Der Tempel des elementaren Bösen17.11.2003, Jörg Luibl
Der Tempel des elementaren Bösen

Im Test:

Rollenspieler alter Schule aufgepasst: Atari verspricht mit Greyhawk ein Abenteuer, das an die glorreiche Zeit von Bard`s Tale & Co erinnert – eine Gruppe von Helden, Dutzende Werte, taktische Kämpfe, gefährliche Dungeons und jede Menge Monster. Und da das Ganze auch noch auf einem Pen&Paper-Modul von Gary Gygax beruht, der als einer der Urväter der Rollenspielszene gilt, waren wir richtig heiß auf den Kampf gegen das Böse.

Das Böse naht

Finstere Wolken rasen über das Schlachtfeld, doppelköpfige Riesen marschieren Seite an Seite mit Tausenden von Goblins, Orks und Gnollen. Gargoyles zischen ihre Vorfreude in die Nacht, Elfen bereiten ihre Bögen vor. Dann bebt die Erde und der blutige Tanz beginnt. Die Armeen des Bösen prallen auf die Streiter des Guten.

Plötzlich wird eine Dämonin beschworen, eine giftgrüne Medusa aus den Tiefen der Hölle, die selbst dem tapfersten Paladin das Herz gefrieren lässt. Doch Rettung naht in letzter Sekunde: Acht Kapuzenträger jagen Feuersbrünste in die bösen Heerscharen und isolieren den geifernden Dämon.

Das Intro lockt mit einer epischen Fantasy-Schlacht, die von arkaner Kunst entschieden wird!

Töten können sie die Furie nicht, aber sie verbannen sie mit aller Macht der Magie in einen Tempel, wo das elementare Böse auf ewig schlummern soll…

Fantasy-Story light

Klasse Intro! Die Abenteuerlust ist geweckt, und irgendwo schwelt die Hoffnung, dass das Team von Troika Games tatsächlich Pen&Paper-Feeling am PC entfachen könnte. Leider wird man sehr schnell merken, dass ein ganz wichtiger Bestandteil des klassischen Rollenspiels sehr stiefmütterlich behandelt wurde: die Erzählung.

Schon das Intro verzichtet auf Erklärungen, beim Spielstart beschränkt man sich auf einige einleitende Sätze und selbst während des Abenteuers fragt man sich oft, wieso man überhaupt auf Monsterjagd geht. Auch Altmeister Gary Gygax hat eben mal klein angefangen. Trotzdem hätte das Team von Troika Games hier etwas mehr atmosphärischen Pfeffer einstreuen müssen. Schließlich haben sie mit Arcanum gezeigt, wie man Spieler von Beginn an fesseln kann.__NEWCOL__

Zwar gibt es viele kleine Quests, die vom einfachen Suche-Monster-und-töte-es-gegen-Belohnung-Prinzip bis hin zu Saufwettbewerben, gemeinem Betrug und heiliger Bekehrung reichen, aber der erzählerische Rahmen ist mehr als dürftig. Selbst, wenn man sich intensiv mit den etwa 20 Quests im Startdorf Hommlet beschäftigt, wird man schnell die epische Breite und dramatische Wendungen vermissen, die man z.B. aus Baldur`s Gate 2 kennt. Das liegt auch daran, dass Party-Interaktion zwischen den Gefährten nahezu Fehlanzeige ist, Sprachausgabe nur sehr spärlich eingesetzt wird, und sich meist auf die ersten Sätze beschränkt. Was hätte eine urige Erzählerstimme hier punkten können!

Tutorial zum Abgewöhnen

Dass man mit der Version 3.5 die neuesten Regeln der D&D-Welt benutzt, ist klasse. Denn es  gibt herrlich viele Möglichkeiten, den Feinden rundenbasiert eins auszuwischen: Das Sammelsurium reicht vom "5 Foot Step" über "Feint", "Ready VS Approach" bis hin zum "Coupe de Grace". Dass man die Finessen dieses ausgefeilten Kampfsystems nicht im Tutorial erläutert, ist allerdings unverzeihlich. Komplett ohne Sprachausgabe werden hier wirklich nur die elementaren Eigenschaften der Steuerung überaus trocken vorgestellt. Wie sollen Einsteiger die taktischen Winkelzüge anwenden, wenn sie nicht wissen, was die kryptischen Anweisungen bedeuten?

Manche Pilze sollte man nur mit Vorsicht genießen - oder mit Pfeil, Feueraxt und Blitzgewitter! 

Klar erläutert das fast 200 Seiten starke Handbuch alles. Aber in Zeiten der Interaktivität sollte es eher eine lesenswerte Ergänzung als eine zwingend notwendige Überlebenslektüre darstellen. Wieso gibt es im Spiel keine helfenden Pop-Ups, kein Glossar? Auch die Karte reiht sich in den fehlenden Spielkomfort ein, denn sie zeigt keine besonderen Orte an, selbst wenn man sie schon besucht hat – das ist im Jahr 2003 einfach ärgerlich, auch wenn man alles manuell beschriften kann.

Selbst bei der komplexen Charaktergenerierung und dem späteren Aufstieg gibt es keine Hilfe wie z.B. in Neverwinter Nights oder Knights of the Old Republic, wo man im Zweifelsfall automatisch seine Werte anpassen kann. Für D&D-Experten ist es natürlich Ehrensache, überall selbst Hand anzulegen. Aber Ottonormalspielern hätte man wenigstens diese Option anbieten sollen.

Ein chaotisch böser Zwerg, mit rotem Zopf, der auch blind kämpfen kann? Kein Problem!

Party wider Willen

Insgesamt könnt ihr fünf Charaktere erstellen, darunter alle Klassiker der fantastischen Arbeitswelt: Diebe, Barbaren, Mönche, Barden, Ranger, Magier, Kleriker etc. Wer sich für einen Paladin entscheidet, sollte sich im Klaren darüber sein, dass dieser keine bösen Zeitgenossen akzeptiert und zahlreichen Beschränkungen unterliegt. Das war`s aber auch schon mit Party-Interaktion -  wer Streitereien, Eifersüchteleien oder sonstige Lebenszeichen innerhalb der Gruppe erwartet, wird leider enttäuscht.

Immerhin gibt es je nach Moral eurer Truppe verschiedene Startpunkte und Auftragssituationen, so dass gute oder neutrale Kämpfer ganz woanders starten als ihre bösen Kollegen. Später dürft ihr immerhin noch bis zu drei weitere von etwa 25 NPCs anheuern, so dass ihr im besten Fall mit acht Abenteurern unterwegs seid. Manche offenbaren zwar eine interessante Vorgeschichte, aber auch diese werden nicht weiter verfolgt. Allerdings hat die schlagkräftige Gesellschaft ihren Preis: Die meisten Söldner wollen Geld sehen und an der Beute beteiligt werden, bevor sie euch eine Zusage geben.__NEWCOL__

Eigentlich kein Problem, aber leider stürzen sich die NPCs automatisch nach einem Kampf auf alles, was die Feinde hinterlassen. Gold wäre ja noch zu verschmerzen, aber sie stauben nicht nur höchst wichtige Gegenstände ab, sondern sie beladen sich vollkommen stumpfsinnig bis zur eigenen Überlastung. Wer diesen Nervfaktor umgehen will, muss quasi alle NPC-Rucksäcke mit Tränken und Schriftrollen füllen…

Kämpfen wie die Götter

Das rundenbasierte Kampfsystem ist das motivierende Herzstück des Spiels: Jeder Charakter kann im Rahmen einer Zeitskala bestimmte Aktionen wie Bewegung, Waffe wechseln, Gegenstand untersuchen sowie diverse Verteidigungen und Attacken einsetzen. Während Barbaren im Kampfrausch mit erhöhter Stärke und Konstitution wüten, verschaffen sich Mönche eiskalt mit Faust und Ellbogen Respekt, die ab Stufe 4 noch mal magisch mit "Ki" aufgeladen werden. Barden heben mit Liedern die Moral, Paladine kraft ihrer heiligen Aura Untote und Diebe bringen den schnellen Tod aus dem Schatten.

Bei zu viel unangemeldetem Besuch empfiehlt sich ein sorgfältig platzierter Feuerball - aber bitte Türen zu.

Die Steuerung all dieser Möglichkeiten ist aufgrund des eingeblendeten Kreismenüs kein Problem, denn jede noch so kleine Aktionsmöglichkeit wird ähnlich wie in Pool of Radiance angezeigt. Trotzdem liegen Schnellklicker falsch: Das System ist so ausgefeilt, dass man hier mehr Zeit mit einem Kampf und dem Planen des nächsten Schrittes verbringen kann, als in Dungeon Siege & Co mit einer ganzen Landschaft. Auch wenn die Story zu wünschen übrig lässt, kommen Taktiker voll auf ihre Kosten.

In der nahe liegenden Burganlage und dem riesigen Tempel geht es nämlich so kampflastig zur Sache wie auf Helms Klamm zu Stoßzeiten: Spätestens, wenn ihr die Hallen des elementaren Bösen erreicht, kreuzt ihr die Klingen drei Etagen tief Runde um Runde gegen die ganze Prominenz der Fantasywelt – egal ob Orks, Gnolle oder Oger, egal ob wahnsinnige Priester, Untote oder Elementarwesen. Hier sollte eigentlich das beutegierige Dungeonherz vor Freude jauchzen, aber die technische Umsetzung lässt stark zu wünschen übrig.

Tempel der elementaren Fehler

Böse Falle: Ich öffne eine Tür und sehe einen Haufen riesiger Gnolle, die mit schweren Keulen bewaffnet sind. Eigentlich will ich gerade meinen Feuerball fertig machen, den Bogen spannen und den Zwerg nach vorne schicken, aber die Gnolle sind überhaupt nicht interessiert an meinem Eindringen. Nicht, weil sie so freundlich oder meine Gruppe so Furcht erregend ist, sondern weil das Spiel so bugverseucht ist, dass die künstliche Intelligenz ab und zu erst angegriffen werden muss, um mich als Feind zu erkennen.

Zwar ist das nicht immer so, aber solche Aussetzer rauben unbarmherzig Atmosphärepunkte. Leider wird man während des Spiels noch öfter mit ähnlichen Problemen genervt, denn die Entwickler haben scheinbar komplett auf die Qualitätssicherung verzichtet: Da verschwinden plötzlich Icons, Attacken funktionieren nicht, Figuren bewegen sich nicht mehr, die eigenen Kämpfer blockieren sich, die Wegfindung macht Zicken, Formationen werden plötzlich aufgelöst und Monster lassen sich nicht töten.

Wenn die Füße qualmen und die Lava brodelt, sollte man schnell und tödlich zur Sache kommen!

Außerdem ist man selbst hinter verschlossenen Türen im Dungeon nicht sicher: Wer hier rastet, um sich zu heilen, wird mit Sicherheit angegriffen. Sehr unlogisch sind zudem die Zeitspannen, die für eine volle Genesung verlangt werden, denn es kann schon mal mehrere Tage dauern. Und wenn lebenswichtige Zauber wie Unsichtbarkeit nicht effektiv eingesetzt werden können, weil ein einsamer Ork scheinbar alles sieht, sinkt selbst die Motivation für gewiefte Taktiker in den Keller. __NEWCOL__

Mantelfreuden & Wasserspaß

Wenigstens optisch gibt es trotz starrer Kameraperspektive fast nichts zu meckern: Greyhawk präsentiert liebevoll gezeichnete Dörfer, Höhlen, Burgen und natürlich Katakomben.

Freut euch auf malerische Landschaften und bizarre Kreaturen!

Die sind zwar ganz à la Baldur`s Gate 2 nur zweidimensional, aber dafür außerordentlich malerisch in Szene gesetzt. Die Architektur ist stimmig, das Interieur vielfältig und die Lichtspiele bringen zusammen mit bewegten Bäumen und rieselndem Laub mächtig Atmosphärepunkte.

Gegen die Macht des Eises hilft immer wieder der Klassiker: Feuer!

Das optische Highlight sind allerdings neben den zahllosen Monstern, die vom kleinen Goblin bis zur Riesenkröte ausgesprochen liebevoll animiert wurden, eure Helden. Als komplette 3D-Figuren glänzen Krieger, Magier und Diebe nicht nur mit stimmigen Größenverhältnissen, die Halblinge neben Halborks wirklich winzig erscheinen lassen, sondern auch mit klasse Details: Mäntel und Haare wallen im Wind, Ketten schimmern und jede neue Waffe, jeder neue Helm wird umgehend dargestellt – sehr schön!

Hinzu kommen viele nette Animationen, die das Pfeile schießen, Keulen schmettern und Magie anwenden sehr lebendig wirken lassen. Auch mit Partikel- und Zaubereffekten wurde nicht gespart: Wenn Eure Recken durch unterirdische Seen stapfen, spritzt das Wasser herrlich realistisch auf, und jeder Feuerball jagt sengend Richtung Gegner.

Weniger schön ist die fehlende Kollisionsabfrage, die Figuren z.B. ungehindert durch Türen laufen lässt. Optisch grotesk ist zudem der meterweite Abstand zwischen Dieb und Kiste beim Schlösser knacken. Außerdem stören ab und an Performanceprobleme, wie plötzliches Stocken und das träge Scrolling, das vor allem am Ende einer Karte immer wieder zum Nachziehen zwingt.

Fazit

Ich liebe Fantasy. Ich liebe Pen&Paper-Rollenspiele. Daher habe ich mich wahnsinnig auf den Tempel des elementaren Bösen gefreut. Denn hier wird zum ersten Mal ein klassisches Abenteuer aus der Feder von Gary Gygax umgesetzt. Dass die Story keine Offenbarung sein würde, war angesichts des Dungeon-Szenarios vielleicht noch klar – es geht eben um Kämpfe, Schätze und das klassische Aufrüsten der Party; erzählerische Tiefe ist Fehlanzeige. Dass ich nach wenigen Stunden Spielzeit bereits so frustriert sein würde, war jedoch alles andere als klar: Das oberflächliche Tutorial ist angesichts der Komplexität des Regelwerks ein schlechter Witz, die zahlreichen Bugs und Logikfehler zehren unbarmherzig an der Motivation und meine Party scheint einfach nicht immer das zu machen, was ich will. Dabei hätte das Greyhawk-Abenteuer durchaus das Potenzial zu mehr gehabt: Die ausgefeilte Charaktererstellung ist Ambrosia für alle Rollenspieler, das Kampfsystem ist durchdacht, die Grafik klasse und die vielen Startpunkte reizen zum Neuanlauf. Aber leider hat das Team von Troika Games zu wenig Zeit in die Qualitätssicherung und Spieltechnik investiert, als dass man das Böse wirklich entspannt bekämpfen könnte. Angesichts des kürzlich veröffentlichten Patches und der ungeheuer motivierenden Kämpfe kann sich der Titel gerade noch die 70 Prozent sichern. Aber Vorsicht: Die deutsche Fassung wird zum Release am 20. November noch auf dem alten fehlerhaften Stand sein und sollte schleunigst aktualisiert werden.

Pro

schönes Intro
viele Statistiken
mehrere Enden
gute Soundeffekte
klasse 3D-Figuren
gute Levelgestaltung
ausgefeiltes Kampfsystem
komplexe Charaktererstellung
mehrere Startpunkte je nach Moral

Kontra

Clippingfehler
schwache Story
böse KI-Aussetzer
viele Bugs & Logikfehler
keine Erzählerstimme
Kamera nicht drehbar
Wegfindungsprobleme
keine Party-Interaktion
unzureichendes Tutorial
Probleme bei Formationen
ab und an Befehlsverweigerung
Wände werden nicht transparent

Wertung

PC

Es hat seine Macken, aber es ist für Pen&Paper-Abenteurer unheimlich reizvoll!

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