Neocolonialism10.12.2013, Eike Cramer
Neocolonialism

Im Test:

Wolltet ihr nicht auch mal so richtig reich sein? Natürlich auf Kosten der Ärmsten dieser Welt im besten Heuschreckenstil. In Neocolonialism von Subaltern Games kann dieser Wunsch erfüllt werden. Wie schlägt sich das Projekt im Test?

Die Welt steht Kopf

Geld regiert den Globus! Spätestens im Zuge der Globalisierung wurden Konzerne zu weltweit agierenden Konglomeraten des Reichtums. Die Geldberge der reichen Industrienationen wurden auf Kosten der Schwellen- und Drittweltländer angehäuft, die durch Regulierungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank künstlich kleingehalten wurden. Dieses Phänomen wird als Neokolonialismus bezeichnet: Arme Regionen sind der Arbeitskräftepool unseres Wohlstandes. Wer arm ist, produziert nämlich auch günstig. Die Zustände z.B. in den Kleidungsfabriken von Bangladesch belegen diesen Umstand.

Warum hebe ich diese Abhängigkeit in der weltweiten Ökonomie so hervor? Weil der Independent-Titel Neocolonialism sich mit genau diesem Problem spielerisch auseinandersetzt. Ich übernehme die Kontrolle eines Konzernbosses, dessen einziges Ziel ist, sich persönlich zu bereichern. Dazu kaufe ich Stimmen in den Parlamenten der Weltregionen und beute die Ressourcen und die Bevölkerung möglichst effizient aus. Dabei bevorteile ich Staaten durch Freihandelsabkommen, manipuliere die Maßnahmen des IWF bei Kriseninterventionen und platziere mein Geld strategisch über den Globus. Wenn die Zeit gekommen ist und meine Stimmrechte an Wert gewonnen haben,  folgt der „Bail out“. Die Länder verlieren, mein Konto gewinnt. Das ist gespielte Kapitalismuskritik in großem Stil.

Ein Brettspiel auf dem Bildschirm

Bei Neocolonialism steht die Welt auf dem Kopf. Laut Entwickler ist dies ein Symbol für das Nord-Süd-Gefälle.
Bei Neocolonialism steht die Welt auf dem Kopf. Laut Entwickler ist dies ein Symbol für das Nord-Süd-Gefälle.
Neocolonialism ist in seiner Kernmechanik ein Brettspiel. Innerhalb von zwölf Zügen muss ich das meiste Geld auf mein Schweizer Konto schaffen. Dazu kaufen die Spieler in der Investmentphase zunächst abwechselnd Stimmanteile in den Weltregionen. Werden in einem Gebiet mehr als drei Stimmanteile von den Spielern erworben, wird vom jeweiligen Parlament ein Premierminister gewählt. Im Anschluss  treffen die Gewählten in der Politikphase Entscheidungen über Produktionen oder Freihandelsabkommen, denen das Parlament (also die übrigen Spieler) zustimmen muss. Nach jeder Runde geschieht in einer Weltregion zufällig eine wirtschaftliche Katastrophe, auf die der IWF, der abwechselnd von jedem Spieler gesteuert wird, reagieren kann.

In einer geselligen Runde am Wohnzimmertisch würde sich dieser Spielablauf vermutlich unheimlich spannend gestalten. Zwischen menschlichen Spielern würden Allianzen entstehen und zerbrechen, das Pokern um Stimmanteile würde  zu einem Nervenkrieg und jeder eigene Vorteil auf der kopfstehenden Weltkarte würde bis aufs Letzte ausgenutzt. Das Problem ist nur, dass es eben kein Brettspiel ist. Der immerhin vorhandene Onlinemodus wird zudem von sehr wenigen Spielern genutzt, weshalb ich stattdessen auf einer bestenfalls rudimentär zu nennenden Oberfläche gegen maximal fünf KI-Gegner antrete. Mit diesen kann ich überhaupt nicht kommunizieren. Allianzen oder strategische Vorschläge für ein gemeinsames Vorgehen? Fehlanzeige! Für ein auf Teamwork und Strategie basierendes Spiel ist das ziemlich schwach.

Machtloser Einzelkämpfer

Die Oberfläche ist hässlich und kann nicht mit Defcon oder Uplink mithalten.
Die Oberfläche ist hässlich und kann nicht mit Defcon oder Uplink mithalten.
Ohne Kommunikation bin ich nämlich auf meine Beobachtungsgabe angewiesen und hinke den Gegenspielern im Investment oft einen Schritt hinterher.  Zudem können diese untereinander Geheimallianzen eingehen, was sich nachteilig auf mein Spiel auswirkt. Da sich nur Premierminister Geld auf ihr Privatkonto überweisen können, bin ich auf Stimmen angewiesen, die ich mir allerdings nicht mit Versprechungen erkaufen kann. Dies lässt Wahlen in echte Glücksspiele ausarten. Das nervt, da meine KI-Mitspieler ansonsten nachvollziehbar und spielgerecht egoistisch agieren: Ist kein eigener Vorteil in Entscheidungen erkennbar werden Freihandelsabkommen und Bauprojekte gnadenlos abgeschmettert. Zudem hat die KI es raus, sich im genau richtigen Moment aus Regionen zu verabschieden.

Ärgerlich ist auch das unübersichtliche Interface, das mit wichtigen Informationen geizt oder sie im unübersichtlichen Log versteckt.  Trotz der Tutorials habe ich mich in meinen ersten Spielen gefragt, wie die einzelnen Phasen eigentlich ablaufen. Erst nach einiger Zeit habe ich mich in das unkomfortable Design eingefunden. Zudem ist die Kulisse potthässlich - und das, obwohl es nur eine einzige Oberfläche gibt. Hier hätte mehr Arbeit investiert werden müssen, zumal keine Effektwunder nötig wären. Ein wenig mehr Details auf der Weltkarte, keine Menüs wie aus den Neunzigern und etwas schickere Icons hätten das Spiel immens aufgewertet.  

Distanzierte Entscheidungen

Es gibt zu wenig Hinweise, was meine Handlungen in der Welt anrichten.
Es gibt zu wenig Hinweise, was meine Handlungen in der Welt anrichten.
Zudem wäre auf diese Weise vielleicht etwas mehr Emotion und Gesellschaftskritik in den sterilen Spielablauf gekommen. So klicke ich mich durch eine Oberfläche, die mir überhaupt keine Rückmeldung zu meinen Handlungen liefert – zumal die Wirtschaftskatastrophen zufällig stattfinden. Anders als z.B. bei Defcon verpasst es das Spiel aus der Steriität eine emotionale Reaktion zu erzeugen. Es wird mir nicht mittels einer Armutsanzeige oder über Verhungerte oder in Aufständen gestorbenen Menschen verdeutlich, was für katastrophale Auswirkungen meine persönliche Bereicherung hat.

Stattdessen bleibt bis zum Ende jeder Runde eigentlich alles im Lot. Regionen können nicht so schlimm abgewirtschaftet werden, dass sie Jahre brauchen um wieder auf die Füße zu kommen und auch die Ausbeutung von Minen sowie der Abschluss von Freihandelsabkommen wirkt sich nicht drastisch genug auf die Ökonomie der gebeutelten Staaten aus, was dem Motto „Ruin Everything“ etwas widerspricht.

Fazit

Neocolonialism ist für mich vor allem eines: vergebenes Potential. Die Idee in einem Videospiel mit Brettspiel-Regelwerk fundamentale Kritik am kapitalistischen System zu üben ist interessant. Die Sozialkritik scheitert aber an Präsentation und Umsetzung. Die einzige Oberfläche ist im Vergleich zu grafisch ähnlich minimalistischen Ansätzen wie Defcon oder Uplink extrem hässlich und unübersichtlich. Zudem fehlen im Spiel gegen die KI wichtige Kommunikationsmöglichkeiten, was das essentielle Bilden von  Allianzen unmöglich macht. Außerdem wirkt sich das Ausbeuten der Welt nicht drastisch genug aus: nirgends wird mir so richtig bewusst gemacht, wozu meine persönliche Bereicherung führt. Deshalb scheitert das ambitionierte Konzept trotz ordentlicher KI und teilweise spannendem Stimmanteil-Poker als Videospiel. Schade, denn als Brettspiel stelle ich mir eine Runde Neocolonialism ziemlich unterhaltsam vor.

Pro

interessantes Konzept
ordentliche KI
gutes Regelwerk
online- und LAN-Mehrspielermodus

Kontra

hässliche Oberfläche
unübersichtliche Bedienung
keine Kommunikation mit der KI
wenig Auswirkungen des eigenen Handelns
wirtschaftlicher Ruin von Regionen zu schwach

Wertung

PC

Der interessante Ansatz und das gute Brettspiel-Regelwerk leiden unter der hässlichen Oberfläche, schwachen Konsequenzen und fehlender Kommunikation.

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