Dreamfall Chapters - Book 2: Rebels23.03.2015, Jan Wöbbeking

Im Test: Rebellion der Technik

Willkommen in der wundersamen Welt der Fantasy. Wo exotische Kreaturen über den Boden schweben, sich blitzschnell durch die Luft teleportieren oder ohne Worte mit der Kraft der Gedanken kommunizieren. Dumm nur, wenn all das eigentlich nicht so geplant war, sondern Bugs und Glitches die Regie übernehmen.

Bunte Parade der Bugs und Glitches

Eigentlich wollte Red Thread Games nach dem technischen Debakel im Debüt theoretisch ganz besonders gründlich nach Fehlern suchen - in der Praxis hat das aber nicht sonderlich gut funktioniert: Schon der Start der zweiten Episode scheitert bei mir daran, dass kein entsprechender Punkt im Menü auftaucht. Offenbar wurde nach dem Beenden von Buch 1 mein Spielstand nicht vernünftig gespeichert, so dass ich den finalen Abschnitt ein zweites Mal durchspielen musste - dann konnte ich endlich in die neue Episode starten. Auch danach liefert das Spiel ein unerschöpfliches Repertoire teils lustiger, teils ärgerlicher technischer Fehler. Bevor ich ins Detail gehe, beschreibe ich aber erstmal, worum es geht, wenn das Spiel mal ordnungsgemäß funktioniert. Das mit einer Kickstarter-Kampagne ermöglichte Dreamfall Chapters knüpft an die Adventure-Oldies The Longest Journey und Dreamfall: The Longest Journey an.

Eigentlich wurde das Spiel vollständig synchronisiert – bei uns funktionierte aber nur die englische Fassung. Durch den Bug bewegten sich nicht einmal mehr die Lippen.
Das neue Spiel ist zwar in Episoden gegliedert, lässt sich aber nur als Vollversion erwerben; entweder im Einzelhandel oder auf Steam. Nach und nach sollen durch Updates fünf Episoden nachgeliefert werden, indem der Titel automatisch durch Steam aktualisiert wird. Das Abenteuer versetzt einen erneut in zwei sehr unterschiedliche Welten, die durch übernatürliche Kräfte miteinander verknüpft sind. Nachdem sich Kian aus einem Kerker und Zoe aus einem alptraumhaften Koma befreit haben, erkundet man mit ihnen die Fantasy-Stadt Marcuria bzw. die futuristische Metropole Propast.

Schweigsamer Überläufer

Zuerst ist Kian an der Reihe: Eigentlich gehört er zum Volk der Azadi, das die Hauptstadt der Nordlande besetzt hat und die dort heimischen „magischen“ Völker mit Massakern und Deportationen terrorisiert. Mittlerweile ist Kian allerdings zum Widerstand übergelaufen und soll das Vertrauen anderer Mitglieder gewinnen. Fast jeder von ihnen hat ganz eigene Erfahrungen mit den Gräueltaten der Azadi gemacht, so dass Kian nicht all zu herzlich aufgenommen wird. Vor allem von seinem neuen Erzrivalen Likho bekommt er ordentlich Kontra. Ganz anders verhält es sich mit der knuffigen kleinen Enu. Sie erweist sich beim ersten Smalltalk mit Kian als schrecklich ungeschickt: „Toll! Hallo! Azadi, was? Das ist … ja toll. Bin nie bei ihnen gewesen. Ist es nett dort? Ich hab gehört, es soll nett sein. Wenn sie nicht, ihr wisst schon, Krieg führen und Magische ermorden.“

Nur nicht vorschnell handeln: Vor weitreichenden Entscheidungen kann man sich die Gedankengänge der Hauptfigur anhören.
Wie sich später herausstellt, war das aber gar nicht böse gemeint: Sie neigt in Gesprächen lediglich dazu, in jedes sich bietende Fettnäpfchen zu treten. Ihre Unsicherheit birgt natürlich jede Menge Potential für Situationskomik, z.B. wenn sie versucht, mit dem einsilbigen Kian zu flirten oder den Fauxpas danach verlegen stotternd auszubügeln. Hier zeigt sich wieder, dass viel Liebe in Charaktere und Dialoge geflossen ist - und dass es sich immer wieder auszahlt, über jede einzelne Antwort nachzugrübeln. Viele Entscheidungen ziehen schließlich einschneidende Änderungen in der Spielwelt nach sich: Hätte Enu mich auch  so gutgelaunt auf meine Mission begleitet, wenn ich zu Beginn schroff zurückgestänkert hätte?

Einschneidende Entscheidungen

Liebenswert wirkt auch der Junge „Bip“, der auf dem Marktplatz versucht, meine Brieftasche zu stibitzen. Darin ist er zwar nicht besonders geschickt, allerdings deckt er mit seiner messerscharfen Kombinationsgabe in Sekundenschnelle Kians Identität als verdeckter Krieger des Widerstands auf. Als er mich über seine ins Arbeitslager verschleppten Eltern ausfragt, bringe ich es allerdings nicht übers Herz, ihm die Wahrheit zu verraten. Glücklicherweise weist er mir auch den Weg zu einer rassistischen Vereinigung, die ich infiltrieren soll. Meine Aufgaben und das Rätsel-Design wirken allerdings noch banaler als im Vorgänger. Meist muss ich einfach nur einige Orte abklappern oder eine Hand voll Gegenstände aus dem hakelig bedienbaren Inventar miteinander kombinieren. Mit Maus und Tastatur geht das immerhin etwas flüssiger von der Hand als mit dem 360-Controller. Gelegentlich haben mich dabei sogar Bugs in die Irre geführt.

Die hübsch gestalteten Städte und der ruhige Soundtrack wirken eigentlich atmosphärisch – wenn nur die ganzen Glitches nicht wären…
Am Hafen z.B. soll ich mich eigentlich nur an ein paar Wachen vorbei schleichen, um eine Waffenlieferung effektvoll in die Luft zu jagen. Der Lösungsweg wirkt allerdings reichlich unlogisch: Rund um die explosiven Kisten lodern kleine Petroleum-Feuer. Warum kann ich mir nicht einfach einen der verstreuten Holzscheite schnappen und die Ladung damit anfackeln? Stattdessen muss ich umständlich mit einem Stein Funken schlagen. Das als Lunte benötigte Seil konnte ich zu Beginn nicht einmal aufheben, obwohl Kian kommentierte, dass meine Idee durchaus Sinn ergebe. Ein Bug oder nur schlechtes Rätsel-Design? Auch in anderen Situationen konnte ich diese Frage nicht wirklich beantworten und bin ratlos durch die Gegend geirrt.

Ein Wust an Fehlern

Eigentlich soll die Episode nur sechs Stunden dauern; durch den allgegenwärtigen Fehlerwust dauerte es bei mir deutlich länger. Mal leidet ein Azadi-Kurier unter bizarren Stotter-Anfällen, während er wie Michael Jackson den Moonwalk tanzt, später schweben meine Kameraden reglos in der Luft oder teleportieren sich wild durch die Kulisse. Oft kann ich dank massiver Clipping-Fehler sogar komplett mit ihnen verschmelzen oder ihre Innereien betrachten. Eine Sammlung der "schönsten" Glitches findet ihr hier im Bug-Video. Auch in Zoes Teil der Geschichte reißen die Fehler nicht ab und das Rätsel-Design wird sogar noch profaner: Oft muss ich einfach nur diverse Schlüssel finden, um sie mit den passenden Halterungen zu kombinieren und in die Kanalisation einzusteigen. Die dort hausenden Jugendlichen schicken mich danach auf Hol- und Bringdienste – unheimlich spannend!

Treppenwitz: Durch einige Objekte und Personen kann mann einfach hindurch laufen.
Ein wichtiges Thema sind natürlich wieder Zoes Ausflüge in die Traumwelt, in der sie eine wichtige Mission zu erfüllen hat. Während sie im Koma lag, half sie zahlreichen verlorenen Seelen, die in ihren Alpträumen gefangen waren. Verursacht werden die Horror-Episoden offenbar durch die Traummaschinen, mit denen die autoritäre Regierung die Bürger in der abgesperrten Stadt unter Kontrolle halten will. Auch diesmal wandelt Zoe wieder im Schlaf durch eine surreale Welt und versucht hinterher, das Erlebte mit ihrem Psychologen zu deuten.

Alte Bekannte, neue Jobs

Erzählerisch läuft das Spiel dabei wieder zur Höchstform auf. Wenn ich alte Bekannte treffen, die dank meiner Entscheidungen mittlerweile ein ganz anderes Leben führen, sorgt das für rührende Momente. Da ich Zoes hinterlistigen Ex-Kollegen den Rücken gekehrt habe, treffe ich z.B. an meinem neuen Arbeitsplatz den durchgeknallten „Shitbot“ wieder. In der ersten Episode habe ich ihm dazu verholfen, seine wahre Bestimmung als Schweißender Roboter zu entdecken, welche er jetzt in vollen Zügen genießt. Leider blockiert er mir durch seine Schweißarbeiten vorübergehend einen wichtigen Durchgang. Doch das ist schon okay: Immerhin warnt er mich pflichtbewusst davor, nicht in die Hochleistungs-Stichflamme zu treten und erklärt mir sehr anschaulich, welche meiner Körperteile sonst gegrillt würden. Reizend!

In ganz Marcuria baut die Besatzungsmacht ein geheimnsivolles Netzwerk aus Metallröhren auf.
Weniger erfreulich ist, dass Zoes Freund sich schon wieder wie ein zickiges Prinzesschen aufführt - egal mit welchen rhetorischen Tricks ich mich mit ihm versöhnen will. Später kann ich entscheiden, ob ich trotz seiner Allüren noch bereit bin, seine Zeitung mit brisanten Insider-Informationen aus Zoes politischer Kampagne zu unterstützen. Der Wahlkampf zwischen dem Populisten Wolf und den übrigen Parteien wird mit harten Bandagen geführt und Zoe stolpert im Laufe der Episode über skandalträchtige Informationen. Schön, dass ich selbst entscheiden kann, wie ich sie verwerten will – und mir auch abseits davon viele Freiheiten bleiben. Soll ich eine einflussreiche Unterstützerin über den Vorfall informieren oder sichere ich lieber die dringend benötigte Parteispende? Falls ich sie einweihe, würde sie sich später sicher erkenntlich zeigen. In solchen Momenten erinnert die Geschichte sogar ein wenig an die Machtspiele aus House of Cards.

Fazit

Auch in der zweiten Episode ist mein Eindruck vom neuen Dreamfall Chapters zwiegespalten. Erzählerisch präsentiert sich das Adventure wieder ausgesprochen stark: Viele Entscheidungen aus der ersten Episode haben sich bereits einschneidend auf die Welt ausgewirkt. Auch die Gespräche wirken wieder tiefgründig: Wenn ich nur lange genug nachbohre, wird mir langsam aber sicher klar, warum z.B. Kian so gebrochen und traumatisiert wirkt. Auch die politischen Verwicklungen in Zoes Teil der Geschichte sind interessant. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Spielmechanik und die katastrophale technische Umsetzung: Die schrecklich banalen Rätsel wirken bestenfalls wie eine Beschäftigungstherapie und werden durch den Wust an Bugs manchmal sogar richtig nervig. Oft bin ich ratlos durch die Welt geirrt, nur weil irgendein Gegenstand nicht wie vorgesehen reagierte oder andere Fehler dazwischenfunkten. Daher reicht es auch leider nicht mehr für eine ausreichende Wertung - so sehr es mir für die gelungenen Story-Ansätze leid tut.

Pro

faszinierend vielschichtige Spielwelt
interessante und glaubwürdige Charaktere
zahlreiche Gewissens-Entscheidungen, viele davon machen sich bereits bemerkbar
interessante Dialoge mit Erläuterungen der Gedankengänge
gelungene Situationskomik
ansehnliche Cyberpunk-Stadt

Kontra

Speicherbug erschwert den Spielstart
deutsche Synchronisation bleibt komplett stumm
Figuren schweben in der Luft oder teleportieren sich spontan umher
wilde Stotter-Attacken und Moonwalk-Einlagen
massive Clipping-Fehler, in manchen davon bleibt man hängen
simples Rätsel-Design mit teils verwirrenden Bugs
fade Hol
und Bringdienste
hoher Hardwarehunger bringt die Welt manchmal ins Ruckeln
hölzerne Bedienung von Inventar und Gegenständen

Wertung

PC

Eine unterhaltsame Geschichte und vielschichtige Entscheidungen machen die Fantasy-Welt interessant, werden aber durch banale Rätsel und Unmengen von Bugs gestört.

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