Underworld Ascendant22.11.2018, Jörg Luibl
Underworld Ascendant

Im Test: Auf Ultimas Spuren

Ein geistiger Nachfolger zu Ultima Underworld? Von einem unabhängigen Studio, das von Paul Neurath (Ultima Underworld, Thief) und Warren Spector (Deus Ex, Epic Mickey) gegründet wurde? Kickstarter machte es möglich: Der Mindestbetrag in Höhe von 600.000 Dollar kam für die Entwicklung von Underworld Ascendant (ab 25,49€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) zusammen. Das Action-Rollenspiel wurde daraufhin von OtherSide Entertainment entwickelt und in Zusammenarbeit mit 505 Games kürzlich für knapp 30 Euro auf dem PC veröffentlicht. Wie spielt sich das Abenteuer unter Tage? Als wäre es nicht fertig.

Allein in der Tiefe

Manchmal macht die Regie einiges richtig: Wenn man z.B. eine düstere Treppe in ein unbekanntes Gewölbe hinab steigt und dabei von einer diabolischen Stimme begleitet wird: "Du wirst hier sterben. Ungeliebt. Vergessen. Nicht betrauert." In solchen Momenten entsteht auch in deutscher Sprachausgabe eine knisternde Atmosphäre, zumal das nach einem gnadenlosen Abenteuer unter Tage klingt. Irgendeine fremde Macht namens "Typhon" will also nicht, dass ich erfolgreich bin! Später droht sie: " Ich werde dieses Gefängnis verlassen! Und die Welt wird brennen!" Laut Story muss man dafür sorgen, dass dieses Böse nicht aus seinem Kerker erwacht, indem man die Geheimnisse von drei verfeindeten Fraktionen lüftet und sie politisch vereint. Dabei kann man seinen Charakter hinsichtlich Kampf, Magie und Stealth entwickeln. Klingt das nicht gut?

Wenn ein Spiel so mit mir spielt, wenn es mir diese Freiheit auf dem Weg zum Ziel lässt und wie ein Dungeon Keeper zu mir

Je nachdem wie ihr gespielt habt, ändert sich die Bewertung.

spricht, fühle ich mich gleichzeitig herausgefordert und beobachtet. Das bleibt nicht nur an der akustischen Oberfläche dieser immer wieder kehrenden Kommentare, zu denen nicht nur der Antagonist, sondern auch Helfer wie "Cabirus" gehören, die einen wie Mentoren unterstützen. Je nachdem wie man bei der Erkundung vorgeht, also eher magisch, martialisch, schleichend oder physikalisch, und wem man z.B. in Quests hilft, wirkt sich das sowohl auf die Belohnungen am Ende eines Levels als auch den Einfluss bei den Fraktionen aus. Diese Form des Spieldesigns gefällt mir prinzipiell sehr gut!

Das Kind im Manne

Manchmal? Klingt? Prinzipiell? Man ahnt vielleicht schon anhand dieser Wortwahl, dass die gespielte Realität nicht ganz so faszinierend ist wie die Theorie auf dem Papier oder in der Kickstarter-Vision. Denn Underworld Ascendant ist einfach nicht fertig entwickelt, sondern voller Fehler veröffentlicht worden. Ich finde eine Rune, nehme sie auf, aber sie landet nicht im Inventar. Ich suche den Boden ab, aber sie ist einfach futsch. Wieso, weshalb, warum? Ich bin kurz vor dem Ende einer Mission, das Spiel stürzt ab. Immer wieder muss ich also bekannte Strecken nochmal zurücklegen, um zu hoffen, dass die Rune oder ein anderer Gegenstand im

Das bunte Artdesign hat zwar auch einige schöne Areale, aber wirkt stellenweise - vor allem im Figurenbereich - kitschig.

Inventar landet. Selbst der Speicherbaum war mal weg! Das Gute im Schlechten ist, dass die Fehler nach dem ersten Patch nicht mehr reproduzierbar waren, sonst hätte es ein "Mangelhaft" gegeben.

Aber Underworld Ascendant macht es mir als erwachsenem Fantasyfan auch ohne Bugs nicht leicht, wirklich in diese seltsam sterile Welt abzutauchen. Hier entsteht einfach keine atmosphärische Sogkraft. Die über Unity befeuerte Kulisse hat zwar auch stimmungsvolle Areale, aber ist mir zu bunt und manchmal sogar schrecklich kitschig. Ich kann zwar nachvollziehen, warum Art-Director Nate Wells damit das "innere Kind" ansprechen und an die Leichtigkeit von Tabletop-Abenteuern mit ihren handgemalten Figuren anknüpfen wollte - aber es gelingt ihm nicht. Ich vermisse auch die künstlerische Hingabe für Details. Ich sammle und bemale selbst diese Miniaturen, aber wenn ich die Skelette, Monster und vor allem die Saurier in diesem Spiel betrachte, wirken sie wie Geschmacksverirrungen der 80er Jahre. Ich konnte diese Disco-Echsen in ihrer schwebenden Haltung einfach nicht ernst nehmen.

Mit Wasserpfeilen lassen sich Fackeln löschen.

Ganz zu schweigen von all dem Copy-Paste-Interieur, von Stühlen, Tischen, Flaschen etc., dem sterilen Menü und den simpel gezeichneten Gegenständen im Inventar, die alles andere als liebevoll designt sind. Da komme ich mir nicht wie in einer Welt, sondern wie in einem Baukasten vor! Erschwerend hinzu kommen die grafischen Defizite im Textur- und Partikelbereich sowie die Probleme von der schwankenden Bildrate bis hin zu den Ladezeiten, obwohl man hier alles andere als grafisch gerockt wird. Ich reite deshalb so darauf herum, weil Ultima Underworld zu seiner Zeit auch ein technischer Pionier war. Das habe ich hier nicht erwartet, aber wenn man ein modernes Action-Rollenspiel entwickelt, sollte man die Spielwelt nicht so vernachlässigen - ein Stil und eine Qualität à la Styx hätten hier wesentlich besser zur Tradition dieses Klassikers gepasst.

Spielerische Freiheit

Hat man sich an die Kulisse gewöhnt, steht das Experimentieren im Vordergrund: Man kann sowohl magisch als auch physikalisch mit der Spielwelt interagieren. Man kann Gegenstände in die Hand nehmen, drehen, ziehen und werfen, wobei das Gewicht eine Rolle spielt. Allerdings funktioniert auch das nicht immer so präzise wie nötig, vor allem das Stapeln ist extrem fummelig, und manchmal ist es so sensibel, dass einem Vasen oder Glas schon bei der kleinsten Drehung zerbrechen. Dann wiederum kippen sehr schwere Stahlkäfige so leicht um wie Papiertüten, wenn man auf sie hinauf klettern will, obwohl man sie vorher nur mühsam samt Ächzen bewegen konnte. Auch hier wirkt die Spielmechanik inkonsequent.

Eine Holztür? Einfach verbrennen.

Trotzdem kann man z.B. sehr gut entfernte Hebel mit einem gezielten Wurf aktivieren. Man kann Tische oder Stühle über Flammen halten, sie damit entzünden und vor eine Holztür stellen, so dass diese verbrennt - man kann sie auch plump mit der Faust einschlagen, was wiederum seltsam unrealistisch anmutet. Angenehm an Thief erinnert es dann, wenn man mit Wasserflaschen oder -pfeilen brennende Fackeln aus der Distanz löscht, um sich Schatten für anschließendes Schleichen zu verschaffen. Schön ist auch, dass die untoten Wachen nicht nur auf Sicht, sondern auch Geräusche reagieren, so dass man sie über Würfe weglocken kann. Wer will, kann weitere Stealth-Aktionen wie hinterhältige Attacken, blitzschnelle Sprünge & Co im dreigeteilten Fähigkeiten-Baum freischalten.

Magie und Kampf

Mit Zauberstäben lassen sich Kisten levitieren, heranziehen und wegstoßen oder Feuerbälle entfachen, aber auch hier braucht man viel Geduld - mit Maus und Tastatur kam ich noch am besten klar, mit dem Gamepad war das ein Graus. Hinzu kommt ein offeneres Magiesystem über Runensteine, die man kombinieren kann, um spezielle Zauber zu finden und zu

Das Menü- und Inventardesign wirken lieblos.

wirken; von der Heilung über die Vergiftung oder das Schweben bis zu diversen arkanen Attacken. Sehr schön ist, dass man auch hier selbst experimentieren und weitere arkane Fähigkeiten wie mehr Mana, mehr Wirkung etc. freischalten kann.

Das Nahkampfsystem ist sehr simpel: Es gibt einen einfachen sowie schweren Hieb sowie eine Parade - das wars. Zwar kann man das über den kriegerischen Pfad noch erweitern, indem man sich u.a. auf Schwerter, Äxte etc spezialisiert, aber auf Duelle ist dieses Spiel nicht ausgelegt. Leider verhalten sich die Gegner auch sehr durchschaubar, so dass man relativ leicht über plumpes Blocken und Zuschlagen erfolgreich ist, das man stoisch über bis zu zehn Schläge wiederholt. Verliert man tatsächlich mal sein Leben, startet man am letzten Kontrollpunkt, wobei die Monster ihren Schaden behalten. So wird einem das Ganze recht leicht gemacht und ist alles andere als spannend. Zumal es vollkommen unlogisch ist, dass auch alle "einzigartigen" Gegenstände wie Zauberstäbe oder Waffen wieder auftauchen, die man doch schon eingesammelt hat!

Belohnung je nach Spielstil

Die Gewölbe sind angenehm verschachtelt, von Grotten, Gängen, Fallen, Türen, Nischen sowie mehreren Etagen geprägt und es ergeben sich meist mehrere Wege zum Ziel. Aber das verwinkelte Leveldesign, der eigentliche Star, braucht einige Zeit, bis man gefordert wird: Viele "Rätsel" wiederholen zunächst sehr simple Routinen, so dass man sich Treppen baut, Hebel beschießt oder Fallen ausweicht, ohne dass ein Knobelflair à la The Talos Principle entstehen würde. Immerhin steigt der Anspruch mit der Zeit. Und man muss ein wenig umdenken, denn das reine Fliehen oder Erreichen des Ausgangs ist ja nicht lukrativ und auch nicht Sinn der Sache. Es kommt eher darauf an, dass man clevere Lösungen anwendet, also verschiedene Aktionen kombiniert, und versteckte Geheimnisse findet. Ein wenig an Dark Souls erinnern zwar die Nachrichten an Wänden oder auf dem Boden, die man manchmal nur findet, wenn man für

Auch die klassischen Hebel dürfen nicht fehlen.

genügend Licht sorgt. Allerdings ist vieles an leuchtendem Sammelkram auch unheimlich lieblos verstreut - und wirklich exklusives Cooles findet man kaum. Da öffne ich eine Schatzkiste und bekomme Wasserpfeile? Von denen ich schon 30 habe? Es entstehen einfach kaum magische Momente im Kleinen, so dass echtes Dungeon-Crawler-Gefühl wie in Legend of Grimrock 2 nicht aufkommt.

Je nachdem, wie man diese physikalischen, subversiven, magischen sowie martialischen Möglichkeiten einsetzt, wird man am Ende eines Levels immerhin anders belohnt. Es gibt eine klare Statistik darüber, wie intensiv man Kampf, Schleichen, Zauber oder Umgebung eingesetzt hat. Außerdem werden die eigenen Tode, Entdeckungen, Kills etc. mitgezählt. Man bekommt dann je nach Abschneiden unterschiedlich viel Silber, das man wiederum beim Händler eintauschen kann. Aber auch hier verliert die Spielwelt umgehend an Reiz, denn man bekommt fast nur bekanntes Zeug, das nicht besonders cool aussieht. Gerade der eigene Charakter geht angesichts der lieblosen abstrakten Darstellung vollkommen unter, so dass gar keine Lust auf weitere Ausrüstung, Waffen, Kleidung & Co aufkommt.

Fazit

So langsam nerven die unfertigen Projekte mit ihren Bugs! Gerade bei so einem im Ansatz sympathischen Titel, der fehlerfrei die Chance auf eine 70er-Wertung hatte. Aber: Ich finde eine Rune, nehme sie auf, sie landet nicht im Inventar. Ich bin kurz vor dem Ende einer Mission, das Spiel stürzt ab. Immer wieder muss ich also bekannte Strecken nochmal zurücklegen - immerhin waren die Fehler nach dem ersten Patch nicht reproduzierbar, sonst hätte es "Mangelhaft" gegeben. Trotzdem hab ich die Lust verloren. Denn selbst wenn alles läuft, sorgt dieses Fantasy-Abenteuer nur für solide Unterhaltung. Dass diese Hommage nicht an die Pionierleistung von Ultima Underworld aus dem Jahr 1992 herankommen würde, war natürlich abzusehen. Aber es gelingt OtherSide Entertainment zumindest in einigen Momenten an die Faszination des freien Abenteuers anzuknüpfen: Die Erkundung der verwinkelten unterirdischen Areale macht durchaus Laune, denn man kann sehr schön experimentieren und Probleme sowie Feinde über Magie, Mechanismen, Kampf oder Schleichtugenden aus dem Weg räumen. Hinzu kommen physikalische Interaktionen, dynamische Belohnungen sowie mehrere Fraktionen, die man über seine Spielweise beeinflusst. Gut gefallen haben mir auch die stimmungsvollen Kommentare, die für etwas Dungeon-Keeper-Flair sorgen. Aber diese bunte bis kitschige Fantasy entfaltet keine atmosphärische Sogwirkung - manchmal fühlt man sich nicht wie in einer lebendigen Welt, sondern wie in einem seelenlosen Baukasten der Unity-Engine. Leider trüben nicht nur das Artdesign sowie die sterilen Menüs, sondern auch die fummelige Steuerung sowie Bildratenprobleme und nervige Ladezeiten immer wieder den Spielspaß. Unterm Strich reicht das zusammen mit den erwähnten Bugs nicht mehr für eine befriedigende Wertung. Ich empfehle euch, mit dem Kauf zu warten, bis das Spiel wirklich fertig ist.

Pro

geistiger Nachfolger zu Ultima Underworld
stimmungsvolle Kommentare
Botschaften sorgen für mysteriöses Flair
cleveres Spiel und Kombos werden belohnt
dreigeteilte Fähigkeitenentwicklung (Kampf, Magie, Stealth)
vielfältige Rätsel und Stealth-Action-Flair
interessantes Magie- und Runensystem
viele physikalische Interaktionen; Gewicht relevant
Feuer brennt auf Holz
mehrere Fraktionen beeinflussbar
Statistiken zeigen Spielweise
mit Maus/Tastatur oder Gamepad spielbar
Steuerung frei belegbar
deutsche (und andere) Sprachausgabe

Kontra

viel zu viele Bugs und Abstürze
unpassendes bis kitschiges Artdesign
Fantasywelt wirkt zu oft künstlich wie ein Baukasten
teils übersensible physikalische Umgebung
fummelige Steuerung und Interaktion
hässliches Inventar, Menüs & Gegenstände
lange Ladezeiten
sehr simples Kampfsystem
Abstürze, Grafikfehler und Bildratenprobleme

Wertung

PC

So langsam nerven die unfertigen Projekte mit ihren Bugs! Aber selbst wenn alles läuft, sorgt dieses Fantasy-Abenteuer nur für solide Unterhaltung. Von der Faszination Ultima Underworlds ist man weit entfernt.

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