Renowned Explorers - International Society10.09.2015, Jörg Luibl
Renowned Explorers - International Society

Im Test: Brettspielflair und Rundentaktik

Lust auf Brettspielflair und archäologische Abenteuer mit Rundentaktik sowie Charakterentwicklung? In Renowned Explorers - International Society erkundet man mit einem Team aus Spezialisten alte Grabstätten und Höhlen, verbessert seine Ausrüstung, trainiert Fähigkeiten und kämpft gegen Bösewichte. Kann das kunterbunte Spiel von Abbey Games (Reus) überzeugen? Mehr dazu im Test.

Drei Spezialisten auf Weltreise

Ein „Scout“, ein „Fighter“ und ein „Speaker“ sind in der ersten Mission unterwegs in England, um die Gräber der Angelsachsen zu finden. Auf die vierte Klasse „Scientist“ habe ich verzichtet – ob ich das bereuen werde? Egal, dann probiere ich im nächsten Alnlauf eine andere Kombination. Aber auch das aktuelle Trio bietet zumindest auf den ersten Blick eine gute Mischung. Jeder Charakter verfügt über besondere Talente und Fähigkeiten, die in Dialogen, Proben sowie Kämpfen geprüft werden. Zudem schaltet man mit der Wahl des "Captains" eine Spezialfähigkeit frei: Wähle ich den Scout Harry Walker, bekomme ich z.B. doppeltes Gold.

Welche drei Abenteuerer bilden euer Team? Vier Klassen mit diversen Helden stehen zur Wahl.
Außerdem kann er als „Rogue“ in bestimmten Situationen schleichen und ist dank dem Buch „Exploring for Dummies“ etwas stärker in Redegefechten. Und das Schöne: Ich kann ihn sowie jeden anderen Helden individuell über Fähigkeiten und Training weiter entwickeln sowie auf drei Plätzen besser ausrüsten. Es kommt fast Rollenspielflair auf, wenn man sich durch die Statistiken der Charakterkarten wühlt – dort findet man sechs Werte für „Speech Power“, „Speech Defense“, „Attack Power“, „Armor“, „Movement“ und „Grit“ sowie die Lebenspunkte, die hier „Spirit“ genannt werden.

Brettspielflair und buntes Artdesign

Scout Harry Walker ist ein Level-2-Rogue, Fighter Bia Hekatos ist ein Level-2-Tactician und Speaker Charles Templeton ist ein Level-1-Diplomat als auch Level-1-Survivalist. So verient das Trio zu Beginn vier Talente.
Renowned Explorers ist ein Erkundungsspiel mit viel Brettspielflair und Multiple-Choice-Dialogen inklusive Konsequenzen, das ein wenig an das Reise-Abenteuer 80 Days erinnert. Hat man sein Trio gefunden, geht die archäologische Karriere von London aus los. Allerdings nicht direkt mit Routenwahl auf dem Globus, sondern immer nur an ausgewählten Orten auf zufallsgenerierten Karten von Europa bis Afrika, Amerika und Asien. Das Artdesign wirkt mit seinem Comicstil kunterbunt und fröhlich, ist aber stellenweise fade und hinsichtlich der Zeichnungen wie etwa der Schafe oder Hexen recht plump. Und je länger man spielt, desto dröger wirken die Kulissen und Animationen gerade auf dem PC.

Die erste Expedition führt nach ein paar

Man erkundet kleine Karten und hat dabei freie Routenwahl. Am Zielort erkennt man meist, was einen ungefähr an Gefahren oder Belohnungen erwartet.
einleitenden Sätzen nach England. Man soll die Grabstätte des angelsächsischen Königs Egbert aufsuchen, indem man auf der Landkarte mit seiner Gruppe in einem sehr kleinen Gebiet vorwärts zieht. Dabei darf man nur so lange Züge machen wie man Vorräte hat, sonst sinken die Werte der Gruppe. Man klickt also einen von mehreren Orten auf dem Weg zum sofort sichtbaren Ziel an, wobei man die potenzielle Beute oder Gefahren ebenfalls vorher erkennt - was die Planung zwar erlecihtert, aber die Spannung natürlich dämpft: hier locken Schätze, aber auch Feinde; da gibt es Training, dort eine kulturelle oder athletische Herausforderung. Jetzt muss man zwar einschätzen, ob die eigenen Leute dem gewachsen sind: Hat man z.B. gar keinen Diplomaten dabei, sollte man nicht unbedingt mit wütenden Einheimischen verhandeln. Aber dieser Ablauf wiederholt sich ständig und ist trotz Nebel zwischen Start und Ziel letztlich wenig geheimnisvoll - ein episches und offenes Reiseflair à la 80 Days entsteht hier nicht, sondern eher eine taktische Kalkulation der möglichen Beute. Das kann auch Laune machen, aber diese reine Kosten-Nutzen-Grübelei nutzt sich auf Dauer ab.

Fähigkeitsproben auf dem Weg zum Ziel

Es gibt Dialogfenster mit kleinen historischen Anekdoten sowie wortwitzigen Überraschungen, die meist auf eine Auswahl an Fähigkeitsproben hinauslaufen. Dabei hat man je nach Crew bessere oder schlechtere Chancen, diese zu bestehen.  Als das Trio z.B. ein altes Schlachtfeld findet, kann man sich für das Studium der Waffen entscheiden, wobei Harry nur eine Erfolgschance von 21% hat, während Bias immerhin bei 50% liegt. Was passiert, wenn ich mich für sie entscheide? Dann wird eine Slotmachine animiert, die über Erfolg oder Misserfolg bestimmt. Schön ist, dass man je nach Crew auch weitere Optionen hat: Man könnte auch einfach alle Klingen einsammeln oder Bias Fähigkeit als „Tactician“ nutzen, um nur die wertvollsten darunter mitzunehmen – das würde den Ertrag an „Collect“ vervierfachen!

Zwar werden die Kämpfe animiert, aber das nur leidlich...
Man sieht in diesen Menüs neben der Erfolgschance auch immer die Beute in Form kleiner Symbole. Dahinter kann sich u.a. „Collect“, „Study“ oder „Campaign“ verbergen, die man später gegen Gold, Forschung, Ruhm etc. eintauschen kann. Je mehr Symbole ich sammle, desto besser schneidet die Expedition am Ende also sowohl finanziell als auch hinsichtlich der Weiterentwicklung ab. Und weil ich stets weiß, was ich jeweils bekomme, kann ich meine Charaktere sehr gut spezialisieren.

Ziel es, der größte Entdecker aller Zeiten zu werden – also in einer Highscore ganz oben zu landen. Das ist ein weiter Weg, denn an der Spitze steht zu Beginn der arrogante Blondschopf „Rivaleux“, der die eigene Gruppe als Amateure beschimpft und mit satten 2000 Punkten die Ruhmesliste anführt. Aber es gibt Hoffnung: Nach fünf Expeditionen wählt die International Society den „Most Renowned Explorer“ neu – so wird natürlich der Ehrgeiz geweckt, möglichst viel rauszuholen. Und man klettert dann auch recht schnell die Karriereleiter hinauf.

Entspanntes Entdecken oder gnadenloses Abenteuer

Man bewegt seine Helden nacheinander auf dem Hexfeldraster und wählt zwischen diversen Attacken. Das Besondere: Man kann auch freundlich "angreifen" und so Gegner in die Flucht schlagen...
Aber Vorsicht: Wer im gnadenlosen „Adventure Mode“ startet, muss mit dem totalen Scheitern leben – hier kann man nicht nachladen und muss komplett neu anfangen, wenn alle Beteiligten auf einer Expedition gestorben bzw. der Vorrat an „Resolve“ aufgebraucht ist. Dieser Wert sinkt mit jedem Tod. Und das kann in den ersten Spielen sehr schnell passieren, weil man seine Crew samt Fähigkeiten und Ausrüstung vielleicht nicht optimal zusammengestellt hat oder zu früh auf extrem starke Feinde trifft.

Wer es entspannter mag, spielt den „Discovery Mode“: Hier kann man immer wieder nachladen, um andere Orte zu besuchen oder alternative Taktiken auszuprobieren. Auch wenn alle Mechaniken innerhalb des Spiels gut erklärt werden: Für Einsteiger ist dieser Spielmodus definitiv empfehlenswerter, denn so kann man am Stück mehr experimentieren und so steigt der Frust beim Scheitern natürlich nicht zu schnell an – vor allem in den Gefechten gegen Räuber, Wölfe & Co kann man mit seinen drei Greenhorns recht früh das Zeitliche segnen. Schön ist, dass man oftmals lediglich den Anführer besiegen muss und nicht alle Feinde, um eine Mission zu bestehen.

Schere, Stein, Papier um das geistige Wohl

Das Besondere am Kampfsystem: Je nachdem ob man hauptsächlich aggressive (rote), freundliche (rosa) oder verschlagene (blaue) Fähigkeiten einsetzt, bekommt man andere Belohnungen am Ende. Auch die Herzen des Einschmeichelns sorgen also für „Treffer“, die den „Spirit“ des Feindes senken, bis er flieht, weil er gegen so sympathische Kontrahenten einfach nicht antreten will - ist zu Beginn sehr witzig, aber später nur ein Mittel zum Zweck anstatt eine Spielweise mit besonderen moralischen Konsequenzen. Schön ist, dass je nach Aktion die Stimmung in den Gefechten wechselt. Wie bei Schere, Stein und Papier gibt es effiziente Wechselwirkungen zwischen Aggression, Freundlichkeit und Verschlagenheit. Ist der Feind gerade nett, sind wütende Attacken besonders geeignet; ist er gerade selbst wütend, sind Verspottungen aussichtsreicher. Man kann also sehr perfide mit der Moral taktieren!

Man kann seine Helden entwickeln und ausrüsten.
Auf welche Art man gerade agiert, wie hoch die Trefferwahrscheinlichkeit ausfällt und wie die Stimmung ist, kann man jederzeit anhand der Statistiken sowie farbigen Symbole erkennen. In den rundenbasierten Gefechten darf man seine Charaktere nur auf recht kleinen Hexfeldern bewegen und neben Nah- sowie Fernkampf auch gefächerte Bereiche anvisieren oder Freunde heilen.

Hinzu kommen Spezialaktionen, die z.B. Feinde auf einen Gegner fixieren oder mehrere Ziele in Linie treffen. Es gibt zwar Hindernisse wie Bäume oder Felsen, aber weder Höhenunterschiede noch physikalische Auswirkungen im Gelände – und die KI der Feinde wählt auch nicht immer den optimalen Weg zum Ziel. Obwohl man mit der Zeit immer mehr Möglichkeiten hat und es zwischendurch auch mal Bosse gibt, will

Nachdem man die angelsächsischen Gräber gefunden hat, kann man u.a. nach Ungarn reisen.
der Funke der Begeisterung in den Kämpfen nicht überspringen. Sie laufen trotz einiger "Epic Encounter" mit Immunitäten auf Dauer recht ähnlich ab und werden mit kargen Animationen nicht gerade ansehnlich inszeniert.

Stockholms Stortoget

Was kann man abseits der Gefechte zwischen den Expeditionen machen, außer seine Charaktere aufzurüsten? Da gibt es nicht nur den Shop mit seiner Ausrüstung, den man wiederum aufrüsten kann, sondern auch indirekte Unterstützer: Man kann mit seinen Statuspunkten sowohl allgemeine Helfer wie Lobbyisten, Händler oder Studenten engagieren, die die Ausbeute auf späteren Reisen erhöhen. Hinzu kommen Spezialisten in vier Stufen, die zwar teurer als die Helfer sind, aber noch bessere Boni bieten und die eigene Spielweise weiter gezielt stärken können. Wer Konflikte eher aggressiv löst, könnte B.G. Hunter engagieren, die bei jedem aggressiven Gefecht nochmal Collect-Beute hinzufügt. Die Möglichkeiten für Verstärkungen und Kombinationen sind angenehm vielfältig.

Fazit

Obwohl Renowned Explorers aufgrund seines kunterbunten Artdesigns vielleicht wie ein „Casual Game“ anmutet, steckt eine vor allem zu Beginn fordernde und motivierende Spielmechanik dahinter - inkl. taktischem Party-Management sowie zig freischalt- und gut kombinierbaren Fähigkeiten. Aber je länger man spielt, desto mehr Routine schleicht sich in die immer gleichen Erkundungen auf kleinen Karten sowie die schwach animierten Kämpfe. Obwohl die Texte mitunter süffisant geschrieben sind und tatsächliche historische Gestalten einbauen, entsteht kein episches Abenteuerflair wie etwa in "The Banner Saga" oder gar eine offene Reise mit tollen Überraschungen à la "80 Days". Irgendwann weiß man genau, welche Symbole bzw. Belohnungen man braucht und klickt sich eben durch. Wer gerne in Rollenspielen an der optimalen Crew feilt und rundenbasiertes Brettspielflair mag, wird hier dennoch solide unterhalten, zumal der Wiederspielwert angesichts des einkalkulierten Scheiterns sowie der vielen Talente, Ausrüstungen und Schätze hoch ist.

Pro

charmantes Brettspielflair
vier Klassen und zig helden zur Wahl
interessantes Runden-Kampfsystem
zig Talente, Fähigkeiten und Ausrüstung
Multiple-Choice-Dialoge mit Konsequenzen
zwei Spielmodi (gnadenlos, nachladesicher)
coole Schätze und Belohnungen
hoher Wiederspielwert

Kontra

immer gleiche Abläufe bei der Erkundung
unspektakuläre Bosse, sehr kleine Areale
kaum episches Flair
schwache Animationen
fades Artdesign
nur auf Englisch

Wertung

PC

Fade Kulissen, zu schnell Routine, wenig episches Abenteuer, aber charmantes Brettspielflair, interessante Rundentaktik sowie vielfältige Charakterentwicklung.

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