Hard West20.11.2015, Benjamin Schmädig

Im Test: Zwischen XCOM und Sunless Sea

Als "Weird West" haben die Entwickler ihr Spiel während der Kickstarter-Kampagne bezeichnet, also als "Seltsamen" statt als "Wilden Westen". Warum? Ganz einfach: Nachdem Warren einen geheimnisvollen maskierten Mann im Poker besiegt hat, wird er erschossen. Damit ist seine Geschichte aber nicht vorbei, denn weil er noch im Sterben liegend seine Seele verkauft, taucht er als lebender Toter wieder auf – stärker und schneller als zuvor.

Tod und Teufel

In den taktischen Gefechten, die frappierende Ähnlichkeit mit denen aus XCOM besitzen, helfen Warren seine Fähigkeiten als wandelnder Toter. Er steckt nicht nur mehr Schüsse ein, sondern erholt sich auch von Verletzungen. Dieses Übersinnliche wird nicht erklärt, es ist einfach da als Teil eines Westerns, dessen Bewohner arm und vereinsamt im amerikanischen Grenzland leben. Der Teufel auf Erden würde die Erde unsicher machen, hätten einige von ihnen damals gesagt. So erzählt der personifizierte Tod die Geschichte Warrens, seines Vaters und seiner Geliebten mit ruhiger, tiefer Stimme.

Geld oder Leben?

In acht Kapiteln wandern Warren oder andere Protagonisten mit ihren Begleitern über eine Weltkarte, auf der sie erst wenige, später zahlreiche Wegpunkte in beliebiger Reihenfolge ansteuern. An jedem müssen sie eine Entscheidung treffen: Helfen sie einem geflohenen Sklaven oder weisen sie ihn ab? Sollen sie als Versuchskaninchen das seltsame

Die taktischen Gefechte sind von XCOM inspiriert.
Gebräu eines Apothekers trinken, weil er ihnen Zugang zu einem Grundstück voller Kannibalen verschafft? Schnappen sie sich den Beutel eines Blinden oder gehen sie einfach weiter?

Jede Entscheidung hat Konsequenzen. Mal trägt jemand eine dauerhafte Verletzung davon, mal bringt das zu einem guten Zweck gespendete Geld keinen erkennbaren Vorteil. Und natürlich gibt es auch Risiken, die fürstlich belohnt werden. Die Autoren von CreativeForge Games (Ancient Space) spielen mit der Erwartungshaltung ihrer Spieler, bieten ihnen neben dem roten Faden kleine Aufgaben an, die sie erfüllen können, aber nicht müssen, und machen die Geschichte so zu einem erstaunlich vielseitigen Abenteuer, dessen Struktur und morbides Flair an Fallen London sowie dessen Ableger Sunless Sea erinnern.

Immer wieder darf man außerdem Begleiter aufnehmen, die vor allem auf höheren Schwierigkeitsgraden unverzichtbar sind und deren Tod ähnlich wie im taktischen Vorbild einen großen Verlust bedeutet. Hervorragend ist auch die Einstellung, mit der Charaktere dauerhafte Schäden davontragen, wenn sie bestimmte Verletzungen davontragen. Das macht ein so gespieltes Kapitel noch spannender, als es ohnehin sein kann.

Sie wehren sich, sie wehren sich nicht...

Es sind nicht viele taktische Gefechte, die Warren, seine Begleiter und andere schlagen – es sind aber anspruchsvolle Kämpfe, in denen man die Figuren Zug für Zug so weit verschiebt, wie es ihre Bewegungswerte erlauben. Im besten Fall stellt man sie hinter eine Deckung, erschafft durch das Umkippen eines Tischs selbst eine, und schießt

Beim Erkunden der Weltkarte kann man verschiedene Ziele ansteuern, der Geschichte folgen sowie mitunter verschiedene freiwillige Aufgaben erledigen.
anschließend mit Revolver, Schrotflinte oder Maschinengewehr.

Zwei Faktoren entscheiden, ob die Kugeln treffen oder nicht: die Fähigkeiten des Schützen und das Glück seines Gegners. Ist Letzteres aufgebraucht, steigt die Wahrscheinlichkeit eines Treffers drastisch an. Das Spiel mit dem Glück ersetzt also das Sperrfeuer, denn während zwei ohnehin nicht sehr treffsichere Schützen einem Feind einheizen, könnte ihn ein dritter umgehen, um im richtigen Augenblick den dann fast sicheren Todesstoß zu versetzen. Weil alle Figuren nach einem Treffer neues Glück erhalten, reicht bei stärkeren Gegnern dabei kein einzelner Treffer. Ein solcher könnte den Schützen im Anschluss umgehen und ihm aus guter Position mächtig zusetzen. So inszeniert Creative Forge packende Gefechte! Zumal übernatürliche Fähigkeiten wie das Verwandeln in einen Dämon oder ein helles Kreischen, das allen Feinden im Blickfeld Schaden zufügt, immer daran erinnern, dass Hard West (ab 16,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) kein gewöhnlicher Western ist.

Kleine Schwächen machen der Rundentaktik dabei zu schaffen: Gegner ziehen sich in manchen Situationen etwa zurück, anstatt geschlossen anzugreifen, und während sie ähnlich wie in XCOM auf Feinde schießen, die sich ihnen nähern, tun sie das ausschließlich dann, falls die eigenen Figuren sie vorher schon im Blickfeld haben. Umläuft ein Protagonist einen Gegner, dessen Position er nur erahnen kann, wehren sich die Feinde einfach nicht. Die Protagonisten schießen zudem nicht auf nahende Gegner. Dabei hören sie deren Position schon, wenn die noch gar nicht sichtbar sind und können sogar auf solche zielen, deren Schatten sie nur sehen.

"Hände hoch!"

Interessant sind die Schusswechsel dafür oft schon, bevor sie überhaupt zustande kommen. Warren und seine Begleiter bleiben nämlich so lange unbehelligt, wie die am Ziel postierten Wachen keine Schwierigkeiten erwarten. Manchmal muss man durch richtige Entscheidungen für eine solche Ausgangslage sorgen, oft ist sie ohnehin gegeben. Unmittelbar vor einer Wache sollten die Protagonisten nicht flanieren, denn das lässt sie verdächtig erscheinen – umso eher, je stärkere (sprich: protzigere) Waffen sie bei sich tragen. Sie dürfen sich aber in Ruhe umsehen, klappen womöglich die Abdeckung eines Brunnens als Deckung auf und bringen sich so für den folgenden Kampf in Position.

Vor allem aber schließen sie die Hälfte aller Wachen im Haus ein, befreien Gefährten oder verschaffen sich andere Vorteile, indem sie einzelne Wachposten mit gezogener Waffe in Schach halten. Wenn sie die Wachen regelmäßig und aus unmittelbarer Nähe daran erinnern, dass die sich besser mucksmäuschenstill verhalten, infiltrieren sie auf

Schwächen in der Gefechtslogik machen der Rundentaktik zu schaffen: Nicht immer schießen die Gegner auf nahende Feinde. Die Protagonisten zielen nie automatisch aus der Deckung heraus.
diese Weise in aller Ruhe. Das ist cool! Allerdings lässt der Reiz später nach, weil die Wachen stets starr am Fleck stehen. Der Weg zum heimlichen "Hände hoch!" erinnert deshalb mehr an ein Puzzle, für dessen Lösung man seine Figuren in der richtigen Reihenfolge an die richtigen Positionen schiebt.

Wie viele Tote verkraftet der Westen?

Eine größere spielerische Freiheit genießt man beim Ausrüsten der Figuren, die neben zwei Waffen auch zwei Gegenstände sowie ein besonders Kleidungsstück mit sich führen. Mit Letzterem laufen sie z.B. weiter oder schießen genauer. Derartige Ausrüstung erhält man bei Händlern, manchmal auch durch eine der Entscheidungen beim Erkunden der Weltkarte. Und diese Entscheidungen können sich selbst auf den gewöhnlichen Kauf von Waren auswirken; wenn die Händler etwa nichts mehr mit einem Schießwütigen zu tun haben wollen, der im Rausch der Rache im Übermaß tötet, anstatt Gnade walten zu lassen. Knifflig, dass eine hohe Anzahl getöteter Menschen eins der freiwilligen Ziele dieses Kapitels ist...

Es gibt sogar eine Art Charakterentwicklung, wenn man jeder Figur bis zu fünf Karten zuteilt. Jede Karte steigert einen oder mehrere Werte, darunter das Glück oder die Weitsicht. Und sie haben eine Besonderheit, die perfekt zum Szenario passt: Hält ein Charakter ein Paar auf der Hand, kann er eventuell weiter laufen, während ihm fünf Karten derselben Farbe einen dicken Bonus an Lebensenergie verleihen. Man ist also stets am Abwägen, welche Figur auf welchen Bonus verzichten kann, um den Protagonisten besonders stark zu machen.

Fazit

Wenn dem herrlich morbiden Western etwas fehlt, dann ist es eine durchgehende Entwicklung dieser sorgfältig arrangierten Charaktereigenschaften. Zwar sind die acht Kapitel auf höheren Schwierigkeitseinstellungen durchaus anspruchsvoll, spätestens nach wenigen Stunden beginnt aber stets das nächste – mit einem neuen Protagonisten, neuer Ausrüstung, neuen Karten und neuen Fähigkeiten. Dass man trotzdem in den Geschichten versinkt, verdankt Hard West der packenden Rundentaktik sowie seiner eindringlichen Erzählung: Wichtige Entscheidungen bestimmen den Verlauf des Abenteuers und der Tod berichtet mit sanftem Gleichmut von einer Welt mit Menschenfressern, in der manche von dämonischen Kräften zehren und andere buchstäblich ihre Seele verkaufen. Fehler in der Gefechtslogik und dem Gegnerverhalten stören zwar das Erlebnis, wer feindliche Wachen noch vor dem Kampf mit gezogener Waffe in Schach hält, kann ihnen manche Schwäche aber verzeihen und erlebt ein faszinierendes Abenteuer zwischen XCOM und Sunless Sea.

Pro

anspruchsvolle Rundentaktik im Stil von XCOM
freies Bewegen vor dem Kampf und Gegner in Schach halten
interessantes Szenario, eindringlicher Erzähler und stimmungsvolle Musik
viele Ereignisse mit wichtigen Entscheidungen beim Erkunden der Weltkarte
gefallene Begleiter verschwinden dauerhaft
umfangreiche Möglichkeiten zum Ausrüsten und Anpassen der Figuren
verschiedene Kapitel zur Auswahl statt geradlinigem Durchmarsch
drei Schwierigkeitsgrade und wahlweise Ironman-Variante sowie Verletzungen mit Folgeschäden

Kontra

keine Charakterentwicklung o.ä. über mehrere Kapitel hinweg
Gegner verhalten sich mitunter zurückhaltend, anstatt geschlossen anzugreifen
unlogisches eigenständiges Feuern aus der Deckung heraus
Gegner in Schach zu halten erinnert eher an Puzzle als Taktik
umständlich mit Gamepad spielbar und relativ kleine Schrift

Wertung

PC

Spannender Cocktail aus XCOM und einer Erzählung mit wichtigen Entscheidungen - in einem Western mit Monstern und Dämonen.

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