Decay - The Mare27.03.2015, Jan Wöbbeking

Im Test: Nebulöser Horror in Standbildern

Während Gruselspiele wie Outlast und Alien: Isolation ganz auf die Angst vor lebendig inszenierten Kreaturen setzen, tritt Decay: The Mare einen Schritt zurück. Das Adventure des schwedischen Entwicklers Shining Gate dreht sich zwar auch um eine Flucht, die verfallene Anstalt wird aber ähnlich wie in den Oldies Myst und The 7th Guest mit Standbildern und eingestreuten Animationen inszeniert. Kann derartiger Minimalismus auch heute noch genügend Spannung erzeugen?

Spaziergang ins Ungewisse

Bei Decay: The Mare handelt es sich bereits um das zweite Gruselspiel der Schweden, welches diesmal von Daedalic auf Steam angeboten und als Disc-Fassung in den Handel gebracht wurde. Den Vorgänger Decay habe ich zwar nicht gespielt, Vorkenntnisse sind aber nicht nötig, denn The Mare bietet eine in sich abgeschlossene Geschichte. In der Rolle von Sam finde ich mich in einer seltsam verfallenen Einrichtung wieder. Statt mich mit einem Intro oder auf andere Weise auf das Szenario vorzubereiten, schmeißen mich die Entwickler einfach ins kalte Wasser, so dass ich die Umgebung und den Grund meiner Anwesenheit selbst erforschen muss. Aus der Steam-Beschreibung weiß ich bereits, dass der Protagonist sich in eine Entzugsklinik begeben hat, um endlich sein massives Drogen-Problem sowie die damit verbundenen Depressionen in den Griff zu bekommen. Doch bei einem derart verfallenen Gebäude kann es sich doch kaum um eine normale Klinik handeln, oder? Zumal ich zwischen den Trümmern immer wieder auf beunruhigende Schmierereien treffe. Auch fiese Halluzinationen von blutüberströmten Menschen und surrealen Wesen wie einer sprechenden Mischung aus Lunge und Tasche sind an der Tagesordnung. Träume ich nur? Mein Nachbar im verschlossenen Zimmer nebenan scheint ebenfalls unter massiven Schlafproblemen zu leiden.

Die Umgebung wird aus der Ego-Perspektive in Standbildern erforscht. Hotspots lassen sich nicht anzeigen, in den schlicht designten Kulissen übersieht man aber nur selten etwas.
Also klicke ich mich Bild für Bild durch das heruntergekommene Gemäuer meiner Alpträume. Immer wieder treffe ich auf nützliche Objekte, die mir im Labyrinth weiterhelfen. Ein zusammengesetzter Vorschlaghammer öffnet eine frisch verfugte Ziegelwand, hinter der ich einen weiteren auf Papier gekritzelten Hinweis finde. Oft handelt es sich dabei um nebulöse Gemälde von Pflanzen oder verschlüsselte Botschaften in kleinen Horrorgeschichten. Wenn ich sie untersuche, werden sie von Sam mit englischem Dialekt vorgelesen; deutsche Sprache gibt es nur in den Untertiteln. Meist enthalten die Geschichten Hinweise auf die Kombination von Zahlenschlössern oder die Reihenfolge, in der die Knöpfe einiger rätselhafter Maschinen gedrückt werden sollen.

Mysteriöse Alptraum-Gemäuer

Manchmal löse ich auch in der Nahansicht Schiebepuzzles, wie bei Professor Layton oder Tormentum. Der Großteil der meist einsteigerfreundlichen Rätsel ist aber wie in einem klassischen Adventure mit der Umgebung und dem überschaubaren Inventar verknüpft. Besonders clevere Kopfnüsse gibt es zwar kaum, trotzdem passen die Rätsel gut zum Entdeckungstrip, auf dem sich mir immer neue Lüftungsschächte, Tunnels und Durchgänge eröffnen. Auch Experimente mit einer übernatürlichen Uhr helfen mir weiter. Durch Gespräche mit einem eingesperrten Leidensgenossen und verstreuten Zeitungs-Schnipseln über ein Familien-Drama bekomme ich mit der Zeit auch eine Ahnung, wer oder was hinter dem makabren Schauspiel stecken könnte. Da das Adventure nur wenige Stunden kurz ist, will ich aber nicht zu viel vorwegnehmen.

Wer oder was ist das?
Obwohl ich ähnlich wie in P.T. mehrmals durch sich verändernde Räume laufe, liegen Welten zwischen der nervenzerreißenden Ungewissheit im Teaser und dem niedrigen Gruselfaktor in Decay: The Mare. Ab und zu bewegt sich auch hier ein Gemälde oder im stockfinsteren Flur springt mir jemand kreischend vor den Kamera-Blitz – wirklich erschrocken habe ich mich aber nie. Die schlichten Standbilder und simplen Animationen vermitteln mir eben einfach nicht das Gefühl, selbst durch den Gang zu schreiten.

Scheibchentaktik

Die behutsame Erzählweise hat trotzdem meine Neugier geweckt. Nur sehr langsam füttern mich die Entwickler mit kleinen Informationshäppchen über die Hintergründe der Geschichte, die im letzten der drei Kapitel auf gelungene Weise aufgeklärt wird; inklusive alternativer Enden. Auch der ruhige Soundteppich erzeugt ein angemessen unheilvolles Gefühl. Auf Sams Hintergründe hätten die Entwickler allerdings ruhig etwas näher eingehen können, damit man sich besser mit ihm identifizieren und mitfiebern kann.

Auf ausgelagerten Puzzle-Bildschirmen wie diesem und in der Umgebung finden sich immer wieder optional sammelbare Münzen.
Ein Schwachpunkt ist die Navigation: Sie ließ mich mitunter verwirrt durch die Gänge irren, weil die Richtungspfeile am Bildrand inkonsequent gesetzt wurden. Mal schaue ich nach dem Gang durch eine Tür weiter geradeaus - anderswo dreht sich die Sicht im neuen Zimmer sofort um, so dass ich auf die Tür blicke, aus der ich gerade gekommen bin. Mal schaue ich beim Verlassen der Nahansicht in die entgegengesetzte Richtung, anderswo zur Seite. Eine wichtige Nachricht auf dem Kühlschrank entdecke ich sogar erst dann, wenn ich am Gerät vorbei in den Flur gegenüber gehe und mich dann in die Richtung des Geräts umdrehe. Das Problem entschärfte sich zwar dadurch, dass ich mir die relativ wenigen Räume und ihre „Navigationsgesetze“ schnell eingeprägt hatte. Zu Beginn ist diese Inkonsequenz aber nervig – weil Sam zusätzlich noch Halluzinationen erlebt und geheime Durchgänge finden muss.

Fazit

Wirklich gegruselt habe ich mich in Decay: The Mare zwar nicht, trotzdem hat Shining Gate ein unterhaltsames kleines Horror-Adventure abgeliefert. Die schlichte Präsentation erweist sich eher als Hindernis: Die minimalistischen Standbilder und altbackenen Animationen können einfach nicht genügend Atmosphäre aufbauen. Außerdem sorgt die inkonsequente Navigation für nerviges Herumirren. Die zunächst sehr rätselhaft gehaltene Geschichte hat mich aber trotzdem motiviert, dem Geheimnis des verfallenen Gemäuers auf die Spur kommen zu wollen. Auch die sinnvoll in die Umgebung eingebauten Rätsel und der finstere Soundteppich passen zum Abenteuer. Wer sich vom etwas sperrigen Minimalismus nicht abschrecken lässt, bekommt also ein nettes kleines Horror-Adventure samt zufriedenstellender Auflösung und alternativen Enden.

Pro

die zunächst sehr nebulöse Geschichte macht neugierig
gelungene Auflösung mit alternativen Enden
verfallene Anstalt erschafft angenehm unangenehme Atmosphäre
unheilvoller Soundteppich

Kontra

technisch schlichte Standbilder wirken unscharf und unsauber
Schock-Momente und simpel animierte Figuren nur selten gruselig
inkonsequente Navigationspfeile stiften Verwirrung
gesichtsloser Protagonist verhindert Identifikation oder ein Gefühl der Bedrohung

Wertung

PC

Design und Steuerung wirken sperrig und altbacken, eine geheimnisvolle Geschichte und unterhaltsame Puzzles machen das Horror-Adventure aber interessant.

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