Verdun07.05.2015, Jan Wöbbeking

Im Test: Tauziehen in der Pampa

Im Ersten Weltkrieg erlebte eine Menschen verachtende Form der Kriegsführung ihren blutigen Höhepunkt: Allein in den Kämpfen von Verdun wurden über 700.000 Soldaten getötet oder verletzt – und zwar ohne, dass sich dadurch der Frontverlauf großartig verschob. Der gleichnamige Mehrspieler-Shooter versetzt den Spieler in die schlammigen Schützengräben der Westfront zwischen 1914 und 1918 – welche Art von Action und Stimmung am Bildschirm entsteht, klärt der Test.

Stiefkind der kriegerischen Spielgeschichte

Im virtuellen Zweiten Weltkrieg wurde schon fast jede Kampfhandlung mit amerikanischer Beteiligung nachgestellt. Da sich bislang aber nur wenige Titel mit dem Fronterlebnis des Ersten Weltkrieges beschäftigt haben, wollte der holländische Entwickler BlackMill Games Abhilfe schaffen. In Steams Early-Access-Programm liefern sich die Teilnehmer schon seit über einem Jahr verbissene Scharmützel an der Westfront, mittlerweile ist die finale Version erhältlich. Allzu viel verändert hat sich beim Umfang nicht mehr: Auf lediglich sechs Karten entlang der Frontlinie darf man sich ins Getümmel stürzen. Auch die Zahl von nur zwei Modi wirkt mickrig: Das Deathmatch taugt eigentlich nur zur Gewöhnung an Waffen, Maps und Spielmechanik - oder für ein paar unkomplizierte Duelle zwischendurch. Der wahre Krieg spielt sich dagegen im Hauptmodus „Frontlinien“ ab, auf Schlachtfeldern in Flandern, Artois, der Picardie, Aisne, in den Vogesen oder den Argonnen.

Nicht schön, aber wichtig: Wird das gegnerische Grabensystem eingenommen, versucht der Feind es sich in der Runde danach zurückzuholen.
24 Spieler treten in je drei Trupps pro Seite an, wobei jeder mit Spezialisten wie Infanteristen, Scharfschützen oder Offizieren besetzt ist, die unterschiedliche Fähigkeiten nutzen. So hat z.B. der Grenadier Handgranaten im Gepäck, während die Offiziere Befehle geben und per Fernglas Mörser-Sperrfeuer anfordern können. Die Karten entsprechen den Kampfbedingungen des Ersten Weltkrieges: ein von Artilleriefeuer zernarbtes Niemandsland, lange Schützengräben und befestigte Stellungen. Ziel der Gefechte ist das Erobern und Halten von Grabensystemen. Jede Seite hält eine Reihe von Unterständen und Grabenlinien, die verteidigt werden müssen. Wird der Graben eingenommen, folgt ein Gegenangriff. Wird dieser abgewehrt, rückt die siegreiche Fraktion vor - ist sie erfolgreich, verlagert sich der Kampf in die andere Richtung. Schnell kann ein Gleichgewicht zwischen den Seiten entstehen, das einen zähen und verlustreichen Abnutzungskampf nach sich zieht. Das Prinzip erinnert also an Rush aus Battlefield, wobei es hier deutlich verbissener zur Sache geht und die Oberhand wie bei einem Tauziehen zwischen zwei Teams hin- und her wechselt.

Verbissenes Tauziehen

Je nach Bewaffnung und Funktion in meinem Trupp muss ich geschickt mit meinem Team zusammenarbeiten, um meinem Unteroffizier z.B. Gasangriffe oder Artillerieschläge zu ermöglichen. Mit dem Maschinengewehr 1914 „Lewis“ oder dem deutschen Gegenstück mit dem bekannten Titel „08/15“ mähe ich heranstürmende Angreifer nieder oder gebe meinen Mitspielern Deckung. Sobald ich das Sperrfeuer eröffne, verschwimmt die Sicht der Feinde wie in Battlefield 4 und meine Kameraden können zu einer günstigeren Stellung vorrücken. Bleiben wir dabei im Radius des Truppführers und befolgen seine Anweisungen, regnet es Bonus-Punkte. Außerdem markiert der Chef des vierköpfigen Squads immer wieder mit dem Fernglas Positionen, zu denen wir vorrücken sollen. Per Text-Chat oder Ruf seines Soldaten gibt er kurze Anweisungen: „Der linke Eingang zum Graben ist nicht vernünftig bewacht – hin da!“ Je nach Squad dienen die Mitspieler auch als mobiler Spawn-Punkt. Wie und wo genau erklärt übrigens der ausführliche Steam-Guide, den man zwischendurch immer wieder mal konsultieren sollte.

Im freien Feld sollte man sich nicht all zu lange aufhalten...
Natürlich ist es gar nicht so einfach, sich lebendig bis zum feindlichen Grabensystem vorzukämpfen. Wer einfach nur blindlings über die zerfurchte Landschaft sprintet, verendet meist binnen Sekunden im Kugelhagel. Ich versuche stattdessen die Granatenkrater und kleinen Bäche Wassergräben am Rand geschickt für meine Deckung zu nutzen. Ein Sprint durch die Grube und ab geht es in die Furche am Rande des Ackers: Dort schützen mich die hohen Gräser ein Weilchen vor den Blicken der Scharfschützen, während ich langsam voran robbe. Sobald wir am gegenüberliegenden Schützengraben angekommen sind, lohnt es sich natürlich, den Feind mit vereinten Kräften zu überrumpeln. Oder ich verschanze mich als Einzelkämpfer in einer gegnerischen Nische und warte darauf, dass meine Feinde die Bedrohung ausräuchern wollen. Ein Gegner nach dem anderen sprintet unvorsichtig in seinen eigenen Graben und landet in meinem Gewehrfeuer. Dank der Schützenhilfe schaffen es auch meine Mitstreiter schließlich zur feindlichen Stellung. Je mehr Soldaten die Stellung einnehmen, desto schneller füllt sich das Eroberungs-Symbol.

Giftgasattacke

Der Begriff „Ausräuchern“ ist hier übrigens durchaus wörtlich gemeint: Wenn sich gelblicher Nebel ausbreitet, sollte ich möglichst schnell meine Gasmaske überstülpen, weil ich sonst je nach eingesetztem Giftstoff binnen weniger Sekunden sterbe. Das Gas erweist sich beim Vorrücken und Überrennen auch als effektive Tarnung. Rund 16 Schusswaffen kommen in den Gefechten zum Einsatz, darunter das Fusil Mle 1907-15 "Berthier", das Gewehr 98, der Karabiner 98AZ sowie einige Pistolen und Granaten. Bei manchen lädt man die Projektile einzeln nach, andere brauchen gleich ein komplett frisches Magazin. Die Todbringer lassen sich mit verdienten Karrierepunkten erweitern: An engen Biegungen kann ein Bayonett-Aufsatz nützlich sein – allerdings nur, wenn ich meinen Gegner dort überrasche. Stehe ich ihm direkt gegenüber, ist es fast immer effektiver, abzudrücken - schließlich bringt hier fast jeder Treffer den sofortigen Tod. Auch Zielfernrohre lassen sich freischalten und aufsetzen. Je nach Trupp und Klasse sind aber nur eine Hand voll Kombinationen möglich, die auch im Krieg Sinn ergeben hätten. Als Squads stehen auf der deutschen Seite z.B. Alpenjäger, Landser und Stoßtruppen zur Wahl, bei der Entente heißen sie Canadiens, Chasseur Alpins, Poilus und Tommies.

Kopf runter!
Neben dem Fortschritt des eigenen Accounts steigt man auch zusammen im Squad auf. Ehemalige Mitspieler landen automatisch in der Freundesliste und werden danach in der Spielersuche angezeigt, damit man auf Dauer mit ihnen zusammenarbeiten kann. Ein wenig problematisch ist mitunter, dass die deutsche Seite manchmal schwächer besetzt ist. Um dem entgegenzuwirken, bekam ich aber gelegentlich Anfragen zum Teamwechsel. Außerdem werden Verluste in Überzahl mit zusätzlichen Strafpunkten sanktioniert. Auch anderswo haben sich die Entwickler sinnvolle Gedanken um die Balance gemacht. Nicht gefallen hat mir dagegen die rigorose Ahndung von Grenzübertretungen. Wenn ich auf dem ohnehin schmalen Schlachtfeld nur einen Meter über die Karten-Grenze stolpere, muss ich binnen fünf Sekunden zurück in Freundesgebiet sprinten. Schaffe ich das nicht, gelte ich prompt als Deserteur und werde exekutiert.

Deserteure werden sofort erschossen!

Die Rückzüge vor den Gegenangriffen laufen ebenfalls zu hektisch ab. Wenn wir den gegnerischen Schützengraben nicht einnehmen konnten, musste ich oft Hals über Kopf in weniger als einer halben Minute zurück rennen, um nicht im neu entstandenen Feindesgebiet exekutiert zu werden. Flüchtete ich zu überstürzt, endete der Sprint aber oft mit einer feindlichen Kugel im Rücken. Auch der Netzcode wirkt nicht durchgehend sauber: Immer wieder sind mir ein paar Mitspieler aufgefallen, die ruckartig über das Schlachtfeld zuckelten. Oder ein Gegner hatte mich schon getötet, obwohl wir uns noch gar nicht richtig gegenüber standen und ich bereits blitzschnell abgedrückt hatte. Wer möchte, kann übrigens auch private Server erstellen, z.B. für Clan-Kämpfe.

Keine Konkurrenz für Facr Cry 4, Evolve & Co: Technisch wirken die Schauplätze in Frankreich und Belgien eher zweckmäßig und das Terrain bietet kaum Abwechslung.
Trotz einiger Mankos entfaltet sich  meist ein erfreulich anderes Spielgefühl. Auf Dauer gestaltet sich das ewige zähe Tauziehen aber etwas eintönig, da die recht ebenen Karten allesamt mitten in der Pampa liegen und kaum abwechslungsreiches Terrain oder charakteristische Eigenheiten bieten. Auch technisch hinkt das Spiel der Konkurrenz weit hinterher. Als ich zwischendurch auf Michaels Monitor gelugt habe und das idyllische Alpenpanorama aus Wolfenstein: The Old Blood sah, wirkte das beinahe schon wie aus einer anderen Ära. Die Schlachtfelder und Waffenmodelle wurden zwar historisch akkurat nachgebildet, davon abgesehen wirkt aber alles ein wenig veraltet. Selbst auf höchsten Einstellungen macht das Gesamtbild einen recht statischen Eindruck. Es gibt weder eine stimmungsvolle Beleuchtung noch wuchtige Zerstörungen oder sichtbare Projektileinschläge. Nicht einmal Holzkisten zersplittern bei Beschuss. Auch einige unscharfe Texturen und die hölzerne Animationen erinnern an längst vergangene Tage. Die dichte Vegetation ist eine gelungene Ausnahme: Sie bewegt sich zwar nicht, bietet mit all ihren unterschiedlichen Büschen und hohen Gräsern aber zahlreiche Deckungsmöglichkeiten.

Nicht hübsch, aber authentisch

Schön auch, dass die Ballistik der Projektile eine (realistisch kleine) Rolle spielt und ich beim Anlegen manchmal dementsprechend vorausdenken muss. Der Sound von Waffen und Artilleriefeuer klingt zwar lange nicht so wuchtig wie bei DICE, trotzdem verströmt die Soundkulisse Schlachtfeldatmosphäre und sorgt durch ihre räumliche Abmischung dafür, dass sich die Schüsse ordentlich orten lassen. Musik gibt es nur im Menü: Dann düdeln einige zur Epoche passenden Balladen auf dem dumpf knacksenden Plattenspieler.

Fazit

Verdun ist eine willkommene Abwechslung im Bereich der Mehrspieler-Shooter: Die Spielregeln fangen die Stimmung der verbissenen Grabenkämpfe im Ersten Weltkrieg geschickt ein und bieten einen gelungenen Kompromiss aus Realismus und spielerischem Unterbau, bei dem Zusammenarbeit stark belohnt wird. So kann man z.B. wie in Call of Duty & Co auf Dauer einige Waffen, Aufsätze und Gadgets freischalten, in punkto Aussehen und Handling bleiben die Entwickler aber erfreulich nah am realen Vorbild. Sicher, auf Dauer wird das ständige Tauziehen etwas zu zäh und trist, weil die wenigen Modi und Schlachtfelder nicht genügend Abwechslung bieten. Auch Grafik und Netzcode bleiben ein ganze Ecke hinter der Konkurrenz zurück. Trotzdem ist BlackMill Games eine eigene Interpretation des Kriegsspiels gelungen.

Pro

verbissene Grabenkämpfe mit glaubwürdigen Schusswechseln
realistisch nachgebildeter Frontverlauf
authentisch eingefangene Weltkriegsstimmung
Spielregeln passen gut zum Thema
Trupps und Waffen orientieren sich stark an echten Vorbildern
realistisches Waffenverhalten und Nachladen
Teamspiel wird massiv belohnt

Kontra

zwei Modi und sechs Schlachtfelder in der Pampa bieten kaum Abwechslung
technisch schwache Umsetzung mit unscharfen Texturen, schlichter Beleuchtung und hölzernen Animationen
kaum Physik oder wuchtige Zerstörung
gelegentliche Lags und seltene Bildrateneinbrüche
lieblose Präsentation und nur Text-Infos über Hintergründe
übertrieben strikte Regeln gegen das Übertreten von Map-Grenzen

Wertung

PC

Die verbissenen Grabenkämpfe fangen die Stimmung des Ersten Weltkriegs authentisch ein - auf Dauer mangelt es aber an Abwechslung.

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