Frozen Synapse Prime13.11.2014, Benjamin Schmädig

Im Test: Rundenplanung & Echtzeitzittern

Es gehört zu den cleversten Taktikspielen der vergangenen Jahre: Frozen Synapse gewann der Rundentaktik eine neue Seite ab und fesselte mit unkomplizierten Mehrspieler-Gefechten. Ganze drei Jahre ist das schon her – jetzt erscheint das Original unter dem Zusatz "Prime" in einer überarbeiteten Version auch auf Steam. Und hat nichts von seinem Reiz verloren.

Klonkrieger

Ein Gewehrschütze soll den Raum im Blick behalten, während sein Kollege mit Schrotflinte im Anschlag durch die Hintertür stürmt. Lange plane ich die Aktion – die Ausführung erfolgt schließlich ohne mein Zutun. Denn die Einheiten in Frozen Synapse sind Klone mit eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten, Vatforms. Sie folgen Wegpunkten, nehmen ins Blickfeld laufende Gegner ins Visier und harren so lange am Platz, wie sie angewiesen werden. Ein echtes Eigenleben besitzen sie aber nicht.

Diesen Vatforms erteile ich also Befehlsketten, während die Zeit stillsteht. Und sobald ich den Stillstand aufhebe, werden sie den Anweisungen genau fünf Sekunden lang folgen. Danach stoppt die Zeit wieder.

Stumpfe Fingernägel

Das Knifflige ist das Vorhersagen der gegnerischen Aktionen. Wohin bewegen sich die feindlichen Einheiten? Gehen sie in Deckung oder werde ich ihnen im offenen Gelände begegnen? Soll ich meine eigenen Truppen stehen lassen, damit sie schneller auf ankommende Gegner reagieren oder sollen sie auf dem Weg zu einer entfernten Deckung feindliches Feuer ignorieren, damit sie schnellstmöglich besseren Schutz finden?

Immerhin schießen sie selbstständig auf Ziele in ihrem Sichtfeld – Vatforms mit Maschinengewehr haben dabei eine andere Reaktionszeit und Reichweite als solche mit Schrotflinte. Ich muss daher möglichst genau

In Ruhe erteilen Befehlshaber beliebig viele Anweisungen...
abschätzen, welche Truppen der Gegner wohin bewegen wird. Während meiner Planung kann ich zwar auch seine Einheiten setzen, um verschiedene Situationen durchzuspielen. Sobald ich meine Eingaben finalisiere, bleibt allerdings nur das Nägelkauen. Und das Ansehen der Ereignisse, die sich aus den Vorgaben und automatischen Reaktionen ergeben.

Wenn die Zeit nicht mehr stillsteht

Das Schöne ist: Ich reagiere nicht nur auf unmittelbare Bedrohungen wie in den meisten Taktikspielen, sondern muss immer so planen, dass meine Truppe in verschiedenen Situationen siegreich wäre. Denn die vermeintlich wenigen fünf Sekunden sind eine lange Zeit, in denen sich mitunter überraschende Wendungen ergeben. Gleichzeitig sollte ich natürlich meine eigene aggressive Strategie verfolgen, was gegen die kompetenten Widersacher der Kampagne eine angenehme Herausforderung ist.

Etwa 40 Levels umfasst diese überarbeitete Version – etwas weniger als das Original, aber mehr als genug. Und obwohl das teils strahlende, teils heruntergekommene Utopia nach wie vor in einen überbordenden Wust aus Textfenstern gepresst wird: Frozen Synapse erzählt eine angenehm umfangreiche und durchdachte Geschichte.

Was einmal nicht währt...

Sowohl die Textfenster als auch die Darstellung der Einsatzgebiete wurden dabei komplett überarbeitet. Die Zeiten blau leuchtender "Tron"-Mauern sind damit vorbei; in der Neuauflage stehen massive graue Wände im Weg. Die stilisierte Stadt im Hintergrund gleicht sogar dem geistigen Nachfolger Frozen Cortex, obwohl die Umsetzung von Double Eleven entwickelt wurde, das auch für die Vita-Version verantwortlich zeichnet.

Einen Makel konnte das Studio allerdings nicht beseitigen: Die Steuerung ist noch immer eine Wissenschaft für sich. Tatsächlich habe ich eine Stunde lang mit Probieren und Fluchen verbracht, bis ich

Die Arena-Herausforderungen wurden exklusiv für die Steam-Version erstellt.
verstanden habe, wann welche Funktion zu welchem Ergebnis führt – nach dem ausführlichen Tutorial, wohl gemerkt! Immerhin darf ich mit Tatstatur, Maus, Gamepad oder einer beliebigen Mischung aus allem befehligen.

"Nur ganz kurz!"

Dass die Entwickler einen weiteren Bestandteil des Originals im Wesentlichen unverändert übernommen haben, ist für die langfristige Motivation hingegen unerlässlich: Die Mehrspieler-Gefechte sind nach wie vor enorme Zeitfresser. Denn ich darf beliebig viele Partien starten, die immer dann fortgesetzt werden, wenn beide Teilnehmer ihre Planung abgeschlossen haben.

So nehme ich im Brieffreund-Verfahren an mehreren Gefechten teil, in denen ich je nach Modus eine Position verteidigen, Geiseln retten oder Daten extrahieren muss. Auf lange Sicht ist der ebenso kurzweilige wie fordernde Mehrspieler-Teil das Herzstück des Spiels. Er ist perfekt dazu geeignet, in einer freien Minute einer Handvoll Vatforms ein paar Anweisungen zu erteilen. Und ein paar wichtige Sekunden lang nervös an den Nägeln zu kauen. Die PC-Fassung enthält dabei fünf Steam-exklusive Levels sowie die Musik der damaligen Red-Pack-Erweiterung.

Fazit

Kenner des Originals sollten sich darüber bewusst sein, dass Prime lediglich das Remake eines drei Jahre alten Spiels ist - neu ist vor allem die Grafik. Die Neuauflage umfasst neben einer ähnlich umfangreichen Kampagne allerdings die großartigen Mehrspieler-Gefechte des Originals: Immer wieder schaue ich dort nach meinen Partien, erteile Truppen Anweisungen und widme mich der nächsten. Das ist ebenso komfortabel wie spannend, denn die ungewöhnliche Abfolge aus Befehlseingabe und automatischem Ausspielen der Ergebnisse fordert ein ganz eigenes taktisches Verständnis. Ärgerlich, dass die undurchsichtige Steuerung noch immer langes Einarbeiten verlangt und die Geschichte in überladenen Textfenstern erzählt wird. Doch das sind kleine Hürden beim Genuss dieses feinen Cyberkrimis!

Pro

einzigartiges, anspruchsvolles Taktieren
Duelle gegen Onlinegegner in zeitlich unbegrenzten Runden
verschiedene Mehrspieler-Varianten
umfangreiches Erstellen eigener Herausforderungen
toller elektronischer Soundtrack
Onlineranglisten
durchdachte Cyberpunk-Welt

Kontra

Befehlseingabe unübersichtlich und nicht intuitiv
trotz verschiedener Missionsziele gleichen sich viele Abläufe
überfrachtete Informationsflut erschwert Verständnis der Geschichte

Wertung

PC

Spannendes Taktieren in einem einzigartigen Rhythmus - das vor allem im unkomplizierten Onlinespiel Spaß macht.

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