4PM24.07.2014, Benjamin Schmädig

Im Test: Sechs Stunden in dreißig Minuten

New York, so scheint es jedenfalls, vier Uhr nachmittags. Warme Sonnenstrahlen brechen mit unendlicher Ruhe durch die Aluminiumstreben eines Gerüsts. Ich nähere mich der Installation, die hoch über der Straße die Buchstaben des Firmenlogos trägt, dann wird das Bild schwarz. Ein Fallen und ein makaberes Knacken – dann erwache ich am Morgen desselben Tages in meinem Bett.

"Guten" Morgen!

Ich stecke in der Haut von Caroline, deren Dilemma gleich um zehn deutlich wird, als sie mit Mühe auf die Beine kommt: Das Bild torkelt mit jedem langsamen Schritt, leere Flaschen liegen offen auf den Möbeln, nicht einmal ihre eigene Stimme versteht sie klar und deutlich. Welch ein starker Ansatz! Zumal ich die Torturen der Protagonistin durch spielerische Einschränkungen am eigenen Leib erfahre.

Und welch eine schwache Ausführung, bei der ich nur wenige Szenen erlebe, in denen mein Tun meist aus dem Anklicken vorgeschriebener Auslöser besteht. In einer Erinnerung an die letzte Nacht muss ich binnen kurzer Zeit den Weg auf die Toilette finden. Im Büro schleiche ich mich von dannen, wenn der Chef nicht hinschaut – auf einem geraden Gang, den er unveränderlich auf und ab patrouilliert.

Diese viel zu knappen Situationen sind schwache Minispiele. Kleine Ideen wollen mich zwar ins Geschehen einbinden, die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten rauben aber jede Illusion. So kann ich mich ohne Bewegungsfreiheit nur von einem Computer zum nächsten klicken – und muss irgendwann zur Flasche greifen, um die nächste Szene auszulösen.

I do.
Zuvor könnte ich am Computer einen Text eingeben, das registriert der Vorgesetzte aber gar nicht. Dabei dreht sich in diesem Moment alles um Carolines Produktivität am Arbeitsplatz.

Sechs Stunden in 30 Minuten

4PM ist das Experiment eines Studenten der britischen National Film and Television School: Bojan Brbora wollte seine achtjährige Filmerfahrung in einer interaktiven Form weiterentwickeln. Tatsächlich trägt die Umsetzung des Skripts von Stefan Kaday eine filmische Handschrift, wenn z.B. Rückblenden neugierig machen und Carolines Vergangenheit beleuchten.

Doch nicht einmal die cineastische Inszenierung gelingt dem Filmemacher. Carolines Charakter tritt aus ihren wenigen Zeilen etwa kaum hervor und im wichtigen Finale wirkt ein abrupter Übergang von normaler Gesprächslautstärke in ein vorwurfsvolles Bellen befremdlich.

Und bevor man weiß, wo die Geschichte eigentlich hin geht, bevor ich Empathie für die Hauptfigur empfinden konnte, da komme ich schon auf dem Dach an und Brbora bei seiner Auflösung. Er beendet sein gerade mal halbstündiges Schauspiel mit einer Unterhaltung, in der ich zwar verschieden reagieren, aber nur ganz zum Schluss zwischen zwei Enden wählen darf. Emotional beteiligt war ich an keinem von beiden.

Fazit

Was hat der grausige Einstieg zu bedeuten? Wer bin ich und wieso kann ich meine dumpfe Stimme kaum hören? Interessante Fragen nach einem spannenden Einstieg! Die Antworten waren eine einzige Enttäuschung. Es fängt bei der detailarmen, ausgenommen groben Darstellung an, die Regisseur Brbora künstlerisch kaum aufzuwerten weiß. Vor allem aber fehlt ihm das handwerkliche Feingefühl, mich emotional an seine Protagonistin heranzuführen. Es sind die wenigen, viel zu kurzen Szenen, in denen er erzählerische Stichpunkte abarbeitet, anstatt mich glaubhaft ins Geschehen einzubinden. Das ist umso bedauerlicher, da es ihm durchaus gelingt, den unbeholfenen Gang und die eingeschränkte Wahrnehmung einer vom Alkohol gezeichneten Person nachzuahmen. Der Rest ist jedoch nicht mehr als eine Reihe halbherziger Minispiele vor unansehnlicher Kulisse.

Pro

gelungene Darstellung einer mit Alkohol kämpfenden Person

Kontra

kurze Szenen reißen Themen und Handlung nur an
schnelles Ende nach etwa 30 Minuten
wenige Handlungsmöglichkeiten
spielerische schwache "Minispiele"
grobe, detailarme Kulissen

Wertung

PC

Das interaktive Experiment eines Filmemachers enttäuscht technisch, spielerisch und erzählerisch.

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