Im Test: Eine (zu) kurze Flucht
Der Kampf ums Überleben in der Zombie-Apokalypse geht weiter: In der zweiten von drei Episoden von Telltales Miniserie muss Michonne erneut schwierige Entscheidungen treffen, ihre Machete schwingen und sich mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen. Kann Give No Shelter das Niveau des gelungenen Auftakts halten?
Huch, schon vorbei? In der zweiten Episode macht Telltale Games der Bezeichnung MINIserie alle Ehre: Gerade mal eine Stunde dauert dieser Kurztrip, der direkt an die Geschehnisse der ersten Episode anschließt und Michonne samt ihren Begleitern auf Festland führt. Dort wartet nicht nur eine weitere Zombieherde, sondern auch der nächste Unterschlupf. Sind die Bewohner den Überlebenden dort freundlicher gesonnen als beim letzten Mal?
Ohne zu viel zu verraten: Man lernt nicht nur neue Figuren kennen, sondern erhält auch weitere Einblicke in das Leben sowie die Motivationen von Michonne und Nebenfiguren wie Sam. Vor allem die Rückblende, bei der man als Spieler einmal mehr in die Gedankenwelt der Protagonistin abtaucht, dreht die Zeit zurück auf die dramatischen Anfänge der Epidemie.
Wenig Einflussmöglichkeiten
Michonne kennt die Tricks, wie man sich möglichst unauffällig durch eine Zombie-Herde bewegt.
Wurden mir die Gemetzel-Sequenzen in der ersten Episode zu inflationär eingesetzt, gefällt mir das Verhältnis zwischen Action und ruhigen Passagen hier besser. Schön sind auch die kleinen Stealth-Elemente des Einstiegs, bei denen man nur eine begrenzte Zeit aus der Deckung schauen kann, um nicht von seinen Jägern gefunden zu werden. Die Reduzierung der Reaktionstests zugunsten von mehr Dialogen oder Erkundung fallen ebenfalls angenehm auf. An späterer Stelle muss man sich u.a. als Aushilfsarzt betätigen und eine Schusswunde versorgen – nur eine der mitunter emotionalen Szenen, bei denen man einfach mitleiden muss. Obwohl man einen Großteil der simpel gestrickten Handlung vorhersehen kann, gelingt Telltale darüber hinaus sogar ein toller Überraschungsmoment, der es in sich hat.
Enttäuschender fallen neben dem Mangel an Rätseln und den sehr kleinen Arealen die geringen Einflussmöglichkeiten auf die Geschichte aus. Im Prinzip darf man im Verlauf der Episode lediglich zwei Entscheidungen treffen, die für das Finale relevant sein könnten, das Ende des Monats erscheinen soll. Zieht man als Vergleich z.B. The Wolf Among Us oder Tales from the Borderlands heran, bekommt man dort immerhin alternative Schauplätze zu sehen oder spürt anderweitige
Unter Wasser ist es manchmal sicherer als an der Oberfläche.
Konsequenzen. Hier hat man dagegen das Gefühl, als würde man dem Drehbuch sehr strikt folgen müssen. Dieses beinhaltet in der Kürze der Zeit immerhin ein paar nette Dialoge und sehenswerte Szenen, wobei vor allem Samira Wiley einmal mehr in ihrer Rolle als Michonne eine überzeugende Leistung abliefert. Mitunter wirkt die Handlung aber spürbar gehetzt, weil in diesem Dreiteiler eben nicht der erzählerische Rahmen einer kompletten Staffel zur Verfügung steht. Gerade angesichts dessen ist es umso schmerzhafter, dass der Umfang dieser zweiten Episode so mickrig ausfällt und man sich nicht etwas mehr Zeit nimmt, um auch die Charaktere abseits der Hauptdarstellerin etwas besser kennenlernen und verstehen zu können. Selbst zunächst unberechenbare Figuren verlieren an Reiz, weil sie hier durch die weitere Entwicklung der Geschichte in eine bestimmte Rolle gedrängt werden, die der ganzen Situation schnell eine gewisse Spannung und Ungewissheit nimmt.
Fazit
Obwohl die zweite Episode von The Walking Dead: Michonne hinsichtlich der Aufteilung besser funktioniert als der Einstieg mit seinem übertriebenen Fokus auf Metzeleien, stößt mir hier vor allem die enorm knappe Spielzeit bitter auf, die im Vergleich zur ebenfalls schon kurzen Premiere nochmals reduziert wurde. Paradox: Man hat einerseits das Gefühl, dass inhaltlich zu wenig passiert. Andererseits glaubt man, regelrecht durch die Handlung gehetzt zu werden, ohne sie dabei spürbar beeinflussen oder überhaupt mit den Figuren warm werden zu können. Deshalb wünsche ich mir für das Finale, dass Telltale einen Gang zurückschalten und die losen Fäden nicht zwingend im Eilverfahren zusammenführen wird. Nach dem Cliffhanger-Ende steht die Bühne für den großen Showdown, der leider mehr durch das recht enge Drehbuch und weniger die eigenen Entscheidungen herbeigeführt wurde.
Einschätzung: befriedigend
[Ab diesem Jahr werden wir bei Episoden-Spielen für die ersten Teile im Test zunächst nur Schulnoten vergeben; erst mit dem finalen Teil und Test werden wir auch eine abschließende Prozentwertung für die komplette Reihe vergeben. Anm.d.Red.]
Pro
add_circle_outline bekannter und beliebter Charakter aus der Comic-Reihe und TV-Serie
add_circle_outline Entscheidungen beeinflussen Handlung...
add_circle_outline interessante Nebenfiguren und Antagonisten
add_circle_outline Einblicke in Michonnes Gedankenwelt
add_circle_outline unterhaltsame Dialoge (und Verhöre)
add_circle_outline ansprechendes Artdesign
add_circle_outline großartige (englische) Sprecher
add_circle_outline gelungene Inszenierung
add_circle_outline zusammenfassende Spieler-Statistik
Kontra
remove_circle_outline extrem kurze Spielzeit (ca. 60-70 Minuten)
remove_circle_outline ...aber Folgen entpuppen sich mitunter als geskriptet
remove_circle_outline keine anspruchsvollen Rätsel
remove_circle_outline z.T. unschöne, plötzliche Übergänge bei Gestik und Mimik
remove_circle_outline deutsche Untertitel mit einigen (Rechtschreib-)Fehlern
remove_circle_outline kleine Areale, kaum Erkundung
remove_circle_outline Handlung wirkt stellenweise gehetzt
remove_circle_outline unberechenbare Figuren verlieren an Reiz
Wertung