NASCAR The Game 201326.07.2013, Benjamin Schmädig
NASCAR The Game 2013

Im Test:

Formel-1-Ikone Alain Prost verglich seinen Ferrari einst mit einem Truck – die pikierten Italiener setzten ihn daraufhin glatt vor die Tür. Ganz klar: Prost war auf dem falschen Pflaster unterwegs. Hätte er den Vergleich  am Steuer eines NASCAR-Boliden gezogen, sein Teamchef hätte ihm mit Kusshand gratuliert! Bleibt die Frage, ob die nordamerikanischen Superspeedways den viermaligen Weltmeister nicht linksrum in den Schlaf gelullt hätten...

Three wide

300 Sachen auf dem Tacho und zwischen Tür und Begrenzungsmauer passen gerade mal zwei Daumen, zur Klinke des Nebenmanns ein Daumen mehr. Der hat selbst einen Wagen neben sich – zu dritt hängen wir auf dem Gefälle des dreckigen Asphalts. In zwei Sekunden werden wir uns nebeneinander in die Kurve legen, Platz für Fehler gibt es nicht. Berührungen sind zwar keine Seltenheit, allerdings können solche Überholmanöver mehrere Runden dauern. Ganz davon zu schweigen, dass sich häufig Dutzende Wagen rundenlang im Pulk bewegen. Immerhin beschleunigen nach einem Start mehr als 40 Geschosse Rad an Rad. Und das ist Schwerstarbeit für Fingerspitzengefühl und Nerven! Denn NASCAR bedeutet minutenlange Duelle ohne Zeit zum Luftholen.

Fußgefühl

Was auf den langen Geraden eines großen Speedways aufregend ist, kann in den Kurven haarsträubend sein. Denn anders als die Boliden der Formelserien kleben die Fahrzeuge nicht wie aerodynamische Wunderwerke auf der Straße. Ein NASCAR-Auto muss man mit Samthandschuhen fahren – abrupte Gewichtsverlagerungen durch eine schnelle Änderung der Beschleunigung oder des Lenkeinschlags bringen es gefährlich ins Schlingern. Im Handumdrehen touchiert es dann den Nebenmann und löst im schlimmsten Fall eine Kettenreaktion aus oder rast unaufhaltsam in Richtung Streckenbegrenzung.

Und dieses Fahrverhalten fängt NASCAR The Game ausgesprochen gut ein: Das gefühlvolle Spiel mit Gas und Bremse, bei dem erfahrene Piloten beim Herausfahren aus

Three wide: Spätestens jetzt tobt der Puls.
Three wide: Spätestens jetzt tobt der Puls.
einer Kurve Zeit gewinnen, weil sie langsam die Bremse lösen, während sie behutsam aufs Gas treten, gibt das Spiel überzeugend wieder. Durch ruhige Korrekturen lässt sich ein Fehler korrigieren, ein Dreher durch den geschickten Einsatz der Kupplung verhindern. Man kann mit Gas, Bremse und Kupplung lenken – das ist wichtig.

Mir fehlt lediglich ein fühl- oder wenigstens hörbares Feedback, wenn das Fahrzeug langsam die Bodenhaftung verliert. Es ist unerlässlich, diesen Grenzbereich zu erkennen, da er den Unterschied zwischen erfolgreichem Überholmanöver und Dreher ausmachen kann. Und weil man die Simulation nicht wie einen realen Boliden unterm Hintern spürt, sollte sie die Information auf anderem Weg vermitteln.

Luft!

Vorausschauendes Fahren ist entscheidend, um im Pulk mitzuhalten. Zumal viele kleine Rempler die Leistung des Wagens immer stärker beeinträchtigen; die kleinen Geschwindigkeitseinbußen können richtig wehtun, begraben aber nicht unbedingt die

Inside Line oder 2013?

Der Name sorgt für Verwirrung: Auf Konsole heißt das Spiel NASCAR The Game: Inside Line, auf PC NASCAR The Game 2013 (ab 35,95€ bei kaufen). Bei beiden handelt es sich um dasselbe Spiel.

Während die Simulation schon Ende vergangenen Jahres in Nordamerika auf PS3 und Xbox 360 im herkömmlichen Handel veröffentlicht wurde, erschien erst vor einigen Wochen die PS3-Fassung zum Download in Europa. Vorgestern veröffenlichte Eutechnyx schließlich auch die PC-Variante auf Steam. Auf PS3 übernimmt Activision den Vertrieb.

Die Unterschiede

Inside Line und 2013 sind praktisch inhaltsgleich. Unterschiede beschränken sich darauf, dass ausschließlich die PS3-Version Wettrennen am geteilten Bildschirm bietet, während PC-Raser zwischen 30 und 60 Bildern pro Sekunde wählen und sowohl Fahrzeugeinstellungen als auch Lackierungen untereinander tauschen dürfen. Aussichten auf ein gutes Ergebnis. Große Unfälle wirken sich selbstverständlich drastischer aus, auch wenn Totalausfälle leider selten sind. Wer hier hinterm Lenkrad sitzt, muss außerdem die Temperatur des Motors im Auge behalten: Ständiges Windschattenfahren verhindert ebenso die Zufuhr kühlender Frischluft wie zu viel Klebeband an der Vorderseite. Zusätzlicher Kleber steigert im Wesentlichen aber die Leistung - ein gutes Mittelmaß ist also unabdingbar.

Ich wurde auf die harte Tour daran erinnert, als mein Motor mitten im Rennen zu überhitzen drohte. Also nahm ich den Fuß vom Gas. Erst als ich genug Runden absolviert hatte, damit ich trotz eines frühen Boxenstopps nicht häufiger als die Konkurrenz tanken musste, fuhr ich zu meiner Crew und ließ einen Teil des Klebers entfernen. So weit, so gut. Hätte es da nicht eine Gelbphase gegeben just als ich wieder auf die Strecke kam...

Grobmotoriker oder Feinmechaniker?

Behutsames Fahren, ein Händchen für die richtigen Einstellungen, taktische Boxenstopps – klingt nach Arbeit? Keine Sorge: Ist es nicht. Zumindest nicht, wenn man lieber darauf verzichtet. Meine Handgriffe in der Garage haben sich gerade am Anfang z.B. auf das Laden vorgegebener Setups beschränkt; mit denen ist man selbst auch die schnellsten Kontrahenten konkurrenzfähig. Durchdachte Fahrhilfen entschärfen hingegen die Physik in mehreren Stufen, so dass selbst Gamepad-Grobmotoriker mithalten. Schwierigkeitsgrad sowie Schadensmodell darf man ebenfalls variieren und wer nicht auf dem höchsten Level antritt, kann einige Male die Zeit zurückdrehen, um Fehler zu korrigieren. NASCAR The Game ist genau so viel Arbeit wie man sich wünscht.

Licht und Schatten

In den größten Genuss kommen die Besitzer eines Lenkrads, denn nur sie können ihr Geschoss auch ohne Fahrhilfen präzise auf Kurs halten. Spätestens am "echten" Steuer fällt allerdings auf, dass die Wirklichkeit nicht so raffiniert nachgeahmt wird wie in iRacing oder der letzten umfassenden Simulation des Sports, NASCAR 09: Die Wagen

 Die detaillierten Fahrzeuge sehen gut aus - zumal mehr als 40 gleichzeitig sichtbar sind. Einen Grafikpreis fährt Eutechnyx  allerdings nicht heim.
Die detaillierten Fahrzeuge sehen gut aus - zumal mehr als 40 gleichzeitig sichtbar sind. Einen Grafikpreis fährt Eutechnyx  allerdings nicht heim.
beschleunigen überraschend leichtfüßig und schauen gnädig über manche Fahrfehler hinweg.

Sogar grafisch hält das fünf Jahre alte EA-Spiel einen kleinen Vorsprung, denn wo Fahrzeuge und Umgebung in The Game detaillierter aussehen, überzeugte NASCAR 09 mit stimmungsvollem Licht: Reichte der Schatten der Tribüne zu Rennbeginn gerade an die Streckenbegrenzung, fiel er gegen Ende über die gesamte Strecke und kroch beim Passieren über die Instrumente im Cockpit. Dieses Vor-Ort-Gefühl erreicht das für meinen Geschmack zu farbenfrohe NASCAR The Game nie.

Im Gegenzug habe ich am PC die Wahl zwischen geregelten 30 oder 60 Bildern pro Sekunde – eine ausgezeichnete Möglichkeit! Entweder verzichte ich auf einem schwachen Rechner also auf Details oder ich nehme mit etwas schöneren 30 Bildern Vorlieb. Sollte die Darstellung die geforderte Marke nicht erreichen, wird die Spielgeschwindigkeit verlangsamt.

Die dumme Masse

Auch die Kontrahenten der diesjährigen Simulation trumpfen auf, wenn sie über weite Strecken hervorragend im Feld mitfahren. Selbst kräftige Rempler stecken sie locker weg, während ich gegnerische Schubser ebenso korrigieren kann. Weil ich deshalb lange im

Meist fahren die Kontrahenten sicher und schnell im Getummel mit - gelegentlich bauen sie allerdings auffällig viele Unfälle.
Meist fahren die Kontrahenten sicher und schnell im Getummel mit - gelegentlich bauen sie allerdings auffällig viele Unfälle.
dichten Pulk fahren oder mich mehrere Runden lang im Heck eines Vordermanns festbeißen kann, pumpt mir NASCAR The Game jede Menge Benzin ins Blut. Der sehr gute Spotter informiert mich außerdem zuverlässig über Fahrzeuge in meiner unmittelbaren Umgebung.

Doch die Gegner stoßen auch an Grenzen. So verlieren viele Mitfahrer in meinem Windschatten zu schnell den Anschluss, obwohl sie an anderer Stelle sogar zu dicht auffahren: Ich habe ein halbes Dutzend aufeinander folgende Gelbphasen erlebt, weil sich die werte Konkurrenz nach jedem Neustart ineinander verhakte. Das ist kein Beinbruch – auf dem Sonoma Raceway (vormals Infineon Raceway) wird die Simulation allerdings zur unerträglichen Zerreißprobe, weil die Fahrer auf dem engen Straßenkurs praktisch kein Land sehen. Ich habe nach etlichen Starts und Neustarts keine einzige komplette Runde ohne Unfall gedreht; auf diesem Kurs kommt derzeit kaum ein normales Rennen zustande!

Flexible Arbeitszeiten

Meine Empfehlung: Schaltet die gelben Flaggen aus oder fahrt in Sonoma nur ein kurzes Rennen, falls Entwickler Eutechnyx das Problem nicht behebt. Ihr wollt euch zu Beginn der Saison aber für die volle Renndistanz entscheiden? Kein Problem: Vor jedem

Vor jedem Meisterschaftslauf darf man Renndistanz, Schwierigkeit, Reifenverschleiß und Spritverbrauch neu einstellen.
Vor jedem Meisterschaftslauf darf man Renndistanz, Schwierigkeit, Reifenverschleiß und Spritverbrauch neu einstellen.
Rennwochenende darf man Dauer und Schwierigkeit neu wählen und entscheiden, ob der Wagen Schaden nimmt, ob gelbe oder schwarze Flaggen geschwenkt werden und wie viel Sprit oder Gummi der Wagen verbraucht – ein vorbildlicher Komfort. Ärgerlich nur, dass ich selbst während eines zweistündigen Laufs nicht speichern darf.

Schade auch, dass mir die Kontrolle über das Fahrzeug entzogen wird, sobald gelbe Flaggen geschwenkt werden. Die Fahrt in die Box und zurück auf die Strecke erfolgt dann automatisch, erst mit dem Überfahren der Ziellinie beim Neustart darf ich wieder ans Steuer. In diesen Momenten fehlt mir ein Stück Fahrgefühl. Abgesehen davon rollen manche Boliden in der Boxengasse ineinander, weil die Kollisionsabfrage fehlt. Das soll vermutlich Unfälle vermeiden, trotzdem stört es den Eindruck.

Karriere oder Saison?

Den Karriereeinstieg hat mir NASCAR The Game übrigens etwas versalzen. Wer seine Laufbahn auf der höchsten Schwierigkeitsstufe beginnt, hat in den ersten Rennen nämlich nicht den Hauch einer Chance: Die Gegner rasen schon im Qualifying mit Fabelzeiten um

Leider beginnt jede Meisterschaft mit einem Fahrzeugt, das dem Rest des Feldes hoffnungslos unterlegen ist.
Leider beginnt jede Meisterschaft mit einem Fahrzeug, das dem Rest des Feldes hoffnungslos unterlegen ist.
den Kurs und stechen mich am Start gnadenlos aus, da mein Einsteigerwagen nicht einmal in ihrem direkten Windschatten mithalten kann. Warum? Weil ich im Lauf der Saison erst Upgrades für verschiedene Aspekte der Leistung und des Fahrverhaltens kaufen muss, bevor der Bolide überhaupt konkurrenzfähig ist.

Ich bin kein Freund solcher Leistungssteigerungen, die mit der Realität nicht das Geringste zu tun haben – gerade in diesem Fall, wo das erste Karrierejahr auf der schwersten Einstellung zur langweiligen Tortur wird. Zumindest das Anwerben neuer Sponsoren hat immerhin seinen Reiz, wenn auf meinem Chassis bald zahlreiche Werbesticker kleben und ich mit den eingefahrenen Geldern die wichtigen Upgrades bezahle. Hin und wieder fahren ich deshalb gerne ein kurzes Karriererennen – lieber steige ich aber ins von Beginn an komplette Auto eines bekannten Piloten und nehme eine Saison in einem konkurrenzfähigen Vehikel in Angriff.

Die letzten Zehn

Mit einem guten Fahrzeug sind die ständigen Rad-an-Rad-Duelle dafür unheimlich packend.
Mit einem guten Fahrzeug sind die ständigen Rad-an-Rad-Duelle dafür unheimlich packend.

Auch den Chase for the Sprint Cup, also die entscheidenden zehn Läufe, könnte ich wählen. Und selbstverständlich darf ich sowohl Einzelrennen als auch online fahren. Für Letztere suche ich entweder nach einer offenen Lobby oder über zahlreiche Filter nach meinem Wunschrennwochenende. Tatsächlich stehen sowohl am PC als auch auf PS3 oft einige Piloten für einen kurzen Lauf am Start – ärgerlich nur, dass die meisten mit eingeschalteter Kollisionsabfrage fahren. So werde ich schon mal vom Vordermann ausgebremst, wenn sein Wagen wegen einer schlechten Verbindung zu spät startet. Zu guter Letzt darf ich gegen die Bestzeiten lizenzierter NASCAR-Größen antreten und große Momente der aktuellen Saison sowie vergangener Jahre nachspielen, darunter Danicas erste Führungsrunden in Daytona – natürlich.

Fazit

Ob Formel-1-Ikone Alain Prost also Freude an diesem Kreisverkehr hätte? Unbedingt! Immerhin fängt NASCAR The Game jene atemberaubende Spannung ein, mit der sich seine Kollegen in einem Tross brüllender Boliden behaupten müssen. Das vereinfachte, aber anspruchsvolle Fahrverhalten fordert volle Konzentration und die Kontrahenten fahren selbst im dichten Pulk meist umsichtig und angriffslustig mit. Wer nach einem knappen Sieg noch genug Sprit im Tank hat, wird mit Wonne ein paar Donuts auf den Asphalt malen. Manche Aussetzer der Kontrahenten sind allerdings ärgerlich – besonders jene, bei denen sie nach etlichen Neustarts kaum eine fehlerfreie Runde fahren. Auch die Karriere beginnt zumindest für Puristen mit einer bitteren Pille, wenn ihr Fahrzeug auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad unsinnig deutlich unterlegen ist. NASCAR The Game ist eine umfangreiche Simulation mit ebenso vielen guten Ideen wie kleinen Fehlern – ein gutes Spiel, dem für die Pole Position noch der rechte Biss fehlt.

Pro

nachvollziehbare Fahrphysik...
sinnvolle Fahrhilfen in mehreren Stufen
Kontrahenten fahren hart und fair im dichten Pulk...
Wahl der Schwierigkeit, Rennlänge usw. vor jedem Lauf
guter Spotter gibt viele präzise Anweisungen
viele Möglichkeiten zum Einstellen des Fahrzeugs
zahlreiche Herausforderungen, teils zur aktuellen Saison
umfangreiche Einstellungen für Mehrspielerrennen
Editor zum Erstellen eigener Lackierungen
nett: Donuts drehen nach Sieg
NASCAR-Quiz während Ladepausen
30 oder 60 Bilder pro Sekunde
Ex- und Importieren von Setups und Lackierungen

Kontra

... die manche Aspekte vereinfacht darstellt
mitunter übertrieben viele Unfälle am Stück
... ziehen im Windschatten aber nicht konsequent mit
absurdes Chaos auf einem der zwei Straßenkurse
kein haptisches Feedback bei Gripverlust
unnötig schwerer Karriereeinstieg
passive Gelbphasen und Boxenstopps
ausgeschaltete Kollisionsabfrage in und um Boxengasse
kein Speichern während eines Rennens
komplett Englisch

Wertung

PC

Überzeugendes NASCAR-Erlebnis mit glaubwürdigem Fahrgefühl und packenden Rad-an-Rad-Duellen, aber Schwächen im Gegnerverhalten.

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