Seven: The Days Long Gone05.12.2017, Jörg Luibl

Im Test: Cybermeisterdieb 0.9

Schleichen, Akrobatik, Kampf und Rollenspiel in einem? All das in offener Welt mit isometrischer Perspektive? Entwickelt von einem Team, das aus Ex-Witcher-Leuten besteht? Da kann man schon mal neugierig werden. Und Seven: The Days Long Gone (ab 4,30€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) klingt nicht nur leicht melancholisch nach Endzeit, sondern entführt in eine apokalyptische Zukunft, in der Schwert und Laser, Magie und Hightech für Cyberpunkflair sorgen sollen. Ob das PC-Spiel von Fool's Theory überzeugen kann oder ob man sich da etwas zu viel für die Premiere vorgenommen hat, verrät der Test.

Meisterdieb im Cyberpunk

Wenn eine dunkle Gestalt über polierten Marmor huscht, während die Fugen unter den Stiefeln golden glimmen und in der Ferne bunte Neonlichter flackern, fühlt man sich unweigerlich an Blade Runner oder Deus Ex erinnert. Dazu noch die Hinrichtung eines Ketzers vor gröhlender Meute, Hightechüberwachung sowie ein autoritäres Regime und der Vorhang öffnet sich für eine futuristische Dystopie. Das Artdesign ist überaus stimmungsvoll, die Musik angenehm melancholisch und man dreht die Kamera gerne langsamer, weil überall visuelle Reize locken. Seven: The Days Long Gone zeigt eine sehr ansehnliche Welt.

Das Artdesign überzeugt: Man taucht ab in eine futuristische Spielwelt mit Cyberpunkflair.

Hinzu kommt das nostalgische Flair klassischer Rollenspiele angesichts der Perspektive: Es ist zwar ein dreidimensionales Abenteuer, das von der Unreal Engine 4 inszeniert wird. Allerdings erlebt man es in einer isometrischen Draufsicht. Und spätestens, wenn man sich den Helden sowie Waffen und Ausrüstung näher anschaut, lässt auch Shadowrun grüßen. Nur gibt es weder eine Charaktererstellung noch eine Party - man schlüpft in die Fußstapfen eines Meisterdiebs namens Temriel. Man ist nicht alleine unterwegs, denn bei einem Einbruch hat man noch die Stimme von Kumpel Vaetic im Ohr, der einem Tipps gibt.

Er wird übrigens genau so wie Temriel und alle anderen Figuren sehr gut gesprochen. Die englischen Dialoge sind angenehm knackig, laufen auf der linken Bildschirmseite mit gut übersetzten deutschen Untertiteln ab und lassen einem gelegentlich die Wahl. Bis hierher überrascht die Produktionsqualität für einen so kleinen Titel, der großen Vorbildern nacheifert.

Hinsichtlich des Helden sowie der subtilen Fähigkeiten hat man sich z.B. an Thief orientiert. Man ist also eher ein cleverer Infiltrator als ein starker Krieger. Für etwas Verwirrung sorgte im PR-Vorfeld, dass es Parcours-Elemente geben sollte - also auch noch Tempo und Kraxelei à la Mirror's Edge? Zwar kann man spurten und springen, sich an Kanten hochziehen und über Dächer huschen, sich fallen lassen und abrollen. All das sieht gut aus, läuft in beschaulichen Grenzen auch rund, aber es entsteht hier kein akrobatischer Flow, wenn es mal zur Sache geht. Im Gegenteil: Gerade auf der Flucht kann sich das Klettern sehr abgehackt anfühlen, wenn sich Temriel plötzlich nicht an einem Hindernis hochzieht und auch manuell trotz Sprung nicht weiterkommt, obwohl er es angesichts der Schulterhöhe eindeutig schaffen müsste - diese kleinen Inkonsequenzen ziehen sich durch das komplette Abenteuer.

Auf den ersten Blick nur Stealth-Action ...

Zunächst spielt sich Seven: The Days Long Gone wie ein klassisches Schleich-Abenteuer. Man soll ein Gebäude infiltrieren und etwas stehlen.

Wenn man die erste Mission spielt, in der man in einen bewachten Komplex einbrechen soll, um das kostbare Cypher stehlen, fühlt sich das Spiel noch an wie Stealth-Action pur - fast wie ein futuristischer Zwilling von Shadow Tactics: Blades of the Shogun: Man schleicht von Deckung zu Deckung, weicht Scheinwerfern und Wachen aus, muss auf Schrittgeräusche achten, erklimmt Dächer, seilt sich ab und versucht keinen Alarm auszulösen. Dabei kann man auch in einen "Sinnesmodus" schalten, so dass mögliche Deckungen farblich markiert werden und man über ein kleines Fadenkreuz auch Infos zu anvisierten Figuren bekommt; teilweise muss man so auch Geheimtüren finden.

Man kann Kameras per Dart ausschalten, Wachen ablenken und bestehlen, Schlösser aufbohren oder Terminals hacken, so dass sich mehrere Wege zum Ziel ergeben. Wer also lange Finger macht, bekommt direkt den Schlüssel oder die Keycard und muss nicht mit dem Dietrich hantieren, was übrigens ebenso wie das Hacken als aktives Minispiel inszeniert wird. Zwar kann man auch überraschend vielfältig kämpfen, inklusive Konter sowie Kombos, aber dann verwandelt sich das Spiel in eine Art überhektisches Diablo, bei dem man meist den Kürzeren zieht. Hier entsteht also nicht eine Balance wie etwa in Deus Ex: Mankind Divided, wo man durchaus effektiv die harte Tour durchziehen und konzentriert auf Stärke hin agieren konnte. Das Hauen und Stechen, Schießen und  Bomben wird zwar ansehnlich animiert, aber macht nicht wirklich Laune - warum haben die Entwickler bloß so viele Waffen, Rüstungen, dazu diverse Niederschlagsarten gegen schwere Gegner an Wänden etc. eingebaut? Nicht falsch verstehen: Ich mag coole Kämpfe! Aber im Vordergrund sollte ja auch laut Story das unbemerkte akrobatische Infiltrieren stehen. Da hätte ein einfaches Kampfsystem gereicht.

Fragwürdiges Wach- und Sichtverhalten

Zudem gibt es einige Unterschiede zur fernöstlichen Schleichtaktik von Mimimi Productions, die deutlich anspruchsvoller und klarer ist, was das Infiltrieren angeht: Man ist natürlich alleine unterwegs. Und man erkennt hier keine Sichtkegel oder Wahrnehmungsradien bei den Wachen, sondern lediglich einen roten Alarmkreis direkt unter ihnen. Sobald sie einen sehen, beginnt er sich zu füllen und sie attackieren bzw. alarmieren erst bei maximaler Füllung. Das führt leider zu einigen unrealistischen Situationen: Man kann quasi direkt an ihnen vorbei laufen, von Angesicht zu Angesicht, der Kreis füllt sich, dann huscht man ein paar Meter weiter in eine Deckung und sie geben wieder Ruhe. Aus den Augen aus dem Sinn wäre ja okay, aber hier geht mir das viel zu flott mit der wieder einsetzenden Routine.

Neben digitalem Hacking kommen auch klassische Dietriche in einem Minispiel zum Einsatz.

Abgesehen von ihrem schlechten Kurzzeitgedächtnis sind auch ihre Blickwinkel sehr begrenzt, so dass man unbemerkt zwischen zwei nebeneinander stehende Wachen huschen kann, die jeweils in entgegen gesetzte Richtung schauen. Kurzum: Das Wach-, Sicht- und Verfolgeverhalten ist extrem verzeihlich, so dass man mit etwas Tempo immer aus kritischen Situationen fliehen kann, um sich in der Nähe zu verstecken.

Sehr schön sind  wiederum die Reaktionen von Zivilisten: Sie werden bei Klauversuchen misstrauisch, melden den Diebstahl auch Wachen. Schade ist jedoch, dass der laut Anleitung für Täuschungen relevante Kleidungswechsel manchmal keine Rolle spielt: Selbst wenn man die komplette Kluft einer Wache anzieht, reagieren weder Bewohner noch Kollegen anders. Oder war das noch ein Bug? Die Stealth-Action selbst sorgt jedenfalls nur für solide Unterhaltung. Aber sie ist nur eine Facette, denn Seven: The Days Long Gone ist ja auch ein Rollenspiel in offener Welt - mit Missionen, Fähigkeiten, Handwerk, Beute & Co.

Da ist ja noch ein Rollenspiel!

Der Vorhang zum Rollenspiel in offener Welt lüftet sich auf der Gefängnisinsel Peh, die in mehrere Visazonen eingeteilt ist.

Spätestens wenn sich nach dem Einbruch nicht mehr Vaetic, sondern eine ganz andere Stimme direkt in Temriels Kopf meldet, lüftet die Regie den epischen Vorhang: Ein Jahrtausende alter Dämon namens Artanak ergreift von ihm Besitz, erteilt Befehle und schickt ihn auf die Gefängnisinsel Peh, um dort etwas Wichtiges zu erledigen - tja, da muss man zunächst gehorchen. Übrigens: Man kann im Sinnesmodus auf Knopfdruck mit ihm reden, um mehr über Peh oder den Kaiser zu erfahren.

Man reibt sich nach dem ersten recht linearen Einbruch aber die Augen, wenn sich die Welt öffnet und eine Karte plötzlich zig Händler, Questgeber und an die 14 Icons an der Seite anzeigt. Zwar zeigt sich hier die Witcher-DNA der Entwickler, aber man fühlt sich nach dem eher intimen Einstieg von dieser Masse an Symbolen überflutet. Wieso muss sich die Spielwelt hier direkt so nackig machen und mir selbst Händler, Aufseher und Schnellreisepunkte schon in extremer Entfernung anzeigen? Und warum muss man später in den Arealen überall die Fertigkeits-Chips anzeigen, wenn man in der Nähe ist? Warum sind die überhaupt so ausgestreut? Das fühlt sich dann eher an wie ein Abgrasen statt Entdecken. Andere isometrische Rollenspiele ohne diesen Kram wie The Age of Decadence, Tyranny oder auch Wasteland und Pillars of Eternity gelingt es wesentlich besser, schon im Einstieg für eine in sich geschlossene Atmosphäre zu sorgen.

Rätselhafter bleibt immerhin die Story samt ihrer mythischen Hintergründe, denn spätestens mit dieser herrischen Kreatur im Ohr wird man Teil einer fremden apokalyptischen Welt, die sich schon seit Urzeiten in einem nebulösen Konflikt befindet, zwischen Altvorderen und Dämonen, der scheinbar bis in die aktuelle Situation des Vetrall-Reiches mit ihrem gottähnlichen Kaiser Drugun nachwirkt. Hatte er nicht auch einen Pakt mit einem Dämon geschlossen? Ist das der Grund für seine Macht? Gräbt er in den Ruinen der Altvorderen nach Artefakten, um sein Leben zu verlängern? Man braucht viel Geduld und einige Lektüre in den Notizen, um sich mit all den Mächten und Fraktionen vertraut zu machen.

Ein Meisterdieb in nebulöser Welt

Auch hier merkt man, wie ambitioniert und ausführlich die Entwickler die Hintergründe ausgearbeitet haben, die in zahlreichen Texten erläutert werden. Allerdings fühlt man sich angesichts all der Ortsnamen und Andeutungen zunächst verwirrt, muss ständig nachschlagen. Es gelingt der Regie nicht, den Spieler erzählerisch intuitiv in die interessante Geschichte einzuweihen. Wichtig für Temriel ist aber zunächst nur eines: Sich besser ausrüsten und erste Aufträge annehmen. Denn kaum angekommen, hat er es ohne Ortskenntnisse oder Waffen mit brutalen Schlägern, religiösen und techfeindlichen Biomanten sowie den miltärisch fortschrittlichen Technomagiern zu tun.

Man muss viel nachlesen, um ein Gefühl für die Mächte und Konflikte zu bekommen.

Auf Peh herrschen nicht nur verfeindete Fraktionen mit strikten Regeln, es gibt auch klare territoriale Grenzen, die man nur mit einer Visumspille überschreiten kann, die man für etwas Geld (hier "Aurit") an Automaten ziehen kann. Und es ist trotz der Fülle an Beute gar nicht so einfach, reich zu werden, denn Händler verfügen nur über ein stark begrenztes Budget - darüber hinaus muss man alles verschenken. Für die ersten Quests reicht das gemütliche Stöbern, zumal die Ziele meist als Kreise geografisch eingegrenzt werden: Temriel soll zunächst Dietriche finden, eine Werkzeugbank reparieren und dafür Magneten, Nieten und Metall suchen. Manchmal geht es lediglich um dieses Holen und Bringen, dann wird es wieder spannender, wenn es um das geschickte Infiltrieren geht.

Interessante Quests, seltsame Charakterentwicklung

Schön ist, dass man in diesen Aufträgen nicht nur mehrere Wege beschreiten kann, um in gesicherte Komplexe einzudringen, sondern dass sich hier auch die Vertikale entfalten kann, so dass an bestimmten Punkten fast ein Assassin's-Creed-Gefühl

Schönes Panorama - aber so leicht wird Temriel nicht fliehen können.

entsteht: Es ist sehr ansehnlich, wenn Temriel erst den Stromkasten hackt und dann auf einen hohen Mast klettern kann, um sich von weit oben umzuschauen, bevor er am Drahtseil herab hinter einen Zaun gleitet. Zu den Highlights gehören auch die situativen Ereignisse: Man kann z.B. zwei Ganoven an einer Ecke zuhören, ihnen dann in ihr Versteck folgen, indem man Fallen entschärft, und sie dort ansprechen - diese Situation kann dann je nach Gesprächsführung in einem Blutbad oder einer weiteren Quest enden. Die sind übrigens gut geschrieben, man lernt so einige skurrile Charaktere kennen und wird so immer tiefer in die ebenso konspirativen wie verräterischen Milieus von Peh hineingezogen.

Allerdings wirkt die Charakter-Entwicklung mit den einsetzbaren Chips wie etwa "Assassin", "Plünderer" oder "Tausendsassa", die spezielle Zauber und neurologische Verbesserungen aktivieren, dazu auch bessere Werte z.B. hinsichtlich Tempo, Schaden oder Beute, von Beginn an seltsam undurchsichtig. Während der ersten Mission hatte ich neun Chips zur Verfügung, dann war

Zu Beginn werden neun Chips mit Klassen-Namen angezeigt.

nur noch einer namens "Dieb" aktiv, der mir die Fähigkeit "Blitz" verlieh - eine Art temporärer Boost. In zwei Pfaden kann man dann jeweils weitere aktive sowie passive Fähigkeiten in Slots einsetzen. Aber wenn man dann irgendwo in der Gegend die erwähnten Fertigkeitschips findet, werden diese nirgends im Inventar angezeigt und verlangen im entsprechenden Menü für ihren Einsatz plötzlich Nektar? Es gibt einige Stellen, an denen das Spiel in seiner Benutzerführung einfach zu kryptisch ist und fast wie eine Beta wirkt. Warum vernachlässigt man diesen wichtigen Teil eines Rollenspiel so hinsichtlich seiner Erklärung? Hinzu kommt, dass man diese sehr lange Zeit ignorieren kann, so dass eine Tugend von Rollenspielen, nämlich die Lust auf persönliche Entwicklung, gar nicht richtig zur Geltung kommt. Hier hätte mir eine klarere und vielleicht sogar klassische Aufwertung von Werten und Talenten à la Shadowrun deutlich besser gefallen.

Fummelige Steuerung

Es ist zwar lobenswert, dass man mit Maus und Tastatur oder Gamepad loslegen kann. Außerdem kann man die Kamera frei drehen und zoomen. Aber hinsichtlich der Steuerung gibt es leider auch einige Probleme. Dass sie aufgrund leichter und schwerer Hiebe sowie Zusatzfähigkeiten und diverser Bewegungsmodi voll belegt ist, ist natürlich nicht schlimm. Aber auch sie wirkt in ihrer Struktur mit zusätzlicher Schnellauswahl, Digipadshortcuts sowie Kreismenü überfrachtet. Vor allem zwei Dinge stören: Zum einen ist es unnötig fummelig, aktive Waffen und Gegenstände wie Steine, Fallen oder Darts über das Menü zu bestimmen, damit man sie schnell einsetzen kann. Zum anderen ist es bei einem Spiel mit Fokus auf subtile Manöver vollkommen  unverständlich, wenn der Charakter auf Knopfdruck nicht direkt geduckt bleibt, sondern man diesen erst länger gedrückt halten muss. Noch nerviger ist, dass er bei der Schnellauswahl einer anderen Waffe diese im Stehen erstmal zückt - er sitzt also im Busch und geht dann aus der Hocke in den Stand, um schön laut seine Klingen zu zeigen! Hallo? Subtil ist anders.

Auch wenn es Konsequenzen gibt: Das Wach- und Sichtverhalten wirkt unrealistisch.

Hinzu kommt, dass die tödlichen Manöver nicht eindeutig sind, obwohl man sich direkt hinter oder über einer Wache befindet: Mal klappt es mit dem lautlosen Kill, mal wird ein normaler Hieb ausgeführt und man hat sofort einen überflüssigen Kampf ausgelöst. So versaut man sich auch viele Aktionen aus der Höhe, weil man eben nicht den Anvisierten killt, sondern plump auf ihn fällt. Hier wäre es besser gewesen, eine klare Aktion für den Stealth-Kill anzuzeigen, sobald man sich eben in der enstprechenden Position befindet. All das führt unterm Strich dazu, dass man gerade in den ersten Stunden sehr viel Geduld mitbringen muss, weil unnötig Chaos und damit Trial&Error entsteht. Man lädt nicht nach, weil die Situation so fordernd ist, sondern weil sie trotz optimaler Positionierung so ungewiss ausgeführt wird - und das darf nicht sein!

Zu viel Beute und Crafting

Beute ohne Ende, dazu Crafting & Co - hier hat man es mit der Fülle übertrieben.

Wo es Fool's Theory extrem übertrieben haben: Die Beute. Man kann an nahezu jedem Schrank, jeder Kiste und jeder Truhe lange Finger machen und etwas einstecken. Und zwar nicht nur Geld, Heiltränke oder Waffen, sondern so viel Plunder wie Schrauben oder Nieten, diverses Material und dazu Kleinkram, dass Borderlands grüßen lässt. Warum soll einen Meisterdieb dieses Gelumpe interessieren?

Es ist zwar lobenswert, dass es eine maximale Traglast gibt und dass das Plündern etwas Zeit kostet - ein Balken läuft für jeden Gegenstand voll, während man etwas stibitzt, so dass man ertappt werden kann. So kann man also nicht auf einen Klick alles abstauben und das Ganze wirkt einigermaßen authentisch. Aber wofür soll man das alles bloß einsetzen? Für Handwerk aka Crafting! Man kann an speziellen Werkbänken, die sich in drei Stufen aufrüsten lassen, nahezu alles in Einzelteile oder so genannte "Basiskomponenten" aus Metall, Leder, Stoff & Co zerlegen, um daraus wiederum etwas Neues herzustellen - Waffen kann man z.B. mit der "Vorhaltegriff-Verbesserung" präziser machen. Aber das fühlt sich im Gegensatz zu Styx, wo es um einige wenige Tränke und Munition ging, vollkommen überflüssig an. Gerade wenn ich mich auf das Schleichen und lautlose Töten konzentrieren will, reichen die beiden Doppelklingen doch aus! Hier zerfranst man die ohnehin weit gefächerte Spielmechanik noch in ein künstliches Mikromanagement - man versinkt als Spieler in einem Fass ohne Boden. Und spätestens wenn man sich nach dem Laden eines Spielstandes mal wieder nicht bewegen kann, einfach so irgendwo hängen bleibt oder plötzlich wieder auf dem Desktop landet, fühlt man sich eher wie in einer Beta als in einem finalen Spiel.

Fazit

Seven: The Days Long Gone hätte die Überraschung dieses Winters sein können - ein Geheimtipp für Freunde stimmungsvoller Schleich-Abenteuer! Und ich will es aufgrund seiner Thematik und seines Artdesigns mögen, zumal so viel an Möglichkeiten in diesem isometrischen Cyperpunk-Rollenspiel steckt: Man huscht und trickst wie der Meisterdieb, klettert akrobatisch über Dächer, kann hacken und heimlich infiltrieren, coole Gadgets und Spezialmanöver einsetzen, viele Quests auf mehrere Art meistern und sich in offener Welt mit reagierenden Bewohnern austoben. Das klingt nach einem grandiosen Thief-Witcher-Shadowrun, aber diese Vielfalt ist leider auch das große Problem, denn keine Mechanik wirkt ausgereift. Ich kam zu selten in einen Spielfluss, weil es immer irgendwo hakte - nicht nur beim Klettern. Beim Infiltrieren gibt es einige faule Kompromisse, das Sicht- und Wachverhalten der KI ist inkonsequent, viele subtile Manöver und Kills sind schrecklich unklar, die offenen Gefechte zu hektisch, die Steuerung zu fummelig, das Beutesystem überfrachtet, die Charakterentwicklung undurchsichtig und die interessant konzipierte Story will nicht recht in die Gänge kommen. Hinzu gesellen sich einige ärgerliche Bugs und böse Abstürze. Zwischendurch gibt es immer wieder Highlights in einigen situativen Quests mit coolen Charakteren sowie den unterhaltsamen Dialogen, zumal der Mythos zwischen Altvorderen und Dämonen neugierig macht. Aber hier hat sich das ebenso talentierte wie überambitionierte Team mit viel zu vielen Features übernommen - es fehlt ganz einfach die Reife im Spieldesign. Man hätte sich auf weniger, aber dafür poliertere Inhalte konzentrieren und ganze Teile wie das Crafting und die Anleihen an modernen Open-World-Komfort wie eine mit Symbolen überladene Karte sowie Sammelreize streichen sollen. Auch wenn hier viel Potenzial verschenkt wurde, wird man mit etwas Geduld für Trial&Error noch solide unterhalten. Schade, hier war viel mehr drin!

Pro

stimmungsvolles Artdesign
Stealth-Action und Rollenspiel in offener Welt
ansehnliche Lichteffekte, gute Animationen
interessante Cyberpunk-Welt
einige gute Quests und interessante Charaktere
Quests/Einbrüche auf mehrere Arten lösbar
Schlössser knacken & Hacking als Minispiel
gut geschriebene (und übersetzte) Dialoge
sehr gute Musikuntermalung, tolle Sprecher
automatisches und manuelles Speichern
mit Maus/Tastatur oder Gamepad spielbar
viele erklärende Tutorials

Kontra

zu viele Mechaniken nicht ausgereift
Story kommt nur schleppend in Fahrt
Spielwelt wirkt zunächst undurchsichtig
viel zu viel überflüssige Beute
trotz Konter sehr hektische Kampfsituationen
akrobatische Manöver werden oft ausgebremst
zu viele unklare Stealth-Kill-Situationen
inkonsequentes Sicht
& Verfolgeverhalten der KI
fummelige Steuerung, umständliches Inventar
sofort zu viele Infos auf der Weltkarte
verwirrendes Charaktermanagement
nur englische Sprachausgabe
viel Trial & Error
einige ärgerliche Bugs und Abstürze

Wertung

PC

Schleichen, Akrobatik, Kampf und Rollenspiel in einem? All das in offener Welt mit isometrischer Perspektive? Ja, aber leider wirkt all das entweder unreif, inkonsequent oder überfrachtet. Hier hätte ein Jahr mehr Entwicklung nicht geschadet.

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