Frisches Spielgefühl, komfortable Beratung
Miasma, Orbit, Affinitäten, Gesundheit? Ihr wundert euch? Zurecht, denn dieses
Civilization: Beyond Earth ist mehr als eine futuristische Erweiterung mit neuen Grafiksets, weil es sich in vielen Bereichen erfrischend anders als der historisch geprägte Vorgänger spielt. Natürlich geht es um die seit Jahrzehnten etablierte Rundenstrategie, es gibt eine nahezu identische Stadtverwaltung, dazu viel Bekanntes wie Technologien oder Wunder und in Sachen Arbeiter, Straßenbau & Co hat sich fast nichts geändert. Wer Civilization kennt, wird sich also auch hier zurechtfinden. Man wählt nur nicht unter Nationen, sondern unter acht Sponsoren wie "Franco-Iberia" mit permanenten Boni. Über die Art der Kolonisten, des Raumschiffes und der Fracht kann man dann vor dem ersten Rundenklick bereits weitere Schwerpunkte setzen, die einem in den ersten Runden helfen können: Man kann mit dem erforschten Pionierwesen starten, mit einem Soldaten oder Bauarbeiter, mit der Anzeige aller Küsten oder wichtiger Rohstoffe, mit mehr Auswahl für die erste Stadt etc. Es lohnt sich also, im Einstieg damit etwas zu experimentieren.
Welcher der acht Sponsoren darf es sein? Sie beruhen auf nationalen Zusammenschlüssen von der Erde, die man Asien, Amerika & Co zuordnen kann. Jeder verfolgt etwas andere ideologische Ziele im Weltraum.
Allerdings sollten auch Veteranen die Ratschläge einschalten. Grundlegende Mechaniken wie die Gesundheit gehen sonst unter: Je mehr Bevölkerung man hat und je mehr Siedlungen man baut, desto schlechter steht es um das Wohlbefinden der eigenen Zivilisation - wer also zu schnell expandiert, wird empfindliche Abzüge in Wissenschaft, Kultur und Produktion bekommen, denen man nur mit speziellen Laboren, Kliniken oder Wundern abhelfen kann. Die Hilfefunktionen inklusive Sprachausgabe sind vorbildlich: Kenner können sie mehrstufig aktivieren oder ganz deaktivieren, Einsteiger werden von der Stadtgründung bis zum Spielsieg an die Hand genommen. Lediglich das umfangreiche Nachschlagewerk wirkt im etwas lieblos: Warum hat man das nicht mit Zeichnungen, Grafiken oder kleinen Videos aufgewertet? Aber egal ob deutsche Texte oder Sprachausgabe: Die Lokalisierung ist sehr gut. Der Soundtrack? Sphärisch und stimmungsvoll.
Die Beratung ist sinnvoll, weil sich das Spielgefühl und vor allem die Spielstrategie wohltuend von Civilization V abhebt und teilweise stark unterscheidet. Zum einen gibt es deutlich mehr Erkundungsreize und Spannungsmomente - auch lange nachdem man seine erste Stadt gebaut hat. Das liegt nicht nur an exotischen Rohstoffen wie Xenomasse, Schwebstein, Firaxit, die natürlich die Neugier wecken und dazu animieren, den Technologiebaum oder das Nachschlagewerk zu studieren. Wofür brauche ich was? Und wann? Neben den strategisch wichtigen Rohstoffen gibt es noch viele andere interessante Neuheiten wie außerirdische Pilze, Kiesel & Co, die man erstmal einordnen muss. Mehr Erkundungsreize und mehr Spannung entsteht auch, weil die einheimischen Aliens ansehnlicher, agiler sowie gefährlicher sind als die bisherigen Barbaren - vor allem die starken Würmer, die sich durch den Boden graben und mal eben Strukturen vernichten halten selbst Stadtbeschuss viele Runden aus. Richtig cool sehen auch die Meereswesen aus, die an den Küsten mit auftauchen und schon mal wie mythische Riesenkraken ganze Schiffe zermalmen. Hinzu kommt ja ein doppelter Boden: Im Gegensatz zu den Barbaren, die als Kanonenfutter dienten und für die sich niemand interessierte, bekommt man für den Kampf gegen oder die Integration der Aliens politisches Feedback. Wer sie stur vernichtet, kann es sich also auch diplomatisch mit den toleranteren Kolonisten verscherzen.
Mehr Erkundungsreize, viel mehr Story
Die Erkunder können nicht nur Sonden einsammeln, sondern auch Ausgrabungen vornehmen.
Aber neben neuen Rohstoffen und Aliens sorgen vor allem abgestürzte Satelliten und Sonden sowie Skelette aus der Urzeit oder alten Höhlen für richtig Laune beim Aufdecken der Karte. Es gibt viele reizvolle Ziele für die verwundbaren Erkundereinheiten, die entweder kurzfristige Boni einbringen, man kann sogar Alienverbündete finden oder uralte Daten entschlüsseln, die analysiert werden und zum Spielsieg beitragen können. Man hat wirklich das Gefühl, einen fremden Planeten zu erforschen! Und das Beste daran: Firaxis hat sie nicht einfach als Beute vestreut, sondern über zusammenhängende Quests erzählerisch und spielerisch sehr gut in das Erlebnis integriert. Man darf kleine Entscheidungen treffen, wie man z.B. mit Genexperimenten oder Artefakten der Erde umgeht. Oberflächlich betrachtet geht es da nur um kleine Boni, aber hier wird auch sukzessive die Affinität gesteigert - und erreicht man dort eine neue Stufe, schaltet man sehr schöne Vorteile frei. es ist z.B. extrem nützlich, wenn die Erkunder endlich immun gegen Aliens sind.
Kaum hat man sich auf dem fremden Planeten angsiedelt, tauchen die anderen Spieler auf - nicht alle bleiben so freundlich.
Und was für das frische Spielgefühl noch prägender ist: Man erlebt über die Texte kleine Story-Kampagnen, die den politischen und kulturellen Hintergrund der Aussiedler erklären und die auf dem Weg zu einem der fünf Siege auch die eigene Geschichte weitererzählen - eine klasse Idee! Ich habe mich ja mit der ARG auf die Reinheit und Vorherrschaft konzentriert, um den Sieg "Das gelobte Land" zu erreichen.
Dafür musste ich vier Quests mit dem Ziel meistern, den Kontakt zur Erde herzustellen, wobei schon die erste andeutet, in welche ideologische Richtung es geht. Hier nur ein Auszug: "Als wir die Erde verließen haben wir einen Eid geschworen: Wir würden der Menschheit Erlösung bringen. (...)" Erst als ich einen Lasercom-Satelliten gestartet hatte, wurde die zweite Quest freigeschaltet, die so eingeleitet wurde: "Nach all den Jahren haben wir endlich wieder die Stimme der Erde gehört. Das Wissen, das unsere Heimat existiert, hat uns Erleichterung gebracht." Ja, es sind nur kleine Abschnitte, aber so wird ein recht trockenes Strategiespiel erzählerisch bereichert. Nicht mit simplen Anekdoten und Abenteuern, sondern mit philosophisch gehaltvollen Fragen zur Rolle der Menschheit, zu fremden Kulturen, zu Genexperimenten, so dass man beim Spielen zum Nachdenken animiert wird oder sogar in einen Gewissenkonflikt kommen kann, wenn man nicht nur stur nach Zahlen geht, sondern das Ganze ein bisschen wie ein Rollenspiel annimmt. So ging es mir beim knallharten Durchziehen der alienfeindlichen erzkonservativen Strategie.