POLLEN27.04.2016, Jan Wöbbeking

Im Test: Schwärmerische Science-Fiction

Fans der Kinoklassiker Alien, 2001 oder Event Horizon dürfte die Geschichte bekannt vorkommen: Ein Weltraummechaniker wird auf den Saturnmond Titan geschickt, um einen mysteriösen Unfall und das Verschwinden der Mannschaft aufzuklären. Fasziniert das Erkundungsabenteuer mit VR-Anbindung so sehr wie seine Vorbilder? Wir klären es im Test.

Extraterrestrische Erfahrung oder Moonwalking-Simulator?

Das Konzept eines derartigen Erkundungs-Adventures klingt wie gemacht für die Virtuelle Realität. Trotzdem hat es Entwickler Mindfield Games vorerst als klassisches Monitor-Spiel veröffentlicht. Eine Vive-Unterstützung ist in Arbeit, für Oculus Rift wird bereits eine Beta angeboten, die wir mangels Hardware aber noch nicht testen konnten. Also haben wir uns ohne VR ins All begeben. Da sich die Steuerung per Maus und Tastatur ein wenig träge anfühlt und das Abenteuer ohnehin ein langsames Tempo vorgibt, habe ich mich zurückgelehnt und mit dem 360-Controller gespielt. Von einer Fluchtsequenz abgesehen werden ohnehin keine schnellen Reaktionen gefordert. Stattdessen schreite ich in etwas zu gemächlichem Tempo über die zerklüftete Mondoberfläche und später durch die verlassene Forschungsstation, auf der seltsame Dinge vor sich gehen. Ein kleines Team von Wissenschaftlern forschte offenbar an einem Phänomen, über das ich erst durch das Auffinden von Audiologs, Notizen und Fachbüchern immer mehr erfahre, je länger ich auf der Station unterwegs bin. Eine Wissenschaftlerin berichtet z.B. auf diversen Kassetten davon, wie der Rest der Mannschaft auf geheimnisvolle Weise aus der teils kollabierten Station verschwand. Da draußen ein Mondsturm tobt, bin ich erst einmal auf mich selbst angewiesen.

Die intensiv beworbene Surround-Abmischung klingt akzeptabel, aber bei weitem nicht so räumlich wie die beeindruckende Klangkulisse von The Gallery.
In der Welt von Pollen hat RAMA nichts mit dem Frühstück zu tun – stattdessen handelt es sich um meinen Arbeitgeber, der als Teil eines Konglomerats Bergbau- und Forschungskolonien errichtet. Während ich durch die kantigen Metallflure schreite, erfahre ich auf Plakaten und Zeitschriften immer mehr über die faszinierende Gesellschaft dieser alternativen Realität des Jahres 1995. Statt sich aufs atomare Säbelrasseln im Kalten Krieg zu konzentrieren, haben die USA sich mitten im Wettstreit um die Raumfahrt mit Russland verbündet und einen neuen Riesenstaat geschaffen, bei dessen Expansionsplänen den Großkonzernen das Feld überlassen wurde.

Magerrätsel statt Margerine

Fast alle Objekte in meiner Umgebung besitzen den typischen Rama-Markenaufdruck, lassen sich aufheben und gezielt wegschmeißen. Hier merkt man bereits, dass das Spiel eigentlich für VR konzipiert wurde: Schon die Entwickler des Job Simulator haben festgestellt, dass es darin schnell zu einen Bruch der Immersion kommt, wenn sich nicht genügend Objekte realgetreu bewegen lassen. Der Überfluss an manipulierbaren Gegenständen birgt aber auch Schattenseiten fürs Spieldesign von Adventures: Wenn ich wirklich jede Dose, jede Bestecktüte, sämtliche Bücher, Zangen und Zettel aus dem Regal nehmen kann, lenkt das schnell von den entscheidenden Gegenständen ab.

Wenn man erst einmal weiß, wo es weiter geht, fallen die Rätsel meist ziemlich simpel aus.
Meist sind die wichtigen Objekte zwar durch einen pulsierenden Glanz gekennzeichnet - anderswo muss ich aber aufmerksam die Umgebung studieren und dann die vorhandenen Maschinen nutzen, um in ein versperrtes Areal zu gelangen. In solchen Momenten hätten die Entwickler die wichtigsten Mechanismen besser erklären sollen, um die Aufmerksamkeit aufs Wesentliche zu lenken. Immer wieder irre ich ratlos durch die Gänge und bin mir nicht sicher, ob es einfach linear im frisch geöffneten Abschnitt weiter geht, oder ob ich eine gerade erlernte Spielmechanik mehrmals einsetzen soll. Ein Trick ist z.B. der Wechsel zwischen zwei Zeitebenen: In der Vergangenheit sind manche Maschinen wie ein Anti-Gravitationsstrahl noch intakt, so dass ich mit ein wenig Spielerei am Schaltpult weiter komme. Meist beschränken sich die Puzzles aber auf simples Finden von Schlüsseln oder Schaltern.

Hübsche Inszenierung

Ähnlich einfach gestrickt sind die Rätsel am Schaltpult, wo ich durch ein wenig Spielerei an den Knöpfen praktisch von selbst auf die Lösung komme. Ein wenig versüßt werden solche Aktionen durch das gelungenes Design der Technik. Im Bereich der Raumfahrt und der Erforschung mysteriöser Phänomene ist die Entwicklung im alternativen 1995 schon erstaunlich weit fortgeschritten. Bei der Computertechnik hinkt die Gesellschaft den realen Neunzigern aber weit hinterher: Es gibt kein Internet – und sämtliche Computer und Spielautomaten erinnern eher an die klobigen Großrechner der Sechziger und Siebziger Jahre. Interessant ist auch, welch starken Einfluss Isolation und Experimente auf die Psyche und den Hormonhaushalt der Astronauten nehmen. Das macht sich vor allem in den von Heimweh, Depressionen und Intrigen geprägten Briefen und Notizen bemerkbar. Die emotionale Stabilität der Crew ist offenbar gewaltig aus den Fugen geraten, bevor es zum großen Knall kam. Unter den Wissenschaftlern befanden sich auch Psychologen und Biologen, welche in einem bizarren Turmgarten mit Hilfe von Bienenschwärmen forschen – passend zum Namen des Spiels.

Ein Mittel gegen das Heimweh?
Technisch wird all das schön in Szene gesetzt, mit verwitterten Metalloberflächen, einer schummrigen Beleuchtung und psychedelisch verzerrten Grafikeffekten. Im Gegenzug läuft das Gebotene nicht immer sauber: Neben zwei Abstürzen habe ich ab und zu ein kurzes Einfrieren des Bildes erlebt. Außerdem flutschen eingeklemmte Objekte manchmal seltsam durch die Gegend, weil die Physik-Engine sie dann nicht vernünftig ausrichten kann. Auch Knopfbelegung und Inventar-Bedienung wirken nicht so intuitiv wie bei der Konkurrenz. Sehr geschickt ist den Entwicklern dagegen die Auflösung der Geschichte und die lange Endsequenz gelungen: Der Abschluss wurde hübsch und nachdenklich inszeniert, ohne dabei so stark in Esoterik abzudriften wie z.B. 2001: A Space Odyssee.  Bei einem flotten Durchgang lässt sich das Adventure in rund 90 Minuten bewältigen; wer sich in den Gängen oder den zahlreichen Dokumenten verliert, kann aber auch vier Stunden in der Welt verbringen.

Fazit

Pollen ist ein typisches Beispiel für ein Erkundungs-Abenteuer, das von seinem Rätsel-Design ausgebremst wird. Meist handelt es sich nur um zu simple Schalter- und Schlüssel-Puzzles, die allerdings schlecht in die unübersichtliche Erkundung eingebunden wurden, so dass ich oft ahnungslos durch die Station irrte. Vielleicht hätten die Entwickler die Rätsel auf kleinere Areale beschränken und klarer kennzeichnen sollen, denn das langsame Untersuchen der Umgebung sorgt schnell für Ermüdung. Ich bin regelrecht froh, dass ich das Adventure nicht mit einem VR-Headset testen musste, denn dann hätte ich mich vermutlich noch häufiger verloren gefühlt. Schade, denn das Design und die Erzählung sind Mindfield Games viel besser gelungen: Als Freund von Science-Fiction-Filmen aus den Siebziger bis Neunziger Jahren hat die alternative Zeitlinie mit ihrer klobigen Technik schnell mein Interesse geweckt, so dass ich die geschickt platzierten Audio-Logs und Dokumente regelrecht in mich aufgesogen habe. Pollen ist ein hübsch inszeniertes Erkundungs-Abenteuer, welches aber erheblich unter der schwachen Integration der viel zu einfachen Puzzles leidet. Der Bruch zwischen Dramaturgie und Spielerfahrung sorgt für Ernüchterung.

Pro

stimmungsvoll designte Forschungsstation
unterhaltsames Stöbern in geheimnisvollen Story-Dokumenten und Audiologs
geschickt inszeniertes Ende

Kontra

nur simple Tür
und Schaltpult-Rätsel
schlechte Einbindung von Rätseln und Objekten sorgt oft für ahnungsloses Herumirren
Unmengen manipulierbarer Objekte lenken vom Wesentlichen ab
technische Probleme wie Bild-Stottern, Abstürze und kleine Physik-Glitches

Wertung

PC

Das Durchstöbern der verlassenen Raumstation fördert eine spannende Story zu Tage, die aber massiv vom schwachen Rätseldesign gestört wird.

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