden von Gegnern, sechs Charakteren und hübscher Grafik möchte Sacred (ab 2,15€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) die Action-Rollenspiel-Krone an sich reißen. Ob`s gelingt oder Diablo trotz Altersschwäche mehr Biss hat?

Ein Dämon auf Abwegen

Willkommen in der mittelalterlichen Fantasy-Welt Ancaria: In diesem einst so friedlichen Land hat Shaddar, böser Zauberer aus Leidenschaft, einen mächtigen Dämon beschworen. Das höllische Haustier wurde allerdings zu groß, brach aus dem Bannkreis aus und überzieht jetzt die ganze Welt mit seinen Horden an Monstern und Untoten. Aber siehe da: Jetzt betritt der Spieler die bedrohten Gefilde und startet die Heldenkarriere!

Ein höllischer Kampf gegen einen Lindwurm.

Nichts Neues an der Fantasyfront

Ihr streift durch kunterbunte Landschaften und trefft auf viele bekannte Gegner – egal ob Banditen, Goblins, Wölfe, Orcs, Zombies oder Untote. Euer Ziel ist zunächst die Mobilmachung der Armeen, denn ein heimtückischer Orc-Angriff steht bevor. Diese böse Kunde müsst ihr von Dorf zu Dorf tragen, damit alle Mächtigen informiert sind. Später sollt ihr dann die Zutaten zur Verbannung des Dämonen auftreiben, der im schönen Render-Intro noch den höllischen Hauch von Gefahr verströmte.

Die Flammen züngeln, die Monster schwitzen - unser Kampfmagier hat`s sich gemütlich gemacht.

Leider ist davon im Spiel nicht mehr viel zu spüren, denn in den ersten Stunden lauft ihr durch die gigantische Welt und denkt euch: Was soll ich hier überhaupt? Hier ist doch überhaupt nichts Bedrohliches! Wo sind die dämonischen Schergen? Erst sehr spät kommt langsam etwas Atmosphäre auf, die jedoch nicht mit dem düsteren Flair von Diablo 2 mithalten kann.

__NEWCOL__Es ist z.B. weder stimmungsvoll noch authentisch, wenn nervende kleine Kinder durch Städte laufen, dumme Kommentare abgeben und eine Hausecke später ein Monster durch die Straßen läuft. Man hat zu Beginn fast das Gefühl, dass die vor Klischees strotzende Welt mal schnell mit einem Fantasy-Generator erstellt wurde. Alles in allem ist die Erzählung sehr dürftig und mit einigen Inkonsequenzen bespickt: Da kämpft man z.B. ausgiebig gegen die Schergen eines Grafen, die einen allerdings beim ersten Betreten seines Lagers wie einen harmlosen Besucher ignorieren.

Spieltrieb ohne Atmosphäre?

Warum spielt man trotzdem weiter? Warum wird mein Desktop-Icon zu Sacred verdammt häufig angeklickt? Das liegt erstens an der schieren Größe der Welt, die man aufgrund ihrer prächtigen Städte und abwechslungsreichen Landschaft immer weiter erkunden will – es gibt verwinkelte Höhlen, endlose Wüsten, malerische Wiesen und gespenstische Wälder. Nach zehn Abenteuerstunden werden euch gerade mal 14% ihrer Geheimnisse offenbart. Später ist es daher zwingend notwendig, dass ihr euch ein Pferd anschafft. Das Reittier liefert euch den nötigen Geschwindigkeitsschub und verbessert sogar eure Widerstandswerte gegen Elementarschaden.

Eine Seraphim im Kampf: man beachte die wunderschöne Stachel-Rüstung.

Und zweitens ist der uralte Sammel- und Verbesserungstrieb einfach größer als die Story-Enttäuschung – auch deshalb, weil Sacred eben ein reinrassiges Action-Rollenspiel und kein Fantasy-Epos à la Baldur`s Gate 2 sein will. Nichts ist spaßiger, als in den Läden nach neuen, besseren Ausrüstungsgegenständen zu kramen oder sich noch schnell ein bisschen Erfahrung zu erschlagen.

Echtes Gold wert ist daher auch die automatische Sammel- Funktion, mit der euer Held alle auf dem Boden liegenden Gegenstände einheimst. Die werden dann in das stark an Dungeon Siege erinnernde Inventar packt. Zum Glück ist dort genügend Stauraum und in fast jedem Dorf steht ganz à la Diablo eine Kiste, in der ihr wertvollen Krimskrams lagern könnt.

Eine Kombo-Attacke wird hier zusammengeschustert.

Die glorreichen Sechs

Zwischen sechs Charakteren dürft ihr nach der zähen Kopierschutzabfrage wählen: Der Gladiator ist ein muskulöser Nahkämpfer, der Kampfmagier macht seinem Name alle Ehre, während die Waldelfin lieber mit dem Bogen aus sicherer Entfernung attackiert. Der Dunkelelf ist der Jean Claude van Damme in diesem Sextett und kann sogar Fallen bauen.

Neben diesen Standardheroen gibt es noch die Vampir-Lady sowie die Seraphim. Letztere vereint eine gesunde Mischung aus Nahkampf mit Zauberei und besitzt die schönste Rüstung aller Zeiten. Spektakulärer ist jedoch Erstere, denn sie kämpft nur tagsüber normal, aber in der Nacht als reißende Bestie.

__NEWCOL__Sanfter Einstieg & Quests satt

Jeder der Charaktere startet an einem anderen Ort in der Tutorial-Provinz Schönblick. Dort lernt ihr die wichtigsten Features kennen und werdet sehr behutsam in die Welt eingeführt. Für Profis mag der Einstieg zu seicht sein, aber für Anfänger ist er gerade richtig. Auch das Quest-System wird euch ausführlich vorgestellt; insgesamt gibt es um die 30 Missionen, welche die dünne Hauptstory vorantreiben.

Zwischendurch könnt ihr rund 300 weitere Nebenquests annehmen. Diese belohnen euch lediglich mit Geld, Objekten oder Erfahrungspunkten. Als Orientierung dienen ein großer Kompasszeiger, der zur nächsten Hauptaufgabe hindeutet, sowie ein kleiner Pfeil, der den Weg zur Nebenaufgabe anzeigt. Solltet ihr gleich mehrere Quests angenommen haben, lassen sich die einzelnen Wegpunkte per Logbuch auswechseln.

Der Gladiator prügelt sich durch die Wüste.

Erfahrung sammeln

Die Hauptquest führt euch kreuz und quer durch die gigantische Welt. Oft habt ihr einen KI-Kameraden im Schlepptau, den ihr von A nach B geleiten müsst. Die kleineren Quests hingegen erfinden das Rad nicht neu und bedienen sich der bekannten Genre-Palette: Gegner besiegen, Gegenstände abholen und wegbringen, Personen suchen und so weiter. Die optionalen Nebenquests führen euch zwar nicht so weit in der Weltgeschichte herum, erzählen aber trotzdem eine kleine, manchmal sogar überraschende Geschichte.

Kampfkunst & KI-Nieten

Sacred bietet euch je nach Figurenwahl eine Vielzahl an Spezialmanövern: So kann nur der Gladiator etwas mit dem "Hakenschlag" anfangen und nur die Seraphim wird den "Kampfsprung" einsetzen. Diese Techniken könnt ihr von Runen lernen, die in Kisten schlummern oder von Gegnern erbeutet werden. Ein bisschen blöd ist aber, dass ihr immer wieder exklusive Runen der anderen Charaktere findet und diese erst umwandeln bzw. tauschen müsst. Apropos: Wenn ihr eine Rune doppelt habt und diese anwendet, verbessert sich gleichzeitig der Level der Spezialfertigkeit.

Eine Seraphim in der pixeligen Nahansicht.

Die Künstliche Intelligenz hinterlässt allerdings keinen guten Eindruck: Denn obwohl sich die gegnerischen Zauberer im Hintergrund halten und die Nahkämpfer die Arbeit machen lassen, gibt es viele Patzer: Greift ihr z.B. nur einen Gegner einer Gruppe mit einem Blitzschlag an, verteidigt sich nur dieser, der Rest bleibt untätig stehen. Angeschlagene Gegner ergreifen zwar die Flucht, starten aber kurze Zeit später einen neuen sinnlosen Angriff. Hinzu kommt, dass die Feinde keine Türen öffnen können und ihr dahinter immer sicher seid. Zum Schmunzeln regen auch Angriffe auf die Wand an, denn eure Widersacher scheinen euch selbst durch dickes Mauerwerk zu riechen. Außerdem lassen sie sich manchmal wie Tontauben abschießen, wenn z.B. ein Fluss zwischen euch und der dummen Goblinhorde liegt.

Klick & Kombos

Bevor ihr zu Sacred greift, solltet ihr ein intensives Zeigefinger- bzw. Maushand-Muskelaufbautraining absolvieren, denn das Spiel artet oft in einer wilden Klickorgie aus, obwohl nicht das Stakkato von Diablo 2 erreicht wird. Unten links im Menü könnt ihr fünf normale Waffen/Schild-Kombinationen platzieren, die ihr mit einem linken Mausklick einsetzt. Ihr könnt zwar auch die Maustaste gedrückt halten, aber in den wilden Schlachten geht diese Automatisierung schnell unter. In den tagelangen Metzelorgien in Ancaria ist uns aufgefallen, dass der Charakter trotz gedrückter Maustaste manchmal einfach nicht auf den Gegner einschlägt. Fehlerhaft präsentiert sich auch ab und zu die Wegfindungsroutine, da man an vielen Ecken hängen bleibt.__NEWCOL__Auf der rechten Seite eures Menüs sind ebenfalls fünf Slots für die Spezialfähigkeiten angebracht: Kampfkombos, Magieangriffe, Schutzzauber etc. Die könnt ihr per Drag & Drop austauschen und mit einem Rechtsklick aktivieren. Bevor ihr die Spezialfähigkeit erneut einsetzen könnt, müsst ihr jedoch eine bestimmte Regenerationszeit je nach Spruch, Level und Stärke abwarten - so wurde der ansonsten übliche Mana-Pool gespart. Kombos und Zauber haben im Übrigen eine getrennte Regenerationszeit. Daher ist es möglich, Magien wie z.B. den Blitzschlag und Kampffertigkeiten wie z.B. den Kampfsprung zu kombinieren. Auf Wunsch bastelt euch der Kombo-Meister auch neue Attacken, die aus aneinander gereihten Fähigkeiten bestehen.

Grafik & Sound

Die detaillierte und liebevoll gezeichnete Spielwelt sieht prima aus – Bäume und Sträucher bewegen sich allerdings nicht, und Flüsse sowie Seen bleiben unzugänglich und in Sachen Wasserdarstellung eher Mittelmaß. Über diese Leblosigkeit können selbst herumhüpfende Hasen und sonstiges Getier nicht hinwegtäuschen. Aber die Charaktere und Gegner wurden komplett in 3D gestaltet und strotzen vor Details, denn alle Kleidungsstücke wirken sich optisch auf die Figur aus. Lediglich die Animationen sind nicht immer überragend; nervige Ruckler erlebt man nur in der größten der drei Zoomstufen.

Ahhh! Der Channel-Tunnel?! Oder doch nicht.

Musikalisch kann Sacred mit einem tollen orchestralen Score überzeugen, der für meinen Geschmack jedoch zu selten eingesetzt wird – hier war Dungeon Siege von Anfang an mitreißender; die Kampfgeräusche sind allerdings gelungen. Richtig grandios ist die Sprachausgabe: Hier merkt man auch, dass sich Sacred selbst nicht ernst nimmt, denn folgende Kommentare der Gegner sind öfters zu hören: "Elender Schniepel" oder "Schlagt ihm den Kopf ab, ich brauch `nen neuen Aschenbecher". Allerdings fördern diese Sprüche nicht unbedingt die ohnehin schwache Atmosphäre. Dafür gibt es nette Anspielungen, wie z.B. eine Begegnung mit Arogarn, dem mysteriösen Waldläufer...

Den Multiplayer-Modus konnten wir nicht antesten, weil die uns vorliegende, komplett fertige Test-Version keine Option dazu bot.

Fazit

Sacred hat sich als würdiger Herausforderer von Diablo 2 erwiesen, musste sich aber letztendlich dem Titanen geschlagen gegeben. Die Fantasy-Welt Ancaria ist gigantisch groß, abwechslungsreich gestaltet und es ist trotz einer gewissen Leblosigkeit und öder Flecken immer wieder interessant, sie auf eigene Faust zu erkunden. Die klickintensiven Kampforgien verknüpft mit den zahlreichen Gegenständen und dem guten Spezialfähigkeiten-System treiben den Spielspaß fast in süchtig machende Höhen. Aber warum lässt mir der Levelaufstieg nicht alle Freiheiten? Warum muss die Story nur so langweilig sein? Und warum wird sie so öde mit Texttafeln präsentiert? Das sorgt natürlich für atmosphärische Defizite, zu denen sich auch Wegfindungsprobleme, sich oft wiederholende Quests und nervige KI-Macken gesellen. Sacred ist zwar ein gutes Action-Rollenspiel, aber kann nicht die Euphorie entfachen, die anno dazumal das diabolische Vorbild auslöste.

Pro

tolle, gigantische Spielwelt
lange Spielzeit, viele Quests
einfache, spaßige Kämpfe
sechs Charaktere
viele Spezialfähigkeiten
schönes Kombo-System
motivierende Suche nach neuen Gegenständen
gelungenes Interface, prima Steuerung
Pferde
versteckte Witze und Anspielungen
drei Zoom-Stufen
grandiose Sprachausgabe
schöne Musik

Kontra

atmosphärische Defizite
schwache Story
verbesserungswürdige Präsentation
Erfahrungssystem nicht interaktiv genug
viel zu einfacher Einstieg
Wegfindungsprobleme
schlechte Gegner-KI
Quests wiederholen sich zu häufig
teils öde Landschaften
viele, aber wenig brauchbare Gegenstände
Motivation nach erstem Durchspielen lässt schnell nach

Wertung

PC

Diablo lässt grüßen: Wer Blizzards Kultspiel mochte, wird Sacred lieben!

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