1954: Alcatraz24.01.2014, Jan Wöbbeking
1954: Alcatraz

Im Test:

Teure Cafés, Touristen und Monatsmieten ab 1000 Dollar: San Francisco ist schon längst nicht mehr der verruchte Hafen für Hippies und Lebenskünstler, der den Ruf der Westküstenmetropole einst so stark prägte. Gene Mocsy (A Vampire Story) möchte in seinem Adventure eine andere, schmutzige Seite der Stadt zeigen, als sich in den schmalen Gassen Chinatowns Ganoven und  Beatniks herumtrieben. Trifft die Ausbruchsgeschichte den Ton der Zeit?

Gangster, Beatniks, dunkle Gassen

Um die Stimmung der Ära einzufangen, wühlte sich Mocsy durch Unmengen alter Fotos, Literatur und andere charakteristische Dokumente seiner Heimatstadt aus den Fünfzigern. Um seine Gangster-Geschichte um einen Ausbruch von Alcatraz realisieren zu können, hat sich der US-Amerikaner Unterstützung aus Hamburg organisiert. Mocsy kümmerte sich um Geschichte und die kreative Leistung, ein Team bei Daedalic sorgte bei Rätseln, Grafik und anderen Aspekten für Feinschliff.

Die Handlung bedient sich bei alten Gangster-Geschichten: Kriegsveteran Joe Lyons sitzt nach einem Raubüberfall in Alcatraz ein und will die legendäre Gefängnisinsel unbedingt verlassen. Draußen wartet seine Frau Christine auf ihn, welche allerlei Vorkehrungen für die Flucht treffen soll. Offenbar wissen auch andere halbseidene Gestalten von der Beute, welche angeblich in einem Transporter verbrannt ist. Ständig rücken ihr Gauner, ihr Exfreund und der aufdringliche Detective Grassi auf die Pelle. Im Gespräch mit Joes Komplizen erfährt sie allerdings auch interessante Infos über ihren Gatten, der offenbar mehr auf dem Kerbholz hat, als sie bislang wusste.

Alternative Handlungsstränge

Die Steuerung geht meist gut von der Hand: Das Inventar wird bequem mit dem Mausrad aufgeklappt, das Laufen zu einem anderen Bildschirm lässt sich dagegen leider nicht per Doppelklick beschleunigen.
Die Steuerung geht meist gut von der Hand: Das Inventar wird bequem mit dem Mausrad aufgeklappt, das Laufen zu einem anderen Bildschirm lässt sich dagegen leider nicht per Doppelklick beschleunigen.
Ich schlüpfe abwechselnd in die Rolle von Joe und seiner Gattin, um den Ausbruch vorzubereiten und hinter das Geheimnis der Beute zu kommen. Mit einem Icon kann ich jederzeit umschalten, falls ich mit einem Charakter nicht weiterkomme. Da sich die beiden Ehepartner nur bedingt trauen und die Wächter mithören, haben die beiden die Möglichkeit, sich anzulügen – oder sich nach einem Ablenkungsmanöver doch wahre Hinweise zu geben. Immer wieder treffe ich im Spielverlauf auf Dialogrätsel, welche die Geschichte ein wenig anders verlaufen lassen. Leider nehmen aber nur wenige davon Einfluss auf die alternativen Ausgänge des Spiels.

Die Treue des Pärchens wird immer wieder auf die Probe gestellt. Als Christine auf ihren Balkon geht, überrascht sie z.B. ihr Ex, welcher sie unbedingt in die Kiste bekommen möchte. An dieser Stelle muss ich entscheiden, ob mir mögliche Insider-Infos oder Christines Beziehung zu Joe wichtiger sind. An anderer Stelle dagegen führen Entscheidungen nur kurzfristig auf einen alternativen Handlungsstrang und dann zurück zum Standard-Programm: Hätte Joe Christine etwa den Fundort eines wichtigen Dokuments verschwiegen, wäre ich trotzdem durch einen in der Wohnung platzierten Hinweis darauf gestoßen.

Tricks und Überredungskünste

Joes Reparaturgeschick verschafft ihm im Knast Vorteile.
Joes Reparaturgeschick verschafft ihm im Knast Vorteile.
Ähnlich verhält es sich beim „Date“ mit dem Detective. Als er Christine bei einem Einbruch erwischt, nimmt er ihr zwar alle Gegenstände ab, nach dem erzwungenen Abendessen bekommt sie aber bereits alles wieder. Trotz nur geringer Auswirkungen gefällt es mir, dass ich deutlich öfter Einfluss auf den Gesprächsverlauf nehmen kann als in den meisten anderen Adventures: Wenn der handwerklich begabte Joe z.B. etwas in der Wohnung des Wachmanns repariert, kann er sich nur kurz mit dessen Frau unterhalten. Die Zeit reicht also lediglich für eines der möglichen Gesprächsthemen. Schön auch, dass mich in manchen Dialogen Hartnäckigkeit ans Ziel bringt. Wenn ich den verschwundenen Freund eines schwulen Schriftstellers zur Rückkehr überreden will, reichen ein Liebesgedicht sowie eine Rose nicht aus: Stattdessen muss ich mehrmals mit der gleichen Dialogoption auf ihn einreden, bevor er sich erweichen lässt.

Die reinen Inventar- und Kombinationsrätsel wirken dagegen meist zu leicht und ideenlos. Joe verschafft sich durch sein Reparaturgeschick mehr Freiheiten bei den Wächtern. Das wirkt zwar glaubwürdig, aber nicht gerade spannend. Nebenbei gibt es im Knast natürlich viele fade Gefälligkeiten zu erledigen, um vielleicht Fluchtpläne oder Schwachstellen in der Konstruktion zu erfahren. Etwas seltsam wirkt es schon, dass Joe irgendwann mit prall gefülltem Inventar durchs angeblich sicherste Gefängnis der Welt läuft. Noch öder: Christine bricht die meisten Schlösser einfach mit gefundenen Haarnadeln auf.

Die Crux der Coolness

Wieder vereint: Poet Sutter und sein launischer junger Freund.
Wieder vereint: Poet Sutter und sein launischer junger Freund.
Obwohl der Mix aus gezeichneten Kulissen und hässlich kantigen 3D-Figuren reichlich krude wirkt, fängt das Spiel die Stimmung seiner Zeit gut ein. Im Hintergrund klimpern passende Jazz-Stücke und auch die Sprache wirkt authentisch: Gescheiterte Schriftsteller, Kleinkriminelle und desinteressierte Teenager unterhalten sich mit schroffen Kraftausdrücken, welche nicht gekünstelt klingeln. Die eine oder andere Textzeile wird zwar falsch betont, aber meist passt die deutsche Synchronisation.

Ein Problem an den eigentlich erfrischend erwachsenen Dialogen ist, dass die übertriebene Coolness die Identifikation mit den Protagonisten stört. Die lässige Art passt eigentlich gut zur damaligen „Beat-Szene“ in San Francisco: Christine verlegt z.B. ein eigenes Lyrik-Magazin und unterhält sich ununterbrochen mit anderen  „Beatniks“ über angesagte Gedichte, Romane und Jazzplatten. Doch Mocsy übertreibt es mit der allgegenwärtigen Gleichgültigkeit. Ob nun die hippe Buchhändlerin, der jugendliche Beatnik im chinesischen Theater oder Christine selbst: Fast alle Figuren wirken in ihren Gesprächen derart

Manchmal färbten sich kleine Bildelemente rosa - davon abgesehen lief das Spiel aber technisch sehr sauber.
Manchmal färbten sich kleine Bildelemente rosa - davon abgesehen lief das Spiel aber technisch sehr sauber.
desinteressiert, dass es mir wirklich schwer fällt, mich für ihre Geschichte zu begeistern.

Spannung geht anders

Ihre Stimmung erinnert an heutige Hipster, welche mit Selbstironie und intellektuellen Phrasen um sich schmeißen, ohne einen emotionalen Zugang zur Kunst zu finden, die ihnen angeblich am Herzen liegt. Sogar ein psychisch gestörter Autor oder der schleimige Detective wirken immer schrecklich gelangweilt. Christine lässt sich nicht einmal von den Morddrohungen einiger Gangster aus ihrer Lethargie reißen, die Infos zur Beute aus ihr herauspressen wollen. Verschlimmert wird das Problem von den hölzernen Animationen, welche den Figuren kaum Ausdruckskraft verleihen. Passend dazu plätschert auch die Geschichte vor sich hin, ohne je einen Spannungsbogen aufzubauen.

Fazit

Diesmal ist es Daedalic nicht gelungen, ein externes Projekt durch Feinschliff zu einem spannenden Adventure zu machen. Die Stimmung des schmutzigen, verruchten San Francisco wird zwar schön eingefangen, doch die Ausbruchsgeschichte plätschert fade vor sich hin, ohne je wirklich Fahrt aufzunehmen. Die schroffen Gespräche, Dialogrätsel und kleinen Entscheidungsfreiheiten haben mir zwar gut gefallen, doch die lethargische Gleichgültigkeit von Joe, Christine und anderen Figuren macht es mir schwer, mich überhaupt für ihr Schicksal zu interessieren. Auch die Inventarrätsel wirken meist ideenlos und langweilig. Außerdem gibt es krude Stilbrüche beim Design. Die kantigen Figuren sind hölzern animiert und passen nicht zu den gezeichneten Hintergründen – im Gegensatz zum gelungenen Jazz-Soundtrack. 1954: Alcatraz ein seltsamer, unausgegorener Mix, welcher mich durch das unverbrauchte Szenario und alternative Gesprächsverläufe nur etwas besser unterhalten hat als das konservative Baphomets Fluch 5.

Pro

schmutziges San-Francisco der 50er wird gut eingefangen
einige alternative Dialoge und Entscheidungen...
passend schroffe Sprache...
entspannter Jazz-Soundtrack
verhältnismäßig viele Dialogrätsel

Kontra

Story plätschert ohne spannende Höhepunkte vor sich hin
...welche Ende und Spielverlauf meist nur leicht beeinflussen
...übertriebene Coolness verhindert aber Identifikation mit Figuren
Ideenlose Inventar
und Kombinationsrätsel
hässlich kantige Figuren
ungelenke Animationen
nur rund sechs Stunden kurz

Wertung

PC

Trotz einiger guter Ansätze wirkt das Gangster-Adventure im alten San Francisco unausgegoren.

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