The Cat Lady18.12.2013, Eike Cramer
The Cat Lady

Im Test:

Was fühlen Menschen, die einer Depression verfallen sind? Was braucht es um an einen Punkt zu kommen, an dem das eigene Leben nichts mehr wert ist? The Cat Lady von Harvester geht genau dieser Frage nach. Ob das finstere Abenteuer überzeugt, zeigt der Test.

Danke für Nichts. Auf Wiedersehen.

The Cat Lady inszeniert die dunklen Tiefen der menschlichen Psyche und zeichnet das Bild eines von Depressionen zugrunde gerichteten Menschen.
The Cat Lady inszeniert die dunklen Tiefen der menschlichen Psyche und zeichnet das Bild eines von Depressionen zugrunde gerichteten Menschen.
Dies sind die letzten Worte von Susan Ashworth, gekritzelt unter einen Abschiedsbrief.  Zuvor hat sie mit 35 Schlaftabletten eine tödliche Dosis geschluckt. Dies ist für sie der letzte Ausweg aus einem Leben ohne Freude, aus einer Welt, die ihr nicht mehr als eine heruntergekommene Wohnung sowie ein paar streunende Katzen als Freunde gelassen hat. Sie will den Schmerz, die Trauer und Einsamkeit ihrer Depression zurücklassen und erwartet den Tod mit offenen Armen.

Der Beginn des finsteren Adventures führt tief in die Abgründe der menschlichen Psyche und steht exemplarisch für den düsteren Ton, den das polnische Studio Harvester anschlägt: Was bringt einen Menschen dazu, sich selbst zu töten? Was ist mit Susan geschehen, dass sie sich für diesen letzten Ausweg entschieden hat? The Cat Lady bietet einen Einblick in die trostlose Welt der Depression und lässt den Spieler Handlungen nachvollziehen und Entscheidungen treffen, die aus einer psychischen Störung hervorgehen. Das ist gleichermaßen intensiv, intim und furchtbar bedrückend.

Eine letzte Chance

Der surreal anmutende Limbus ist die Erste Station auf der Reise durch Susans Psyche.
Der surreal anmutende Limbus ist die erste Station auf der Reise durch Susans Psyche.
Doch der Tod ist für Susan zunächst nicht das erhoffte Ende. Unvermittelt findet sie sich in einer surrealen, lichtdurchfluteten Zwischenwelt wieder, die einer persönlichen Vorhölle gleicht.  Hier trifft sie nach kurzer Zeit auf eine mysteriöse alte Frau, die selbsternannte Königin der Maden, die ihr eine letzte Chance gibt: Fünf Leben gegen eines. Susan soll als unsterbliches Werkzeug der Rache fünf Parasiten auslöschen. Menschen, die anderen gegenüber nichts als Grausamkeit kennen und für ihre Sünden bestraft gehören. Im Gegenzug, so die alte Frau, würde Susan das zurückbekommen, was sie sich am meisten wünscht.

Nach einem Opfer aus Seele und Blut wacht Susan im Suizid-Flügels eines Krankenhauses auf. Sie will nur weg, zurück in die Einsamkeit und vergessen, was im scheinbar pilleninduzierten Fiebertraum geschehen ist. Sie muss aus der gesicherten Abteilung entkommen. Je länger sie sich dort aufhält, desto mehr verwischen graue Realität und bizarre Zwischenwelt, doch das Ziel scheint zum Greifen nahe – bis für Susan ein plötzlicher Albtraum aus Gewalt und Terror losbricht und ihr klar wird, dass die alte Frau mehr war als nur Halluzination.

Großartige Dialoge in dunklen Zeiten

Brutal Terror kontrastriert das emotionale Drama. Psychotischer Horror rundet das Erlebnis ab.
Brutaler Terror kontrastriert das emotionale Drama. Psychotischer Horror rundet das Erlebnis ab.
Selten habe ich erlebt, dass brutaler Terror, psychotischer Horror und stille, hochemotionale Momente so stimmig zusammengefügt wurden wie hier. Während man im einen Moment durch die eigene Wohnung streift und wie in Heavy Rain alltägliche Handlungen vollzieht, kann im nächsten Moment brutaler Terror losbrechen, der Filmen wie Saw in nichts nachsteht. Dennoch ist die explizite Gewalt kein Selbstzweck und verfolgt immer ein Ziel. Die Übergänge sind zwar schonungslos inszeniert aber keines der Elemente wirkt aufgesetzt oder überflüssig.

Großen Anteil daran haben die exzellenten Dialoge, die professionell vertont wurden und mit großartigen Sprechern aufwarten. In jedem Moment wird der richtige Ton getroffen: von der normalen Unterhaltung bis zum eskalierten Streit sitzt jede Silbe. Vor allem die Probleme und Gefühlswelten der Figuren werden in den bis ins letzte Detail perfektionierten Gesprächen verdeutlicht. Nichts wirkt hier künstlich oder erzwungen und oft befindet man sich auf höchstem Hörspiel-Niveau. Die Sprachregie fügt die Unterhaltungen auch bei mehreren Auswahlmöglichkeiten organisch zusammen und leitet den Spieler subtil in die dunkelsten Regionen der menschlichen Psyche, aus denen es keinen Ausweg zu geben scheint.

Perspektivwechsel

Die Dialoge sind exzellent geschrieben und vertont.
Die Dialoge sind exzellent geschrieben und vertont. Die Sprecher machen einen sehr guten Job.
Die Handlung ist spannend, tiefgründig, gut erzählt und überrascht mit der einen oder anderen Wendung. Zwar ist das Ende mit etwas Fantasie vorhersehbar, konnte mich aber dennoch überzeugen. Zudem spielt die Regie immer wieder mit unterschiedlichen Erzählweisen und Blickwinkeln: Neben dem Wechsel in den surrealen Limbus wird die Geschichte auch mit Rückblenden oder parallel laufenden Strängen erzählt. Hintergründe der feinsinnig und detailliert gesponnenen Charaktere werden so nicht nur berichtet, sondern erlebt– ein Kniff, der den Spieler noch enger mit Susan verknüpft und die Identifikation verstärkt.

Zudem gibt mir das Spiel in einigen Momenten das Gefühl, selbst an der Entwicklung von Susan teilzuhaben. Etwa, wenn ich im Krankenhaus von meiner Kindheit erzähle und so meine eigene Vorgeschichte für sie erschaffe. Oder wenn ich an anderer Stelle verschiedene Vorgehensweisen in Gesprächen nutzen kann. Hier gibt es kein Sage-dies-dann-bekommst-du-das-System. Stattdessen formt die Auswahl den Charakter und gibt mir das Gefühl, dass Susans Entwicklung von mir als Spieler abhängt, auch wenn es nur wenige echte Entscheidungen gibt, die langfristige Auswirkungen haben.

Monochrome Zweidimensionalität

Die Kulisse spielt mit Farben und Lichtstimmungen. Leider ist sie nicht immer uneingeschränkt stimmig.
Die Kulisse spielt mit Farben und Lichtstimmungen. Leider ist sie nicht immer uneingeschränkt stimmig.
Spielerisch orientiert sich The Cat Lady am klassischen Adventure. So müssen im Laufe der Handlung diverse Gegenstände gesammelt und Rätsel gelöst werden. Diese sind durchweg logisch und fügen sich stimmig in die Rahmenhandlung ein. Zudem gibt es auch einige Action-Szenen (glücklicherweise ohne Reaktionstests) sowie Kombinationsaufgaben, in denen Gegenstände richtig zusammengesetzt werden müssen. Auch der Ablauf der Gespräche ist eher klassisch. Alles in allem ist The Cat Lady spielerisch im besten Sinne der finstere Zwilling eines typischen LucasArts-Adventures, wirkt dabei aber deutlich konventioneller als erzählerische Experimente wie Gone Home oder Dear Esther.

Dieser Eindruck wird durch die Kulisse verstärkt, die sich auf eine reine 2D-Darstellung verlässt. Sowohl die meist monochrome Umgebung, als auch die Charaktere verzichten auf eine dritte Dimension. Der Ansatz wirkt experimentell und ist durchaus spannend, nur leider ist aber das Artdesign nicht durchgehend stimmig. So sind die Hintergründe teilweise aus Fotos zusammengesetzt und es gibt gelegentlich merkwürdige Brüche zwischen einigen Elementen. Der Farbeinsatz hingegen ist exzellent: Von Szenen zu Szene bzw. Schauplatz zu Schauplatz wechseln Sättigung und Lichtstimmung, was die Atmosphäre wunderbar unterstreicht.

Ein Soundtrack zum Genießen

Der Soundtrack ist großartig. Die Musik ist großartig ausgewählt und passt immer auf den Punkt.
Der Soundtrack ist großartig. Die Musik ist perfekt ausgewählt und passt immer auf den Punkt.
Diese wird aber neben den Dialogen vor allem durch die Musik und den Sound getragen. Insbesondere der unheimlich variable Soundtrack schaffte es, bei mir regelmäßig Gänsehaut zu erzeugen. Von sanften und reduzierten Klavierklängen auf den lichtdurchfluteten Feldern der Zwischenwelt bis hin zu brutalem Industrial, der die Terror-Momente begleitet, sitzt jeder Ton. Jeder wichtige Moment hat seine eigene musikalische Stimmung. Textzeilen der Songs transportieren in einigen Szenen sogar Elemente der Handlung und selbst die Musik im Abspann wurde grandios gewählt.

Auch die sonstige Tonregie macht alles richtig: Szenen erhalten oft nur durch das Knacken des Hauses oder Schrittgeräuschen eine bedrohliche Atmosphäre und eigentlich harmlose Bilder werden durch den Sound zur psychischen Grenzerfahrung. Das einige Stimmen zudem mit Pitch-Shiftern verändert wurden oder aus mehreren Tonspuren bestehen, verstärkt den bedrohlichen Eindruck einiger Situationen.

Fazit

Abgründig, emotional und grausam: The Cat Lady ist ein echtes Adventure-Highlight. Mit Fingerspitzengefühl entführt das Independent-Studio Harvester in die Dunkelheit der Seele von Susan Ashworth und vollführt einen spektakulären Spagat zwischen Drama, psychotischem Horror und brutalem Terror. Feinsinnig gezeichnete Charaktere, starke Dialoge und ein superber Soundtrack schaffen eine finstere Atmosphäre, die mir schonungslos die scheinbare Aussichtslosigkeit einer tiefen Depression vor Augen führt. Ich fühle mit Susan, will, dass dieser Albtraum endet und ich wate mit ihr durch ein Meer aus Blut, um leben zu können. Allerdings ist die Erfahrung spielerisch konservativer als Gone Home oder Dear Esther und die Kulisse sowie das Artdesign sind nicht uneingeschränkt harmonisch. Zudem lässt die Geschichte im letzten Abschnitt etwas nach, auch wenn das Ende zu überzeugen weiß. So ist The Cat Lady ein intensiver und drastischer Trip in die menschliche Psyche auf sehr gutem Niveau.

Pro

intensiver Blick in den Abgrund der menschlichen Psyche
spekatuklärer Spagat zwischen Drama, Horror und Terror
viele ruhige Momente
faszinierende, vielschichtige Charaktere
Identifikation durch Entscheidungen
tolle Dialoge mit guter Vertonung
interessante, wendungsreiche Geschichte
grandiose Musik, sehr gute Akustik
vielfältige Erzählweise, Zeitsprünge

Kontra

konservative Adventure-Mechanik
im letzten Kapitel verliert die Handlung an Fahrt
nicht uneingeschränkt stimmige Kulisse

Wertung

PC

Brutal, intensiv und emotional: The Cat Lady ist ein Ausflug in die tiefsten Abgründe der menschlichen Psyche, der mit toller Charakterzeichnung, sehr guter Vertonung und packender Handlung überzeugt.

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