Expeditions: Conquistador21.06.2013, Benjamin Schmädig
Expeditions: Conquistador

Im Test:

Als Kolumbus Amerika entdeckte, begann eine der wichtigsten Umwälzungen im politischen Gefüge der Weltgeschichte: Wo einst Indianerstämme jagten, herrschten knapp 300 Jahre später die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Siedler stießen aber auch nach Süden vor, u.a. nach Mexiko, wo spanische Entdecker auf Azteken und andere Eingeborene trafen. Konquistadoren nannte man sie und dieses Spiel erzählt ihre Geschichte.

Die guten Christen

Sie waren Entdecker, Abenteurer, Soldaten: Konquistadoren zogen mit einem Tross an Kämpfern über den Kontinent, um die Neue Welt zu erschließen. Nein, nicht erschließen – auszubeuten. Ein Konquistador sehnte sich nach dem Gold der Azteken, Mayas oder Inkas, die Legende von El Dorado blühte unter den spanischen Eroberern auf. Einheimische schlugen sie meist rücksichtslos nieder, um ihr eigenen christlichen Siedlungen zu gründen.

Und einen solchen Menschen spiele ich in Expeditions: Conquistador (ab 4,25€ bei GP_logo_black_rgb kaufen)...

Strategie und Taktik

Ähnlich wie Heroes of Might & Magic oder King's Bounty verbindet Expeditions: Conquistador das Zug-um-Zug-Erforschen einer weitläufigen Welt mit dem taktischen Rundenkampf, sobald man auf einen Gegner trifft oder ein entsprechendes Ereignis auslöst. Als Schauplatz dient das Gebiet des heutigen Mexikos, auf dem Anfang des 16. Jahrhunderts zahlreiche Stämme leben und sowohl untereinander als auch mit den spanischen Neuankömmlingen im Streit liegen.

Die Gruppe meines Konquistadors trifft auf Stammesführer und andere Personen, hilft bei

Independent-Wurzeln

Expeditions: Conquistador entstand in Dänemark, genauer gesagt bei dem unabhängigen Studio Logic Artists in Kopenhagen.

Eine Kickstarter-Kampagne legte vor einem knappen Jahr die Grundlage für die Finanzierung des Projekts. 70.000 Dollar kamen dabei zustande - wären es 160.000 geworden, hätte Logic Artists es eine zusätzliche Kampagne sowie detaillierte Grafiken kreieren können. Streitigkeiten und erledigt kleine Gefallen. Das kann die Beschaffung wertvoller Artefakte oder  das Überbringen einer Botschaft sein. Auch das Auslöschen eines Banditen sowie die Verteidigung eines Forts kann dazugehören. Meist winken finanzielle Belohnungen, günstigere Preise auf einzelnen Marktplätzen, oft verbessert man sogar die Beziehung zum Auftraggeber.

Schwere strategische Entscheidungen treffe ich allerdings nicht. Die Entwicklung der Geschichte und die Beziehungen zu verschiedenen Figuren erinnert eher an ein Rollenspiel, das von Dialogen und Entscheidungen getragen wird. Ich war allerdings überrascht, wie viele gut geschriebene Zeilen ich hier lesen durfte. Und wie häufig ich einen Konflikt durch Diplomatie oder richtige Entscheidungen umgehen konnte!

Reden ist Gold, schweigen heißt Kampf

Weil der Schwerpunkt auf dem Rollenspiel, nicht der strategischen Eroberung liegt, unterbrechen zahlreiche kleine und große Ereignisse die Entdeckungsreise: Mal unterhält sich mein Konquistador mit einem seiner Begleiter, mal bricht eine Radachse, mal stoßen wir auf eine fremde Karawane. Im Gespräch lerne ich so meine Kameraden kennen, kann ihre Probleme ignorieren, sie ermuntern oder zurechtweisen, wenn sie z.B. nachts heimlich aus dem Lager schleichen.

In zahlreichen Ereignissen muss ich zudem wählen: Soll ich einen reichen Reisenden

Mehrspieler-Gefechte

Während sich Conquistador um die erzählerisch starke Kampagne dreht, können zwei Spieler auch gegeneinander kämpfen. Das ist sowohl über eine IP-Adresse als auch abwechselnd vor einem Bildschirm möglich.

Anzahl der Truppen, Stärke der Ausrüstung, Bedenkzeit und andere Faktoren dürfen dabei variiert werden, während 25 Kampfgebiete ausreichend Abwechslung bieten. einfach überfallen? Mitten in der Wildnis hätte das ja keine rechtlichen Konsequenzen. Ein Begleiter könnte sich beschweren, aber wiegen die gewonnenen Reichtümer nicht schwerer?

Treffe ich auf feindlich gesonnene Indios, kann ich hingegen wählen, ob ich sie direkt attackieren will, ob ich das Gespräch auf die Gefahr einer Provokation hin fortführe oder ob ich um eine friedliche Lösung feilsche. Die Höhe meiner zu Spielbeginn gewählten Charaktereigenschaften entscheidet dann über den Ausgang der Verhandlungen. Oft entwickelt sich ein solches Ereignis in mehreren Stufen, so dass ich mehr als einmal die Wahl zwischen verschiedenen Aktionen habe. Das macht Conquistador richtig gut: Ich fühle mich immer als Teil der Handlung, anstatt nur die Richtung vorzugeben!

Moral und Zeitgeist

Im Großen traut mir das Spiel diese Freiheit allerdings kaum zu. Im Kleinen verbessere ich zwar meine Position bei den Einwohnern eines Dorfes oder mache es dem Erdboden gleich – auf die politische Entwicklung Südamerikas kann ich aber erst spät Einfluss nehmen, obwohl ich von Beginn an darin involviert bin. Ein Beispiel: Ich kann

Zahlreiche Ereignisse werden gut erzählt und verlangen mehrere Entscheidungen.
Zahlreiche Ereignisse werden gut erzählt und verlangen mehrere Entscheidungen.
einem Volk dabei helfen, Verhandlungen mit einem anderen Stamm aufzunehmen. Während meine Präsenz bei den Verhandlungen dabei als Provokation aufgefasst werden könnte, findet während der Gespräche ein Überfall statt, den ich zurückschlagen muss. Die Verhandlungen sind anschließend ein Erfolg, dieser Weg war also vorgezeichnet.

Die Erzählung hat außerdem ein ganz anderes Problem: den zeitgenössischen Moralkompass. So darf ich zwar wie ein goldsüchtiger, von ethnischen Vorurteilen getriebener Europäer in Südamerika wildern und morden. Die Beschreibungen und viele Unterhaltungen meiner Begleiter sind allerdings in einem Tonfall geschrieben, der dem aktuellen Zeitgeist entspricht. Obwohl ich kein Interesse daran habe, die Weltoffenheit eines Rassisten nachzuahmen, kann das Spiel seinen historischen Kontext deshalb nicht überzeugend vermitteln.

Es könnte rechtschaffenes Handeln wenigstens mit gesellschaftlicher Ausgrenzung bestrafen oder die Folgen eines rücksichtslosen Krieges auf drastische Weise verdeutlichen. Nicht zuletzt sollten zumindest einige der Ureinwohner viel feindseliger auf meine spanische Karawane reagieren, die nicht als erste ihrer Art in ihr Gebiet vordringt. Großartig wäre auch, wenn sich meine Gruppe durch mein gut gemeintes Handeln so von Spanien und den indigenen Völkern isolieren würde, dass ich ohne Proviant und Medizin kaum noch überleben könnte. Würde ich in meiner Not zum Mörder werden? Auf diese Weise könnte ein moderner Mensch den dunklen Pfad zumindest spielerisch nachvollziehen.

"Gutmensch!" "Rassist!"

Zugegeben: Vielleicht ist diese Forderung zu hoch gegriffen für einen Titel, der von einem unabhängigen Studio über Kickstarter finanziert wurde. Denn immerhin lassen die dänischen Entwickler den Zeitgeist nicht unter den Tisch fallen. Sie machen ihn sogar zu einem zentralen Element, wenn meine Begleiter verschiedene Charakterzüge offenbaren –

Soundtrack und Hörprobe

Die stimmungsvolle Musik zum Spiel ist für knapp zehn Dollar auf Bandcamp verfügbar . Der komplette Soundtrack kann dort ausführlich und komplett im Stream gehört werden. manche sind "nur" aggressiv oder geizig und lassen deshalb schon mal einen Azteken-Schatz mitgehen. Andere sind geradewegs rassistisch und deren Stimmung sinkt immer dann, wenn ich bei einer Entscheidung auf Eingeborene Rücksicht nehme.

Das ist zumindest auf einer höheren Schwierigkeitsstufe keine Kleinigkeit, denn die Stimmung beeinflusst auch die Effektivität im Kampf. Bevor ich in die Neue Welt aufbreche, muss ich deshalb abwägen, ob ich etwa einen starken rassistischen Soldaten oder lieber einen schwächeren Kämpfer ohne Vorurteile mitnehme. Ich wähle aus Soldaten, Schützen, Ärzten, Gelehrten, Kundschaftern und Jägern – alle mit besonderen Eigenschaften für bestimmte Situationen. Durch hinzu kommende Spanier und Indios kann sich meine Karawane außerdem vergrößern. Schade nur, dass es nie zu Streitigkeiten in meiner Gruppe kam und dass ich verstimmte Kameraden durch größere Essensrationen relativ schnell wieder auf meine Seite ziehen konnte. Spürbare Konsequenzen hatten die unterschiedlichen Moralvorstellungen im normalen Spiel leider nicht.

Gefechtsblockaden

Die Wahl des Kerntrupps ist dennoch von zentraler Bedeutung; immerhin entwickeln sich meine Frauen und Männer weiter: Im Austausch gegen globale Erfahrungspunkte befördere ich einzelne Mitstreiter, die mit jedem Aufstieg neue Fähigkeiten erlernen. Es sind zum größten Teil martialische Fertigkeiten wie höhere Zielgenauigkeit oder die Möglichkeit eine bessere Waffe zu nutzen. Zwar ist die Einarbeitung in die von Beginn an umfangreiche Textliste müßig, im Gegenzug kann ich so jeden Mitstreiter individuell

Vor vielen Kämpfen kann nicht nur die Aufstellung geändert, sondern auch Blockaden und Fallen aufgebaut werden.
Vor vielen Kämpfen kann nicht nur die Aufstellung geändert werden; man darf auch Blockaden und Fallen aufbauen.
trainieren.

Sechs Kämpfer darf mein Konquistador meist ins Gefecht schicken (er selbst nimmt nicht teil) und häufig darf ich vorher die Aufstellung anpassen sowie Fallen oder Blockaden aufstellen. Dadurch erarbeite ich mir Vorteile, bevor ähnlich wie in XCOM das möglichst clevere Positionsspiel über Sieg und Niederlage entscheidet. Der Schutz hinter Deckung spielt auch hier eine wichtige Rolle – noch wichtiger ist allerdings das Einkreisen eines Feindes, um seine Verteidigung zu schwächen.

So interessant das taktische Ziehen dabei sein könnte, so schlecht bewegen sich die Gegner: Sie ignorieren oft mögliche Deckung und zerstören gerne Blockaden, die in keiner Weise ihren Weg blockieren. Ich habe auch erlebt, wie ein starker Nahkämpfer einen großen Umweg lief, weil gerade mal einer meiner Bogenschützen in seinem Weg stand. Im Rundenkampf offenbart Expeditions: Conquistador leider deutliche Schwächen.

Dazu zählt auch die Tatsache, dass fast alle Kämpfe auf dem normalen Schwierigkeitsgrad ein Kinderspiel sind, während manche Gefechte plötzlich wie hammerharte Sackgassen

Die Gegner erlauben sich leider auffällige Fehler - nicht nur deshalb sind die meisten Gefechte leicht zu gewinnen.
Die Gegner erlauben sich auffällige Fehler - nicht nur deshalb sind die meisten Gefechte leicht zu gewinnen.
anmuten. Was über weite Strecken leider die Spannung nimmt, wird dann zum Glücksfall: Meine Begleiter können im Kampf nicht sterben. Erst eine Einstellung im umfangreichen Menü ermöglicht den baldigen Tod, falls die Kämpfer nicht schon während des Gefechts versorgt werden.

Mach mal Pause

Spätestens nach einer Niederlage sind die Ärzte dann gefragt und auch der Konquistador kann heilen: Verschieden starke Wunden sowie zufällig auftretende Krankheiten müssen unterschiedlich lange und mit unterschiedlich viel Medizin behandelt werden. Im Nachtlager lege ich deshalb fest, welcher Arzt sich um wen kümmert. Ohne Heilmittel oder ausreichend Experten würden einige von ihnen tatsächlich das Zeitliche segnen und auch wenn der Tod keine ständige Bedrohung ist, will ich den Verlust eines hochrangigen Offiziers unbedingt verhindern!

Das Lager ist ohnehin eine wichtige Station meiner Entdeckungsreise, denn dort bestimme ich auch, welche Mitstreiter auf die Jagd gehen, welche bereits vorhandenes Fleisch haltbar machen und wer gefundene Kräuter zu Medizin verarbeitet. Damit Diebe nicht stehlen oder angreifen, sollte ich außerdem Wachen aufstellen. Patrouillen spüren in verlassenen Camps der Umgebung hingegen Wertgegenstände oder Baumaterialien auf. Die Aufteilung meiner Mannschaft erfordert zwar ungemütlich viele Mausklicks, weil die

Beim Wechsel zwischen Tag und Nacht entsteht eine glaubwürdige Dynamik.
Beim Wechsel zwischen Tag und Nacht entsteht eine glaubwürdige Dynamik.
automatische Planung nicht gut genug funktioniert. Die sinnvollen Aufgaben und der glaubwürdige Rhythmus zwischen täglichem Erforschen und nächtlicher Rast verleihen der Reise aber einen angenehm bodenständigen Anstrich.

Abstrakte Rohstoffquellen

Ich sollte am Tagesende zudem meine Ausrüstung verbessern oder Fallen und Blockaden bauen. Dafür brauche ich Materialien, die ich entweder auf Marktplätzen kaufe, raube, finde oder selbst herstelle und das geht wiederum nicht ohne Materialien, die zufällig in der Landschaft auftauchen – markiert als gigantische blaue Kisten, die das stimmungsvolle Südamerika leider auf recht brutale Art zur abstrakten Rohstoffquelle machen. Schade, dass ich für ein wenig Holz z.B. nicht einen dichten Wald finden muss.

Tatsächlich sind es vor allem die Kleinigkeiten, an denen die Wurzeln des relativ kleinen Independentspiels zu Tage treten: viel zu kurz eingeblendete Statusänderungen etwa oder Programmfehler, dank denen ich weder meinen Konquistador sehen noch den Bildausschnitt bewegen kann. Auch ein Tagebuch, das die Höhepunkte meiner Reise aufzeichnet und eine kleine Enzyklopädie der neuen Welt enthält, fehlt mir.

Fazit

Gerade noch mal davongekommen: Bei einem nächtlichen Überfall überwältigen die Angreifer meine Verteidigung und plündern das Lager. Doch sie haben nicht nach Wertgegenständen gesucht – sie wollten Sklaven befreien. Und nur weil ich mich zu Beginn für bezahlte Helfer anstatt für Sklaven entschieden hatte, zogen sie schnell wieder von dannen. Immer wieder inszeniert Expeditions: Conquistador solche Ereignisse, deren Ausgang meine Entscheidungen beeinflussen und in diesen Momenten ist es richtig stark! Auch die Aufgabenverteilung im Nachtlager, das Heilen Verwundeter sowie das Herstellen wichtiger Ausrüstungsgegenstände verleiht dem Spiel eine sehr eigene, glaubwürdige Dynamik. Es hat allerdings auch klare Schwächen, weil die meisten Konsequenzen meiner Entscheidungen nur das aktuelle Ereignis betreffen und weil es die Abgründe des damals geltenden rassistischen Weltbilds nur oberflächlich streift. Die Kämpfe sind zudem taktisch interessant, meist aber zu leicht – auch weil sich die Gegner auffällige Fehler leisten. Hätte es wenigstens eine dieser Schwächen vermieden, könnte das historische Abenteuer ein richtiges gutes sein!

Pro

unverbrauchtes, erzählerisch interessantes Szenario
ereignisreiche Geschichte mit vielen Ereignissen
zahlreiche Dialog- und Handlungsentscheidungen
verschiedene Enden
Begleiter reagieren entsprechend ihres Charakters und ihrer Moralvorstellungen
taktisch interessante Rundenkämpfe mit vorheriger Planung
umfassendes Teammanagement im Nachtlager
eigenes Herstellen von Fallen, Hindernissen und allgemeinen Verbesserungen
verletzte Begleiter müssen mitunter lange geheilt werden
variable Schwierigkeitseinstellungen, wahlweise nur ein Spielstand
stimmungsvolle Musik

Kontra

geradlinige Handlung mit vorgegebenem Moralkompass
viele Entscheidungen ohne nennenswerte Konsequenzen
zu leichte Kämpfe mit übermäßig harten Ausnahmen
Begleiter können zwar sterben, werden in Kämpfen aber höchstens verwundet
Gegner machen zahlreiche taktische Fehler
Planung des Nachtlagers unnötig umständlich
kein Tagebuch, keine Enzyklopädie im Spiel
schlechte Einführung in Charakterentwicklung
unhandliche Menüs mit viel Text
zufällig platzierte Schatzkisten wirken störend im glaubhaften Schauplatz
kleine Programmfehler

Wertung

PC

Sehr gut erzähltes historisches Abenteuer mit Schwächen im taktischen Kampf und in der Präsentation.

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